Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.04.2021, RV/1100601/2016

Besteuerung einer als Einmalbetrag ausbezahlten Freizügigkeitsleistung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Peter Steurer in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf1-Adr***, gegen den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2015 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2015 fest, wobei ein von einer schweizerischen Freizügigkeitsstiftung im Februar 2015 ausbezahltes Freizügigkeitsguthaben in Höhe von 74.804,35 CHF zur Gänze erfasst wurde.

2. In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, er habe vom Finanzamt auf Anfrage Ende Jänner 2015 die Auskunft erhalten, dass ein Drittel der Kapitalauszahlung steuerfrei sei. Nach der Auszahlung des Kapitals im Februar 2015 seien ihm mit Bescheid vom die Einkommensteuervorauszahlungen für 2015 unter Berücksichtigung der begünstigten Besteuerung der Kapitalauszahlung vorgeschrieben worden und jetzt werde diese plötzlich zur Gänze erfasst.

3. Nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom im Wesentlichen mit der Begründung, dass dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2009/15/0188, zufolge keine "Abfindung" im Sinne des § 124b Z 53 EStG 1988 vorliege, wenn ein Anwartschaftsberechtigter im Rahmen einer obligatio alternativa ein freies Wahlrecht zwischen mehreren Ansprüchen habe und damit kein Zwang zur Inanspruchnahme der Kapitalauszahlung bestehe, als unbegründet ab.

4. Mit (infolge Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) fristgerechtem Vorlageantrag wurde die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht beantragt.

II. Sachverhalt, Beweismittel und Beweiswürdigung

Der im Jahr 1953 geborene Beschwerdeführer war bis in der Schweiz als Grenzgänger nichtselbständig tätig und hat in der Folge eine nichtselbständige Tätigkeit im Inland aufgenommen. Das zum Zeitpunkt des Verlassens der Schweiz bei der betrieblichen Vorsorgeeinrichtung bestehende Altersguthaben wurde auf ein Freizügigkeitskonto überwiesen. Anlässlich seiner Pensionierung ließ er sich im Februar 2015 das auf dem Freizügigkeitskonto befindliche Guthaben in Höhe von 74.804,35 CHF ausbezahlen, wobei weder zum Zeitpunkt der Überweisung des Altersguthabens auf das Freizügigkeitskonto noch zum Zeitpunkt der Auszahlung des Kapitals eine Möglichkeit bestand, den Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch aufrechtzuerhalten.

Die Feststellungen betreffend die Überweisung des Altersguthabens auf ein Freizügigkeitskonto und die Auszahlung des Guthabens im Streitjahr sind nicht strittig und ergeben sich aus den aktenkundigen Unterlagen. Hinsichtlich des Bestehens einer Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes mit Rentenanspruch hat das Bundesfinanzgericht, nachdem der Verwaltungsgerichtshof mehrere Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichtes, in denen im Zusammenhang mit dem endgültigen Verlassen der Schweiz bzw. des Fürstentums Liechtenstein ausbezahlte Freizügigkeitsleistungen als gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 begünstigte Pensionsabfindungen beurteilt wurden, mit der Begründung, das Bundesfinanzgericht habe keine konkreten Feststellungen darüber getroffen, ob nach der schweizerischen bzw. liechtensteinischen Rechtslage und der hiezu in der Schweiz bzw. im Fürstentum Liechtenstein gepflogenen Interpretation sowie den tatsächlichen Gegebenheiten eine Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes durch Abschluss einer prämienfreien Freizügigkeitspolice mit späterem Rentenanspruch möglich gewesen wäre, aufgehoben hatte (vgl. ua. , und ), hat das Bundesfinanzgericht entsprechende Auskunftsersuchen an verschiedene eidgenössische und liechtensteinische Stellen (Schweizerischer Pensionskassenverband, Bundesamt für Sozialversicherungen, Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge, Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, Schweizerischer Versicherungsverband, Finanzmarktaufsicht Liechtenstein, Liechtensteinischer Pensionskassenverband, Liechtensteinischer Versicherungsverband) gerichtet.

