Vorliegen der Voraussetzungen für eine Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO auf Antrag bei Nichtberücksichtigung der Drittelbegünstigung nach § 124 b Z 53 EStG 1988 für eine liechtensteinische Freizügigkeitsleistung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Peter Steurer in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 stattgegeben und der Einkommensteuerbescheid 2016 vom gemäß § 299 BAO aufgehoben wird.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
1. Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2016 fest, wobei eine im Februar 2016 ausbezahlte liechtensteinische Freizügigkeitsleistung zur Gänze den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugerechnet wurde.
2. Mit Schreiben vom erhob der Beschwerdeführer gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 Beschwerde. Der Bescheid sei mangels Information über die elektronisch erfolgte Übermittlung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Sollte die Beschwerde nicht fristgerecht sein, beantrage er die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 gemäß § 299 BAO. Begründend wurde ausgeführt, dass die Pensionsabfindung nicht gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 begünstigt besteuert worden sei. Wie aus der vorgelegten Bestätigung der X Bank vom hervorgehe, habe er auf die Abfindung nicht zugunsten einer Rente verzichten können. Er habe somit kein Wahlrecht gehabt und sei ein Drittel der Auszahlung daher steuerfrei zu belassen.
3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 als verspätet zurück.
4. Auf Vorhalt des Finanzamtes legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom eine Bestätigung der liechtensteinischen Pensionskasse vor, wonach im Jahr 2008 nur eine Überweisung auf ein Freizügigkeitskonto möglich gewesen sei.
5. Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 ab, weil der Spruch des Bescheides nicht unrichtig sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege keine Abfindung eines Pensionsanspruches im Sinne des § 124b Z 53 EStG 1988 vor, wenn der Anspruchsberechtigte ein freies Wahlrecht zwischen mehreren gleichwertigen Ansprüchen ("obligatio alternativa") habe (Hinweis auf ). Das angesparte Altersguthaben hätte anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Liechtenstein nicht nur auf ein Vorsorgesperrkonto, sondern auch auf eine Freizügigkeitspolice übertragen werden können. In diesem Fall wäre eine Auszahlung in Rentenform möglich gewesen und hätte daher auch ein Wahlrecht bestanden. Die Nichtberücksichtigung der Drittelbegünstigung sei somit rechtmäßig.
6. In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer unter Anschluss eines Schreibens der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein vom im Wesentlichen vor, dass in Art. 12 Abs. 2 des liechtensteinischen Gesetzes über die betriebliche Personalvorsorge (BPVG) zwar die Möglichkeit einer Einzahlung in eine Freizügigkeitspolice vorgesehen sei, es nach Auskunft der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein in Liechtenstein aber kein Versicherungsunternehmen gebe, das eine Freizügigkeitspolice anbieten würde und er somit de facto kein Wahlrecht gehabt habe. Davon abgesehen müsste die Drittelbegünstigung im Falle des endgültigen Verlassens des Landes nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch bei einer tatsächlich bestehenden Wahlmöglichkeit zur Anwendung kommen (Hinweis auf , mwN).
