zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.05.2021, RV/7102868/2013

Antrag gemäß § 295 Abs 4 BAO in der ab 08.01.2021 geltenden Fassung COVID-19-StMG

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Prof Dr Thomas Keppert Steuerberatung GmbH, Theobaldgasse 19, 1060 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des FA Baden Mödling vom betreffend die Zurückweisung des Antrages gemäß § 295 Abs. 4 BAO hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2000, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) war in den Streitjahren 1999 und 2000 an der ***1*** KEG sowie an der ***2*** KEG beteiligt, wobei die vom Bf. erklärten Gewinn- bzw. Verlusttangenten erklärungsgemäß veranlagt wurden.

Hinsichtlich der angeführten Gesellschaften wurden (nach ursprünglich erklärungsgemäß erfolgten Feststellungen) Feststellungs- bzw. Nichtfeststellungsbescheide erlassen und in der Folge vom Finanzamt die Einkommensteuerbescheide gemäß § 295 Abs. 1 BAO abgeändert (Bescheide vom , Ausscheidung der für die angeführten Gesellschaften erklärten Ergebnisse). Die angeführten (geänderten) Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 sind in Rechtskraft erwachsen.

In weiterer Folge wurden die für die angeführten Gesellschaften erlassenen (geänderten) Feststellungs- bzw. Nichtfeststellungsbescheide mangels Einheitlichkeit als Nichtbescheide qualifiziert ().

Mit Eingabe vom beantragte der Bf. unter Berufung auf § 303 Abs. 1 lit b BAO die Wiederaufnahme der Verfahren zur Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 1999 und 2000. Mit Bescheid vom erfolgte seitens des Finanzamtes (FA) die Zurückweisung, da der Wiederaufnahmeantrag nicht fristgerecht gemäß § 304 BAO eingebracht wurde. Dagegen erhob der Bf. mit Schreiben vom Berufung, die mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen wurde. Diese Berufung wurde mit Eingabe vom zurückgezogen.

Am brachte der Bf. einen Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO hinsichtlich Einkommensteuer 1999 und 2000 ein. Der Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass im konkreten Fall die im § 304 lit b BAO angesprochenen Bescheide nur jene Berufungsentscheidungen sein können, mit denen sich herausstellte, dass es sich bei den als Feststellungsbescheiden intendierten Erledigungen des Finanzamtes Wien Gänserndorf Mistelbach um absolut nichtige Verwaltungsakte (somit um Nichtbescheide) gehandelt habe. Diese Berufungsentscheidungen seien jedoch erst im November 2012 ergangen. Der Antrag auf Bescheidaufhebung sei daher nicht verfristet eingebracht worden.

Die vom Bf. vertretene Rechtsansicht, dass es sich bei dem "das Verfahren abschließenden Bescheid" iSd des § 304 lit b BAO um die Berufungsentscheidung gegen die als Feststellungsbescheid gedachte Erledigung handeln müsse, ergäbe sich unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. zum Folgenden Keppert/Koss, Der das Verfahren abschließende Bescheid iSd § 295 Abs. 4 iVm § 304 BAO, SWK 28/2013, 1241 ff).

Mit Bescheid vom erfolgte seitens des FA die Zurückweisung des Antrags auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO, da hinsichtlich der angeführten Jahre 1999 und 2000 bereits Verjährung eingetreten sei. Dagegen erhob der Bf. mit Schriftsatz vom Beschwerde und führte begründend aus wie im Antrag vom .

Mit Vorlagebericht vom legte das FA die Berufung dem BFG zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung.

Über Anregung des Bf. vom wurde die Entscheidung über die nunmehr als Beschwerde zu behandelnde Berufung bis zur Beendigung des beim VwGH zur GZ Ra 2017/13/0072 anhängigen Verfahrens ausgesetzt ().

Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht zog der Bf. mit Eingabe vom die beantragte mündliche Verhandlung sowie die beantragte Entscheidung durch den Senat zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die am bei dem unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen gemäß § 323 Abs. 38 BAO vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen sind.

Rechtsgrundlagen und rechtliche Beurteilung

§ 295 Abs. 4 BAO idF AbgÄG 2011 (BGBl. I Nr. 76/2011) lautete:

Wird eine Berufung, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines
- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines
- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs. 1) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen.

§ 304 BAO idF BGBl. I Nr. 57/2004 lautete:

Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein
a) innerhalb des Zeitraumes, bis zu dessen Ablauf die Wiederaufnahme von Amts wegen unter der Annahme einer Verjährungsfrist (§§ 207 bis 209 Abs. 2) von sieben Jahren zulässig wäre, oder
b) vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides eingebrachter Antrag gemäß § 303 Abs. 1 zugrunde liegt.

