Nichtvorliegen des Pflichtveranlagungstatbestandes nach § 41 Abs. 1 Z 6 EStG 1988
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Judith Leodolter in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2015 -2017, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
Die angefochtenen Bescheide werden - ersatzlos - aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
In den Erklärungen zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2015-2017 beantragte der Beschwerdeführer (Bf.) die Zuerkennung eines Pendlerpauschales iHv € 41,00 und einen Pendlereuro iHv € 1,22.
Da in den Lohnzetteln der Jahre 2015-2017 jeweils ein Pendlerpauschale von € 1.476,00 bzw. € 1.230,00 ausgewiesen ist, führten die Einkommensteuerbescheide vom zu einer Nachforderung.
In den dagegen erhobenen Beschwerden führte der Bf. aus, in seinem Fall lägen die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung gemäß § 41 Abs. 1 EStG 1988 nicht vor, sodass es sich um eine Antragsveranlagung nach § 41 Abs. 2 EStG 1988 handle. Er ziehe hiermit seinen Antrag auf Veranlagung zurück und beantrage die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide.
Mit Vorhalt vom , elektronisch zugestellt am in die Databox des Bf., wurde er um Vorlage eines Ausdrucks des Pendlerrechners gebeten.
Mit Vorhalt vom , ebenfalls zugestellt in die Databox von FinanzOnline, wurde der Bf. ersucht, entweder eine Arbeitszeitbestätigung seines Arbeitgebers oder einen repräsentativen Auszug aus seinem Dienstplan, vorzulegen. Beide Vorhalte blieben unbeantwortet.
Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurden die Beschwerden vom Finanzamt als unbegründet abgewiesen, da der Bf. den Vorhalt vom nicht beantwortet und den Ausdruck des Pendlerrechners nicht nachgewiesen habe. Da er in seiner Arbeitnehmerveranlagung weniger Pendlerpauschale angegeben habe, als vom Dienstgeber ausbezahlt worden sei, handle es sich um eine Pflichtveranlagung.
In den rechtzeitig eingebrachten Vorlageanträgen vom führte der Bf. aus, dass er in den Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung fälschlicherweise bei den Kennzahlen für die Pendlerpauschale und den Pendlereuro falsche Beträge eingegeben habe und er beantragte das große Pendlerpauschale in der Höhe von € 1.476,00 und den Pendlereuro in der Höhe von € 46,00. Weiters gab der Bf. bekannt, dass er keinen Vorhalt vom erhalten habe.
Den Vorlageanträgen beigelegt waren Ausdrucke aus dem Pendlerrechner des BMF (Formular L34) für die Jahre 2015-2017. Diesen ist als Ergebnis zu entnehmen, dass bei den angegebenen Arbeitszeiten von 1.00 Uhr bis 9.00 Uhr die Benützung des Massenbeförderungsmittels (öffentliches Verkehrsmittel) aufgrund der Fahrzeit mit dem Massenbeförderungsmittel unzumutbar ist.
Mit wurde dem Bf. die Vorlage einer Arbeitszeitbestätigung aufgetragen.
Mit E-Mail vom übermittelte der Bf. dem BFG eine "Arbeits- und Entgeltbestätigung" der Fa. ***GmbH***, mit welcher bestätigt wird, dass der Bf. "seit als Cargo Handling Worker in unserem Unternehmen beschäftigt ist und sich in ungekündigter Stellung befindet. In den Jahren 2015 - 2017 war die Normalarbeitszeit überwiegend von 01.00 Uhr bis 09.30 Uhr (ausgenommen die wöchentlichen Montage - Dienstbeginn 02.00 Uhr)".
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Bf. war in den Streitjahren 2015 - 2017 bei der Fa. ***GmbH*** beschäftigt und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Seine Arbeitsstätte befindet sich in ***Ort***.
Der Bf. hat seinen Wohnsitz in ***Bf1-Adr***. Die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beträgt 23 km.
In den Streitjahren begann sein Dienst dienstags bis freitags überwiegend um 01.00 Uhr nachts und endete um 09.30 Uhr morgens, montags war um 02.00 Uhr nachts Dienstbeginn und um 11.30 Uhr Dienstende.