Die eingegangenen Stellungnahmen (die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, der Schweizerische Versicherungsverband und der Liechtensteinische Versicherungsverband haben sich für nicht zuständig erklärt) hat das Bundesfinanzgericht den Finanzämtern Bregenz und Feldkirch mit dem Hinweis, dass daraus nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes eine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Anspruches auf eine Altersrente nicht abgeleitet werden könne und, sofern die Finanzämter weiterhin vom Bestehen eines begünstigungsschädlichen Wahlrechtes ausgehen sollten, konkrete Versicherungsgesellschaften namhaft zu machen seien, die tatsächlich Freizügigkeitspolicen mit Anspruch auf eine spätere Auszahlung in Rentenform auf dem freien Markt angeboten hätten, zur Stellungnahme übermittelt.

Das nunmehrige Finanzamt Österreich, Dienststelle Vorarlberg (FA98), hat daraufhin am mitgeteilt, dass 33 liechtensteinische und schweizerische Versicherungsunternehmen (einschließlich schweizerischer Versicherungsunternehmen die in Liechtenstein im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zugelassen sind) um Auskunft ersucht worden seien, ob Freizügigkeitspolicen mit Anspruch auf eine spätere Auszahlung in Rentenform angeboten würden bzw. in der Vergangenheit angeboten worden seien (Frage 1) oder andernfalls die Möglichkeit bestehe bzw. bestanden habe, den Vorsorgeschutz in Rentenform durch Abschluss einer Freizügigkeitspolice im Wege eines individuellen Einzelvertrages aufrechtzuerhalten (Frage 2). Davon hätten insgesamt 24 (13 liechtensteinische und 11 schweizerische) Versicherungsunternehmen geantwortet, wobei 22 Versicherungsunternehmen beide Fragen verneint hätten, ein Versicherungsunternehmen die erste Frage verneint und die zweite Frage unter Verweis auf eine notwendige Abstimmung mit der liechtensteinischen Steuerverwaltung nicht beantwortet habe und ein Versicherungsunternehmen keine der beiden Fragen beantwortet habe, da eine Beantwortung nur im Wege eines Rechtshilfeersuchens möglich wäre.

Die durchgeführten Ermittlungen (dazu ausführlich , betreffend Liechtenstein, sowie , und , betreffend die Schweiz) haben somit keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bezüglich der Austrittsleistung im Falle des endgültigen Verlassens der Schweiz eine Möglichkeit bestanden hätte, den Vorsorgeschutz mit Anspruch auf eine spätere Rentenzahlung durch den Abschluss einer Freizügigkeitspolice aufrechtzuerhalten.

III. Rechtsgrundlagen und rechtliche Würdigung

§ 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002, lautet:

"Zahlungen für Pensionsabfindungen, deren Barwert den Betrag im Sinne des § 1 Abs. 2 Z 1 des Pensionskassengesetzes übersteigt, sind gemäß § 67 Abs. 10 im Kalendermonat der Zahlung zu erfassen. Dabei ist bei Pensionsabfindungen, die im Jahre 2001 zufließen, nach Abzug der darauf entfallenden Beiträge im Sinne des § 62 Z 3, 4 und 5 ein Viertel steuerfrei zu belassen. Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen sind nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen."

Der letzte Satz wurde der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 mit BGBl. I Nr. 54/2002 angefügt. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP 2) wird dazu ausgeführt:

"Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik betrifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu besteuern".

Nach Art. 13 Abs. 1 des Schweizer Bundesgesetzes vom über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge (BVG) haben Männer, die das 65. Altersjahr zurückgelegt haben und Frauen, die das 64. Altersjahr zurückgelegt haben, Anspruch auf Altersleistungen. Abweichend davon können nach Art. 13 Abs. 2 BVG die reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung vorsehen, dass der Anspruch auf Altersleistungen mit der Beendigung der Erwerbstätigkeit entsteht.

