TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.05.2021, RV/7102229/2017

Wissenstand bei Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (hier iVm § 201 BAO)

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze
RV/7102229/2017-RS1
Nur erster Satz
Folgerechtssätze
RV/7102229/2017-RS1
wie RV/5101363/2017-RS1
Der aktuellen einschlägigen Judikatur und Literatur kann zusammengefasst entnommen werden, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers und nicht aus jener der Abgabenbehörde zu beurteilen sei. Dies bedeutet somit im konkreten Fall für die Tauglichkeit (Erfolgschance) des erhobenen Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens, dass dem Beschwerdeführer zunächst die Tatsache nicht bekannt gewesen sein hätte dürfen, dass ihm im Zusammenhang mit seinen Einkünften Aufwendungen (Werbungskosten) entstanden sind und ihm dieser Umstand selbst erst später bekannt geworden („neu hervorgekommen“) ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch PwC PricewaterhouseCoopers WP und Stb GmbH, Donau-City-Str 7, 1220 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom , seit Finanzamt Österreich, betreffend Dienstgeberbeitrag 2014 und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2014, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass an die Stelle der Wortfolge "für 2014" die Wortfolge "für März 2014" tritt.

Im Übrigen bleibt der angefochtene Bescheid unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die die Berichtigung der Selbstbemessungsabgaben Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für März 2014 aufgrund eines Antrages gemäß § 201 Abs 2 Z 3 2. Fall BAO erreichen möchte. Der Rechtsstreit geht ausschließlich um die Frage, ob im Fall eines Antrages auf Wiederaufnahme eines Verfahrens das Hervorkommen neuer Beweismittel oder Tatsachen aus die Sicht der Abgabenbehörde oder aus der Sicht des Abgabepflichtigen zu beurteilen ist, sodass der Verfahrenshergang mit dem im Folgenden festgestellten Sachverhalt ident ist, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde unter Hinweis auf , und , der Antrag als unbegründet abgewiesen, weil höchstgerichtliche Erkenntnisse keinen Wiederaufnahmsgrund darstellen würden. Über den weiters im Antrag vorgetragenen Wiederaufnahmsgrund der neuen Tatsache der unrichtigen Selbstberechnung wurde nicht abgesprochen. Auf Frage, aus welcher Sicht bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen zu beurteilen ist, wurde nicht eingegangen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Rechtsgrundlagen

§ 201 BAO idF des Bundesgesetzes vom , BGBl I 70/2013, lautet:

"(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

(2) Die Festsetzung kann erfolgen,

1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages,

2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist,

3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,

(Anm.: Z 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 20/2009)

5. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 293b oder des § 295a die Voraussetzungen für eine Abänderung vorliegen würden.

(3) Die Festsetzung hat zu erfolgen,

1. wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2013)

  • wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 295 die Voraussetzungen für eine Änderung vorliegen würden.

(4) Innerhalb derselben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen."

§ 303 BAO in der Fassung lautet in der Fassung des Bundesgesetzes vom , BGBl I 14/2013 (Bundesfinanzgerichtsgesetz) lautet:

"§ 303. (1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

  • der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

  • Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

  • der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

(2) Der Wiederaufnahmsantrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;

b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird. […]"

Die in § 303 Abs 3 BAO eingeräumte Verordnungsermächtigung zur Bestimmung der für die Ermessensübung bedeutsamem Umstände wurde bislang nicht ausgeübt.

§ 43 Abs 1 FLAG 1967 regelt Entrichtung und Fälligkeit des Dienstgeberbeitrags und lautet auszugsweise:

"Der Dienstgeberbeitrag ist für jeden Monat bis spätestens zum 15. Tag des nachfolgenden Monats an das für die Erhebung der Lohnsteuer zuständige Finanzamt zu entrichten."

