Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 24.03.2021, RV/7101694/2020

Keine Schätzungsbefugnis, wenn sachliche Richtigkeit der Bücher vorliegt; Aufhebung von KESt-Haftungsbescheiden

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden Dr. Hans Blasina, den Richter Dr. Sebastian Pfeiffer LL.M. sowie die fachkundigen Laienrichter Gerald Kreuzer und Dr. Franz Kandlhofer in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Schabetsberger & Partner Steuerberatung und Unternehmensbe- ratung GmbH, Fischerstiege 9, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2016 sowie Körperschaftsteuer 2016 und 2017 sowie vom betreffend Haftung Kapitalertragsteuer 2017 und 2018 zu Recht erkannt:

  • beschlossen:


  • Die Beschwerde hinsichtlich Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2016 wird als verspätet zurückgewiesen.

  • zu Recht erkannt:

  • Der Beschwerde hinsichtlich Körperschaftsteuer 2016 und 2017 wird Folge gegeben. Die Bescheide werden abgeändert.

  • Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind dem Ende der Entscheidungsgründe den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

  • Die Bescheide hinsichtlich Haftung Kapitalertragsteuer 2017 und 2018 werden ersatzlos aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Im Rahmen einer Außenprüfung gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass eine Schätzungsbefugnis zustehe. Die Fremdleistungen (Subunternehmerwerkentgelte) der beschwerdeführenden Partei (in der Folge Bf.) wurden im Schätzungswege um 50% verringert, da die belangte Behörde den Einsatz von Schwarzarbeitern annahm. Ebenso wurden verdeckte Ausschüttungen zugerechnet.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid Körperschaftsteuer 2016 wurde verspätet eingebracht.

Die Bf. ist seit 2014 im Bereich der Elektroinstallationen überwiegend für einen Auftraggeber tätig.

Im Streitjahr 2016 und 2017 wurden neben dem Geschäftsführer, der selbst auch Tätigkeiten als Elektromonteur ausführt, zwei weitere Mitarbeiter durchgehend beschäftigt.

In den Streitjahren wurde die Bf. erstmalig als Subunternehmerin von der ***1*** Bauges.m.b.H. mit der Herstellung von Elektroarbeiten beauftragt. Der Umfang betrug in der Wohnhausanlage ***2***gasse insgesamt 33 Wohnungen mit einer Größe zwischen 40m2 und 70m2. Beim Projekt ***3***weg handelte es sich um ein Einfamilienhaus.

Für die Wohnhausanlage ***2***gasse gebührte der Bf. ein Werklohn in Höhe von 210.000 Euro exklusive Umsatzsteuer. Für das Projekt ***3***weg gebührte ein Werklohn in Höhe von 80.000 Euro.

Die Bf. beauftragte ihrerseits die ***4_ganzer_Firmenwortlaut*** Kft (in der Folge ***4***) mit der Erbringung der Leistungen. Die ***4*** wurde in Österreich durch Frau ***5*** vertreten.

Nicht festgestellt werden kann, ob die ***4*** auf den Baustellen der Bf. Schwarzarbeiter einsetzte.

Nicht festgestellt werden kann, ob die Bf. vom eventuellen Einsatz von Schwarzarbeitern durch die ***4*** wusste bzw. selbst Schwarzarbeiter eingesetzt hat.

Nicht festgestellt werden kann, wie viele Arbeiter tatsächlich von ***4*** an die Baustellen der Bf. entsendet wurden.

Die Leistungen wurden tatsächlich erbracht. Für diese Leistungen wurde von der Bf. ein marktübliches Entgelt per Banküberweisung bezahlt.

Die Bücher der Bf. weisen formelle Mängel auf. Diese formellen Mängel sind nicht geeignet, die sachliche Richtigkeit der Bücher bzw. Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.

Rückflüsse der ***4*** an die Bf. bzw. deren Geschäftsführer sind nicht feststellbar.

Beweiswürdigung

Die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid Körperschaftsteuer 2016 wurde am eingebracht. Der Wiederaufnahmebescheid ist mit datiert. Die von der Bf. und der belangten Behörde beigebrachten Fristverlängerungsanträge betreffen die Bescheide hinsichtlich Körperschaftsteuer 2016 und 2017 sowie Haftung Kapitalertragsteuer 2017 und 2018. Ein Fristverlängerungsantrag hinsichtlich Wiederaufnahmebescheid Körperschaftsteuer 2016 wurde nicht gestellt (vgl. auch die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom ).

