Erstattungsantrag nach Art. 239 ZK
Entscheidungstext
Im Namen der republik
Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinRi. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH, Währinger Straße 2-4, 1090 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes ***ZA1*** (nunmehr Zollamt Österreich) vom , ***5***, betreffend Erstattung/Erlass von Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung nach Art. 239 ZK, zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin (Bf.) die Erstattung/Erlass nach Art. 239 ZK der mit Bescheid vom , Zl. ***2***, vorgeschriebenen Einfuhrumsatzsteuer sowie Abgabenerhöhung. Unter einem wurde Fristverlängerung beantragt.
Begründet wurde der Antrag damit, die Bf. habe alle Pflichten, die ihr als Zollspediteur gesetzlich obliegen, eingehalten. Es sei ihr nicht bekannt gewesen, dass es sich bei dem von ihr vertretenen Empfänger um ein Scheinunternehmen gehandelt habe und dass ein Umsatzsteuerkarussell vorgelegen sei. Sie habe die UID Nr. des Empfängers auf Stufe 2 abgefragt. An eventuellen Steuerhinterziehungen des Empfängers seien weder sie noch ihre Mitarbeiter beteiligt. Sie habe weder betrügerisch noch mit offensichtlicher Fahrlässigkeit gehandelt.
Vorsichtshalber werde beantragt, die Antragsfrist zu verlängern. Das Zollamt habe in einem Parallelfall unter Berufung auf ein UFS Erkenntnis generell die Möglichkeit verneint, einen Antrag auf Erstattung nach Art. 239 ZK/§ 83 ZollR-DG in Verfahren 4200 wie diesen, zu stellen. Erst durch die jüngste Neufassung der ZK-4200 durch das BMF sei dies klargestellt worden. Es sei auch ein Musterverfahren zur Spediteurshaftung im Verfahren 4200 beim VwGH anhängig. Es sei daher für sie - jedenfalls bis zur Novelle der ZK-4200 - nicht erkennbar gewesen, ob ein Antrag nach Art. 239 ZK erforderlich sei. Diese Rechtsunsicherheit stelle einen berücksichtigungswürdigen Grund zur Fristverlängerung dar. Überdies wäre die Belastung des Spediteurs mit der Einfuhrumsatzsteuer, obwohl er sämtliche Pflichten erfüllt habe, infolge eines steuerunehrlichen Verhaltens des Empfängers im Empfangsland, grob unbillig und stelle auch dies einen berücksichtigungswürdigen Grund zur Fristverlängerung (und zur Gewährung der Erstattung) dar.
Das Zollamt wies mit Bescheid vom , ***2***, den Fristverlängerungsantrag ab und den Antrag auf Erstattung/Erlass nach Art. 239 ZK als verspätet zurück. Gemäß Art. 239 (2) ZK betrage die Frist zur Stellung eines Erstattungs- bzw. Erlassantrages zwölf Monate nach Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner.
Der Bescheid Zl. ***2***, mit dem die buchmäßige Erfassung der Abgaben mitgeteilt wurde, sei am vom Geschäftsführer der Bf. persönlich übernommen worden.
Der Antrag auf Erstattung/Erlass vom (Postaufgabe) sei daher verspätet. Nur in begründeten Ausnahmefällen könne die zwölf Monatsfrist von den Zollbehörden verlängert werden. Der Begriff "in begründeten Ausnahmefällen" sei eng auszulegen. Die von der Bf. zitierte ZK-4200 sei bereits am in der Findok veröffentlicht worden. Außerdem habe die Bf. bereits im März 2012 Erstattungs-/Erlassanträge zu ähnlichen Bescheiden gestellt. Weiters verwies das Zollamt auf die Entscheidung des , wonach selbst bei Rechtswidrigkeit einer gesetzlichen Bestimmung dies nicht als ungewöhnlicher Umstand betrachtet worden sei, der ein Hindernis für eine fristgerechte Stellung eines Antrags darstelle.
In der Beschwerde gegen den Bescheid wurde vorgebracht, Art. 239 Abs. 2 ZK sehe eine Fristverlängerung in jedem begründeten Ausnahmefall und nicht nur bei höherer Gewalt oder einem unvorhersehbaren Ereignis vor. Die vom Zollamt zitierte EuGH Entscheidung sei zur dreimal so langen Frist des Art. 236 ZK ergangen und daher nicht einschlägig. Im Übrigen sei der Antrag nur 6 Tage nach Fristende eingebracht worden während das Zollamt mehr als 6 Jahre für die Entscheidung gebraucht habe. Dies müsse bei der Ermessensentscheidung Berücksichtigung finden.
