Familienbeihilfe - Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Siegfried Fenz in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22, nunmehr Finanzamt Österreich, vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich des Antrages auf Familienbeihilfe vom zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Die Bf. stellte folgenden Antrag:
Antrag auf Wiederaufnahme
Ich habe für meine Tochter Vorname.Tochter (Nachname der Bf.) keine Beihilfe bekommen. Es wurde von mir verlangt Beweise zu schicken, dass ich für meine Tochter das Schulgeld für Jewish Teachers Training College in Gateshead bezahle. Diese habe ich tatsächlich geschickt aber seit dann hat sich niemand gemeldet.
Ich schicke die Beweise wieder und hoffe um rasche Verarbeitung.
Dem Wiederaufnahmeantrag waren beigelegt:
- Bestätigung des Jewish Teachers Training College, B. Road, vom :
This is to confirm that Vorname.Tochter … was a fulltime residential student at the above college from 25th August 2017 until 30th July 2019.
Miss … completed the level 3 … which consists of 33 hours of lessons and / or guided study per week.
The fees for the two years were Pound 10.680,00 of which Pound 6.726,00 has been paid by Miss … parents, with the balance of Pound 3.954,00 due [Saldo, Restschuld] now.
- ONLINE BANKING Di., VOM 03.03 UM 14:53
Empfänger: Beth Midrash Lemoroth, Jewish Teachers Training College.
Zahlungsreferenz: schar limud blimi (Bf.-Nachname) - Sonst. > Beruf & Bildung … -3.300,00 eur
- ONLINE BANKING Mi., VOM 18.03 UM 16:09
Empfänger: Beth Midrash Lemoroth, Jewish Teachers Training College.
Zahlungsreferenz: schar limud Vorname.Tochter - Sonst. > Beruf & Bildung … -5.000,00 eur
Der beschwerdegegenständliche Bescheid wurde wie folgt erlassen:
Der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 Bundesabgabenordnung eingebracht am betreffend Abweisung Ihres Antrages auf Familienbeihilfe für Vorname.Tochter vom wird abgewiesen.
Begründung:
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist dem Antrag des Abgabepflichtigen auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Ihr Kind Vorname.Tochter, geboren am … .07.2000, hat von August 2017 bis Juli 2019 das Jewish Teachers Training College in England besucht. Sie lebte in einem Internat mit Vollversorgung und kam in den Ferien zu Ihnen zu Besuch. Die überwiegende Unterhaltsleistung von Ihnen wurde nicht nachgewiesen.
Mit Bescheid vom wurde Ihr Antrag auf Familienbeihilfe ab August 2018 abgewiesen.
In Ihrer Eingabe geben Sie an, dass Sie das Schulgeld für Ihre Tochter bezahlt haben. Trotz Ersuchen um Ergänzung vom wurde die überwiegende Kostentragung nicht nachgewiesen.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen sind und dass eine amtswegige Wiederaufnahme des Beihilfenverfahrens auch keinen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeiführen würde.
Daher war Ihr Antrag abzuweisen.
Die Beschwerde wurde erhoben wie folgt:
Mein Ansuchen auf Wiederaufnahme wurde mit der Begründung abgelehnt, dass keine neuen Beweismittel und Tatsache hervorgekommen sind und eine amtswegige Wiederaufnahme auch keine andere Entscheidung herbeiführen würde.
Dem halte ich entgegen, dass ich mit der Wiederaufnahme Unterlagen zur Kostentragung vorgelegt habe (Kosten der Ausbildung mit Kost und Logis, Flugkosten etc. ). Wesentliche Teile dieser Bestätigung konnten erst mit der Wiederaufnahme vorgelegt werden, da Kosten von uns mit Verzug gezahlt wurden.
Da sich aus diesen Unterlagen ergibt, dass wir für die Ausbildungskosten und Lebenskosten unserer Tochter Sorge tragen, hätte das zu einem anderen Ergebnis geführt.