Vom Arbeitgeber des Bf., der ***GmbH*** wurde für die Jahre 2015 und 2016 jeweils das Pendlerpauschale von Jänner bis Dezember iHv € 1.476,00 und für 2017 das Pauschale von Jänner bis Oktober iHv € 1.230,00 berücksichtigt.
Auf Antrag des Bf. fanden für die Jahre 2015-2017 Veranlagungen statt, die zu Nachforderungen führten. Gegen diese Bescheide erhob der Bf. Beschwerde und zog die Anträge zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagungen zurück.
Beweiswürdigung
Der vorstehend angeführte Sachverhalt beruht auf dem vorliegenden Akteninhalt.
Die Arbeitszeiten von 01:00 Uhr nachts (Arbeitsbeginn) bis 09:30 Uhr morgens (Arbeitsende) hat der Bf. durch Vorlage einer Arbeitszeitbestätigung seines Arbeitgebers und Nachreichung einer Zeitnachweisliste betreffend den Streitzeitraum nachgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)
Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Nach Z 6 dieser Gesetzesstelle zählen zu den Werbungskosten die Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
Ist dem Arbeitnehmer die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Entfernung nicht zumutbar, beträgt das Pendlerpauschale gemäß lit. d leg.cit:
Bei mindestens 2 km bis 20 km 372 Euro jährlich,
bei mehr als 20 km bis 40 km 1 476 Euro jährlich,
bei mehr als 40 km bis 60 km 2 568 Euro jährlich,
bei mehr als 60 km 3 672 Euro jährlich.
Werbungskosten in Form des Pendlerpauschales gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988 stehen grundsätzlich nur dann zu, wenn die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumindest hinsichtlich des halben Arbeitsweges nicht möglich oder nicht zumutbar ist und der Arbeitsweg mindestens zweiKilometer beträgt (sog. großes Pendlerpauschale).
Bei Anspruch auf das Pendlerpauschale steht nach Maßgabe des § 33 Abs. 5 Z 4 EStG 1988 auch ein Pendlereuro zu.
In zeitlicher Hinsicht müssen die entsprechenden Verhältnisse im Lohnzahlungszeitraum grundsätzlich überwiegend (dh. an mehr als der Hälfte der Arbeitstage im Lohnzahlungszeitraum) gegeben sein.
Das Pendlerpauschale ist auch für Feiertage sowie für Lohnzahlungszeiträume zu berücksichtigen, in denen sich der Arbeitnehmer im Krankenhaus oder Urlaub befindet.
Nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. j EStG 1988 wird der Bundesminister für Finanzen (BMF) ermächtigt, Kriterien zur Festsetzung der Entfernung und der Zumutbarkeit der Benützung eines Massenverkehrsmittels mit Verordnung festzulegen.
Nach § 3 Abs. 1 der nunmehr grundsätzlich ab der Veranlagung 2014 bzw. ab (sofern sich durch die Anwendung der Pendlerverordnung für den Abgabepflichtigen steuerlicheNachteile ergeben, gilt die Verordnung erst ab ) geltenden (geänderten) Pendlerverordnung (BGBl. II Nr. 276/2013 idF BGBl. II Nr. 154/2014) ist für Verhältnisse innerhalb Österreichsfür die Ermittlung der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. zwischen Arbeitsstätte und Wohnung und für die Beurteilung, ob die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar oder unzumutbar ist, der vom BMF im Internet zur Verfügung gestellte Pendlerrechner zu verwenden; das Ergebnis ist daher grundsätzlich verpflichtend heranzuziehen. Gemäß § 3 Abs. 5 der Verordnung ist das Ergebnis des Pendlerrechners dann (ausnahmsweise) nicht heranzuziehen, wenn nachgewiesen wird, dass bei der Berechnung der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. der Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Wohnung oder bei der Beurteilung, ob die Benützung eines Massenbeförderungsmittelsunzumutbar ist, unrichtige Verhältnisse berücksichtigt werden (vgl. dazu zB Lenneis in Jakom, EStG, 2015, § 16 Rz 30).
