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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.04.2021, RV/5100112/2019

Rückforderung des Erhöhungsbetrages, der aufgrund eines Fehlers des Finanzamtes zu Unrecht ausbezahlt wurde

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom zu VNR ***1***, mit dem die zu Unrecht bezogenen Erhöhungsbeträge zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des Kindes ***K*** (VNR ***2***) für den Zeitraum Juni 2013 bis Mai 2018 in Höhe von insgesamt 8.947,00 € zurückgefordert wurden, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Tochter der Beschwerdeführerin wurde am von einem Arzt des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice) untersucht. Im ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde festgestellt:

Anamnese:
Zweites von zwei Kindern. Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung unauffällig. Neuantrag wegen juv. Arthritis. Beginn vor 3 Jahren mit Schwellung beider Handgelenke, einmal mehr und weniger. 1. MR im Jänner 08 in
***6***, Zuwarten empfohlen, im August 09 dann ist das MCP II der linken Hand angeschwollen ohne Einschränkung der Beweglichkeit oder Morgensteifigkeit. Der Hausarzt überwies an die Salzburger Klinik. Bei negativem Rheumafaktor und ANA sprachen die Röntgenbilder jedoch für eine JIA. Zunächst wurden kurzfristige Verlaufskontrollen vereinbart, wegen völliger Beschwerdefreiheit. Im Oktober 2009 wurde aber wegen Befundprogredienz mit MTX begonnen. Dadurch sind die Schwellungen weniger geworden aber die Morgensteifigkeit nicht. Morgens hat sie Schwierigkeiten die Stiefel anzuziehen oder den Hosenknopf aufzumachen. Kein Proxen bisher, weil keine Schmerzen auftreten.

Behandlung/Therapie (Medikamente,Therapien - Frequenz):
Ebetrexat 10 mg 1.5 Tbl. abends 1/Woche. Handgelenksschienen beim Schreiben oder stärkerer Beanspruchung. Ergotherapie 1/Woche. Vorher Physiotherapie ab Nov. 09.

Untersuchungsbefund:
Normaler Allgemeinzustand, normaler Ernährungszustand, Haut rein, rosig, Rachen, Tonsillen, Zunge unauffällig, Zähne gesund. Trommelfell bland, Pupillen isocor, Lichtreaktion prompt, Okuloaotorik unauffällig, keine auffällige Lymphknotenvergrößerung, Abdomen: normale Peristaltik, kein Druckschmerz, keine Resistenzen, Nierenlager frei, Lungen: auskultatorisch o.B., sonorer Klopfschall Herz: rein, rhythmisch, normofrequent, Extremitäten: frei beweglich, Tonus, Trophik, Sensibilität, Kraft unauffällig, Gelenke weder geschwollen, gerötet noch schmerzhaft.

Status psychicus / Entwicklungsstand: unauffällig

Relevante vorgelegte Befunde:
2009-10-09 SALZBURGER LANDESKRANKENHAUS juvenile idiopathische Arthritis (RF, ANA neg), wg Befundprogredienz Beginn einer MTX Basistherapie

Diagnose(n): Juvenile Arthritis

Richtsatzposition: 418 Gdb: 050% ICD: M13.0

Rahmensatzbegründung: Oberer Rahmensatz, aufgrund der mäßigen Einschränkung der betroffenen Gelenke mit röntg. nachweisbaren Veränderung und ständiger Immunsuppression.

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Eine Nachuntersuchung in 3 Jahren ist erforderlich.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2009-10-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Aufgrund des Ergebnisses dieser Untersuchung wurde der Beschwerdeführerin für ihre Tochter nicht nur der Grundbetrag an Familienbeihilfe, sondern auch der Erhöhungsbetrag gemäß § 8 Abs. 4 FLAG wegen erheblicher Behinderung des Kindes gewährt.

Die im genannten Gutachten für erforderlich angesehen Nachuntersuchung wurde am durchgeführt. Dem Sachverständigengutachten vom , das von Dr. ***3***, Arzt für Allgemeinmedizin, erstellt wurde, ist zu entnehmen:

Anamnese:
zwischenzeitlich keine Krankenhausaufenthalte oder Operationen, derzeit würde die Krankheit stillstehen, beim vielen Schreiben bekomme sie dicke Hände, beim vielen Gehen dicke Füße, würde vorbeugend viel machen, täglich Essigwickel, Mutter führt sie oft um Gehwege zu vermeiden; besucht Hauptschule, 3. Klasse, Noten passen, turnt nur mit was sie kann; regelmäßige Kontrollen in Salzburg, Beschwerden: Schmerzen in den Handgelenken, am kleinen Finger, rechtes Knie, rechte Hüfte, derzeit beschwerdefrei; es liegen keine neuen Befunde vor

