Polizeigrundausbildung als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom (Eingang ) gegen den Bescheid des Finanzamtes Bruck Leoben Mürzzuschlag (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Familienbeihilfe 6/2019 bis 5/2021, Steuernummer ***1***, SVNR ***2***, für den Sohn ***3***, geboren am ***4***, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird für den Zeitraum 6/2019 bis 1/2021 aufgehoben.
Für den Zeitraum 2/2021 bis 5/2021 wird die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (BF) stellte am einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihren Sohn ***3*** wegen Ausbildung ab . Der Sondervertrag gemäß § 36 VBG 1948 für die exekutivdienstliche Verwendung lag dem Antrag bei.
Der Antrag wurde am mit der Begründung abgewiesen, dass Grundausbildungen oder sonstige Ausbildungsphasen, die öffentlich Bedienstete in der ersten Zeit ihres Dienstverhältnisses absolvieren, als Berufsausübung und nicht als Berufsausbildung laut VwGH-Erkenntnis vom , Ra 2018/16/0203 anzusehen seien.
Gegen diesen Abweisungsbescheid wurde mit Eingang am eine Beschwerde eingebracht, mit der Begründung, dass der Sohn keine fremden- und grenzpolizeiliche exekutivdienstliche Ausbildung absolviere, sondern eine 24-monatige durchgehende Ausbildung und diese durchaus als Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 anzusehen sei.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, unter anderem mit der Begründung, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ra 2018/16/0203, das Vorliegen einer Berufsausbildung für die gesamte Grundausbildung oder Ausbildungsphase von öffentlich Bediensteten verneint und dies als Berufsausübung qualifiziert habe und es daher unerheblich sei, ob eine Grundausbildung, praktische Verwendung oder Ergänzungsausbildung absolviert werde.
Am wurde gegen diese Beschwerdevorentscheidung ein Vorlageantrag eingebracht.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Sohn der BF ist am ***4*** geboren, bei dieser haushaltszugehörig und hat mit 6/2019 mit der 24 Monate dauernden Grundausbildung zum Exekutivdienst begonnen.
Der Sohn hat einen auf 24 Monate befristeten Sondervertrag (wie bei Polizeischülern üblich) gem. § 36 VBG 1948 für die exekutivdienstliche Ausbildung mit der Landespolizeidirektion ***5*** auf Basis Vollbeschäftigung abgeschlossen und die Ausbildung am begonnen.
Ende Jänner 2021 legte er erfolgreich die Dienstprüfung ab. Ab 2/2021 absolviert er das Berufspraktikum II und ist als Polizist tätig.
Der Ausbildung liegt der Ausbildungsplan für die Polizeigrundausbildung (Grundausbildung für den Exekutivdienst) zugrunde. Der Ausbildungsplan beinhaltet eine Stundentafel samt Lehrplan. Grundlage für den Ausbildungsplan ist die Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Grundausbildungen für den Exekutivdienst (Grundausbildungsverordnung - Exekutivdienst BMI, BGBl. II Nr. 153/2017) in der geltenden Fassung.
Die Ausbildung umfasst laut Stundentafel 2.612 Unterrichtseinheiten.
Diese Verordnung regelt gemäß § 1 Z 1 für den Ressortbereich des Bundesministeriums für Inneres (BMI) die Grundausbildung für den Exekutivdienst - Polizeigrundausbildung (Anlage 1).
Die Grundausbildung wird nach § 9 der Verordnung durch die Ablegung einer Dienstprüfung vor einem Prüfungssenat (§ 11 der Verordnung) abgeschlossen.
Nach dem Ausbildungsplan der Sicherheitsakademie des Bundesministeriums für Inneres zur Grundausbildung für den Exekutivdienst gliedert sich die zweijährige Grundausbildung in die
Basisausbildung (12 Monate Theorie),
das Berufspraktikum I - Kennenlernen des Dienstbetriebes - (3 Monate),
die Vertiefung der Ausbildung (5 Monate Theorie mit anschließender Dienstprüfung)
und das viermonatige Berufspraktikum II (nach der Dienstprüfung).
Der Sohn der BF hat die Dienstprüfung Ende Jänner 2021 abgelegt.