Der Bf. hat mit dem Vorlageantrag einen Ausdruck aus dem Pendlerrechner des BMF vorgelegt; die darin angegebenen Arbeitszeiten von 01:00 Uhr nachts bis 09:00 Uhr morgens hat er im Verfahren vor dem BFG nachgewiesen. Auf Grund des Ergebnisses des Pendlerrechners ist ihm die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Entfernung nicht zumutbar. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des großen Pendlerpauschales nach § 16 Abs 1 Z 6 lit d (20 km bis 40 km) liegen daher in den Streitjahren vor.
Liegt kein Pflichtveranlagungstatbestand vor, können beantragte Veranlagungen bis zur Rechtskraft des Abgabenbescheides (vor Erlassung des Erstbescheides oder im Beschwerdewege) wie andere Parteianträge auch zurückgezogen werden (Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG § 41 Anm 30; siehe auch Baldauf in Jakom 2020, EStG, § 41 Tz 30, mwN).
Während der Bf. vom Vorliegen einer Antragsveranlagung ausgeht, wendet die Amtspartei einen Pflichtveranlagungstatbestand gemäß § 41 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 ein.
Sind im Einkommen lohnsteuerpflichtige Einkünfte enthalten, so ist ein Steuerpflichtiger nur unter den in § 41 Abs. 1 EStG 1988 genannten Voraussetzungen zu veranlagen.
Gem. § 41 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 ist der Steuerpflichtige zu veranlagen, wenn der Arbeitnehmer eine unrichtige Erklärung abgegeben hat oder seiner Meldepflicht gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 nicht nachgekommen ist.
§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 regelt das Pendlerpauschale dahingehend, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Erklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen abzugeben und Änderungen der Verhältnisse dem Arbeitgeber zu melden hat. Der Satzteil des § 41 Abs.1 Z 6 EStG "wenn der Arbeitnehmer eine unrichtige Erklärung abgegeben hat" bezieht sich auf jene Erklärung an den Arbeitgeber bezüglich des Pendlerpauschales. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass der Gesetzgeber nicht eine "unrichtige Steuererklärung" erfasst wissen wollte. Auch die einschlägige Literatur und Rechtsprechung gehen davon aus, dass die gesamte Z 6 des § 16 Abs. 1 EStG 1988 in Verbindung mit dem Pendlerpauschale zu sehen ist (Peyerl in Jakom 2020, EStG, § 41 Tz 15; Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG, § 41 Anm 23a; ; ).
Der Argumentation seitens des Finanzamtes, wonach der Bf. in seiner Arbeitnehmerveranlagung weniger Pendlerpauschale angegeben habe, als vom Dienstgeber ausbezahlt wurde, und daher ein Pflichtveranlagungstatbestand gem. § 41 Abs.1 Z 6 EStG vorliege, wird aus den dargelegten Gründen nicht gefolgt. Der in Rede stehende Satzteil des § 41 Abs.1 Z 6 EStG darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss der Satzzusammenhang gewahrt bleiben (vgl. ).
Die Aktenlage bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Bf. dem Arbeitgeber gegenüber eine unrichtige Erklärung abgegeben hat. Eine Veranlagung aufgrund des Tatbestandes des § 41 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 war sohin nicht verpflichtend durchzuführen.
Da im vorliegenden Fall auch kein anderer Pflichtveranlagungstatbestand zutrifft, durfte eine Veranlagung sohin nur auf Antrag durchgeführt werden.
Solche Anträge wurden zwar vom Bf. mit Abgabe seiner Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung gestellt, jedoch in der Beschwerde vom wieder zurückgenommen. Da die ursprünglich gestellten Anträge während des offenen Beschwerdeverfahrens und somit noch vor Eintritt der Rechtskraft der Arbeitnehmerveranlagungen 2015-2017 zurückgezogen wurden, war dem Beschwerdebegehren stattzugeben.
Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide waren daher ersatzlos aufzuheben.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Dass ein Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung bis zur Rechtskraft des Bescheides zurückgezogen werden kann, wenn kein Tatbestand der Pflichtveranlagung (§ 41 Abs. 1 EStG 1988) vorliegt, ist in der Rechtsprechung geklärt (, unter Verweis auf ). Ob eine Pflichtveranlagung durchzuführen ist, ist eine Sachverhaltsfrage, die einzelfallbezogen zu beurteilen ist ().
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 41 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101719.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at