Die in Art 239 (2) ZK vorgesehene Fristverlängerungsmöglichkeit sei funktionell einem Wiedereinsetzungsantrag ähnlich; wie aus der nationalen Vorschrift der §§ 308-310 BAO folge, schließe selbst ein Verschulden der Partei eine Wiedereinsetzung nicht aus, wobei Art. 239 (2) ZK gerade keine Einschränkung auf einen bloß minderen Grad des Versehens vorschreibe. Daher können alle Gründe, gleichgültig ob sie aus der Sphäre des Abgabenpflichtigen, dessen Vertreters, der Abgabenbehörden oder aus der neutralen Sphäre stammen, berücksichtigt werden.
Hinzu komme, dass im 1. Halbjahr 2012 ein Musterverfahren zur Frage der Haftung des Spediteurs der Antragstellerin zwar anhängig (UFS ZRV/0032-Z2L/10), aber noch nicht, weil beim VwGH ein anhängiges Verfahren abgewartet worden sei, rechtskräftig entschieden war. Die Frage, ob ein Antrag nach Art. 239 ZK erforderlich sei, war daher noch nicht geklärt.
Dass bei einem der zahlreichen Verfahren ein Antrag gem. Art 239 ZK und gerade einmal 5 Tage verspätet eingebracht wurde, weil der Umstand, dass zu diesem einen Akt versehentlich bis zum kein Antrag eingebracht worden sei, im Zuge einer routinemäßigen Aktenkontrolle aufgefallen sei, stelle daher allenfalls ein Versehen minderen Grades dar und damit ebenfalls einen berücksichtigungswürdigen Grund für die beantragte Verlängerung der Frist.
Dass grundsätzlich keine Bedenken dagegen bestehen, die Frist zur Stellung eines Antrags wegen Billigkeit sogar auf bis zu drei Jahre (und daher sogar um das Vielfache der hier in Rede stehenden 6 Tage) zu verlängern zeige der UZK, denn dort sei die Frist für solche Anträge gleich auf 3 Jahre verlängert worden (Art 121 (1) a) UZK). Auch diese zwischenzeitliche Rechtsentwicklung - das Zollamt habe über den Antrag ja erst nach Inkrafttreten des UZK entschieden - sei bei der Ermessensentscheidung über die Fristverlängerung zu berücksichtigen.
Schließlich spreche auch der vorliegende Sachverhalt für die Gewährung der geringfügigen Fristverlängerung. Denn es sei wohl evident, dass die Belastung der Bf, die unbestritten sämtliche Verpflichtungen eingehalten habe, mit einer EUSt, die für sie nicht als Vorsteuer abziehbar sei, gröblich unbillig sei und eine solche Erstattung, wie der VwGH in zB. Ra 2016/16/0059 gerade betreffend der gegenständlichen Abgabenvorschreibung bestätigt habe, auch grundsätzlich zu gewähren. Diese Billigkeitsentscheidung wegen einer bloß geringfügigen Fristüberschreitung zu verwehren und dies über 5 Jahre nach Stellung des Antrags, sei ebenfalls gröblich unbillig.
Das Zollamt wies mit Beschwerdevorentscheidung vom , ***3***, die Beschwerde als unbegründet ab.
Im Vorlageantrag vom wiederholte die Bf. im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Sie habe bei der Durchführung der Verfahren 4200 alle ihr obliegenden Verpflichtungen eingehalten, die ihr vorgeschriebene Einfuhrumsatzsteuer sei jedoch nicht als Vorsteuer abziehbar. Die Verweigerung der Billigkeitsentscheidung wegen der bloß geringfügigen Fristüberschreitung von 5 Tagen, sei gröblichst unbillig.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Zur Abweisung des Fristverlängerungsantrages:
Weder die Vorschriften des Zollkodex noch die Vorschriften des Unionszollkodex enthalten Bestimmungen über einen gesonderten Antrag und eine gesonderte Entscheidung betreffend die Verlängerung der Frist des Art. 236 Abs. 2 ZK oder des Art. 121 Abs. 1 UZK. Eine solche Verlängerung erfordert keinen formellen Antrag auf Fristverlängerung. Der Antragsteller hat lediglich seinen außerhalb der Dreijahresfrist gestellten Antrag damit zu begründen (und nachzuweisen), dass die Voraussetzungen für eine verlängerte Frist vorliegen.
