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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.04.2021, RV/6100531/2020

Berichtigter Lohnzettel als Wiederaufnahmsgrund iSd § 303 Abs 1 lit b BAO

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/6100531/2020-RS1
Nur Tatsachen und Beweismittel, die gegenüber dem Finanzamt, welches den Bescheid über die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens erlässt, neu hervorgekommen sind, stellen Wiederaufnahmsgründe iSd § 303 Abs lit b BAO dar. Ausschließlich gegenüber einem anderen Finanzamt oder einer Zentralstelle neu hervorgekommene Tatsachen können - auch in Form von Standardbegründung (Multiple-Choice, abstrakte Umschreibung bei Massenverfahren) - eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht begründen, weil diese gegenüber dem bescheiderlassenden Finanzamt (noch) nicht neu hervorgekommen sind.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Albert Salzmann in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte, Petersbrunnstraße 13, 5020 Salzburg, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich) betreffend
- Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 vom
- Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014 vom
- Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2015 vom
zu Recht erkannt:

  • Soweit sich die Beschwerden vom gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 richten, wird diesen gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
    Die Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

  • Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheiden vom und hat das Finanzamt (FA) ua die jeweiligen Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 gem § 303 Abs 1 BAO wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen.

Die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 wurden im Aufbau abweichend, inhaltlich jedoch gleichlautend wie folgt begründet:

"Im Rahmen einer steuerlichen Prüfung beim Bundesministerium für Landesverteidigung wurde festgestellt, dass bei pensionierten Bundesheerbediensteten die Vorteile aus dem Dienstverhältnis (Dienstwohnung) nicht in der richtigen Höhe angesetzt wurden. Der nunmehr vorliegende Lohnzettel vom Bundesministerium für Landesverteidigung stellt neue Tatsachen und Beweismittel dar.

Wir haben das Verfahren nach § 303 Abs. 1 Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
- Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt
- Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder
Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt.
Die nähere Begründung finden Sie im neuen Einkommensteuerbescheid."

In den jeweiligen Sachbescheiden wird hierzu ausgeführt:
"Stellt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer (dies gilt auch für Pensionisten) Wohnraum kostenlos oder verbilligt zur Verfügung, ist als monatlicher Quadratmeterwert der Richtwert laut Sachbezugswerteverordnung anzusetzen, wobei Kostenbeiträge des Arbeitnehmers diesen Sachbezug vermindern.
Dieser Wert stellt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dar und erhöhte daher Ihre zu versteuernden Einkünfte."

Mit drei Schriftsätzen des steuerlichen Vertreters vom hat die beschwerdeführende Partei (bP) ua gegen die og Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 Beschwerde erhoben.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das FA die Beschwerden gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 als unbegründet abgewiesen.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom hat die bP die Entscheidung über die Beschwerden durch das BFG beantragt (Vorlageantrag).

Mit Vorlagebericht vom hat das FA die Beschwerde dem BFG elektronisch zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Das FA hat im Anschluss an ein durch ein anderes Finanzamt durchgeführtes Außenprüfungs-verfahren beim ehemaligen Dienstgeber der bP und unter Verwendung einer Standard-begründung des Bundesweiten Fachbereiches Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteurer 2013, 2014 und 2015 erlassen.

Als Wiederaufnahmsgrund wurden dabei die "nunmehr vorliegenden Lohnzettel vom Bundesministerium für Landesverteidigung" angeführt, welche "neue Tatsachen und Beweismittel" darstellen.

Dem bescheiderlassenden FA waren zum Zeitpunkt der Beschwerdevorlage weder der über die Außenprüfung erstellte GPLA-Bericht, noch konkrete Tatsachen oder Beweismittel, welche im Zuge der Außenprüfung allenfalls gegenüber dem prüfenden Finanzamt neu hervorgekommen sind, bekannt.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten und dem Ermittlungsergebnis des Gerichtes und ist zwischen den Verfahrensparteien unstrittig.

Die Formulierung der Begründungen ist unmissverständliche. Jeweils wird der "nunmehr vorliegende Lohnzettel" als neue Tatsache und Beweismittel angeführt. Der jeweilige Verweis auf die Einkommensteuerbescheide geht ins Leere, weil diesen keine anderen neuen Tatsachen und Beweismittel, zu entnehmen sind, sondern ausschließlich eine rechtliche Würdigung.