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):
keine Medikamente, Essigwickel, Übungen

Untersuchungsbefund:
157 cm, 47 kg, guter Allgemeinzustand, Ausziehen-anziehen selbstständig ohne Mühe, Gang aufrecht ohne Hilfsmittel raumgreifend, Cardiopulmonal unauffällig, dermatologisch rein, Wirbelsäule gerade, alle Gelenke praktisch frei über den vollen Bewegungsradius beweglich, keine floriden Gelenksentzündungen, freie Abduktion beider Oberarme vollständig, Faustschluss vollständig, Knie-Hüften im Liegen frei beweglich, Fersenstand-Zehenspitzenstand-Einbeinstand ohne Probleme möglich, Blutdruck 110/70

Status psychicus / Entwicklungsstand:
Guter Kontakt, Sprache normal, zügiger Untersuchungsablauf, kein Hinweis auf Entwicklungsverzögerung

Relevante vorgelegte Befunde:
keine

Diagnose(n): juvenile Arthritis

Richtsatzposition: 020202 Gdb: 030% ICD: M13.0

Rahmensatzbegründung: guter Allgemeinzustand, praktisch freie Beweglichkeit, keine medikamentöse Therapie, keine aktuellen Fachbefunde vorliegend, unterer Satz

Gesamtgrad der Behinderung: 30 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend. 30 % erscheinen gerechtfertigt bei juveniler Arthriitis

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Obwohl aufgrund dieses Gutachtens die Voraussetzungen für die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung nicht mehr vorlagen, erging eine Mitteilung im Sinne des § 12 FLAG vom an die Beschwerdeführerin, derzufolge für ihre Tochter für den Zeitraum Oktober 2009 bis Mai 2018 ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe bestehe. Der Grundbetrag und der Erhöhungsbetrag wurden in weiterer Folge auch an die Beschwerdeführerin ausbezahlt.

Daran änderte sich auch nichts im Zuge einer im Jahr 2014 durchgeführten Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe, die sich in den vorgelegten Aktenteilen nur auszugsweise findet. Nach dem Vorbringen des Finanzamtes im Vorlagebericht habe die Beschwerdeführerin das Gutachten vom im Zuge dieser Überprüfung vorgelegt. Dennoch sei vom Finanzamt irrtümlich weiterhin die erhöhte Familienbeihilfe ausbezahlt worden.

Erst im Jahr 2018 fiel dem Finanzamt auf, dass der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe seit Juni 2013 zu Unrecht ausbezahlt wurde. Daraufhin wurden mit Bescheid vom die für die Tochter der Beschwerdeführerin im Zeitraum Juni 2013 bis Mai 2018 zu Unrecht bezogenen Erhöhungsbeträge in Höhe von insgesamt 8.947,00 € zurückgefordert. In der Begründung finden sich lediglich folgende Standardbegründungen:

"Gemäß § 26 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) ist zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe rückzuzahlen.

Dies gilt gemäß § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) auch für den zu Unrecht bezogenen Kinderabsetzbetrag.

Die im § 26 FLAG 1967 geregelte Rückzahlungsverpflichtung ist so weitgehend, dass sie auf subjektive Momente wie Verschulden und Gutgläubigkeit keine Rücksicht nimmt und die von der Finanzverwaltung zu Unrecht ausbezahlten Familienbeihilfenbeträge auch dann zurück zu zahlen sind, wenn der Überbezug ausschließlich auf eine Fehlleistung der Abgabenbehörde zurückzuführen ist.

Zu ***K***:

Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen."

Gegen diesen Rückforderungsbescheid richtet sich die Beschwerde vom , die mit einem Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für die Tochter der Beschwerdeführerin ab Juni 2013 verbunden wurde. Das Kind leide unter junveniler idiopathischer Artritis, weshalb der Erhöhungsbetrag zustehe. Für das Kind werde kein Pflegegeld bezogen.

Ferner wurden von ***4***, am über FinanzOnline und per Fax weitere Beschwerden gegen den Rückforderungsbescheid eingebracht, darin aber nur ausgeführt: "Begründung wegen Unbilligkeit wird nachgereicht".

Zu einer solchen Nachreichung einer ergänzenden Begründung kam es in weitere Folge aber nicht.