Daher stelle ich den Antrag den Bescheid zu beheben und das Verfahren zur Zuerkennung der Familienbeihilfe von August 2017 bis Juli 2019 wieder aufzunehmen.
Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung mit folgender Begründung:
Sachverhalt:
Sie haben am Familienbeihilfe für das am … .07.2000 geborene Kind Vorname.Tochter ab August 2018 beantragt.
Ihre Tochter absolvierte von August 2017 bis Juli 2019 das Jewish Teachers Training College in England. Mit Ergänzungsersuchen vom wurden Sie aufgefordert Nachweise betreffend die überwiegende Kostentragung für Vorname.Tochter vorzulegen. Da diese Nachweise nicht nachgereicht wurden, wurde ihr Antrag mit Bescheid vom für den Zeitraum ab August 2018 abgewiesen.
Am brachten Sie einen Antrag auf Wiederaufnahme des Familienbeihilfeverfahrens ein. Mit Ergänzungsersuchen vom wurden Sie nochmals dazu aufgefordert Nachweise darüber vorzulegen, dass Sie tatsächlich für den Unterhalt von Vorname.Tochter aufkommen. Die überwiegende Kostentragung wurde nicht nachgewiesen, daher wurde Ihr Antrag auf Wiederaufnahme mit Bescheid vom abgewiesen.
Gesetzliche Grundlagen:
Gemäß § 13 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) hat das nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person zuständige Finanzamt über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe zu entscheiden. Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist ein Bescheid zu erlassen.
Anspruch auf Familienbeihilfe hat nach § 2 Abs. 2 FLAG vorrangig die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 303 Abs. 2 BAO hat der Wiederaufnahmeantrag zu enthalten
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird und
b) die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird.
Würdigung:
Nach der Rechtsprechung des VwGH hängt die Antwort, inwieweit die Unterhaltskosten für die Kinder überwiegend getragen werden, davon ab, ob überwiegend der Geldunterhalt geleistet wurde (Reinalter in Lenneis/Wanke, FLAG 2.A. 2020 § 2 Rz 152 unter Hinweis und ).
Mit ungenütztem Ablauf der Frist zur Einbringung einer Beschwerde trat die formelle Rechtskraft des Abweisungsbescheides vom (gleichbedeutend mit Unanfechtbarkeit im ordentlichen Rechtsmittelverfahren) ein. Aus dieser formellen Rechtskraft leitet sich die materielle Rechtskraft der Entscheidung ab. Dies bedeutet, dass der Bescheid von der Behörde nicht mehr aufgehoben oder abgeändert werden kann. Die Rechtskraftwirkungen sind mit Bescheiden verbunden, die dem Rechtsbestand angehören, unabhängig davon, ob die Bescheide richtig sind oder nicht (Stoll, BAO, 943; ).
Da Sie den Abweisungsbescheid vom nicht mittels Beschwerde bekämpft haben, ist dieser in Rechtskraft erwachsen.
Die Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen; sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen ().
Bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist das Neuhervorkommen von Tatsachen laut VwGH-Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058 aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen:
"Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat - bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel "neu hervorgekommen sind". Damit setzt aber diese Bestimmung voraus, dass diese Tatsachen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bekannt geworden sind. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. ..."
Die tatbestandsmäßige Voraussetzung der fehlenden Kenntnis von den Wiederaufnahmegründen ist bei Ihnen nicht gegeben.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass keine neuen Tatsachen vorgelegt wurden. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Der (nach einem Mängelbehebungsauftrag unterfertigte) Vorlageantrag wurde ohne Erstattung eines weiteren Vorbringen gestellt.
Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Am , eingelangt am , stellte die Bf einen Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab August 2018 für ihre Tochter Vorname.Tochter, weil das Finanzamt die Auszahlung der Familienbeihilfe eingestellt hatte. Die Tochter der Bf besuchte von bis Juli 2020 ein Jewish Teachers Training College in Großbritannien. Laut vorgelegter Bestätigung der Schule beträgt das zeitliche Stundenausmaß 33 Stunden pro Woche und die Eltern kommen für die Kosten der Schule auf. Mit Ersuchen um Ergänzung wurde gebeten, die überwiegende Kostentragung nachzuweisen. Da laut Ansicht der belangten Behörde die überwiegende Kostentragung nicht nachgewiesen wurde, wurde der Antrag mit Bescheid vom abgewiesen. Die steuerliche Vertretung der Bf ersuchte zweimal um Fristverlängerung zur Einbringung der Beschwerde, dem stattgegeben wurde. Allerdings wurde eine Beschwerde nie eingebracht und der Abweisungsbescheid erwuchs in Rechtskraft. Eine Anfrage an die steuerliche Vertretung, ob eventuell doch - entgegen der Aktenlage - eine Beschwerde erhoben wurde und diese eventuell untergegangen sei, blieb unbeantwortet. Am stellte die Bf einen Antrag auf Wiederaufnahme und legte Unterlagen bei, die Zahlungen an/für ihre Tochter belegen.
Beweismittel: Siehe Inhaltsverzeichnis
Stellungnahme:
Im Abweisungsbescheid wird über kein Enddatum abgesprochen. Ein Bescheid über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe "ab" einem bestimmten Anspruchszeitraum, ohne im Spruch einen Endpunkt festzusetzen, gilt nach der ständigen Rechtsprechung jedenfalls für den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, ungeachtet dessen, ob sich zwischen dem Anfangszeitpunkt und diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nicht ändert (vgl. ausdrücklich , und ). Neu hervorgekommene Tatsachen (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) rechtfertigen - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen. Allerdings bringt die Bf keine neu hervorgekommene Tatsache vor. Nach dem soeben Gesagten spricht der Abweisungsbescheid über den Zeitraum August 2018 - Juli 2019 ab. In ihrem Antrag auf Wiederaufnahme legt die Bf Nachweise vor, die Zahlungen an die Schule der Tochter im März 2020 nachweisen. Diese Zahlungen sind somit nach Bescheiderlassung erfolgt, weswegen diese Tatsachen nicht zur Zeit des Beschwerdeverfahrens bestanden haben. In der Vorhaltsbeantwortung wurden weiters Nachweise vorgelegt, die Unterhaltszahlungen / Zahlungen an die Schule vor dem konkreten Beschwerdezeitraum belegen, wie zB April 2018 bzw im Jahr 2017. Für den Beschwerdezeitraum wurden lediglich zwei Flugtickets vorgelegt, die allerdings eine überwiegende Unterhaltstragung nicht belegen. Zudem betreffen die Unterlagen zunehmend Tatsachen, die der Bf schon im vorherigen Verfahren bekannt waren und somit aus ihrer Sicht ohnehin keine neu hervorgekommene Tatsachen iSd § 303 Abs 1 lit b BAO vorliegen. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (vgl. , mwN). Im Folgeantragsverfahren können somit - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben (vgl. ). Demnach sind behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Verfahrens bestanden haben, die Bf jedoch nicht bereits im ersten Verfahren vorgebracht hat, von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. bis 0010, mwN; betreffend ein Asylverfahren). Aus den obigen Ausführungen ergibt sich somit für die belangte Behörde, dass kein Neuerungstatbestand iSd § 303 Abs 1 lit b BAO vorliegt und deswegen die Beschwerde abzuweisen ist.
Es wird darauf hingewiesen, dass dem Vorlageantrag die Unterschrift fehlt und deswegen vom Bundesfinanzgericht ein Mängelbehebungsauftrag zu erlassen ist. Sollte diesem nicht entsprochen werden, ist der Vorlageantrag mit Beschluss als zurückgenommen zu erklären.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Am reichte die Bf. beim Finanzamt einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihre im Juli 2000 geborene Tochter ein.
Gemäß der beigelegten Bestätigung des Jewish Teachers Training College, B. Road, vom ist die Tochter der Bf. "a full time residential student at the above college.
