zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 30.03.2021, RV/7100253/2021

Aufhebung gemäß § 278 Abs.1 BAO

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Andrea Müller-Dobler MBA MSc in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch die PKF Centurion Wirtschaftsprüfungs GmbH, Hegelgasse 8, 1010 Wien, über die (gemäß § 253 BAO auch als gegen den Umsatzsteuerbescheid 2013 gerichtet geltende) Beschwerde vom gegen die Bescheide betreffend Umsatzsteuerfestsetzungen für die Zeiträume 06/2012 sowie 07/2012 des FA Wien 2/20/21/22 vom beschlossen:

I. Der Umsatzsteuerbescheid 2013 wird gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.

II. Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 iVm Abs. 9 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Hinsichtlich des Sachverhaltes und des bisherigen Verfahrensganges wird auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , GZ RV/7102121/2013 verwiesen.

Dieses Erkenntnis wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. Ra 2019/13/0075 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, wobei der Verwaltungsgerichtshof die Rechtswidrigkeit wie folgt begründete:

"…

Es entspricht der ständigen - neueren - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt. Die Steuerverwaltung darf das Recht auf Vorsteuerabzug in einem solchen Fall nicht verweigern, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für dieses Recht geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Sie hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen (vgl. zuletzt , mwN).

31 Anders verhält es sich, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden. Ebenso ist das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Wusste der Steuerpflichtige, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, oder hätte er dies wissen müssen, so ist der Vorsteuerabzug zu verweigern (vgl. neuerlich , mwN; SC C.F., C-430/19, Rn. 43).

32 Die für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug erforderlichen materiellen Voraussetzungen sind in Art. 168 Buchstabe a der Richtlinie 2006/112/EG aufgezählt. Demnach ist es erforderlich, dass der Betroffene Steuerpflichtiger (im Sinne der Richtlinie) ist und dass die zur Begründung des Abzugsrechts angeführten Leistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und dass diese Leistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht wurden (vgl. wiederum , mwN).

33 Zunächst ist festzuhalten, dass die Eigenschaft einer Person als Unternehmer ("Steuerpflichtiger" im Sinne der Richtlinie 2006/112/EG) nicht davon abhängt, ob die Pflichten zur Abgabe einer Steuererklärung und zur Entrichtung der Mehrwertsteuer erfüllt werden (vgl. PPUH Stehcemp, C-277/14, Rn. 39). Der Vorsteuerabzug der Revisionswerberin kann demnach - entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts - nicht bereits mit der Begründung versagt werden, dass die N GmbH keine Steuerpflichtige gewesen sei.

34 Ob der Steuerpflichtige vom Mehrwertsteuerbetrug (hier) eines Lieferanten wusste oder hätte wissen müssen, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde oder das Verwaltungsgericht in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen hat. Die Beweiswürdigung (zu diesen Tatfragen) unterliegt der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes insoweit, als das Ausreichen der Sachverhaltsermittlungen und die Übereinstimmung der behördlichen Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut zu prüfen ist (vgl. ; , Ro 2017/13/0011, je mwN).

35 Das Bundesfinanzgericht führt u.a. aus, die Revisionswerberin habe vom Mehrwertsteuerbetrug gewusst oder hätte hievon wissen müssen. Feststellungen dazu, dass die Revisionswerberin von der Mehrwertsteuerhinterziehung der N GmbH tatsächlich gewusst habe, hat das Bundesfinanzgericht aber nicht getroffen; hiezu sind auch keine beweiswürdigenden Erwägungen erkennbar. Die Frage des Wissens ist aber (anders als jene des Wissen-Müssens) eine Sachverhaltsfrage (vgl. etwa RIS-Justiz RS0010192; RS0038811). Ausgehend von den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts kann sohin die Versagung des Vorsteuerabzuges nicht darauf gestützt werden, dass die Revisionswerberin von der Mehrwertsteuerhinterziehung der N GmbH gewusst habe.