Aufgrund der Beschwerde forderte das Finanzamt ein weiteres Sachverständigengutachten vom Sozialministeriumservice an. Im Gutachten vom , welches wiederum von Dr. ***3*** nach einer am durchgeführten Untersuchung erstellt worden war, wurde festgestellt:

Anamnese:
Vorgutachten von 2013: GdB 30%; zwischenzeitlich keine stationären Krankenhausaufenthalte oder Operationen, ambulante Kontrollen in Salzburg, weiterhin Medikamente und Therapien notwendig

Derzeitige Beschwerden:
Beschwerden hätten zugenommen, besonders Hand, Sprunggelenke Hüften, Rücken, Schmerzen und Beeinträchtigung an fast allen Gelenken, wechselnd

Behandlung(en) / Medikamente/ Hilfsmittel:
Parkemed, Naproxen, Simponi-Spritze (siehe Befund unten)

Sozialanamnese
besucht Modeschule
***5***, bewohnt in ***5*** eine Wohnung

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Vorgutachten von 2013: GdB 30%

Es wird mitgebracht: Befund Univ. Klinik Salzburg (7/2018)

Diagnose nicht angeführt; Therapien: Simponi pen 1x/monatlich sc., Parkemed, Naproxen-Saft, Handschiene, Massage, in den Sommermonaten physiotherapeut. Betreuung;

Befund und Verlauf wurden nicht beschrieben

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut

Errıährungszustand: gut

Größe: 161,00 cm Gewicht: 58,00 kg Blutdruck: 100/60

Status (Kopf/ Fußschema) - Fachstatus:

Sicht-Gehör normal, Sprache normal, Ausziehen-Anziehen selbstständig, HT rein rhythmisch, cardial kompensiert, Vesicularatmen, Handschiene an bd. Untemen/Handgelenken wird getragen; Abdomen weich, kein Druckschmerz; WS: Kinn-jugulumabstand 2cm, HWS endlagig eingeschränkt, WS insgesamt im Lot, keine sicheren Paresen, BWS-LWS: Beweglichkeit altersentsprechend, FBA: 0 cm; Obere Extremitäten: freie Abduktion vollständig, Kreuzgriff-Nackengriff möglich, große Faust-kleine Faust-Adduktion-Opposition bds vollständig; Untere Extremitäten: Hüften und Kniegelenke im Liegen frei beweglich Reizzustand im Bereich der rechten Hüfte, Fersenstand-Zehenspitzenstand-Einbeinstand bds. möglich

Gesamtmobilität - Gangbild:
sicher aufrecht raumgreifend ohne Gehhilfe

Psycho(patho)Iogischer Status:

allseits orientiert, kein Hinweis auf ausgeprägte Störung in Stimmung oder Antrieb

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, weiche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB %
1
Polyarthritis
Fachbefund vorliegend, Biologica-Therapie, analgetische Therapie sowie Physiotherapie, klinisch zum Untersuchungszeitpunkt kaum Funktionseinschränkungen, dem Vorgutachten folgend
30

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: führende Funktionseinschränkung Nummer 1

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: keine

Stellungnahme zu Vorgutachten: keine Veränderung objektivierbar

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 05/2013

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: entfällt

Frau ***K*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: besucht Modeschule ***5***, guter Allgemeinzustand, klinisch zum Untersuchungszeitpunkt kaum Funktionseinschränkungen, dauerhafte Unmöglichkeit zur selbstständigen Erwerbsfähigkeit kann aktuell nicht attestiert werden

Nachuntersuchung: in 3 Jahren

Daraufhin wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. § 26 Abs. 1 FLAG normiere eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßig bezogener Geldbezüge sei von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend sei somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, sei unerheblich. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die Unbilligkeit der Rückforderung berufe, sei darauf hinzuweisen, dass eine Billigkeitsmaßnahme im Sinne des § 236 BAO nicht Gegenstand dieses Verfahrens sei. Im beschwerdegegenständlichen Zeitraum sei der Beschwerdeführerin die erhöhte Familienbeihilfe nicht zugestanden. Die Rückforderung sei daher zu Recht erfolgt.

Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom , in dem die Beschwerdeführerin ausführte:

"Meine Tochter ***K*** (Vers. Nr. ***2***) leidet seit vielen Jahren an Arthritis. Gemäß einem ärztlichen Sachverständigengutachten anlässlich einer Untersuchung am wurde ein Behinderungsgrad von 50 vH festgestellt, in der Folge erhielt ich seither die erhöhte Familienbeihilfe. Im damaligen Gutachten wurde vermerkt: "Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend".

Am erfolgte eine weitere kurze Untersuchung (Dauer ca. 15 Minuten), durch den ***6*** Arzt Dr. ***3***, über deren Ergebnis ich nicht weiter informiert wurde. Im Bewusstsein darüber, dass sich das Krankheitsbild meiner Tochter keineswegs verbessert hatte und im Wissen, dass das vorherige Gutachten eine Behinderung von 50 vH voraussichtlich über einen längeren Zeitraum ausgewiesen hatte, war es für mich klar und keineswegs außergewöhnlich, dass mir auch weiterhin die erhöhte Familienbeihilfe zugestanden wurde.