Der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag ist bezüglich Selbstberechnungsverpflichtung, Bemessungsgrundlage, Erhebungszeitraum, Fälligkeit und Entrichtung aufgrund des Verweises in § 122 Abs 8 Wirtschaftskammergesetz 1998 auf §§ 41 und 43 FLAG 1967 mit dem Dienstgeberbeitrag gesetzlich gleichgeschaltet.

Sachverhalt

Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für den Monat März 2014 wurden am der belangten Behörde bekanntgegeben und mit Verrechnungsweisung entrichtet. Am langte bei der belangten Behörde ein Antrag auf Berichtung der zuvor genannten Selbstbemessungsabgaben gemäß § 201 Abs 2 Z 3 BAO ein. Der DB für März 2014 sei mit € 7.393,44 (statt bisher € 9.829,68) und der DZ für März 2014 mit € 657,20 (statt bisher € 873,75) bescheidmäßig festzusetzen. Als Wiederaufnahmsgründe wurden einerseits als neues Beweismittel das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs , sowie andererseits der Umstand ins Treffen geführt, dass sich aufgrund des Erkenntnisses aus der Sicht der Abgabenbehörde als neu hervorgekommene Tatsache ergebe, dass die Bemessungsgrundlage zu hoch angesetzt worden sei, weil eine im Antrag näher bezeichnete freiwillige Abfertigung zu Unrecht als steuerpflichtig angesehen worden war. Das Neuhervorkommen entscheidungserheblicher Tatsachen oder Beweismittel sei aus der Sicht der Abgabenbehörde zu beurteilen. Auf die Frage, aus welcher Perspektive das Neuhervorkommen entscheidungserheblicher Tatsachen oder Beweismittel im Fall einer beantragten Wiederaufnahme zu beurteilen ist, ist die belangte Behörde weder im angefochtenen Bescheid noch in der Beschwerdevorentscheidung eingegangen.

4. Beweiswürdigung

Obig festgestellter Sachverhalt ergab sich aufgrund des vom BFG bezüglich des Zeitraumes ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens, von dessen Ergebnis jeweils beide Parteien informiert wurden. Da der Erhebungszeitraum für DB und DZ der Kalendermonat ist, war die im Antrag ("Zeitraum 2014") und im angefochtenen Bescheid sowie in der Beschwerdevorentscheidung ("für 2014") verwendete Jahresangabe unzutreffend. Es ist davon auszugehen, dass beide Parteien in Wahrheit von Anfang an den März 2014 gemeint haben. Bereits die Beschwerde spricht vom März 2014. Der Zeitraum ist somit zwischen den Parteien unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

Formalia

Die nach ordnungsgemäß gestellten Fristverlängerungsansuchen bis erhobene Bescheidbeschwerde vom (Poststempel) und der Vorlageantrag vom (Poststempel) sind form- und fristgerecht, jedoch unbegründet.

Auch der zu Grunde liegende Antrag vom wurde fristgerecht gestellt. Die darin weiters beantragte Berichtigung nach § 201 Abs 2 Z 2 BAO bezieht sich auf andere Selbstbemessungsabgaben und ist nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides gewesen ("innerhalb des letzten Jahres bekanntgegebenen Selbstberechnungen"). Die beantragte Berichtigung wird ausschließlich auf § 201 Abs 2 Z 3 BAO gestützt, zu dem die Verjährungsfrist einschlägig ist.

Mit Schriftsatz vom , eingelangt am , wurden die Anträge auf eine mündliche Verhandlung sowie auf eine Entscheidung durch den Senat zurückgezogen. Damit fällt die Entscheidung über die Beschwerde in die Zuständigkeit des Einzelrichters.

Zum Spruchpunkt Abänderung

Eine Abgabensache wird neben Person des Abgabepflichtigen und der Abgabenbehörde durch Abgabenart und Erhebungszeitraum (Stichtag) bestimmt. Wie die Beweiswürdigung ergab, war von beiden Parteien von Anfang an der Zeitraum März 2014 gemeint.

