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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.04.2021, RV/7100691/2021

Kosten der Heilbehandlung, die mit der Behinderung in ursächlichem Zusammenhang stehen, sind als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Anna Mechtler-Höger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 (nunmehr: Finanzamtes Österreich ) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin leidet an einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit in Kombination mit einem Tinnitus. Aufgrund dieses Leidens setzte das Bundessozialamt den Grad der Behinderung mit 30% fest.

In der im Wege von Finanzonline eingereichten Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2019 beantragte sie die Berücksichtigung von Krankheitskosten in Höhe von 458,85 € als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt und machte im Zusammenhang mit ihrer Behinderung unter dem Titel "Unregelmäßige Ausgaben für Hilfsmittel wie zum Beispiel Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel oder Kosten der Heilbehandlung wie ärztliche Kosten, Medikamente" einen Betrag von 2.154,78 € als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt geltend.

Über Ersuchen der belangten Behörde schlüsselte die Beschwerdeführerin die von ihr geltend gemachten Kosten wie folgt auf:

  • Krankheitskosten in Höhe von 458,85 €


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Rezeptgebühren
236,25 €
Linsen
222,60 €
Summe
458,85 €

  • Ausgaben im Zusammenhang mit der Behinderung in Höhe von 2.154,78 €


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Massagekosten
255 €
50% der Aufenthaltskosten sowie Kosten der durchgeführten Behandlungen im ***1***, Bad Waltersdorf (03.06.-)



563,50 €
50% der Aufenthaltskosten sowie Kosten der durchgeführten Behandlungen im Hotel ***2*** (26.08.-)


564,50 €
50% der Aufenthaltskosten sowie Kosten der durchgeführten Behandlungen im ***1***, Bad Waltersdorf (28.10.-)



579,00 €
Summe
2.154,78 €

Datiert mit wurde die Einkommensteuerveranlagung 2019 durchgeführt und die Krankheitskosten in Höhe von 458,85 € mit Selbstbehalt berücksichtigt. Die Massagekosten in Höhe von 255,00 € wurden neben dem Freibetrag wegen Behinderung ohne Selbstbehalt gewährt. Ebenso wurde ein Betrag in Höhe von 504,00 € unter dem Titel "Pauschbeträge nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen wegen eigener Behinderung" einkünftemindernd in Abzug gebracht. Daraus resultierte eine Abgabengutschrift in Höhe von 309,00 €. In der Begründung des Bescheides wurde darauf hingewiesen, dass Kurkosten nur dann steuerlich geltend gemacht werden könnten, wenn eine Bestätigung eines Arztes oder der PVA über die medizinische Notwendigkeit vorliege und diese Bestätigung vor Antritt der Kur ausgestellt worden sei.

In der fristgerecht dagegen erhobenen Beschwerde wurde ausgeführt, bei dem nicht anerkannten Betrag in Höhe von 1.899,78 € handle es sich nicht um Kurkosten. Ayurveda, Akupunktur, TCM und mehr seien anerkannte Heilmethoden bei ihrer Behinderung. Sie seien privat zu bezahlen und seien bereits mehrmals vom Finanzamt überprüft und anerkannt worden.

Medizinische Ayurveda-Behandlungen gebe es in Wien nicht, sie müsse daher in die Steiermark fahren. Der beantragte Betrag setze sich aus den 50% der Aufenthalts- und Fahrtkosten und aus den Behandlungskosten zusammen.

Mit Schreiben vom wurde die Beschwerdeführerin ersucht, eine ärztliche Bestätigung vorzulegen, aus der hervorgehe, dass die Kosten der Behinderung im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung stünden und aus ärztlicher Sicht notwendig seien.