Eine entsprechende amtliche Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe bis Mai 2018 wurde mir im Anschluss an die Untersuchung meiner Tochter dann auch mit Ausstellungsdatum vom Finanzamt ***6*** übermittelt. Selbstverständlich vertraute ich auf die Korrektheit dieser amtlichen Mitteilung.

Die Behandlung und der erforderliche Aufwand für meine Tochter stiegen in der Folge auch deutlich an, sodass ich jeden Cent der erhöhten Familienbeihilfe dringend brauchen konnte. Zwischen 2013 und 2018 waren mehrmals jährlich Behandlungen im Krankenhaus erforderlich, ebenso mussten immer wieder Spritzen eingesetzt werden. Auch durch die Finanzierung der Teilnahme an Rheuma-Camps versuchte ich das Leid meiner Tochter zu lindern.

Im Bemühen, unserer Tochter eine gewisse Selbständigkeit im Berufsleben zu ermöglichen, finanzierten wir ihr die Ausbildung an den Modeschulen in ***7*** und ***5***. Dabei erwachsen uns bis heute aus den besonderen Erfordernissen hohe Kosten, etwa durch die häufigen Fahrten zur Physiotherapie in Salzburg, die Investition in spezielle Sportgeräte, usw. Auch zeigte sich, dass eine Unterbringung im Schülerheim sowohl in Bezug auf den Krankheitsverlauf als auch hinsichtlich der psychischen Belastung äußerst problematisch ist. So verwies man meine Tochter unter anderem mehrfach auf die Behindertentoilette, ebenso konnte sie an verschiedenen Freizeitaktivitäten nicht teilnehmen und war somit immer eine Außenseiterin. Wir organisierten für sie daher eine eigene Wohnung Rahmenbedingungen für Ihre Ausbildung trotz ihres gesundheitlichen Handicaps so gut wie möglich zu gestalten. In Summe müssen wir für Schule und Unterkunft derzeit € 559,- pro Monat aufbringen.

Der finanzielle und zeitliche Aufwand, den wir für unsere Tochter gerne erbringen, belastet naturgemäß unser Haushaltsbudget in großem Maß, weshalb ich über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe sehr dankbar war. Ich selbst verfüge als Teilzeitbeschäftigte bei "pro mente" nur über ein geringes Gehalt, mein Gatte steuert als Arbeiter den Großteil des Familieneinkommens bei. Unser Sohn ist derzeit in Ausbildung und erhält lediglich die Lehrlingsentschädigung. Nebenbei sollten wir dringend erforderliche Sanierungsmaßnahmen in unserem Bauernhof setzen, unter anderem waren der Ausbau eines Raumes für die Pflege meiner Mutter und die Erneuerung der Heizung unaufschiebbar. Die finanzielle Lage unserer Familie ist somit durchaus angespannt.

Als ich im Juni 2018 den Bescheid über die Rückforderung "zu Unrecht" bezogener Beträge für einen Zeitraum von sechs (!) Jahren erhielt, dachte ich zuerst Irrtum. Immerhin hatte ich ja eine gegenteilige Mitteilung des Finanzamtes in Händen, andererseits hatte sich der Gesundheitszustand von ***K*** keineswegs verbessert und auch die erforderlichen Ausgaben waren eher gestiegen als gesunken. Ganz abgesehen davon sind wir finanziell nicht in der Lage, einen Betrag von beinahe 9.000,- Euro nun plötzlich zurückzubezahlen.

Da ich als Mutter den Krankheitsverlauf meiner Tochter ja seit vielen Jahren akribisch verfolge und somit weiß, dass sich dieser seit dem Gutachten des Jahres 2010, in dem eine Behinderung von 50 vH attestiert wurde, keinesfalls verbessert hat, ersuchte ich um eine erneute gesundheitliche Untersuchung. Ich hatte schlichtweg die Vermutung, dass im Gutachten aus dem Jahr 2013 ein Irrtum vorlag, da ich ja wohl sonst von einer Veränderung in Kenntnis gesetzt worden wäre ... so zumindest dachte ich. Trotz meiner ausdrücklichen Bitte, einen neutralen Mediziner mit der neuerlichen Untersuchung zu beauftragen, wurden wir erneut zu Dr. ***3*** verwiesen, der - wenig verwunderlich - seine Diagnose und Einstufung von 2013 bestätigte.

Ich bitte aufgrund der geschilderten Situation um Überprüfung der Sachlage sowie um Aussetzung der Zahlungsverpflichtung gemäß § 212a BAO über 8.947,- €. Gleichzeitig wird von mir ein Antrag auf Nachsicht gemäß § 236 BAO beim Ministerium für Frauen, Familien und Jugend gestellt.