36 Aber auch den Ausführungen des Bundesfinanzgerichts zum "Wissen-Müssen" der Revisionswerberin fehlt es an einer ausreichenden Begründung.

37 Ein Steuerpflichtiger kann bei Vorliegen von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung dazu verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen. Die Steuerverwaltung kann jedoch von einem Steuerpflichtigen nicht generell verlangen, einerseits zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände und Dienstleistungen verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorhergehenden Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorliegen, oder anderseits entsprechende Urkunden vorzulegen (vgl. SC C.F., C-430/19, Rn. 47).

38 Auch wenn es sich beim EDV-Handel (hier Handel mit Tablets sowie Lizenzen für Software) um eine "gefährdete Branche" handeln mag (vgl. auch den Sachverhalt zu , VwSlg. 8902/F: Großhandel mit Computerteilen im Jahr 2002), kann (in Bezug auf den Vorsteuerabzug) eine generelle Verpflichtung, vor Aufnahme neuer Lieferantenbeziehungen vor Ort (an der im Firmenbuch eingetragenen Anschrift) zu prüfen, ob handelnde Personen erreichbar seien und ein aktiver Betrieb unterhalten werde, nicht angenommen werden. Insbesondere kann eine wirtschaftliche Tätigkeit auch von anderen Orten als dem Gesellschaftssitz ausgeführt werden (vgl. auch hiezu etwa PPUH Stehcemp, C-277/14, Rn. 35; ). Eine von der Revisionswerberin als Warenlager angesehene Geschäftslokalität, die erkennbar der N GmbH zuzuordnen war, wurde von einem Mitarbeiter der Revisionswerberin aber aufgesucht.

39 Dass eine Geschäftsanbahnung auf telefonischem Wege ungewöhnlich sei, bedürfte näherer Begründung; beweiswürdigende Erwägungen zu dieser Annahme des Bundesfinanzgerichts sind nicht erkennbar. Wie auch das Bundesfinanzgericht anführt, habe der Anrufer D die Kontaktdaten "über einen Bekannten" (nach den Aussagen des Vertriebsleiters der Revisionswerberin: einem Mitarbeiter einer Gesellschaft, mit der die Revisionswerberin in regelmäßiger Geschäftsbeziehung stehe) erhalten. Warum die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang hätte "hellhörig werden müssen", ist ebenfalls nicht erkennbar.

40 Unklar (und zum Teil hypothetisch) sind die Darlegungen des Bundesfinanzgerichts dazu, ob der Einkaufspreis der Revisionswerberin bei der N GmbH marktunüblich niedrig oder hoch ("Sollte der Marktpreis der gelieferten Ware höher als die marktüblichen Preise sein, ...") gewesen sei. Eine konkrete beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Revisionswerberin erfolgte nicht.

41 Aktenwidrig sind die Ausführungen des Bundesfinanzgerichtes betreffend "Schwarzgeschäfte"; die branchenübliche Bezeichnung für die "schwarze" Farbe sei "space gray", was auch in Rechnungen angeführt werde. Im Arbeitsbogen des Außenprüfers finden sich Rechnungen (der Revisionswerberin und von Dritten), in denen der Leistungsgegenstand u.a. mit "iPad ... schwarz" beschrieben ist (Blätter 223 ff im Arbeitsbogen). Im Übrigen erscheinen die Ausführungen des Bundesfinanzgerichts zu diesem Thema auch inhaltlich wenig überzeugend, sind doch "Schwarzgeschäfte" im Wesentlichen durch mangelnde Dokumentation und Barzahlungen geprägt. Die Revisionswerberin macht aber Vorsteuerbeträge geltend, die regelmäßig durch Rechnungen zu belegen sind und damit die Geschäftsfälle dokumentieren; Barzahlungen erfolgten nicht.