7. Mit Beschwerdevorentscheidung wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer hätte aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen anlässlich des Verlassens der Vorsorgeeinrichtung im Jahr 2007 die Möglichkeit gehabt, den Vorsorgeschutz auch im Wege einer Freizügigkeitspolice mit einer späteren Auszahlung in Rentenform aufrechtzuerhalten. Das Schreiben der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein vermöge daran nichts zu ändern. Zum einen wäre es rechtlich vertretbar, im Hinblick auf das begünstigungsschädliche Wahlrecht auf eine lediglich nach dem Gesetz zustehende Wahlmöglichkeit abzustellen. Zum anderen stelle Art. 12 BPVG bei den Freizügigkeitspolicen (im Gegensatz zu den bei einer liechtensteinischen Bank einzurichtenden Freizügigkeitskonten) nicht auf liechtensteinische, sondern lediglich auf in Liechtenstein zugelassene Versicherungsunternehmen ab. Aufgrund des Abkommens vom zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend die Direktversicherung sowie die Versicherungsvermittlung seien die schweizerischen Versicherungsunternehmen zur Ausübung von Dienstleistungen in Liechtenstein zugelassen, ohne dass ein behördliches Bewilligungsverfahren erforderlich ist. Tatsächlich sei auf der Homepage der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein eine Liste ausländischer, zum Dienstleistungsverkehr in Liechtenstein zugelassener Versicherungsgesellschaften veröffentlicht. Daraus sei ersichtlich, dass eine Reihe von Schweizer Versicherungsunternehmen in Liechtenstein zugelassen seien, von welchen zumindest ein Teil Freizügigkeitspolicen anbieten würden. Es könne daher nicht als erwiesen angenommen werden, dass ein Wahlrecht im Sinne der Rechtsprechung nicht bestanden hätte. Zudem handle es sich bei den in § 124b Z 53 EStG 1988 angeführten Zahlungen für Pensionsabfindungen um solche von einer Pensionskasse, während im gegenständlichen Fall die Überweisung der Freizügigkeitsleistung von einer davon verschiedenen Einrichtung, nämlich der X Bank, erfolgt sei. § 124b Z 53 EStG 1988 sei tatbestandsmäßig enger gefasst als § 25 Abs. 1 Z 2 lit. b EStG 1988. Der durch die Übertragung auf das Freizügigkeitskonto bewirkte Schuldnerwechsel stünde der Anwendung des § 124b Z 53 EStG 1988 bei wörtlicher Auslegung des Gesetzes daher entgegen. Eine Unrichtigkeit des Spruches des Einkommensteuerbescheides 2016 könne somit nicht mit Gewissheit angenommen werden.
8. Mit Vorlageantrag beantragte der Beschwerdeführer unter neuerlicher Bezugnahme auf die Auskunft der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.
II. Sachverhalt, Beweismittel und Beweiswürdigung
Der im Juli 1950 geborene Beschwerdeführer war bis Ende 2007 in Liechtenstein als Grenzgänger nichtselbständig tätig. Anfang 2008 hat er eine nichtselbständige Tätigkeit im Inland aufgenommen. Seit August 2014 bezieht er eine Altersrente von der Liechtensteinischen Alters- und Hinterlassenenversicherung. Das zum Zeitpunkt des Verlassens des Fürstentums Liechtenstein bei der betrieblichen Vorsorgeeinrichtung des Arbeitgebers bestehende Altersguthaben wurde auf ein für Vorsorgezwecke gesperrtes Konto bei der X Bank überwiesen. Im Februar 2016 wurde ihm die Freizügigkeitsleistung in Höhe von 74.632,84 CHF antragsgemäß ausbezahlt, wobei weder zum Zeitpunkt der Überweisung des Altersguthabens auf das Freizügigkeitskonto noch zum Zeitpunkt der Auszahlung des Kapitals eine Möglichkeit bestand, den Vorsorgeschutz mit Rentenanspruch aufrechtzuerhalten.
Die Feststellungen betreffend die Überweisung des Altersguthabens auf ein Freizügigkeitskonto und die Auszahlung des Guthabens im Streitjahr sind nicht strittig und ergeben sich aus den aktenkundigen Unterlagen. Hinsichtlich des Bestehens einer Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes mit Rentenanspruch hat das Bundesfinanzgericht, nachdem der Verwaltungsgerichtshof mehrere Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichtes, in denen im Zusammenhang mit dem endgültigen Verlassen der Schweiz bzw. des Fürstentums Liechtenstein ausbezahlte Freizügigkeitsleistungen als gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 begünstigte Pensionsabfindungen beurteilt wurden, mit der Begründung, das Bundesfinanzgericht habe keine konkreten Feststellungen darüber getroffen, ob nach der schweizerischen bzw. liechtensteinischen Rechtslage und der hiezu in der Schweiz bzw. im Fürstentum Liechtenstein gepflogenen Interpretation sowie den tatsächlichen Gegebenheiten eine Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes durch Abschluss einer prämienfreien Freizügigkeitspolice mit späterem Rentenanspruch möglich gewesen wäre, aufgehoben hatte (vgl. ua. , und ), hat das Bundesfinanzgericht entsprechende Auskunftsersuchen an verschiedene eidgenössische und liechtensteinische Stellen (Schweizerischer Pensionskassenverband, Bundesamt für Sozialversicherungen, Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge, Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, Schweizerischer Versicherungsverband, Finanzmarktaufsicht Liechtenstein, Liechtensteinischer Pensionskassenverband, Liechtensteinischer Versicherungsverband) gerichtet.