Der Wiederaufnahmebescheid Körperschaftsteuer 2016 wurde ohne Zustellnachweis zugestellt. Derart gilt die Zustellung als mit dem dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt (vgl. § 26 Abs. 2 ZustellG). Zweifel daran liegen im vorliegenden Fall nicht vor (vgl. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom ).

Da keine Firstverlängerungsanträge hinsichtlich Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2016 vorliegen und die Beschwerdefrist, die gemäß § 254 BAO einen Monat beträgt, mit Eingabe der Beschwerde am jedenfalls abgelaufen ist, ist die Beschwerde hinsichtlich Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2016 verspätet eingebracht.

Die Tätigkeit der Bf. ist aktenkundig.

Dass die Bf. neben dem Geschäftsführer weitere Mitarbeiter beschäftigte, ergibt sich aus einer Dienstnehmerabfrage vom .

Dass die Bf. in den Streitjahren als Subunternehmerin zur Herstellung von Elektroinstallationsarbeiten auf zwei Baustellen bestellt wurde, ergibt sich aus dem aktenkundigen Werkvertrag zwischen der ***1*** Bauges.m.b.H. und der Bf. Aus diesem Werkvertrag ergibt sich auch der Werklohn, der der Bf. gebührt. Der Umfang dieser Arbeiten ergibt sich aus der Beschwerde der Bf. vom . Dass dies erstmalig geschah, ergibt sich aus den Ausführungen der Bf. in der Beschwerde.

Dass die Bf. ihrerseits die ***4*** als Subunternehmerin beauftragte, die Arbeiten durchzuführen, ergibt sich aus dem aktenkundigen Werkvertrag zwischen der Bf. und der ***4***. Dass Frau ***5*** für die ***4*** in Österreich vertretungsbefugt war, ergibt sich aus der Beschwerde der Bf., den Feststellungen der belangten Behörde im Rahmen der Außenprüfung und der Aussage von Frau ***5*** im Rahmen der mündlichen Verhandlung (vgl. das Protokoll zur Zeugeneinvernahme vom ).

Ob Schwarzarbeiter auf den beiden Baustellen der Bf. eingesetzt wurden, kann nicht festgestellt werden. Kontrollen durch die Finanzpolizei bzw. die belangte Behörde fanden nicht statt.

Wie viele Arbeiter tatsächlich insgesamt von der ***4*** an die Baustellen der Bf. entsendet wurden, ist nicht feststellbar. Aktenkundig ist, dass die Bf. für zwei von der ***4*** entsendete Mitarbeiter Entsendungsmeldungen und Ausweise dokumentiert hat. Die belangte Behörde stellte hingegen fest, dass diese Entsendungsmeldungen gefälscht waren. Die belangte Behörde legte zudem einen Informationsaustausch zwischen Österreich und Ungarn vor, der den Parteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung verlesen und protokolliert wurde. Aus diesem Informationsaustausch ergibt sich, dass im Zusammenhang mit Frau ***5*** und Frau ***6***, die Geschäftsführerin der ***4***, gehörende Unternehmen als Subunternehmerinnen 50-80 Arbeitnehmer nach Österreich entsandten. Der Pflicht zur Zahlung von Steuern und Sozialabgaben in Ungarn wurde nicht nachgekommen. Die ***4*** sei eine leere Firmenhülle, die von einem Schwarzarbeitertrupp als Rechnungsvehikel verwendet wurde. Aus der Einvernahme des Geschäftsführers der Bf. bei der belangten Behörde ergibt sich zudem, dass immer eine unterschiedliche Anzahl an Arbeitern auf den Baustellen vor Ort anwesend war.

Für das Bundesfinanzgericht ergibt sich:

Wie die belangte Behörde im Rahmen einer Nachkalkulation darlegt, ist die Leistungserbringung der ***4*** durch lediglich zwei entsendete Mitarbeiter zumindest fraglich. Ob jedoch in den vom Informationsaustausch zwischen Österreich und Ungarn bezeichneten 50-80 Arbeitnehmern mehr als die zwei Personen, die die Bf. dokumentierte, an den Baustellen der Bf. tätig waren, ist nicht feststellbar. Ebenfalls ergibt sich aus dem Informationsaustausch zwischen Österreich und Ungarn nicht, in welchen Jahren genau wie viele Mitarbeiter an welche Baustellen entsendet wurden. Auf Befragung im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Geschäftsführer der Bf. an, dass lediglich zwei Arbeiter von der ***4*** entsendet wurden. Auch Frau ***5*** antwortete auf diese Frage zunächst, dass zwei Mitarbeiter entsendet wurden. Es könnten aber auch drei, maximal vier Arbeiter gewesen sein.