42 Auch dass Rückfragen der Revisionswerberin (an den Steuerberater und den Außenprüfer des Finanzamts) - wie das Bundesfinanzgericht ausführt - nur dazu gedient hätten, dass der Revisionswerberin die fehlende Gutgläubigkeit nicht vorwerfbar sei (also nicht dazu, um Auskünfte über ein gebotenes Vorgehen einzuholen, sondern nur um den Anschein eines sorgfältigen Vorgehens zu erwecken), bedürfte näherer Begründung; auch zu dieser Annahme des Bundesfinanzgerichtes fehlen beweiswürdigende Erwägungen.

43 Insgesamt wurden sohin in die Beurteilung (Gesamtbetrachtung) des Wissen-Müssens Umstände einbezogen, die zum Teil einer ergänzenden Begründung bedürften oder auf Aktenwidrigkeiten beruhen. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben."

Im Hinblick auf dieses aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ist über die Beschwerde neuerlich zu entscheiden.

Rechtliche Erwägungen:

Gemäß § 278 Abs. 1 bis 3 BAO kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1 BAO) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderlassung hätte unterbleiben können.

Die Aufgabe, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben von Bedeutung sind, ist in erster Linie von der Abgabenbehörde wahrzunehmen.

Die Aufhebung unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde setzt voraus, dass Ermittlungen (§ 115 BAO) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderlassung hätte unterblieben können.

Im gegenständlichen Fall sind weitere Ermittlungen im Zusammenhang mit der Versagung des Vorsteuerabzuges durchzuführen. Für die Entscheidung fehlen wesentliche Ermittlungen, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden können.

Die Aufhebung nach § 278 Abs. 1 BAO stellt eine Ermessensentscheidung dar, welche nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu treffen ist.

Zur Ermessensentscheidung hinsichtlich der Aufhebung hat der VwGH im Erkenntnis vom , 2002/20/0315 ausgeführt: "Es würde die Anordnungen des Gesetzgebers über ein zweitinstanzliches Verfahren unterlaufen würde, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zu einer bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinn des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde statt ihre umfassende Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht."

Unter dem Blickwinkel des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig und sind zwecks Entscheidungsreife nicht nur geringfügige zusätzliche Erhebungen zu tätigen. Würde das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall weitere Ermittlungen durchführen, käme es überdies zu erheblichen Verfahrensverzögerungen, weil alle Ermittlungsergebnisse und Stellungnahmen wechselweise den Parteien des Verfahren zwecks Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen wären.

Die Feststellung des Sachverhaltes durch das Bundesfinanzgericht selbst ist weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit erheblicher Kostenersparnis verbunden, weshalb sich die Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt als zweckmäßig erweist.

Billig ist die Zurückverweisung, weil es dem Bf. nicht zumutbar ist, das Verfahren durch zeitaufwändige Erhebungen des Bundesfinanzgerichtes weiter zu verzögern und durch die Verfahrensverlagerung zum Verwaltungsgericht den Rechtsschutz und die Kontrollmechanismen einzuschränken.

Die Abgabenbehörde hat daher für den Fall, dass die bisherige Rechtsausfassung in Bezug auf Versagung des Vorsteuerabzuges basierend auf der Feststellung einer mangelhaften Rechnung, nämlich bei Angabe einer falschen Anschrift des leistenden Unternehmers, beibehalten sollte, weitere Ermittlungen durchzuführen und den unter Zugrundelegung dieser Ermittlungsergebnisse festgestellten Sachverhalt einer neuerlichen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen haben.

Daher war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufzuheben.

Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Beschlusses befunden hat (§ 278 Abs. 2 BAO). Im weiteren Verfahren sind die Abgabenbehörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im aufhebenden Beschluss dargelegte Rechtsanschauung gebunden (§ 278 Abs. 3 BAO).

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 274 Abs. 3 Z 3 BAO abgesehen werden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Streitfall sind nicht Rechtsfragen, sondern noch nicht geklärte Tatfragen relevant. Die ordentliche Revision ist demzufolge nicht zulässig.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 115 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 278 Abs. 1 bis 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100253.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at