Die Beschwerdeführerin legte einen mit datierten Befund eines HNO-Arztes vor, in welchem ihr ein chronischer Tinnitus, der durch eine medikamentöse Therapie nicht habe verbessert werden können, bestätigt wurde. Es wurde ausgeführt, verstärkend bestehe ein chronisches Cervicalsyndrom, weshalb ergänzend entsprechende HWS-Therapien durchgeführt worden seien, die eine Verbesserung gebracht hätten. Kraniosakrale Therapien, ayurvediche Wirbelsäulenmassagen, Akupunktur, physikalisch medizinische Behandlungen, die ambulant oder im Rahmen von Kuraufenthalten durchgeführt worden seien, hätten zumindest zu einer Stabilisierung und damit zu einer Kompensation des Tinnitus beigetragen. Von HNO-Seite seien daher die angeführten Therapien zur medizinischen Behandlung eines chronischen Tinnitus indiziert.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der angefochtene Bescheid zum Nachteil der Beschwerdeführerin abgeändert und eine Abgabennachforderung in Höhe von 176,00 € festgesetzt. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, laut vorgelegtem Bescheid des Bundessozialamtes vom sei der Beschwerdeführerin die Notwendigkeit der Einhaltung einer Diätverpflegung nicht bescheinigt worden, weshalb der im angefochtenen Bescheid berücksichtigte Pauschbetrag in Höhe von 504,00 € gestrichen worden sei. Da die Beschwerdeführerin trotz Vorhalts die abverlangte ärztliche Bestätigung nicht beigebracht habe und somit die Herstellung eines Zusammenhanges der beantragten Aufwendungen mit der 30%-igen Erwerbsminderung nicht möglich gewesen sei, hätten diese Aufwendungen nicht berücksichtigt werden können.

Im Vorlageantrag brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe sämtliche abverlangte Unterlagen vorgelegt und ersuche daher um Anerkennung des vom Finanzamt abgelehnten Betrages in Höhe von 1.899,78 €. Diese Kosten stünden im Zusammenhang mit ihrer Behinderung.

Im Vorlagebericht vom merkte die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme an, Aufwendungen für Behandlungsleistungen durch nichtärztliches Personal seien grundsätzlich nur dann als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, wenn diese Leistungen ärztlich verschrieben oder die Kosten teilweise von der Sozialversicherung getragen worden seien.

Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht gegeben, weshalb ein Abzug der Kosten der an den Wellnesshotels durchgeführten Behandlungen als außergewöhnlich Belastung nicht möglich sei. Daran könne auch die im Nachhinein erstellte Bestätigung des HNO-Arztes nichts ändern. Selbiges treffe auch auf die im Erstbescheid bzw. in der Beschwerdevorentscheidung berücksichtigten Kosten für die Massagen zu. Diesbezüglich komme aber noch hinzu, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Kosten der Massage und der Behinderung der Beschwerdeführerin nachgewiesen worden sei. Eine Berücksichtigung dieser Kosten ohne Selbstbehalt sei somit ohnehin nicht möglich. Auch bezüglich der, im Erstbescheid berücksichtigten Pauschale für Krankendiätverpflegung (Magen) sei keinerlei Nachweis erbracht worden. So finde sich weder im Bescheid des Bundessozialamtes ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer solchen Krankendiätverpflegung noch sei von der Bf. irgendein ärztlicher Nachweis diesbezüglich vorgelegt worden. Der Pauschbetrag sei somit ebenso zu verwehren. Beantragt werde daher die Abweisung der Beschwerde sowie die Abänderung des angefochtenen Bescheides dahingehend, dass keine außergewöhnlichen Belastungen ohne Abzug des Selbstbehaltes gewährt werden und kein Pauschbetrag für Krankendiätverpflegung berücksichtigt wird.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist Pensionistin.

Dem in den Verwaltungsakten einliegenden Schreiben des Bundessozialamts vom (Vorhalt des Ergebnisses des ärztlichen Beweisverfahrens zur Ausstellung eines Behindertenpasses) ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin an einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit, verbunden mit einem Tinnitus, leidet, woraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 % resultiert.

Die Beschwerdeführerin besuchte 2019 folgende Wellnesshotels:


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***1***, Bad Waltersdorf
bis
***2***, Bad Waltersdorf
bis
***1***, Bad Waltersdorf
bis

Im Zuge der Aufenthalte in diesen Hotels unterzog sich die Beschwerdeführerin diversen, nicht durch einen Arzt verordneten Behandlungen. Die Kosten dieser Behandlungen beliefen sich auf 910,00 €. Die Krankenkasse leistete dafür keinen Kostenersatz.

