Drittelbegünstigung für Schweizer Pensionskassenauszahlung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Götze & Forster öffentliche Notare, Gymnasiumgasse 7, 6800 Feldkirch,
betreffend den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch vom hinsichtlich Einkommensteuer 2015, Steuernummer ***BF1StNr1***,
zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem am Ende der Entscheidungsgründe als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, das einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Der angefochtene Bescheid unterzog eine Pensionskassenauszahlung in Höhe von € 89.548,34 zur Gänze der Besteuerung.
Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer und führte in seiner Beschwerde aus: Er beantrage die Anwendung der 1/3- Regelung, d. h., 1/3 des Auszahlungsbetrages möge steuerfrei gestellt und lediglich 2/3 der Einkommensteuerberechnung zugrunde gelegt werden. Bis 2014 sei diese 1/3- Regelung steuerwirksam angewendet worden und seither keine Änderung von Steuergesetzen erfolgt.
In der Folge erging eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, in der seitens des Finanzamtes ausgeführt wurde: Dem Beschwerdeführer sei anlässlich der Vollendung seines 65. Lebensjahres im Jahr 2015 das Freizügigkeitsguthaben von dem bei der ***1*** Freizügigkeitsstiftung unterhaltenen Freizügigkeitskonto ausbezahlt worden. Die steuerliche Erfassung sei zur Gänze erfolgt, ohne dass die begünstigende Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 zur Anwendung gekommen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom , 2009/15/0188, ausgesprochen, dass es sich bei einer Auszahlung als Einmalzahlung, die aufgrund eines Wahlrechts anstatt einer Rentenzahlung bezogen werden könne, nicht um die Abfindung eines Pensionsanspruches im Sinne des § 124b Z 53 EStG 1988 handle, sondern um einen davon getrennten, eigenständigen Anspruch. Es liege nämlich keine "Abfindung" vor, wenn dem Gläubiger das Wahlrecht eingeräumt sei und er zwischen mehreren gleichwertigen Ansprüchen die Auswahl treffen könne (obligatio alternativa, Wahlschuld iSd § 906 ABGB).
Nach Schweizer Freizügigkeitsrecht werde im Rahmen der beruflichen Vorsorge zwischen dem Vorsorgefall und dem Freizügigkeitsfall unterschieden. Während im Vorsorgefall eine Vorsorgeeinrichtung des privaten oder öffentlichen Rechts aufgrund ihrer Vorschriften (Reglement) bei Erreichen der Altersgrenze, bei Tod oder bei Invalidität einen Anspruch auf Leistungen gewähre, trete ein Freizügigkeitsfall dann ein, wenn eine versicherte Person die Vorsorgeeinrichtung vor Verwirklichung eines Vorsorgefalles verlasse und aus diesem Anlass einen Anspruch auf eine Austrittsleistung habe.
Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2005, anlässlich der Beendigung seiner Grenzgängertätigkeit - so führte das Finanzamt aus - das Wahlrecht gehabt, den Vorsorgeschutz - mit der späteren Möglichkeit einer kapitalisierten Auszahlung oder einer Auszahlung in Rentenform - durch Übertragung des Pensionskassenguthabens auf ein Freizügigkeitskonto oder eine Freizügigkeitspolice zu erhalten.
Überdies sei im Streitfall die Überweisung der Freizügigkeitsleistung von einer dritten, von der Pensionskasse unterschiedlichen Einrichtung, nämlich einer Freizügigkeitsstiftung, erfolgt. Es handle sich daher nicht um die Zahlung einer Pensionsabfindung von einer Pensionskasse, wie dies in § 124b Z. 53 EStG 1988 vorgesehen sei.
In der Folge brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein.
Der gleichzeitig eingebrachte Antrag auf Abhaltung einer Verhandlung durch den gesamten Beschwerdesenat gemäß § 282 BAO wurde später zurückgezogen.
Amtswegige Ermittlungen:
A. Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht:
Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2018/15/0107-7, im Hinblick auf die steuerliche Behandlung einer liechtensteinischen Pensionskassenauszahlung ausgesprochen, dass der Grundsatz "iura novit curia" für das Bundesfinanzgericht in Bezug auf ausländisches Recht nicht gelte. Vielmehr habe das Bundesfinanzgericht das ausländische Recht und dessen Auslegung in einem grundsätzlich amtswegigen Ermittlungsverfahren festzustellen.