Darüber hinaus ist aufgrund des Wissensstandes des FA zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung keine andere Interpretation denkmöglich:
- Vom FA nach erfolgter Vorlage der Beschwerde auf Anfrage dem BFG mitgeteilt, dass dem FA nicht bekannt sei, ob vom prüfenden Finanzamt im Zusammenhang mit den nunmehr vorliegenden neuen Lohnzettel beim ehemaligen Dienstgeber Lohnsteuer im Haftungswege vorgeschrieben wurde.
- Der den Wiederaufnahmebescheiden offenkundig zugrundeliegende GPLA-Bericht stand dem FA bis zur Vorlage der Beschwerden nicht zur Verfügung.
- Auch hatte das FA bis zur Vorlage der Beschwerde keine näheren inhaltlichen Informationen zur Außenprüfung beim ehemaligen Dienstgebers und zu den dabei getroffenen Feststellungen.

Demzufolge konnten die im Zuge der Außenprüfung eventuell neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel, welche allenfalls im GPLA-Bericht angeführten sein könnten, dem FA zum Bescheiderlassungszeitunkt nicht bekannt sein.

Das FA kann im Bescheid über die Wiederaufnahme eines Verfahrens nur jene Tatsachen und Beweismittel anführen, die bis zur Bescheiderlassung gegenüber dem FA hervorgekommen sind. Da außer den nunmehr vorliegenden, berichtigten Lohnzetteln dem FA keine anderen "neuen" Tatsachen und Beweismittel bekannt waren, war die Benennung dieser Lohnzettel als Wiederaufnahmsgründe schlüssig und konsequent.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Solche Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB ; , 96/15/0221)

Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB ; ,2011/15/0106).

Die Wiederaufnahmsgründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH (zB ; , 90/14/0044; , 91/14/0165; , 93/14/0187, 0188) sich die Rechtsmittel-behörde bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann. (Ritz, BAO6, § 307 Rz. 3).

Gemäß § 279 Abs 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Änderungsbefugnis ("nach jeder Richtung") ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (zB ; , 2010/16/0032; , 2012/15/0161). Daher darf ein Erkenntnis beispielsweise nicht den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmsgrund durch einen anderen ersetzen (zB ; , 97/13/0199; , 2003/15/0141; , 2012/15/0172; , 2012/15/0030) (Ritz, BAO6, § 279 Rz. 10f).

Für die Auslegung von Bescheiden sind die für Gesetze geltenden Auslegungsregeln (§§6 und 7 ABGB) analog heranzuziehen (). Ausgangspunkt ist somit immer eine Wortinterpretation, allenfalls ergänzt durch die systematische, die teleologische oder die historische Auslegung ().

Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies nach dem klaren Wortlaut der Begründung der Bescheide über die Wiederaufnahme der Bescheide betreffend Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015, dass ein "nunmehr vorliegender Lohnzettel" als Wiederaufnahmsgrund herangezogen wurde. Auch in der Beschwerdevorentscheidung vom hält das FA fest, dass der nunmehr vorliegenden (berichtigte) Lohnzettel vom ehemaligen Dienstgeber eine neue Tatsache und Beweismittel darstelle und somit das FA eine Wiederaufnahme zu veranlassen habe.

Diese Lohnzettel wurden jedoch erst 2019 erstellt. Es handelt sich nicht um neu hervor-gekommene Beweismittel, sondern um später entstandene Beweismittel. Die diesen neuen Lohnzettel zugrundeliegenden und allenfalls im Prüfungsverfahren des anderen Finanzamtes neu hervorgekommenen Tatsachen konnten vom FA in den Bescheiden über die Wiederauf-nahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2015 nicht angeführt werden, weil diese Tatsachen dem FA zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht bekannt waren.

Die og "neuen" Lohnzettel waren die einzigen dem FA bekannten neuen Tatsachen, die im Sinne der oben zitierten Entscheidungen jedoch keinen tauglichen Wiederaufnahmsgründe gem § 303 Abs. 1 lit b BAO darstellen.

Da die Entscheidung des BFG über die Beschwerden gegen die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2013,2014 und 2015 wie oben dargestellt durch die "Sache" (den vom FA angeführten Wiederaufnahmsgrund) begrenzt ist, war den Beschwerden der bP gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013,2014 und 2015 bereits aus diesem Grund stattzugeben ohne auf die weiteren Beschwerdepunkte (Haftungsverfahren beim ehemaligen Dienstgeber als Vorfrage; mangelnde Begründung des Ermessens) einzugehen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Alle im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen sind durch die oben zitierte Rechtsprechung des VwGH geklärt und wird in diesem Erkenntnis nicht von dieser Rechtsprechung abgewichen. Eine ordentliche Revision an den VwGH war daher nicht zuzulassen.

Salzburg, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at