Von den Aufenthaltskosten und den angefallenen Fahrtkosten machte sie 50% (d.s. 989,78 €) als außergewöhnliche Belastung geltend. Sie beantragte, diese Kosten sowie die Behandlungskosten ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen. Hinsichtlich dieser "Kurkosten" fehlt es an einer vor Antritt der jeweiligen Aufenthalte ausgestellten ärztlichen Verordnung.

Außerdem verausgabte die Beschwerdeführerin für Massagen in Summe einen Betrag von 255,00 €.

Im Zuge des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdeführerin eine mit datierte Bestätigung eines HNO-Arztes bei, dass die im Jahr 2019 durchgeführten Therapien zur Behandlung des chronischen Tinnitus indiziert gewesen seien.

Die von der Beschwerdeführerin durchgeführten Behandlungen und Massagen, für die die Beschwerdeführerin insgesamt den Betrag von 1.165,00 Euro verausgabte, stehen mit ihrer Behinderung in ursächlichem Zusammenhang.

Beweiswürdigung

Der oben festgestellte Sachverhalt gründet sich auf die im Akt befindlichen Unterlagen sowie auf folgende Erwägungen:

Im Schreiben des HNO-Arztes bestätigt dieser, dass die von der Beschwerdeführerin durchgeführten Behandlungen durch ihren Tinnitus indiziert sind. Damit ist für das Bundesfinanzgericht ein Zusammenhang mit der 30%-igen Behinderung der Beschwerdeführerin ausreichend dargetan.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

3.1.1.) Betreffend Kosten des Kuraufenthaltes

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2 EStG 1988) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2),

2. sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3),

3. sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten, noch Sonderausgaben sein.

Zwangsläufig erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen nach § 34 Abs. 3 leg. cit. dann, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Will ein Steuerpflichtiger Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt wissen, hat er selbst alle Umstände darzulegen, auf welche die abgabenrechtliche Begünstigung gestützt werden kann (vgl. , mwN).

Nicht jeder auf ärztliches Anraten und aus medizinischen Gründen durchgeführte Kuraufenthalt führt zu einer außergewöhnlichen Belastung. Der Begriff "Kur" erfordert ein bestimmtes, unter ärztlicher Aufsicht und Betreuung durchgeführtes Heilverfahren. Die Aufwendungen für den Kuraufenthalt müssen zwangsläufig erwachsen, womit es erforderlich ist, dass die der Behandlung dienende Reise zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig und eine andere Behandlung nicht oder kaum Erfolg versprechend ist. An den - vom Steuerpflichtigen zu führenden - Nachweis dieser Voraussetzungen müssen wegen der im Allgemeinen schwierigen Abgrenzung solcher Reisen von den ebenfalls der Gesundheit dienenden Erholungsreisen strenge Anforderungen gestellt werden (vgl. , mwN).

Zum Nachweis der Zwangsläufigkeit eines Kuraufenthaltes ist die Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten ärztlichen Zeugnisses erforderlich, aus dem sich die Notwendigkeit und Dauer der Reise sowie das Reiseziel ergeben. Einem ärztlichen Gutachten kann es gleich gehalten werden, wenn zu einem Kuraufenthalt von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung oder auf Grund beihilfenrechtlicher Bestimmungen Zuschüsse geleistet werden, da zur Erlangung dieser Zuschüsse ebenfalls in der Regel ein ärztliches Gutachten vorgelegt werden muss (vgl. ).

Wesentlich ist weiters, dass die Reise nach ihrem Gesamtcharakter ein Kuraufenthalt, d.h. mit einer nachweislich kurgemäß geregelten Tages- und Freizeitgestaltung, ist und nicht bloß ein Erholungsaufenthalt, welcher der Gesundheit letztlich auch förderlich ist (vgl., mwN).

Die Beschwerdeführerin bringt nicht vor, dass vor Antritt des Kuraufenthaltes kein ärztliches Zeugnis ausgestellt wurde, aus dem sich die Notwendigkeit und Dauer der Reise und das Reiseziel ergeben. Ihr behandelnder HNO-Arzt bestätigt lediglich im Nachhinein die positiven Effekte der während der Aufenthalte in diversen Wellnesshotels durchgeführten Therapien. Die Zwangsläufigkeit der Kuraufenthalte kann daher weder mit dem Befundbericht des behandelnden HNO-Arztes noch aufgrund eines von der Krankenkasse gewährten Zuschusses nachgewiesen werden.