Zwischen und war ein derartiger Antrag innerhalb jenes Zeitraums möglich, bis zu dessen Ablauf die Wiederaufnahme von Amts wegen unter der Annahme einer Verjährungsfrist von sieben Jahren zulässig wäre (§ 304 lit. a BAO idF vor BGBl. I Nr. 14/2013). Die äußerste Grenze war nach dieser Regel die absolute Verjährung von zehn Jahren. Nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist war ein Antrag dann zulässig, wenn er innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der (formellen) Rechtskraft des das Verfahren abschließenden abgeleiteten Bescheides eingebracht wurde (§ 304lit. b BAO idF vor BGBl. I Nr. 14/2013). Diese Grenze war nicht jahres- oder stichtagsbezogen, sondern lag exakt einen Monat und fünf Jahre nach der Zustellung des abgeleiteten Bescheides (vgl. Vock, AVR, 2020, 202).

Im vorliegenden Fall ist die absolute Verjährung am (1999) und am (2000) eingetreten. Die Einkommensteuerverfahren betreffend die gegenständlichen Jahre wurden mit Bescheiden abgeschlossen. Die formelle Rechtskraft dieser Bescheide trat mit Ablauf der ungenützten Berufungsfrist ein. Der Ablauf der Fünfjahresfrist des § 304 lit. b BAO erfolgte im Jänner 2012.

Der verfahrensgegenständliche Antrag vom auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO wurde nach Eintritt der absoluten Verjährung und nach Ablauf der Fünfjahresfrist gemäß § 304 lit. b BAO eingebracht. Nach der damals geltenden Rechtslage hat die belangte Behörde somit zu Recht festgestellt, dass der Antrag nicht rechtzeitig eingebracht worden war und diesen daher zu Recht als verspätet zurückgewiesen.

Mit Erkenntnis vom , G 159/2019 ua, hat der Verfassungsgerichtshof den letzten Satz der Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO ("Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen.") als verfassungswidrig aufgehoben. Dies hatte zur Folge, dass nach Ablauf der durch den Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist zur Anpassung der gesetzlichen Bestimmung Aufhebungsanträge gemäß § 295 Abs. 4 BAO zeitlich unbegrenzt zulässig gewesen wären.

In Reaktion auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wurde die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO durch das COVID-19-Steuermaßnahmengesetz (COVID-19-StMG), BGBl. I Nr. 3/2021, abgeändert.

§ 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, lautet nunmehr:

Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines
- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines
- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird.

Mit der Neufassung dieser Bestimmung wurde die Befristung des Antrags auf Aufhebung vollkommen neu geregelt, um den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes zu entsprechen: Es wird nicht mehr auf die Frist für Wiederaufnahmeanträge gemäß § 304 BAO abgestellt und damit weder auf den Eintritt der Verjährung noch auf die Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides. Vielmehr stellt die Frist auf die Rechtskraft der Zurückweisung der Beschwerde gegen das als (Nicht-)Feststellungsbescheid intendierten Dokuments ab (vgl Vock, AVR, 2020, 202).

Die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO ist eine Verfahrensvorschrift (vgl. Ritz, BAO6, § 295 Tz 21a). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (, mwN) hat das Verwaltungsgericht auf Grund der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden verfahrensrechtlichen Rechtslage zu entscheiden. Die Neufassung des § 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, ist am in Kraft getreten und ist somit, soweit diesbezügliche Beschwerden betroffen sind, auf alle an diesem Tag unerledigten Rechtsmittel anzuwenden.

Im gegenständlichen Fall erfolgte die Zurückweisung der Berufungen gegen die Feststellungs- bzw. Nichtfeststellungsbescheide mit Beschlüssen des unabhängigen Finanzsenates vom , RV/0316-K/07 (***2*** KEG) und vom , RV/0536-K/08 (, RV/0500-K/07 (***1*** KG) als unzulässig, da es sich bei diesen um Nichtbescheide handelt.

Der Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO wurde am , und damit innerhalb der Jahresfrist iSd geänderten Bestimmung des § 295 Abs.4 BAO, eingebracht.

Die Zurückweisung des Antrages erwies sich daher gemäß § 295Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, als rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid war aufzuheben und die belangte Behörde wird über den Aufhebungsantrag des Bf. neuerlich abzusprechen haben.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, dh ob der Antrag auf Bescheidaufhebung fristgerecht gestellt worden ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 304 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102868.2013

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at