Konkret ersuche ich um eine neuerliche Prüfung des Behindertengrades durch einen anderen als den 2013 beauftragten Sachverständigen, um allenfalls die Richtigkeit der Einstufung zu verifizieren.

Sollte sich tatsächlich heraussteilen, dass trotz der starken Beeinträchtigung meiner Tochter sowie der ständigen Schmerzen lediglich ein Behinderungsgrad von unter 50 vH gerechtfertigt ist, ersuche ich um eine kulante Lösung in Bezug auf die überwiesene erhöhte Kinderbeihilfe. Ich wurde zwar darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich auch bei einem offensichtlichen Fehler des Finanzamtes und trotz amtlicher Mitteilung über den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe den scheinbar zu viel bezahlten Beitrag retournieren muss, rechne aber aufgrund der vorliegenden Aktenlage schon mit einem großzügigen Entgegenkommen bzw. einer Streichung der Rückforderung.

Der Verein "Hilfe für ***8*** in Not" hat mir zwar angeboten, im Falle eines neuerlichen negativen Bescheides eine Spendenaktion für meine Familie zu initiieren, ich möchte aber ehrlich gesagt den Gang in die Öffentlichkeit vermeiden, da dies für meine Tochter eine erneute Belastung darstellt und laut Auskunft ihrer Ärztin dadurch möglicherweise ein weiterer Krankheitsschub ausgelöst werden könnte. Aus eigenen Mitteln sehe ich mich allerdings nicht in der Lage, den geforderten Betrag zurückzuzahlen. Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass die Beträge der erhöhten Familienbeihilfe bei weitem nicht alle Zusatzkosten abdecken, die unserer Familie durch die Krankheit meiner Tochter entstanden sind bzw. entstehen."

Der Beschwerde waren das Gutachten vom , die Mitteilung vom und eine Buchungsmitteilung vom angeschlossen, in welcher der Rückzahlungsbetrag jahrgangsweise aufgegliedert wurde.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Am teilte das Finanzamt dem damals für die Erledigung der Beschwerde zuständig gewesenen Richter des Bundesfinanzgerichtes mit, dass sich hinsichtlich der gegenständlichen Vorlage das BKA eingeschaltet habe. In Ausübung des Aufsichtsrechtes der Oberbehörde beabsichtige das BAK dem Antrag auf Nachsicht im Rahmen der Anwendung der allgemeinen Rechtsmaxime von Treu und Glauben stattzugeben. Der gegenständliche Vorlageantrag werde sohin demnächst zurückgenommen werden.

Der für die Erledigung der Beschwerde zuständig gewesene Richter trat mit in den Ruhestand. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichtes wurde in weiterer Folge der erkennende Richter für die Erledigung (unter anderem) der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Von diesem wurde das Finanzamt am um Mitteilung ersucht, ob von der Oberbehörde eine Abstandnahme im Sinne des § 26 Abs. 4 FLAG 1967 ausgesprochen worden sei; am Abgabenkonto werde noch der gesamte Rückstand ausgewiesen.

Dazu übermittelte das Finanzamt dem Bundesfinanzgericht folgende Stellungnahme des BKA, Setkion V, Abt. V/1:

Hinsichtlich der Möglichkeit einer Abstandnahme von der Rückforderung im Sinne des § 26 Abs. 4 FLAG 1967 darf festgehalten werden, dass diese Bestimmung nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur auf Sachverhalte Anwendung finden kann, in denen eine Rückforderung noch nicht erfolgt ist. Da im vorliegenden Fall ein Rückforderungsbescheid bereits ergangen ist, ist die Möglichkeit einer Abstandnahme von dieser Rückforderung im Sinne der Bestimmung des § 26 Abs. 4 leg.cit. rechtlich ausgeschlossen.

Die einzige Billigkeitsmaßnahme, deren Anwendung im vorliegenden Fall theoretisch in Betracht kommt und somit zu prüfen wäre, ist die Erteilung einer Nachsicht gemäß § 236 Bundesabgabenordnung. Gemäß dieser Bestimmung können fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach der Judikatur des VwGH kann die Unbilligkeit einer Abgabe nach Lage des Falles eine persönliche oder sachliche sein.

Eine persönliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 Bundesabgabenordnung liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Einhebung der Abgabenschuld, oder in Familienbeihilfenangelegenheiten, die Rückforderung unrechtmäßig bezogener Leistungen, die Existenz des Schuldners gefährden, besondere finanzielle Schwierigkeiten und eine wirtschaftliche Notlage mit sich bringen, diese erhöhen und verstärken würde, oder sonstige wirtschaftliche außergewöhnliche belastende Wirkungen zur Folge hätte. Die Frage, ob die Existenz der Person des Abgabepflichtigen gefährdet ist, ist nach der Einkommens- und Vermögenslage und nach deren voraussehbaren Entwicklung ohne Abzug der zu entrichtenden, nachsichtsverfangenen Abgaben zu beurteilen.