Die eingegangenen Stellungnahmen (die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, der Schweizerische Versicherungsverband und der Liechtensteinische Versicherungsverband haben sich für nicht zuständig erklärt) hat das Bundesfinanzgericht den Finanzämtern Bregenz und Feldkirch mit dem Hinweis, dass daraus nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes eine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Anspruches auf eine Altersrente nicht abgeleitet werden könne und, sofern die Finanzämter weiterhin vom Bestehen eines begünstigungsschädlichen Wahlrechtes ausgehen sollten, konkrete Versicherungsgesellschaften namhaft zu machen seien, die tatsächlich Freizügigkeitspolicen mit Anspruch auf eine spätere Auszahlung in Rentenform auf dem freien Markt angeboten hätten, zur Stellungnahme übermittelt.
Das nunmehrige Finanzamt Österreich, Dienststelle Vorarlberg (FA98), hat daraufhin am mitgeteilt, dass 33 liechtensteinische und schweizerische Versicherungsunternehmen (einschließlich schweizerischer Versicherungsunternehmen, die in Liechtenstein im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zugelassen sind) um Auskunft ersucht worden seien, ob Freizügigkeitspolicen mit Anspruch auf eine spätere Auszahlung in Rentenform angeboten würden bzw. in der Vergangenheit angeboten worden seien (Frage 1) oder andernfalls die Möglichkeit bestehe bzw. bestanden habe, den Vorsorgeschutz in Rentenform durch Abschluss einer Freizügigkeitspolice im Wege eines individuellen Einzelvertrages aufrechtzuerhalten (Frage 2). Davon hätten insgesamt 24 (13 liechtensteinische und 11 schweizerische) Versicherungsunternehmen geantwortet, wobei 22 Versicherungsunternehmen beide Fragen verneint hätten, ein Versicherungsunternehmen die erste Frage verneint und die zweite Frage unter Verweis auf eine notwendige Abstimmung mit der liechtensteinischen Steuerverwaltung nicht beantwortet habe und ein Versicherungsunternehmen keine der beiden Fragen beantwortet habe, da eine Beantwortung nur im Wege eines Rechtshilfeersuchens möglich wäre.
Die durchgeführten Ermittlungen (dazu ausführlich , betreffend Liechtenstein, sowie , und , betreffend die Schweiz) haben somit keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bezüglich der Austrittsleistung im Falle des endgültigen Verlassens des Fürstentums Liechtenstein eine Möglichkeit bestanden hätte, den Vorsorgeschutz mit Anspruch auf eine spätere Rentenzahlung durch den Abschluss einer Freizügigkeitspolice aufrechtzuerhalten.
III. Rechtsgrundlagen und rechtliche Würdigung
§ 299 Abs. 1 und 2 BAO lauten:
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"(1) Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten: | |
a) | die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides; |
b) | die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt. |
(2) Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist." |
Die Aufhebung eines Bescheides nach § 299 BAO setzt voraus, dass der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht, also der Inhalt des Bescheids nicht richtig ist (vgl. , mwN). Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt, ist dabei nicht ausschlaggebend (vgl. , mwN); sie muss aber mit Gewissheit gegeben sein, die bloße Möglichkeit reicht nicht (vgl. , mwN). Die Aufhebung setzt damit ebenso wie die Abweisung eines Aufhebungsantrages aber auch die vorherige Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes voraus (vgl. , mwN).