Somit ist eine abgesonderte Entscheidung über die Fristverlängerung weder vorgesehen noch erforderlich.
Gelangt die Behörde zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Frist vorliegen, dann hat sie, ohne über die Frist spruchmäßig zu entscheiden, über einen Antrag auf Erstattung oder Erlass inhaltlich abzusprechen.
Gelangt die Behörde jedoch zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Frist nicht vorliegen, dann hat sie den Antrag als verspätet zurückzuweisen und in der Begründung auf ein Vorbringen in einem allfälligen Fristverlängerungsantrag - wie bei verfahrensleitenden Anbringen - einzugehen (-6).
Zur Frage der Rechtzeitigkeit des Antrages:
Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar, während materiell-rechtliche Vorschriften gewöhnlich so ausgelegt werden, dass sie grundsätzlich nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten (, EU:C2006:136).
Bei den Vorschriften über Erstattung/Erlass von Einfuhrabgaben handelt es sich um materiell-rechtliche Vorschriften. Dies gilt sowohl für Art. 236 und Art. 239 ZK sowie für Art. 116 Abs. 1 UZK, der die Erlass- bzw. Erstattungsvorschriften der Art. 236 und 239 ZK ohne grundsätzliche Änderungen übernommen hat. Soweit diese Vorschriften auch Verfahrensvorschriften (zB. Antragsfrist) beinhalten, kommen die Bestimmungen des UZK zur Anwendung.
Artikel 121 UZK Verfahren für die Erstattung und den Erlass
(1) Anträge auf Erstattung oder Erlass nach Artikel 116 sind innerhalb der folgenden Fristen bei den Zollbehörden zu stellen:
a) im Falle von zu hoch bemessenen Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbeträgen, Irrtümern der zuständigen Behörden oder Billigkeit: innerhalb von drei Jahren nach Mitteilung der Zollschuld,
b)..
c)..
Die Fristen des Unterabsatzes 1 Buchstaben a und b werden verlängert, wenn der Antragsteller nachweist, dass er den Antrag infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt nicht fristgerecht stellen konnte.
(2) Sind die Zollbehörden nicht in der Lage, anhand der angeführten Gründe die Erstattung und den Erlass eines Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags zu gewähren, so sind sie verpflichtet, den Sachverhalt des betreffenden Antrags auf Erstattung oder Erlass im Lichte anderer Gründe für eine Erstattung oder einen Erlass gemäß Artikel 116 zu prüfen.
(3) Ist nach Artikel 44 ein Rechtsbehelf gegen die Mitteilung der Zollschuld eingelegt worden, so wird die Frist des Absatzes 1 Unterabsatz 1 ab dem Tag der Einlegung des Rechtsbehelfs für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens ausgesetzt.
(4) Gewährt eine Zollbehörde eine Erstattung oder einen Erlass gemäß den Artikeln 119 und 120, so unterrichtet der betreffende Mitgliedstaat die Kommission davon
Art. 121 Abs. 3 UZK stellt eine Neuerung gegenüber dem bisherigen Recht dar, indem die Antragsfrist für alle Anträge nach Art. 121 (1) durch einen Rechtsbehelf nach Art. 44 gegen die Mitteilung der Zollschuld ausgesetzt wird. Durch diese Vorschrift kann der Zollschuldner die Rechtmäßigkeit der Mitteilung der Zollschuld innerhalb der regelmäßigen Rechtsbehelfsfristen (§ 355 (1) AO, § 245 BAO) überprüfen lassen, bevor er einen Erlass- oder Erstattungsantrag stellt, und zwar unabhängig von dessen Rechtsgrundlage in den Art. 116 (1) UA 2, 117 bis 120. Damit erübrigt sich die bisher übliche vorsorgliche Antragstellung (Witte/Alexander, UZK Art. 121 Rz.6).
Die Mitteilung der Zollschuld erfolgte mit Bescheid vom , ***2***. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom Beschwerde eingebracht.
Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5200053/2012, (zugestellt ) wurde die Beschwerde teilweise als unbegründet abgewiesen.
Da die Antragsfrist während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens ( bis ) ausgesetzt ist, gilt der Antrag vom als rechtszeitig eingebracht.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
1.1. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die ordentliche Revision ist zulässig, weil eine Rechtsprechung zur Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs der Erstattungsvorschriften der Art. 116 ff UZK fehlt.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 245 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 245 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 133 Abs. 4 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.1200019.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at