Die Richterinnen und Richter des Bundesfinanzgerichtes, Außenstelle Feldkirch, wandten sich daher mit einem amtswegigen Ermittlungsersuchen an drei liechtensteinische und fünf Schweizer offizielle Stellen, dies in dem Bemühen, Klarheit für alle beim Bundesfinanzgericht anhängigen Fälle zu gewinnen, welche die steuerliche Behandlung von als Einmalbetrag ausbezahlten Freizügigkeitsleistungen österreichischer Grenzgänger/innen zum Gegenstand haben. Als bezughabende Gesetzesstellen wurden dabei (für Schweizer Fälle) die Art. 27 BVG, Art. 2 Abs. 1 FZG (Freizügigkeitsgesetz), Art. 3 Abs. 1 FZG, Art. 10 Abs. 1 FZV (Freizügigkeitsverordnung), Art. 10 Abs. 2 FZV und Art. 10 Abs. 3 FZV genannt.
Die angesprochenen Schweizer Stellen waren der Schweizer Pensionskassenverband ASIP, das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, die Oberaufsichtskommission über die berufliche Vorsorge OAK BV. Die Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA sowie der Schweizerische Versicherungsverband SSV haben sich als für die Fragenbeantwortung unzuständig erklärt.
Die hier interessierenden, an die Schweizer Institutionen gerichteten Fragen zum Themenbereich "Freizügigkeitsleistung" lauten:
1. Besteht im Falle des endgültigen Verlassens der Schweiz vor Eintritt des Vorsorgefalles eine Möglichkeit, den Anspruch auf eine Altersrente aus der beruflichen Vorsorge aufrechtzuerhalten bzw. gibt es in solchen Fällen eine Möglichkeit, die Freizügigkeitsleistung in Rentenform auszahlen zu lassen?
2. ……
3. Bieten Schweizer Versicherungseinrichtungen, die den Kriterien des Art. 10 Abs. 2 litae a und b FZV entsprechen, Freizügigkeitspolicen mit späterem Rentenanspruch an?
4. ….
5. Sind die vorstehenden Fragen im Hinblick auf den obligatorischen und den überobligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge jeweils unterschiedlich zu beantworten?
In Zusammenfassung der Auskünfte der oben genannten Schweizer Stellen werden jene der Oberaufsichtskommission über die berufliche Vorsorge OAK BV wiedergegeben:
1. "Nein, nach Auffassung der OAK BV ist dies nicht möglich.
Versicherte, die die Schweiz endgültig verlassen, können unter Vorbehalt von Art. 25f FZG die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen (Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG). Wenn eine versicherte Person, unabhängig welcher Nationalität, die Schweiz endgültig verlässt, Wohnsitz in einem EU-oder EFTA-Staat nimmt und dort für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch versichert ist, darf der BVG-obligatorische Teil der Freizügigkeitsleistung nicht an die versicherte Person ausbezahlt werden (Art. 25f FZG).
Wird die Austrittsleistung an eine Freizügigkeitseinrichtung überwiesen, so richtet sich eine spätere Barauszahlung sinngemäß nach Art. 5 FZG (Art. 14 FZV). Bei Eintritt des Versicherungsfalles (Alter, Tod, Invalidität) - bevor der Barauszahlungstatbestand gemäß Art. 5 FZG geltend gemacht wird - tritt die Rente oder die Kapitalzahlung an die Stelle der Austrittsleistung respektive des Freizügigkeitsguthabens (Art. 2 Abs. 1 FZG e contrario). Frühestens ab Erreichen des vollendeten 58. Altersjahres kann das Reglement einer Vorsorgeeinrichtung einen frühzeitigen Altersrücktritt vorsehen. Freizügigkeitseinrichtungen dürfen Altersleistungen frühestens 5 Jahre vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters nach Art. 13 BVG auszahlen (Art. 16 Abs. 1 FZV). Die Barauszahlung der Austrittsleistung beim endgültigen Verlassen der Schweiz gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG erfolgt als Kapitalleistung. Da das FZG nicht nur im obligatorischen Bereich, sondern auf alle Vorsorgeeinrichtungen anwendbar ist, welche reglementarische Ansprüche ausrichten und Art. 5 FZG keine abweichenden reglementarischen Regelungen vorbehält, ist es nach Auffassung der OAK BV nicht möglich, eine Freizügigkeitsleistung vor Eintritt des Vorsorgefalles bzw. vor dem frühzeitig möglichen Altersrücktritt in Rentenform an den Versicherten auszuzahlen. Nur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenleistungen (nach Eintritt des Vorsorgefalles) werden in der Regel als Rente ausgerichtet (vergleiche Art. 37 Abs. 1 BVG).