Bei der Aufhebung auf Antrag bestimmt die betreffende Partei den Aufhebungsgrund (vgl. , mwN). Im Beschwerdefall wurde der Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 vom mit der zur Gänze nach dem Tarif und sohin unter Außerachtlassung der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 erfolgten Besteuerung des von der X Bank ausbezahlten Freizügigkeitsguthabens begründet.
§ 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002 lautet:
"Zahlungen für Pensionsabfindungen, deren Barwert den Betrag im Sinne des § 1 Abs. 2 Z 1 des Pensionskassengesetzes übersteigt, sind gemäß § 67 Abs. 10 im Kalendermonat der Zahlung zu erfassen. Dabei ist bei Pensionsabfindungen, die im Jahre 2001 zufließen, nach Abzug der darauf entfallenden Beiträge im Sinne des § 62 Z 3, 4 und 5 ein Viertel steuerfrei zu belassen. Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen sind nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen."
Der letzte Satz wurde der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 mit BGBl. I Nr. 54/2002 angefügt. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP 2) wird dazu ausgeführt:
"Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik betrifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu besteuern".
Gemäß Art. 8 Abs. 1 des liechtensteinischen Gesetzes vom über die betriebliche Personalvorsorge (BPVG) in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung gilt zur Festsetzung der Mindestleistungen, vorbehaltlich Abs. 2, das Rentenalter der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung von 64 Jahren (mit LGBl. 2016 Nr. 230 wurde das ordentliche Rentenalter gemäß § 55 AHVG für Versicherte, die nach dem geboren sind, auf 65 Jahre erhöht; nach Art. 73 Abs. 1 erster Satz AHVG können Personen, welche die Mindestbeitragsdauer für den Anspruch auf Altersrente erfüllen, die Rente ab dem 60. Altersjahr vorbeziehen). Nach Art. 8 Abs. 2 erster Satz BPVG kann auch ein anderes Rentenalter gewählt werden, sofern eine mindestens gleichwertige Versicherung gewährt wird.
Gemäß Art. 9 Abs. 1 BPVG werden Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenleistungen in der Regel als lebenslängliche oder temporäre Renten ausgerichtet.
Gemäß Art. 9 Abs. 2 erster Satz BPVG kann das Reglement der Vorsorgeeinrichtung vorsehen, dass die anspruchsberechtigte Person anstelle einer Alters-, Invaliden- oder einer Witwen- oder Witwerrente eine Kapitalabfindung verlangen kann, die mindestens 90% des versicherungstechnischen Barwertes der abzulösenden Rente betragen muss.
Scheidet ein Arbeitnehmer aus einem anderen Grunde als wegen Alter, Invalidität oder Tod aus der Vorsorgeeinrichtung aus, hat diese gemäß Art. 11 Abs. 1 BPVG eine Freizügigkeitsleistung zu erbringen. Die Freizügigkeitsleistung entspricht nach Art. 11 Abs. 2 erster Satz BPVG dem zurückgestellten Deckungskapital.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 BPVG ist die Freizügigkeitsleistung weiterhin für die Vorsorge des aus der Versicherung ausscheidenden Arbeitnehmers zu verwenden. Zu diesem Zweck wird sie an die Vorsorgeeinrichtung seines neuen Arbeitgebers überwiesen.
Falls sich dies nicht durchführen lässt, ist sie gemäß Art. 12 Abs. 2 erster Satz BPVG als Einlage für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice bei einem in Liechtenstein zugelassenen Versicherungsunternehmen einzuzahlen oder auf ein für Vorsorgezwecke gesperrtes Konto bei einer liechtensteinischen Bank einzulegen.
Gemäß Art. 12 Abs. 3 BPVG wird die Freizügigkeitsleistung bar ausbezahlt, wenn diese weniger als einen Jahresbeitrag des Versicherten beträgt.