Damit ist für das Bundesfinanzgericht aber nicht feststellbar, ob mehr als die zwei Arbeiter, deren Unterlagen von der Bf. dokumentiert wurden, an die Baustellen der Bf. entsendet wurden.

Der Geschäftsführer der Bf. gab überdies zu Protokoll, dass er weder wissentlich Schwarzarbeiter anstellte, noch dass er um die etwaige Hinterziehung von Sozialabgaben durch die ***4*** Kenntnis hatte.

Die Bf. war - im Lichte der Vorgaben der belangten Behörde - sicherlich nicht vollkommen sorgfältig bei der Dokumentation der Anbahnung und Durchführung der beauftragten Subunternehmerleistungen. Gemäß § 131 Abs. 1 UAbs. 2 BAO sollen sich die einzelnen Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Hinsichtlich der Entstehung des Geschäftsvorfalles mit der ***4*** fehlt es an niederschriftlich festgehaltener Geschäftskorrespondenz. Dies gehört jedoch jedenfalls zu den grundlegenden und aufbewahrungspflichtigen Unterlagen (vgl. Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger, BAO Handbuch, 379), auch wenn die steuerliche Vertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausführt, dass eine mündliche Abmachung des Leistungsumfanges anhand von Plänen vollkommen üblich ist. Protokolle über Leistungsabnahmen sind ebenfalls nicht dokumentiert.

Hingegen steht fest, dass die Leistungen tatsächlich erbracht wurden (vgl. den Bericht über die Außenprüfung sowie die Aussagen in der Beschwerde der Bf.). Dass die von ***4*** in Rechnung gestellten Leistungen per Überweisung bezahlt wurden, steht ebenso fest. Ebenso wurde von der belangten Behörde eingeräumt, dass die verrechneten Leistungen zwischen der ***4*** sowie der Bf. auf einem marktkonformen Entgelt beruhen (vgl. Stellungnahme zum Beschluss vom ).

Die Bücher der Bf. weisen damit in Hinblick auf die Beauftragung der ***4*** formelle Mängel auf, weil eine durchgehende und lückenlose Dokumentation des Geschäftsfalles nicht vorliegt. Diese formellen Mängel geben jedoch aufgrund der tatsächlichen Erbringung der Leistung, der Marktüblichkeit des Entgeltes sowie der tatsächlichen Begleichung dieses Entgelts keine Bedenken gegen die sachliche Richtigkeit der Bücher.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Argumentation der belangten Behörde hinsichtlich formeller und sachlicher Mängel der Buchführung zu verwerfen. Diese fußt nämlich darauf, dass die Bf. von der Scheinunternehmereigenschaft der ***4*** wissen und vom Einsatz von Schwarzarbeitern ausgehen musste: Die nicht lückenlose Dokumentation sowie die deutschen Arbeitsverträge der ungarischen Arbeiter seien in diese Richtung zu deuten. Hinsichtlich der deutschen Arbeitsverträge wurde jedoch im Rahmen der mündlichen Verhandlung von ***5*** dargelegt, dass sowohl deutsche als auch ungarische Dienstverträge bestehen und lediglich die deutschen Dienstverträge dem Auftraggeber (also der Bf.) vorgelegt wurden. Das Argument der belangten Behörde geht damit aber ins Leere.

Die Ansicht, dass eine (etwaige) Sorgfaltswidrigkeit bei der Dokumentation des Geschäftsfalles (durch nicht komplett lückenlos schriftliche Dokumentation), bei gleichzeitig tatsächlich unstrittiger Leistungserbringung, Zahlung der Leistung, Marktüblichkeit des Entgelts und nicht feststellbaren Geldrückflüssen an die Bf. zu begründeten Bedenken der sachlichen Richtigkeit der Bücher der Bf. führt, wird vom hier erkennenden Senat des Bundesfinanzgerichts nicht geteilt. Dass die Bf. selbst die Leistungen unter Heranziehung von gering entlohnter "Schwarzarbeiter" erbrachte, ergibt sich für das Bundesfinanzgericht nicht (vgl. ; im dortigen Fall fußte die Schätzungsbefugnis aber genau auf der Feststellung, dass die Bf. wissentlich Schwarzarbeiter beschäftigte).