Miss Nachname.wie.Bf. is taking the ATHE Level 3 Extended Diploma in Torah Studies (QCF) which consists of 33 hours of lessons and / or guided study per week and is approved by Ofqual.
The course, which is delivered in English, commenced on 28th August 2017 and will terminate in July 2020.
Miss … (Tochter der Bf.) parents pay tuition fees (Studiengebühren) to cover the costs of the course."
Am erließ das Finanzamt den Abweisungsbescheid:
Ihr Antrag vom auf Familienbeihilfe wird abgewiesen für: (Tochter der Bf.)
Begründung
Zu (im Juli 2000 geborene Tochter der Bf.):
Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Da Sie keine überwiegende Kostentragung für das Kind … nachweisen konnten, war Ihr Antrag auf Familienbeihilfe abzuweisen.
Der Wiederaufnahmeantrag stützt sich auf
1. die oben wiedergegebene Bestätigung des Jewish Teachers Training College, B. Road, vom ,
2. die oben wiedergegebene online banking- Überweisung vom und
3. die oben wiedergegebene online banking- Überweisung vom .
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)
Am stellte die Bf. den oben wiedergegebenen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO.
§ 303 Abs. 1 BAO bestimmt:
Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b leg.cit. Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen (vgl. , , 2008/16/0148 mwN).
Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. und , 2006/13/0107).
Das Wiederaufnahmeverfahren hat auch nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (vgl. nochmals ).
Im Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058, erwog der Verwaltungsgerichtshof nach dem Hinweis, dass mit dem FVwGG 2012 eine Harmonisierung der Wiederaufnahme von Amts wegen mit jener auf Antrag (vgl. auch diesbezüglich die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 2007 BlgNR 24. GP 22) erfolgte, aber insbesondere nicht geändert wurde, dass der Wiederaufnahmeantrag u.a. die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, zu enthalten hat (§ 303a lit. b BAO idF vor FVwGG 2012; § 303 Abs. 2 lit. b BAO idF FVwGG 2012):
22 Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (vgl. ).
23 Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat sohin - bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel "neu hervorgekommen sind". Damit setzt aber diese Bestimmung voraus, dass diese Tatsachen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bekannt geworden sind. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Wiederaufnahme von Amts wegen, bei der die - für die Behörde - neu hervorgekommenen Tatsachen im Wiederaufnahmebescheid anzuführen sind.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2015/13/0011, enthält u.a. folgende Ausführungen:
5 Im vorliegenden Fall hat das Bundesfinanzgericht eine Revision gegen seine Entscheidung vom für zulässig erklärt, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 303 und 304 BAO idF des FVwGG 2012 (gemeint im Besonderen: zu der den Streitpunkt des Verfahrens bildenden Frage, wann eine Tatsache nach dieser Rechtslage "neu hervorgekommen" ist) noch fehlte.
7 In dem Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058, hat der Verwaltungsgerichtshof die strittige Rechtsfrage im Sinne der vom Revisionswerber bekämpften Ansicht des Finanzamtes und des Bundesfinanzgerichtes gelöst (vgl. dazu auch den Beschluss vom29. März 2017, Ro 2016/15/0036). Die im angefochtenen Erkenntnis getroffene Entscheidung steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
8 Die Revision war daher nunmehr zurückzuweisen.
Ritz führt im BAO-Kommentar, § 303 Tz 13 und 21f mwN, aus:
Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existierende Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe.
Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie zB die Zahlungswilligkeit).
Solche Tatsachen sind zB
- Unterbleiben von Aufzeichnungen (; , 93/14/0233),
- Mangel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung.
Keine Wiederaufnahmsgründe (keine Tatsachen) sind hingegen etwa
- Hervorkommen von Rechtsirrtümern.
Wie vom Verwaltungsgerichtshof geklärt (), muss die als Wiederaufnahmegrund herangezogene Tatsache bei einer beantragten Wiederaufnahme für den Antragsteller neu hervorgekommen sein. Tatsachen, die diesem schon immer bekannt waren, reichen nicht aus (vgl. dazu Zorn, RdW 2016, 857).
Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (, mwN).
Der Wiederaufnahmeantrag stützt sich auf die drei oben angeführten Beweismittel:
- Bestätigung des Jewish Teachers Training College, B. Road, vom und
- online-Überweisungs- Ausdrucke vom bzw.
Auf Grund der Bescheiderlassung im Juli 2019 handelt es sich bei allen drei Beweismitteln gemäß den obigen Rechtsausführungen um (Monate bzw. über ein halbes Jahr) später entstandene nova producta, die keine Wiederaufnahmsgründe sind.
Die Beschwerde ist aus diesem Grund als unbegründet abzuweisen.
Die Beschwerde ist aus einem weiteren Grund abzuweisen:
Gemäß der bereits dem Familienbeihilfenantrag beigelegten Bestätigung des Jewish Teachers Training College, B. Road, vom ist ("is") die Tochter der Bf. "a full time residential student at the above college.
Miss Nachname.wie.Bf. is taking the ATHE Level 3 Extended Diploma in Torah Studies (QCF) which consists of 33 hours of lessons and / or guided study per week and is approved by Ofqual.
The course, which is delivered in English, commenced on 28th August 2017 and will terminate in July 2020.
Miss … (Tochter der Bf.) parents pay tuition fees (Studiengebühren) to cover the costs of the course."
Gemäß der dem Wiederaufnahmeantrag beigelegten Bestätigung des Jewish Teachers Training College, B. Road, vom war ("was") die Tochter der Bf. "a fulltime residential student at the above college from 25th August 2017 until 30th July 2019.
Miss … completed the level 3 … which consists of 33 hours of lessons and / or guided study per week.
The fees for the two years were Pound 10.680,00 of which Pound 6.726,00 has been paid by Miss … parents, with the balance of Pound 3.954,00 due [Saldo, Restschuld] now."
Der Informationsgehalt der zweiten (dem Wiederaufnahmeantrag beigelegten) Bestätigung geht über jenen der ersten (dem Familienbeihilfenantrag beigelegten) Bestätigung lediglich darüber hinaus, dass die Höhe der Studiengebühren beziffert ist und dass per Ende September 2019 eine Restschuld in Höhe von mehr als einem Drittel der Zweijahresstudiengebühren bestand. Dieses mehr an Informationsgehalt bietet keine Handhabe, um eine abweichende Beurteilung gegenüber dem Abweisungsbescheid darzutun.
Gleiches gilt hinsichtlich der beiden online- Überweisungen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob (oder dass) es sich bei der ersten Überweisung iHv Euro 3.300,00 um die Begleichung der o.a. Restschuld iHv Euro 3.954,00 handelt und welche Verbindlichkeiten mit dem restlichen Betrag und der zweiten Überweisung abgedeckt wurden.
Betreffend die beiden als Wiederaufnahmegrund geltend gemachten online- Überweisungen kommt hinzu: Tatsachen, die dem Wiederaufnahmewerber schon immer bekannt waren, was auf die vorgenommenen online- Überweisungen zutrifft, reichen gemäß den obigen Rechtsausführungen nicht als Wiederaufnahmegrund aus.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Hinweis:
Ausdrücklich hingewiesen wird auf die oben bereits wiedergegebenen Ausführungen des Finanzamtes in der Stellungnahme der Beschwerdevorlage:
Nach dem soeben Gesagten spricht der Abweisungsbescheid über den Zeitraum August 2018 - Juli 2019 ab. In ihrem Antrag auf Wiederaufnahme legt die Bf Nachweise vor, die Zahlungen an die Schule der Tochter im März 2020 nachweisen. Diese Zahlungen sind somit nach Bescheiderlassung erfolgt, weswegen diese Tatsachen nicht zur Zeit des Beschwerdeverfahrens bestanden haben. …
Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (vgl. , mwN). Im Folgeantragsverfahren können somit - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben (vgl. ).
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden auf der Sachverhaltsebene zu lösenden Fall nicht gegeben.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101079.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at