Im Ausbildungsplan werden Struktur und Ausbildungsziele der Polizeigrundausbildung wie folgt beschrieben:
Die Polizeigrundausbildung soll den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes durch praxisnahe Lehre unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden jene Kompetenzen vermitteln, die im Kompetenzprofil für den uniformierten Polizeidienst als relevant definiert wurden. Die Schwerpunkte der polizeilichen Grundausbildung sind Handlungssicherheit und Bürgernähe auf Basis menschenrechtskonformen Verhaltens.
BASISAUSBILDUNG - 12 MONATE
Die Polizeibediensteten sollen jenes rechtliche sowie einsatztaktische und - technische Basiswissen erlangen, das sie für den Dienst in einer Polizeiinspektion (PI) benötigen. Die Wissensvermittlung soll kompetenzorientiert und praxisnah unter Vernetzung aller Ausbildungsinhalte erfolgen.
BERUFSPRAKTIKUM I - KENNENLERNEN DES DIENSTBETRIEBES - 3 MONATE
Das Berufspraktikum dient zur Vermittlung des für die Verwendung in einer Polizeiinspektion nötigen dienstbetrieblichen Wissens sowie der Beurteilung der persönlichen und fachlichen Eignung für den exekutiven Außendienst. Die Polizeibediensteten werden dabei, ohne zum Personalstand der Praktikumsdienststelle zu zählen, von Exekutivbediensteten geschult und betreut.
VERTIEFUNG - 5 MONATE
Die Polizeibediensteten sollen die Ausbildungsinhalte, Erlebnisse und Erfahrungen des Berufspraktikums reflektieren. Darüber hinaus sollen sie das in der Basisausbildung erworbene Wissen vertiefen und mit den Ausbildungsinhalten des Berufspraktikums vernetzen.
BERUFSPRAKTIKUM II - EINFÜHRUNG IN DEN DIENSTBETRIEB - 4 MONATE
Während der Einführung in den Dienstbetrieb werden die Auszubildenden von Exekutivbediensteten kontinuierlich in den Dienstbetrieb ihrer Polizeidienststelle eingeführt.
Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage, den Angaben der BF und ihres Sohnes im Vorhalteverfahren und dem Ausbildungsplan des BMI.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 323b Abs. 1 BAO treten das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes.
Zu Spruchpunkt I. ( teilweise Stattgabe)
Nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. g FLAG 1967 verlängert sich der Anspruchszeitraum für volljährige Kinder, die in dem Monat, in dem sie das 24. Lebensjahr vollenden, den Präsenz- oder Ausbildungsdienst oder Zivildienst leisten oder davor geleistet haben, bis längstens zur Vollendung des 25. Lebensjahres, sofern sie nach Ableistung des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder Zivildienstes für einen Beruf ausgebildet werden.
Nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Nach § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind dann zum Haushalt einer Person, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn
a) sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält,
b) das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt,
c) sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, wenn die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, erhöht sich dieser Betrag um den Erhöhungsbetrag für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4).
Entgegen seiner im Erkenntnis, , geäußerten Erwägungen in Rz 16 ff, präzisiert der VwGH gemäß den Erkenntnissen, , und (Rz 32) nunmehr, dass die am Beginn des Exekutivdienstes stehende "Basisausbildung" mit Lehrplan und Stundentafel, die - abgesehen allenfalls von einer Ausbildung im Waffengebrauch, in Selbstverteidigung oder im Sport - in theoretischen Unterweisungen, Aufgabenstellungen, Übungen und Arbeiten besteht, noch eine Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 darstellt.
Weiters hob der Verwaltungsgerichtshof in letzterer Entscheidung hervor, dass das von einer Absolventin eines Lehramtsstudiums absolvierte Unterrichtspraktikum eine Einschulung am Arbeitsplatz im Beruf eines Lehrers und keine Berufsausbildung mehr darstelle (Rz 26, 27). Dagegen stelle die Ableistung der Gerichtspraxis durch einen Rechtspraktikanten eine Berufsausbildung dar, da es sich dabei um eine Berufsvorbildung und keine Einschulung am Arbeitsplatz handle (Rz 28).
Angesichts dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung stellen jedenfalls die oben dargestellte zwölfmonatige Basisausbildung (laut Ausbildungsplan "12 Monate Theorie") und die fünfmonatige Vertiefung dieser Basisausbildung (laut Ausbildungsplan "5 Monate Theorie mit anschließender Dienstprüfung") eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG dar.