Die Notwendigkeit eines vorfeldweisen ärztlichen Gutachtens hat im Übrigen auch der Bundesfinanzhof zur insofern vergleichbaren deutschen Rechtslage in einem Urteil vom , III R 67/96, betreffend Aufwendungen für eine "medizinische Trainingstherapie" in einem ärztlich betreuten Sportstudio hervorgestrichen, weil derartige Aufwendungen ihrer Natur nach nicht ausschließlich von Kranken, sondern mitunter auch von Gesunden getätigt werden, um ihre Gesundheit zu erhalten, ihr Wohlbefinden zu steigern oder ihre Freizeit sinnvoll und erfüllt zu gestalten.

Angesichts des Umstandes, dass die "Kuraufenthalte" nicht auf ärztlichen Verordnungen basieren, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie nachweislich notwendig gewesen wären und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgsversprechend gewesen wäre. Die Kosten der Kuraufenthalte in Höhe von 989,78 € - soweit es sich nicht um die Behandlungskosten in Höhe von 910,00 € handelt - können daher mangels Zwangsläufigkeit nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Dass die Aufenthalte der Gesundheit der Beschwerdeführerin förderlich gewesen sind, reicht für die Anerkennung als Kurreise im oben dargestellten Sinn nicht aus (vgl. ). Auch die Tatsache, dass derartige Kosten in den Vorjahren allenfalls antragsgemäß berücksichtigt worden sind, rechtfertigt nicht das Beibehalten einer an sich rechtswidrigen Vorgangsweise. Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer allenfalls auch unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung für die Vergangenheit ().

3.1.2.) Betreffend Behandlungs- und Massagekosten

Nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 können u.a. Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden. Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind (§ 34 Abs. 6 letzter Satz EStG 1988).

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen u. a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung und erhält er keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 ein Freibetrag (§ 35 Abs. 3 EStG 1988) zu.

Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % bis 34 % beträgt dieser Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 EUR 124,-- jährlich.

Anstelle des Freibetrags nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 können nach § 35 Abs. 5 leg. cit. auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6 leg. cit.).

Die aufgrund der §§ 34 und 35 EStG 1988 erlassene Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996 idF BGBl II 416/2001, BGBl II 430/2010 (VO), enthält folgende im gegenständlichen Fall maßgebliche Regelung:

"§ 1. (1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung, bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3 EStG 1988), ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3 EStG 1988), wenn dieser Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt, oder bei Anspruch des Steuerpflichtigen selbst oder seines (Ehe-)Partners auf den Kinderabsetzbetrag oder den Unterhaltsabsetzbetrag, durch eine Behinderung des Kindes (§ 106 Abs. 1 und 2 EStG 1988), für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 gewährt wird, so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.

(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

§ 3. (1) Für Körperbehinderte, die zur Fortbewegung ein eigenes Kraftfahrzeug benützen, ist zur Abgeltung der Mehraufwendungen für besondere Behindertenvorrichtungen und für den Umstand, daß ein Massenbeförderungsmittel auf Grund der Behinderung nicht benützt werden kann, ein Freibetrag von 190 Euro monatlich zu berücksichtigen. Die Körperbehinderung ist durch eine Bescheinigung gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung 1960 oder einen Bescheid über die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 2 Abs. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1952, gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1992 oder gemäß § 4 Abs. 3 Z 9 des Versicherungssteuergesetzes 1953 nachzuweisen.

(2) Bei einem Gehbehinderten mit einer mindestens 50%igen Erwerbsminderung, der über kein eigenes Kraftfahrzeug verfügt, sind die Aufwendungen für Taxifahrten bis zu einem Betrag von monatlich 153 Euro zu berücksichtigen.

§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."

Für behinderungsbedingte Mehraufwendungen sehen § 35 EStG 1988 (bei einem Grad der Behinderung von mindestens 25%) und die VO grundsätzlich Pauschbeträge vor.