Eine solche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet oder wenn die Abstattung der Abgabenschuld mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen wie der Verschleuderung von Vermögenswerten verbunden wäre.

Im gegenständlichen Fall liegt eine persönliche Unbilligkeit nicht vor, da bei dieser Rückforderung nicht von einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung auszugehen ist.

Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst.

Auf Grund von falschen und rechtlich unrichtig vollzogenen Würdigungen, seitens des Finanzamtes, wurde mit ein Rückforderungsbescheid erlassen. Der Partei wurden über Jahre die erhöhte Familienbeihilfen angewiesen und im Jahr 2018 plötzlich aberkannt und zurückgefordert.

Der Grundsatz Treu und Glauben ist eine allgemeine, ungeschriebene Rechtsmaxime, die auch im öffentlichen Recht zu beachten ist. Unrichtige Rechtsauskünfte im Einzelfall können den Grundsatz von Treu und Glauben verletzen und eine Unbilligkeit nach Lage des Falles und die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zur Folge haben.

Zwischenzeitlich hat die Partei die seitens des Finanzamtes zur Überweisung gebrachten Beträge der erhöhten Familienbeihilfe für ihr Kind gutgläubig und zur Gänze verbraucht. Ein korrekter Vollzug der Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetz 1967, welcher die Anspruchsvoraussetzungen genau regelt, zielt eben genau darauf ab, dass bei Fehlen einer Voraussetzung, Familienbeihilfen eben nicht zur Auszahlung gelangen.

Somit wird seitens der Fachabteilung des ho. Ressorts in diesem Fall eine sachliche Unbilligkeit festgestellt, weshalb dem Antrag auf Nachsicht seitens der Partei statt zu geben ist und die Rückforderung der Familienbeihilfe für den Zeitraum von Juni 2013 bis Mai 2018 in der Höhe von € 8.947 nachzusehen ist.

Sie werden ersucht, die erforderlichen Veranlassungen in diesem Fall zu treffen.

Im Hinblick auf diese Stellungnahme beantragte das Finanzamt die Erlassung eines abweisenden Erkenntnisses, in welchem auf die Möglichkeit der Antragstellung nach § 236 BAO hingewiesen werden möge.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Im Sachverständigengutachtens vom wurde der Grad der Behinderung der Tochter der Beschwerdeführerin nach der damals noch anzuwendenden Richtsatzverordnung mit 50 %, voraussichtlich mehr als drei Jahre anhaltend, bestimmt. Eine Nachuntersuchung in drei Jahren wurde als erforderlich angesehen.

Aufgrund dieses Gutachtens und der darauf fußenden Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 wurde der Beschwerdeführerin der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des Kindes gewährt.

Nach erfolgter Nachuntersuchung am wurde im Sachverständigengutachten vom der Grad der Behinderung nach der nunmehr anzuwendenden Einschätzungsverordnung ab nur mehr mit 30 % bestimmt, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe nicht mehr vorlagen.

Dessen ungeachtet erging am an die Beschwerdeführerin eine Mitteilung im Sinne des § 12 FLAG, derzufolge für ihre Tochter für den Zeitraum Oktober 2009 bis Mai 2018 ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe bestehe. Der Grundbetrag und der Erhöhungsbetrag wurden in weiterer Folge auch an die Beschwerdeführerin ausbezahlt.

Daran änderte sich auch im Zuge einer im Jahr 2014 durchgeführten Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe nichts.

Erst im Jahr 2018 fiel dem Finanzamt auf, dass der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe seit Juni 2013 zu Unrecht ausbezahlt wurde. Daraufhin wurden mit Bescheid vom die zu Unrecht bezogenen Erhöhungsbeträge in Höhe von insgesamt 8.947,00 € zurückgefordert.

Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurde am ein neues Sachverständigengutachten erstellt, in dem der Grad der Behinderung der Tochter der Beschwerdeführerin wiederum nur mit 30 % ab festgestellt wurde.

Beweiswürdigung

Der festgestellte und unstrittige Sachverhalt ergibt sich aus den zitierten Aktenteilen, dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und den Eintragungen in der Beihilfendatenbank.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 8 FLAG 1967 lautete in der im Mai 2010 in Geltung gestandenen Fassung des BGBl I 131/2008:

§ 8. (1) Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird.

(2) Ab beträgt die Familienbeihilfe für jedes Kind monatlich 105,4 €; sie erhöht sich für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem dieses das 3. Lebensjahr vollendet, um monatlich 7,3 €; sie erhöht sich weiters für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem dieses das 10. Lebensjahr vollendet, um monatlich 18,2 €; sie erhöht sich weiters ab Beginn des Kalendermonats, in dem das Kind das 19. Lebensjahr vollendet, um monatlich 21,8 €. Diese Beträge gelten für eine Vollwaise (§ 6) entsprechend.