Für im Ausland wohnhafte Grenzgängerinnen und Grenzgänger bedeutet dies gemäß der Mitteilung Nr. 150 des Bundesamtes für Sozialversicherungen vom , Rn. 1012 ff. Folgendes:
Sie erfüllen die Voraussetzungen für eine Barauszahlung nach Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG, sofern sie die Erwerbstätigkeit in der Schweiz vollständig aufgeben und keiner schweizerischen Vorsorgeeinrichtung mehr angeschlossen sind. Da Grenzgängerinnen und Grenzgänger nicht in der Schweiz wohnen, haben sie logischerweise keinen Wohnsitz, den sie von der Schweiz ins Ausland verlegen könnten. Für sie entspricht das endgültige Verlassen der Schweiz somit der Aufgabe der Erwerbstätigkeit in der Schweiz.
Die Auszahlung des Vorsorgekapitals beschränkt sich bei Grenzgängerinnen und Grenzgängern aus den EU-/EFTA-Staaten auf den überobligatorischen Teil. Die minimale obligatorische berufliche Vorsorge bleibt bis zum Mindestrücktrittsalter oder zum Eintritt eines Vorsorgefalles in der Schweiz bei einer Freizügigkeitseinrichtung blockiert (außer, die Person ist in einem Mitgliedstaat der EU/EFTA in der obligatorischen Versicherung nicht gegen die Risiken Alter, Tod und Invalidität versichert oder verlässt die EU/EFTA definitiv).
2. …….
3. Nein, schweizerische Versicherungseinrichtungen bieten solche Rentenlösungen grundsätzlich nicht (mehr) an.
Die Freizügigkeitspolice ist eine besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Kapital- oder Rentenversicherung im Rahmen der zweiten Säule einschließlich allfälliger Zusatzversicherungen für den Todes- oder Invaliditätsfall. Die Leistungen bei Alter, Tod und Invalidität werden nach Vertrag oder Reglement als Rente oder Kapitalabfindung ausbezahlt (Art. 13 Abs. 1 und 2 FZV). Der Abschluss einer Freizügigkeitspolice mit späterem Rentenanspruch ist somit aus rechtlicher Sicht möglich. Gemäß Auskunft der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA bieten Schweizer Versicherungseinrichtungen solche Rentenlösungen wegen den derzeitigen historisch tiefen Zinsen jedoch grundsätzlich nicht (mehr) an. Es kann indes nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne solche Freizügigkeitspolicen mit späterem Rentenanspruch noch bestehen.
4. …..
5. Nein, ein Unterschied ergibt sich nur beim folgenden Punkt:
Wenn eine versicherte Person, unabhängig welcher Nationalität, die Schweiz endgültig verlässt, Wohnsitz in einem EU- oder EFTA- Staat nimmt und dort für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch versichert ist, darf der BVG- obligatorische Teil der Freizügigkeitsleistung nicht an die versicherte Person ausbezahlt werden (Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 25f FZG). Im Übrigen sind die vorstehenden Fragen im Hinblick auf den obligatorischen und den überobligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge gleich zu beantworten."
B. Ergänzende Ermittlungen durch die Abgabenbehörde:
Ein Vertreter der Abgabenbehörde, dem das BFG seine Ermittlungsergebnisse zur Stellungnahme zugeleitet hatte, wandte sich in der Folge mit nachstehenden Fragen ergänzend an insgesamt 33 liechtensteinische und schweizerische Versicherungsunternehmen, einschließlich schweizerischer Versicherungsunternehme, die in Liechtenstein im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zugelassen sind:
1. "Bietet oder bot Ihr Versicherungsunternehmen in der Vergangenheit die Freizügigkeitspolice als Rentenversicherung (also mit Anspruch auf spätere Auszahlung in Rentenform) als eigenes Versicherungsprodukt an?
2. Sollte Frage 1. zu verneinen sein: Besteht bzw. bestand in der Vergangenheit dennoch die Möglichkeit, den Vorsorgeschutz in Rentenform durch Abschluss einer Freizügigkeitspolice als Rentenversicherung im Wege eines individuellen Einzelvertrages aufrechtzuerhalten?"
24 der angeschriebenen Versicherungsunternehmen beantworteten die per E-Mail an sie gerichteten Fragen, wobei 22 Versicherungsunternehmen beide Fragen verneinten. Ein Unternehmen verneinte die erste Frage und beantwortete die zweite Frage unter Hinweis auf ihren Allgemeincharakter und eine erforderliche Abstimmung mit der liechtensteinischen Steuerverwaltung nicht. Ein weiteres Unternehmen beantwortete keine der beiden Fragen, da eine Beantwortung nur im Wege eines Rechtshilfeersuchens möglich wäre.