Das zwischen diesen beiden Theorie-Ausbildungsblöcken zu absolvierende Berufspraktikum I dient nach dem Ausbildungsplan der Vermittlung des für die Verwendung in einer Polizeiinspektion nötigen dienstbetrieblichen Wissens sowie der Beurteilung der persönlichen und fachlichen Eignung für den exekutiven Außendienst. Die Polizeibediensteten werden dabei, ohne zum Personalstand der Praktikumsdienststelle zu zählen, von Exekutivbediensteten geschult und betreut. Dieser Teil der Ausbildung stellt somit eine typische Form der Vermittlung praktischer Grundkenntnisse dar, die nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls unter die Berufsausbildung fällt (vgl. ). Auch der Umstand, dass dieses Praktikum vor Ablegung der Dienstprüfung geleistet wird, spricht dafür, dass das Berufspraktikum I noch keine Berufsausübung darstellt.
Anderes gilt dagegen für das Berufspraktikum II. In diesem werden "während der Einführung in den Dienstbetrieb die Auszubildenden von Exekutivbediensteten kontinuierlich in den Dienstbetrieb ihrer Polizeidienststelle eingeführt". Dieses nach Ablegung der Dienstprüfung zu absolvierende Praktikum ist damit vergleichbar mit dem von einer Absolventin eines Lehramtsstudiums geleisteten Unterrichtspraktikum am Arbeitsplatz.
Insofern liegt keine Berufsausbildung mehr vor, sondern bereits eine Einschulung im Beruf des Polizisten am Arbeitsplatz (vgl. ; ; ; ; ; ; ; ; ).
Hier wird der Ausgebildete schon als Polizist tätig.
Im Ergebnis stellen daher die ersten drei Teile der im Ausbildungsplan der Sicherheitsakademie des Bundesministeriums für Inneres zur Grundausbildung für den Exekutivdienst angeführten Teile (Basisausbildung, Berufspraktikum I und Vertiefung der Basisausbildung samt Dienstprüfung) eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 dar.
Der Sohn der BF hat im Juni 2019 mit der Basisausbildung im Exekutivdienst begonnen. Somit liegt iSd Erkenntnisse des VwGH beim Sohn eine Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ab Juni 2019 vor.
Berufsausbildung ist für die ersten drei Teile der Ausbildung anzunehmen.
Beim Berufspraktikum II (nach der Dienstprüfung Ende Jänner 2021) liegt bereits eine Berufsausübung als Polizist vor, da dieses nach der Dienstprüfung erfolgt und einer Einschulung am Arbeitsplatz gleichzusetzen ist.
Der Sohn der BF befindet sich demnach im beschwerdegegenständlichen Zeitraum 6/2019 bis 1/2021 in Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 und vermittelt für diesen Zeitraum den Anspruch auf Familienbeihilfe.
Für den auch beschwerdegegenständlichen Zeitraum 2/2021 bis 5/2021 liegt keine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 mehr vor, sondern bereits Berufsausübung als Polizist.
Für diesen Zeitraum war die Beschwerde abzuweisen.
Das FLAG 1967 kennt keine bescheidmäßige Zuerkennung von Familienbeihilfe. Gleiches gilt für den gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 gemeinsam mit der Familienbeihilfe auszuzahlenden Kinderabsetzbetrag.
Ob die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 FLAG 1967 vorliegen, wird das Finanzamt zu berücksichtigen haben.
Steht wie im beschwerdegegenständlichen Fall Familienbeihilfe zu, ist diese gemäß § 11 FLAG 1967 vom Finanzamt auszuzahlen und darüber vom Finanzamt gemäß § 12 FLAG 1967 eine Mitteilung auszustellen. Diese Mitteilung ist nicht rechtskraftfähig. Nur wenn einem Antrag auf Familienbeihilfe nicht oder nicht zur Gänze stattzugeben ist, ist hinsichtlich des (monatsbezogenen) Abspruchs über die Abweisung gemäß § 13 Satz 2 FLAG 1967 ein Bescheid (Abweisungsbescheid) auszufertigen (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Auflage 2020, § 26 Rz 3 mwN).
Hält die Antragstellerin die zur Auszahlung kommende Familienbeihilfe für falsch, kann diese einen Antrag auf Auszahlung eines anderen Betrages stellen, über den dann das Finanzamt gesondert abzusprechen haben wird mit vollem Rechtsschutz mittels Beschwerde für die Antragstellende.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung folgt der VwGH-Rechtsprechung, insbesondere und den hier angeführten Verweisen.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.2100363.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at