Zusätzlich dazu sind nach § 4 der VO nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel wie Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlung (wie Arztkosten, Spitalskosten, Kosten für ärztlich verordnete Kuren, Therapiekosten und Medikamente, nicht aber die durch die laufende Pflegebedürftigkeit verursachten Kosten, wie Bettwäsche, Verbandsmaterial und dergleichen) im nachgewiesenen Ausmaß abzuziehen.

Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit von Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der Verordnung ist, dass diese in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen (vgl. Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG20, § 35 Tz 17; ; ; ).

Die Ermächtigung des Bundesministers für Finanzen zur Festlegung von solchen Fällen, in denen Aufwendungen "ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung" zu berücksichtigen sind, verändert die Regelung der §§ 34 und 35 EStG 1988 inhaltlich: Während etwa nach den Vorschriften des § 35 Abs. 1 und 5 EStG 1988 iVm § 34 Abs. 6 EStG 1988 die Geltendmachung der tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung nur "anstelle" des Freibetrags vorgesehen ist, erlaubt die Verordnungsermächtigung des letzten Satzes des § 34 Abs. 6 EStG 1988 demgegenüber die Geltendmachung tatsächlicher Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung "neben" der Geltendmachung des Freibetrags nach § 35 Abs. 3 EStG 1988. Es handelt sich um eine Norm, mit der "im Kleid einer Verordnungsermächtigung der materielle Gehalt der in den diesbezüglichen Regelungen der §§ 34 und 35 geschaffenen Ansprüche geändert worden ist" (vgl. Fuchs, aaO, § 34 Tz 46/2; ; ; ).

Das im Zuge des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Personen im Sinne des § 2 Behinderteneinstellungsgesetzes durchgeführte ärztliche Beweisverfahren kam zum Ergebnis, dass die beidseitige Innenohrschwerhörigkeit deshalb einen 30%-igen Grad der Behinderung rechtfertigt, weil ein störender Tinnitus bei der Beschwerdeführerin vorliegt. Für die sowohl ambulant als auch in den diversen Wellnesshotels durchgeführten Behandlungen bestätigte der HNO-Arzt den Zusammenhang mit der Behinderung der Beschwerdeführerin, wenn er ausführt, diese Behandlungen seien durch den chronischen Tinnitus indiziert und könnten zumindest zu einer Stabilisierung und damit Kompensation des Tinnitus beitragen.

Die angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 910,00 € sowie die Massagekosten in Höhe von 255,00 € sind daher als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehaltes gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 zu berücksichtigen.

3.1.3. Betreffend Kosten der Diätverpflegung

Der Nachweis der Notwendigkeit zur Einhaltung einer Krankendiätverpflegung iSd § 2 Abs. 1 der unter Pkt- 3.1.2. zitierten Verordnung kann durch eine Bescheinigung eines Arztes oder durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erfolgen. Hängt die jeweilige Diät mit der Einstufung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zusammen und wurde eine mindestens 25%ige Erwerbsminderung für diese Leiden festgestellt, entfällt der Abzug des Selbstbehaltes iSd § 34 Abs. 4 EStG 1988. In allen anderen Fällen ist ein Selbstbehalt iSd § 34 Abs. 4 EStG abzuziehen (Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 35 Anm. 42).

Derartige Nachweise wurden von der Beschwerdeführerin nicht beigebracht. Der im angefochtenen Bescheid berücksichtigte Freibetrag in Höhe von 504,00 € wurde bereits im Zuge der Erlassung der Beschwerdevorentscheidung gestrichen und die Nichtberücksichtigung von der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag nicht gerügt.

Das Bundesfinanzgericht schließt sich diesbezüglich der in der Beschwerdevorentscheidung, der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Vorhaltscharakter zukommt, vertretenen Rechtsansicht an. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid war daher insofern abzuändern, als der gewährte Freibetrag in Höhe von 504,00 € zu streichen war.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da die im gegenständlichen Fall die zu klärenden Rechtsfragen, die in der Beurteilung der Zwangsläufigkeit von Kur- und Behandlungskosten bei einer festgestellten Behinderung von 30% bestand, im Sinne der herrschenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs entschieden wurden, wird die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig erklärt.

Beilage: 1 Berechnungsblatt (ESt 2019)

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100691.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at