Gemäß Art. 37 Abs. 1 BVG werden Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenleistungen in der Regel als Rente ausgerichtet. Die Vorsorgeeinrichtung kann in ihrem Reglement nach Art. 37 Abs. 4 lit. a BVG jedoch vorsehen, dass die Anspruchsberechtigten an Stelle einer Rente eine Kapitalabfindung wählen können.

Nach Art. 2 Abs. 1 des Schweizer Bundesgesetzes vom über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsgesetz, FZG) haben Versicherte, welche die Vorsorgeeinrichtung verlassen, bevor ein Vorsorgefall eintritt (Freizügigkeitsfall), Anspruch auf eine Austrittsleistung.

Die Austrittsleistung wird mit dem Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung fällig (Art. 2 Abs. 3 FZG). Treten Versicherte in eine neue Vorsorgeeinrichtung ein, so hat gemäß Art. 3 Abs. 1 FZG die frühere Vorsorgeeinrichtung die Austrittsleistung an die neue zu überweisen. Versicherte, die nicht in eine neue Vorsorgeeinrichtung eintreten, haben gemäß Art. 4 Abs. 1 FZG ihrer Vorsorgeeinrichtung mitzuteilen, in welcher zulässigen Form sie den Vorsorgeschutz erhalten wollen.

Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung vom über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsverordnung, FZV) wird der Vorsorgeschutz durch eine Freizügigkeitspolice oder durch ein Freizügigkeitskonto erhalten. Als Freizügigkeitspolicen gelten besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Kapital- oder Rentenversicherungen, einschließlich allfälliger Zusatzversicherungen für den Todes- oder Invaliditätsfall bei einer dort angeführten Versicherungseinrichtung (Art. 10 Abs. 2 FZV), als Freizügigkeitskonten besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Verträge mit einer Stiftung, welche die Voraussetzungen nach Art. 19 erfüllt (Art. 10 Abs. 3 FZV).

Gemäß Art. 5 Abs. 1 FZG können Versicherte die Barauszahlung der Austrittsleistung ua. verlangen, wenn sie die Schweiz endgültig verlassen (lit. a). Dies gilt nach Art. 25f Abs. 1 FZG ua. nicht, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch versichert sind (lit. a).

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. ua. , , und , mwN). Begünstigungsschädlich ist sohin eine Wahlmöglichkeit zwischen einem Rentenbezug und einer Kapitalauszahlung (vgl. , sowie jüngst bis 0183).

In Fällen, in denen das Vorsorgeverhältnis mit der betrieblichen Pensionskasse des bisherigen Schweizer bzw. liechtensteinischen Dienstgebers infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses vor Eintritt des Vorsorgefalles beendet wurde, ist daher, wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat, entscheidend, ob ein Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung im Rahmen einer Freizügigkeitspolice hätte aufrechterhalten werden können (betreffend Liechtenstein vgl. ua. , und ; betreffend die Schweiz vgl. ua. , mwN, und , mwN). Es könne nicht von einem Zwang zur Pensionsabfindung ausgegangen werden, wenn dem Abgabepflichtigen nach Beendigung der nichtselbständigen Tätigkeit die Möglichkeit offen gestanden wäre, sich für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice zu entscheiden und daraus später "Altersleistungen in Rentenform" zu beziehen (vgl. , mwN).

Nachdem der Beschwerdeführer, wie oben festgestellt, keine Möglichkeit hatte, den schweizerischen Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung aufrechtzuerhalten, sind die Voraussetzungen für eine Besteuerung gemäß § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 gegeben und war der Beschwerde daher Folge zu geben.

IV. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die im Beschwerdefall strittige Frage, ob hinsichtlich der dem Beschwerdeführer ausbezahlten Freizügigkeitsleistung die Voraussetzungen für eine begünstigte Besteuerung gemäß § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 gegeben sind, wurde auf Grundlage der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie der angeführten Sachverhaltsfeststellungen beurteilt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Artikel 133 Abs. 4 B-VG wird durch das vorliegende Erkenntnis somit nicht berührt. Eine (ordentliche) Revision ist daher nicht zulässig.

Feldkirch, am

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ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.1100601.2016

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