(3) Ab erhöht sich der monatliche Gesamtbetrag an Familienbeihilfe

a) für zwei Kinder um 12,8 €,

b) für drei Kinder um 47,8 €,

c) für vier Kinder um 97,8 €, und

d) für jedes weitere Kind um 50 €.

(4) Ab erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um 138,3 €.

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

(7) Die Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

(8) Der Gesamtbetrag an Familienbeihilfe für September wird verdoppelt.

Durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 111/2010) wurde § 8 Abs. 5 FLAG 1967 wie folgt geändert:

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Damit wurde die völlig überalterte Richtsatzverordnung durch die Einschätzungsverordnung ersetzt, die seit dem für die Bestimmung des Grades der Behinderung eines Kindes maßgeblich ist (vgl. dazu Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 15). Die Voraussetzungen für die Einschätzung eines Behinderungsgrades mit mindestens 50 % sind nach dieser Verordnung allerdings in vielen Bereichen strenger, sodass auch bei unverändertem Gesundheitszustand des Kindes der für die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe notwendige Grad der Behinderung von mindestens 50 % oftmals nicht mehr erreicht wurde.

Der gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 zustehende Erhöhungsbetrag wurde mehrfach erhöht und betrug für den Zeitraum Juni 2013 bis Juni 2014 monatlich 138,30 €, für den Zeitraum Juli 2014 bis Dezember 2015 monatlich 150,00 €, für den Zeitraum Jänner 2016 bis Dezember 2017 monatlich 152,90 € und für den Zeitraum Jänner bis Mai 2018 monatlich 155,90 €.

Die Einschätzungsverordnung trifft idF BGBl II 251/2012 in der Anlage 1 unter Punkt 02.02. folgende Regelungen für Erkrankungen des Bewegungsapparates:

02.02 Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates

Es ist die resultierende Gesamtfunktionseinschränkung bei entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen, degenerative rheumatischen Erkrankungen und systemischen Erkrankungen der Muskulatur einzuschätzen.
Falls sie mit Lähmungserscheinungen einhergehen, sind sie entsprechend den funktionellen Defiziten nach Abschnitt 04. "Neuromuskuläre Erkrankungen" im Kapitel "Nervensystem" zu beurteilen.


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Mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades
10 - 20 %

Leichte Beschwerden mit geringer Bewegungs- und Belastungseinschränkung


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Mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades
30 - 40 %

Mäßige Funktionseinschränkungen, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität


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Mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades
50 - 70 %

50 %: Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Notwendigkeit einer über mindestens 6 Monate andauernden Therapie

70 %: Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen mit maßgeblichen Einschränkungen im Alltag, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Gehbehinderung


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Mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades
80 - 100 %

Irreversible Funktionseinschränkungen mehrerer großer Gelenke mit entsprechender Mobilitätseinschränkung, hochgradige Progredienz

Für die Feststellung eines Grades der Behinderung von mindestens 50 % müssten daher nach Punkt der Einschätzungsverordnung dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen und eine therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität vorliegen. Derartige Feststellungen wurden in den Gutachten vom und aber nicht getroffen. Im Gutachten vom wurde der Rahmensatz mit einem guten Allgemeinzustand der Tochter der Beschwerdeführerin, einer praktisch freien Beweglichkeit der Gelenke sowie damit begründet, dass keine medikamentöse Therapie erfolge. Auch im Gutachten vom wurde festgestellt, dass klinisch zum Untersuchungszeitpunkt kaum Funktionseinschränkungen vorgelegen wären. Schließlich hat die Beschwerdeführerin auch im Vorlageantrag kein Vorbringen erstattet, das Anhaltspunkte für dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen und eine therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität bieten würde. Bei dieser Sachlage erweisen sich die genannten Gutachten des Sozialministeriumservice als schlüssig und waren daher für die Frage der Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe bindend (vgl. zur Bindungswirkung Lenneis a.a.O., § 8 Tz 29 mit zahlreichen Judikaturnachweisen). Es bestand damit für das Bundesfinanzgericht auch kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. ).

Gemäß § 26 FLAG 1967 normiert:

(1) Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

(2) Zurückzuzahlende Beträge nach Abs. 1 können auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfen angerechnet werden.

(3) Für die Rückzahlung eines zu Unrecht bezogenen Betrages an Familienbeihilfe haftet auch derjenige Elternteil des Kindes, der mit dem Rückzahlungspflichtigen in der Zeit, in der die Familienbeihilfe für das Kind zu Unrecht bezogen worden ist, im gemeinsamen Haushalt gelebt hat.