Zum Spruchpunkt Abweisung

Beschwerde und Vorlageantrag führen insbesondere ins Treffen: Anhand von " 2013/15/0087, [und der Erkenntnisse des] RV/7100757/2013-RS1; RV/7100341/2011 (Anm.: Senatsentscheidung auf Grund des Abgehens von der bisherigen Rechtsprechung des BFG); RV/6100537/2014, [wurde die Ansicht vertreten, dass] einzig und allein der (Sachverhalts-)Kenntnisstand der Abgabenbehörde maßgeblich [sei] und die Kenntnis der Partei vom Wiederaufnahmegrund (jedenfalls) seit 2014 einer Antragswiederaufnahme nicht entgegensteh[e] ( RV/7100341/2011 RS1). Entscheidend [sei], ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren (siehe zuletzt auch 2013/15/0087). … Da es auf ein Verschuldensmoment nicht mehr ankomm[e], die Wiederaufnahme auf Antrag aber weiterhin wegen Hervorkommens neuer Tatsachen und Beweismittel zulässig [sei], [müsse] es allein auf die Perspektive der Abgabenbehörde ankommen. Andernfalls wäre der Wiederaufnahme auf Antrag wegen Hervorkommens neuer Tatsachen und Beweismittel der Boden entzogen. Diese [würde] dem Zweck der damaligen Gesetzesnovelle - der Harmonisierung der Verfahrenstitel in der BAO - jedoch [zuwiderlaufen]."

Die Frage, ob im Fall eines Antrages auf Wiederaufnahme eines Verfahrens das Hervorkommen neuer Beweismittel oder Tatsachen aus die Sicht der Abgabenbehörde oder aus der Sicht des Abgabepflichtigen zu beurteilen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis , dahingehend beantwortet, dass es bei einer beantragten Wiederaufnahme auf die Sichtweise des Antragstellers ankommt. Das Erkenntnis ist seit im RIS und war somit bereits im Zeitpunkt der Verfassung des Beschwerdeschriftsatzes am öffentlich.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in der Revisionssache Ra 2014/15/0058, besprochen in SWK 6/2017, 396-399, zu Recht erkannt hat, "[hat e]in Antrag auf Wiederaufnahme - bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel "neu hervorgekommen sind". Damit setzt aber diese Bestimmung voraus, dass diese Tatsachen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bekannt geworden sind. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Wiederaufnahme von Amts wegen, bei der die - für die Behörde - neu hervorgekommenen Tatsachen im Wiederaufnahmebescheid anzuführen sind" (Hervorhebung durch BFG). Ebenso zB : "Der aktuellen einschlägigen Judikatur und Literatur kann zusammengefasst entnommen werden, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers, und nicht aus jener der Abgabenbehörde zu beurteilen sei."

Bemerkt wird, dass im konkreten Fall von einem Austausch des Wiederaufnahmegrundes nicht die Rede sein kann, weil bereits der Antrag auf Berichtigung einer Selbstbemessungsabgabe das VwGH-Erkenntnis als neues Beweismittel zur neuen Tatsache der unrichtig bemessenen Selbstbemessungsabgaben ins Treffen geführt hat, sodass beide Neuerungstatbestände hier einheitlich zu betrachten sind. Auch wenn die "neue Tatsache der unrichtigen Selbstbemessung" als in eventu herangezogener Wiederaufnahmsgrund zu betrachten sein sollte, führte das zum selben rechtlichen Ergebnis.

Zum Spruchpunkt Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Falllösung war die Rechtsfrage zu beantworten, aus welcher Sicht das Neuhervorkommen eines Beweismittels oder einer Tatsache im Fall eines Antrages auf Wiederaufnahme eines Verfahrens zu beurteilen ist. Da der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsfrage bereits mit Erkenntnis , beantwortet hat, war die ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 201 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 43 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 122 Abs. 8 WKG, Wirtschaftskammergesetz 1998, BGBl. I Nr. 103/1998
§ 41 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 43 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102229.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at