Nach Würdigung aller - von ihnen selbst durchgeführten bzw. ihnen seitens des BFG zur Kenntnis gebrachten - Ermittlungen gelangten die zuständigen Vertreter der Finanzämter Bregenz und Feldkirch zu der Conclusio, dass für österreichische Grenzgänger bei tatsächlich endgültigem Verlassen der Schweiz bzw. Liechtensteins im Freizügigkeitsfall keine zumutbare Möglichkeit bestand bzw. besteht, den Anspruch auf eine Altersrente aufrechtzuerhalten.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist am ***2***.1950 geboren.
Er beendete im Jahr 2005 seine Tätigkeit als Grenzgänger in die Schweiz, dh, er verließ die Schweiz als Arbeitsort.
Sein Pensionskassenguthaben wurde ihm aus der beruflichen Vorsorgeeinrichtung ausbezahlt.
Er übertrug das Pensionskassenguthaben auf ein Freizügigkeitskonto bei einer Schweizer Bankstiftung.
Im Jahr 2015, als der Beschwerdeführer sein 65. Lebensjahr vollendete, kam es zur Pensionskassenauszahlung in Höhe von umgerechnet € 89.548,95.
Rechtliche Würdigung
Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Rechtsgrundlagen:
Gemäß § 124b Z 53, letzter Satz, EStG 1988 sind Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen aufgrund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen.
Schweiz: Gemäß Art. 37 Abs. 1 BVG (Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen-und Invalidenvorsorge vom ) werden Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenleistungen in der Regel als Rente ausgerichtet.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 FZG (Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, Freizügigkeitsgesetz) haben Versicherte, welche die Vorsorgeeinrichtung verlassen, bevor ein Vorsorgefall eintritt (Freizügigkeitsfall), Anspruch auf eine Austrittsleistung.
Art. 3 Abs. 1 FZG: Treten Versicherte in eine neue Vorsorgeeinrichtung ein, so hat die frühere Vorsorgeeinrichtung die Austrittsleistung an die neue zu überweisen.
Art. 4 Abs. 1 FZG: Versicherte, die nicht in eine neue Vorsorgeeinrichtung eintreten, habe ihrer Vorsorgeeinrichtung mitzuteilen, in welcher zulässigen Form sie den Vorsorgeschutz erhalten wollen.
Art. 5 Abs. 1 FZG: Versicherte können die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wenn a. sie die Schweiz endgültig verlassen; vorbehalten bleibt Art. 25f;
b. sie eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen und der obligatorischen beruflichen Vorsorge nicht mehr unterstehen; oder
c. die Austrittsleistung weniger als ihr Jahresbeitrag beträgt.
Gemäß Art. 10 Abs. 1 FZV (Verordnung über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, Freizügigkeitsverordnung) wird der Vorsorgeschutz durch eine Freizügigkeitspolice oder durch ein Freizügigkeitskonto erhalten.
Gemäß Abs. 2 leg cit. gelten als Freizügigkeitspolicen besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Kapital- oder Rentenversicherungen, einschließlich allfälliger Zusatzversicherungen für den Todes- oder Invaliditätsfall bei
a. einer der ordentlichen Versicherungsaufsicht unterstellten Versicherungseinrichtung oder einer durch diese Versicherungseinrichtungen gebildeten Gruppe, oder
b. bei einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung nach Art. 67 Abs. 1 des BVG.
Gemäß Abs. 3 leg cit. gelten als Freizügigkeitskonten besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Verträge mit einer Stiftung, welche die Voraussetzungen nach Art. 19 erfüllt.
Strittig ist: Hatte der Beschwerdeführer in Bezug auf seine Freizügigkeitsleistung ein für die Anwendbarkeit der Begünstigung gemäß § 124b Z 53, letzter Satz, EStG 1988, schädliches Wahlrecht zwischen Kapital und Rente? Hätte er - anstatt die Freizügigkeitsleistung in kapitalisierter Form zu beziehen - die Möglichkeit gehabt, diese mit späterem Rentenanspruch in einer Freizügigkeitspolice anzulegen?
Grundsätzlich hat der VwGH in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass eine bestehende Wahlmöglichkeit zwischen dem Bezug einer Rente und einer (teilweisen) Kapitalabfindung der Anwendung der Drittelbegünstigung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 entgegensteht (vgl. ). Die Begünstigungsbestimmung bezweckt nämlich nicht eine allgemeine Progressionsmilderung in Fällen des zusammengeballten Bezuges von Einkünften. Vielmehr kann es nur in jenen Fällen unbillig sein, eine Pensionsabfindung zur Gänze tarifmäßig zu besteuern, in denen Grenzgänger tatsächlich keine andere Möglichkeit als die der Kapitalauszahlung haben. Ist eine Milderung des Progressionseffektes aber durch einen dem Abgabepflichtigen wahlweise freistehenden Bezug einer laufenden Rente möglich, liegt eine Unbilligkeit nicht vor (vgl. mit Hinweisen auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung).