(4) Die Oberbehörde ist ermächtigt, in Ausübung des Aufsichtsrechtes das zuständige Finanzamt anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre.

Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ergibt sich eine rein objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe (hier: den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe) zu Unrecht bezogen hat (vgl. etwa ).

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag ist entgegen zu halten, dass es bei der Rückforderung nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs von Familienbeihilfe ankommt, also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienbeihilfe, Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe oder die Verwendung der Familienbeihilfe, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (vgl. neuerlich ).

Wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist nicht von Bedeutung; ebenso, ob der Bezieher diese im guten Glauben entgegengenommen hat (vgl. ; , RV/7100264/2016; ). Der gutgläubige Verbrauch der Beträge ist rechtlich ohne Bedeutung, weil der Rückforderungsanspruch nach § 26 Abs. 1 nur auf die objektive Unrechtmäßigkeit des Bezuges der Familienbeihilfe abstellt (vgl. etwa ).

Die Rückforderung gemäß § 26 Abs 1 FLAG 1967 ist keine Ermessensentscheidung. Billigkeitsüberlegungen sind im Rückforderungsverfahren nach § 26 Abs. 1 FLAG 1967 vom Finanzamt oder vom Bundesfinanzgericht nicht anzustellen (vgl. und , RV/7100264/2016, jeweils unter Hinweis auf ). Die objektive Erstattungspflicht hat zur Folge, dass der Behörde, sobald die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe nicht mehr gegeben sind, hinsichtlich der Rückforderung von bereits bezogener Familienbeihilfe kein Ermessensspielraum bleibt (vgl. ).

Einer Rückforderung steht nach derzeitiger Rechtslage auch nicht entgegen, wenn der unrechtmäßige Bezug ausschließlich durch das Finanzamt verursacht worden ist (vgl. VwGH 2012/16/0047; ).

Allerdings kann in einem solchen Fall ein Grund für eine Nachsicht nach § 236 BAO vorliegen (vgl. ; ). In der Beschwerdevorentscheidung wurde zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Billigkeitsmaßnahme im Sinne des § 236 BAO nicht Gegenstand des vorliegenden Rückforderungsverfahrens ist. Die zuständige Fachabteilung des Bundeskanzleramtes hat zur Frage einer allfälligen Nachsicht allerdings bereits die Ansicht vertreten, dass im vorliegenden Fall von einer sachlichen Unbilligkeit der Einhebung des Rückforderungsbetrages von 8.947,00 € auszugehen sei, weshalb "dem" Antrag auf Nachsicht stattzugeben sei.

Beim Finanzamt ist ein solches Nachsichtsansuchen bisher allerdings nicht gestellt worden. Das Finanzamt hat daher ersucht, die beschwerdeführende Partei auf die Möglichkeit einer solchen Antragstellung nach § 236 BAO hinzuweisen. Der Beschwerdeführerin steht es somit frei, einen solchen Nachsichtsantrag beim Finanzamt einzubringen.

Schließlich hätte gemäß § 26 Abs. 4 FLAG 1967 für die Oberbehörde auch die Möglichkeit bestanden, in Ausübung des Aufsichtsrechtes das Finanzamt anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre. Dazu wird von dieser - wie auch in der zitierten gegenständlichen Stellungnahme - jedoch stets die Ansicht vertreten, § 26 Abs. 4 FLAG 1967 könne nur auf Sachverhalte Anwendung finden kann, in denen eine Rückforderung noch nicht erfolgt sei. Das Bundesfinanzgericht teilt diese Ansicht zwar nicht (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG, § 26 Tz 75 mit Hinweis auf ), dies ändert jedoch nichts daran, dass von der Oberbehörde faktisch keine Weisungen im Sinne des § 26 Abs. 4 FLAG 1967 erteilt werden, sobald ein Rückforderungsbescheid ergangen ist.

Schließlich ist der Vollständigkeit halber noch festzuhalten, dass gemäß § 207 Abs. 4 BAO das Recht, die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern, in fünf Jahren verjährt. Das Recht zur Rückforderung der Erhöhungsbeträge zur Familienbeihilfe ab Juni 2013 war daher im Juni 2018 noch nicht verjährt. Der Anspruch auf Rückforderung von Familienbeihilfe entsteht ebenso wie der Anspruch auf Gewährung derselben mit Beginn des jeweiligen Monats (Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG, § 26 Tz 38 unter Hinweis auf § 4 Abs. 1 BAO und § 10 Abs. 2 FLAG 1967).

Insgesamt gesehen erweist sich der angefochtene Rückforderungsbescheid aus den angeführten Gründen als rechtmäßig, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war. Über ein allfälliges Nachsichtsansuchen gemäß § 236 BAO hat das Finanzamt zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Linz, am

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