Nach Art. 12 Abs. 4 BPVG wird auf Verlangen des Arbeitnehmers die Freizügigkeitsleistung außerdem bar ausbezahlt, falls er den Wirtschaftsraum Liechtenstein - Schweiz endgültig verlässt oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnimmt (lit. a) und nicht nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraumes für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch in der Rentenversicherung versichert ist (lit. b).
Gemäß Art. 12 Abs. 5 erster Satz BPVG kann die Barauszahlung der Freizügigkeitsleistung gemäß Abs. 3 und 4 bei der Aufsichtsbehörde beantragt werden.
Unter den gleichen Voraussetzungen kann nach Art. 12 Abs. 6 erster Satz BPVG eine bereits bestehende Freizügigkeitspolice durch Rückkauf aufgelöst oder ein gesperrtes Bankkonto freigegeben werden.
Nach Art. 14 Abs. 2 des Reglements der Vorsorgestiftung kann der Versicherte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Vollendung des 58. Altersjahres bzw. nach Vollendung des frühest möglichen Alters zum vorzeitigen Rücktritt die vorzeitige Pensionierung verlangen. Verlangt der Versicherte die vorzeitige Pensionierung nicht, entsteht ein Anspruch auf die Austrittsleistung.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. ua. , , und , mwN). Begünstigungsschädlich ist sohin eine Wahlmöglichkeit zwischen einem Rentenbezug und einer Kapitalauszahlung (vgl. , sowie jüngst bis 0183).
In Fällen, in denen das Vorsorgeverhältnis mit der betrieblichen Pensionskasse des bisherigen Schweizer bzw. liechtensteinischen Dienstgebers infolge der Beendigung des Dienstverhält-nisses vor Eintritt des Vorsorgefalles beendet wurde, ist daher, wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat, entscheidend, ob ein Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung im Rahmen einer Freizügigkeitspolice hätte aufrechterhalten werden können (betreffend Liechtenstein vgl. ua. , und ; betreffend die Schweiz vgl. ua. , mwN, und , mwN).
Nachdem der Beschwerdeführer, wie oben festgestellt, keine Möglichkeit hatte, den Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung aufrechtzuerhalten, sind die Voraussetzungen für eine Besteuerung gemäß § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 gegeben und haftet dem die in Rede stehende Auszahlung zur Gänze berücksichtigenden Einkommensteuerbescheid 2016 sohin eine Unrichtigkeit an.
Die Erlassung eines Aufhebungsbescheides nach § 299 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Ermessensentscheidungen sind gemäß § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Eine zentrale Bedeutung kommt bei der Ermessensübung dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu (vgl. ). Damit ist dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit einzuräumen (vgl. , sowie Ritz, BAO, 6. Aufl., § 299 Tz 54, mwN).
Wie oben ausgeführt, ist ein Drittel der in Rede stehenden Pensionsabfindung in Höhe von 74.632,84 CHF steuerfrei zu belassen. Die sich daraus ergebende steuerliche Auswirkung ist erheblich und stehen einer Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 somit auch keine im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigenden Umstände entgegen.
Erweist sich ein geltend gemachter Aufhebungsgrund im Beschwerdeverfahren als berechtigt, so hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, dass der Bescheid, dessen Aufhebung beantragt wurde, aufgehoben wird (vgl. ).
Nachdem die Voraussetzungen für eine Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO vorlagen, war der Beschwerde somit Folge zu geben und der angefochtene Bescheid spruchgemäß abzuändern.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Erlassung des neuen Einkommensteuerbescheides 2016 in die Zuständigkeit des Finanzamtes fällt (vgl. ).
IV. Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die im Beschwerdefall strittige Frage, ob der im Aufhebungsantrag ins Treffen geführte Aufhebungsgrund gemäß § 299 BAO vorliegt, wurde auf Grundlage der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie der angeführten Sachverhaltsfeststellungen beurteilt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird durch das vorliegende Erkenntnis somit nicht berührt. Eine (ordentliche) Revision ist daher nicht zulässig.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 124b Z 53 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.1100025.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at