In Bezug auf Fallkonstellationen, in denen - wie gegenständlich - der Abgabepflichtige das Vorsorgeverhältnis mit der beruflichen Pensionskasse vor Eintritt des Vorsorgefalles (Alter, Tod, Invalidität) beendet, dh also im Freizügigkeitsfall, hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom , Ra 2018/15/086, zu bedenken gegeben: "Hätte ein derartiger Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch aufrechterhalten werden können, wäre eine dennoch erfolgte Kapitalabfindung als begünstigungsschädlich zu beurteilen".
Dass die spätere Rentenleistung nicht von der Vorsorgeeinrichtung des früheren Arbeitgebers, sondern von einem "privaten Versicherungsunternehmen" erfolgt, steht hiebei der Annahme eines Wahlrechtes nicht entgegen, sofern ein Verbleib innerhalb des ausländischen Vorsorgesystems trotz Beendigung der Auslandstätigkeit möglich war und daraus ein späterer Rentenbezug hätte erfolgen können (/0003).
In Analyse der obenstehenden VwGH-Aussagen ergibt sich in Zusammenschau aller angeführten Ermittlungsergebnisse und rechtlichen Grundlagen: Im Freizügigkeitsfall besteht kein Wahlrecht zwischen Kapital und Rente, der Bezug der Austrittsleistung ist nur in kapitalisierter Form möglich.
Für den Beschwerdeführer stellt sich dies dar wie folgt:
Er verließ seinen Schweizer Arbeitgeber im Jahr 2005 vor Eintritt des Vorsorgefalles und hatte daher gemäß Art. 2 Abs. 1 FZG Anspruch auf eine Austrittsleistung (Freizügigkeitsleistung). Da er auch die Schweiz als Arbeitsort verließ, kam die Überweisung der Austrittsleistung an eine neue Schweizer Vorsorgeeinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 1 FZG nicht in Betracht. Er entschied sich - im Sinne des Art. 4 Abs. 1 FZG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 und 3 FZV - seine Freizügigkeitsleistung auf ein Freizügigkeitskonto bei einer Stiftung zu legen.
Die im Jahr 2015 erfolgte Barauszahlung seiner Freizügigkeitsleistung richtete sich sinngemäß nach Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG. Die Möglichkeit, die Freizügigkeitsleistung in Rentenform zu beziehen, gab es für ihn nicht (siehe oben, A., Antworten der OAK BV auf Frage 1.).
Ebenso wenig hätte der Beschwerdeführer - anders als von Finanzamtsseite noch in der Beschwerdevorentscheidung vertreten - die tatsächliche Möglichkeit gehabt, seine Freizügigkeitsleistung bei einer Versicherungseinrichtung im Sinne des Art. 10 Abs. 2 lit.ae a und b FZV mit späterem Rentenanspruch in einer Freizügigkeitspolice anzulegen. Wenn auch eine solche Anlageform aus rechtlicher Sicht nicht ausgeschlossen ist, wird sie von Schweizer Versicherungseinrichtungen tatsächlich nicht bzw. nicht mehr angeboten (siehe oben, A., Antworten der OAK BV auf Frage 3. sowie B., Antworten zu Fragen 1. und 2.).
Nicht zutreffend ist im Übrigen die seitens des Finanzamtes noch in der Beschwerdevorentscheidung vertretenen Rechtsauslegung, wonach die nicht aus einer Pensionskasse, sondern aus einer Freizügigkeitseinrichtung (Bankstiftung) erfolgte Auszahlung zum Verlust der Qualifikation als "Pensionsabfindung von Pensionskassen" im Sinne des § 124b Z. 53 EStG 1988 führe und daher die Drittelbegünstigung nicht zur Anwendung kommen könne (vgl. dazu etwa ).
Da der Beschwerdeführer somit nach allem Ausgeführten seine Freizügigkeitsleistung ausschließlich in kapitalisierter Form beziehen konnte, steht ihm die Drittelbegünstigung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 zu und es war wie im Spruch zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der Streitfrage gründet sich auf amtswegige, grenzüberschreitende Ermittlungsverfahren des BFG und des Finanzamtes, die unmissverständliche Feststellungen zum Schweizer Recht und der dazu in der Schweiz gepflogenen Interpretation möglich gemacht haben.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 906 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811 § 124b Z 53 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.1100094.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at