Von der belangten Behörde wurden im Rahmen der Außenprüfung keine Rückflüsse der ***4*** an die Bf. bzw. der Bf. nahestehenden Personen festgestellt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Geschäftsführer der Bf. zu Protokoll, dass keine Rückflüsse stattgefunden haben. Dies wird ebenso durch die Aussage von Frau ***5*** bekräftigt. Abschließend kann daher nicht festgestellt werden, ob tatsächlich Rückflüsse von der ***4*** an die Bf. stattgefunden haben.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Zurückweisung wegen Verspätung)

Gemäß § 278 Abs. 1 lit. a BAO iVm § 260 Abs. 1 lit. b BAO ist eine Beschwerde mit Beschluss zurückzuweisen, wenn sie nicht fristgerecht eingebracht wurde. Wie festgestellt, wurde die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid Körperschaftsteuer 2016 verspätet eingebracht.

Damit ist die Beschwerde hinsichtlich Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2016 als verspätet eingebracht zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.A. (Stattgabe und Abänderung)

§ 184 BAO normiert:

"§ 184.

(1) Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.

(3) Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen."

Gemäß § 163 Abs. 1 BAO haben Bücher und Aufzeichnungen, die den Vorschriften der §§ 131 und 131b BAO entsprechen, die Vermutung einer ordnungsgemäßen Führung für sich und sind der Erhebung der Abgaben zugrunde zu legen, wenn nicht ein begründeter Anlass gegeben ist, ihre sachliche Richtigkeit in Zweifel zu ziehen.

Die belangte Behörde nimmt für sich eine Schätzungsbefugnis nach § 184 BAO in Anspruch. Begründet wird die Schätzungsbefugnis insbesondere dadurch, dass durch die Verletzung der Beweisvorsorgepflicht der Bf. die Überprüfung des Sachverhaltes bzw. der behaupteten Fremdleistungen sehr erschwert bzw. in Teilen verunmöglicht wurde. Die ***4*** sei Teil eines Abgabenhinterziehungsnetzwerkes gewesen. Der Firmensitz sei ein baufälliges, ländliches Wohnhaus ohne Firmenaufschrift, das für die Führung eines Bauunternehmens nicht geeignet sei. Die Bf. habe keine Beweismittelvorsorge getroffen und eine umfangreiche Dokumentation unterlassen. Die Mängel der Grundaufzeichnungen würden eine Schätzung dem Grunde nach rechtfertigen.

Im Rahmen der Beweiswürdigung steht jedoch für das Bundesfinanzgericht fest, dass die formellen Mängel der Bücher der Bf. nicht derart wesentlich sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher in Frage zu stellen. Formelle Fehler, die geringfügig und insgesamt nicht wesentlich sind, stören das Bild einer formell ordnungsmäßigen Buchführung nicht. Die Ordnungsmäßigkeitsvermutung des § 163 BAO wird daher nicht berührt (vgl. Stoll, BAO Band 2 (1994) S. 1920 mit Verweis auf ; in diesem Sinne ebenfalls Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 (2018) § 184 Rn 25 sowie ). Überdies steht fest, dass die Leistungen tatsächlich erbracht wurden und dafür ein marktkonformes Entgelt verrechnet wurde. Rückflüsse der ***4*** an die Bf. in Form von Kick-Back Zahlungen sind nicht feststellbar. Eine Schätzungsbefugnis besteht nicht, wenn sichergestellt ist, dass das ausgewiesene Ergebnis sachlich weitgehend richtig ist (vgl. Stoll, BAO Band 2, Seite 1922 mit Verweis auf 1637, 2672, 2673/78) bzw. wenn eine zuverlässige Ermittlung oder Berechnung der Bemessungsgrundlagen auf Grund der Buchführung ungeachtet ihrer (partiellen) formellen Fehlerhaftigkeit ohnedies bestehen (vgl. wiederum Stoll, BAO Band 2, Seite 1922 mit Verweis auf ; , 86/14/0043). Sofern die belangte Behörde auf das Erkenntnis des verweist und daraus schließt, dass die Bf. Beweismittel zu sammeln und für eine umfangreiche Dokumentation zu sorgen hat, ist ihr zu entgegnen, dass die Bf. grundsätzlich eine derartige, wenn auch nicht lückenlose Dokumentation angefertigt hat.

Die Argumentation der belangten Behörde läuft im Endeffekt darauf hinaus, dass die ***4*** als Scheinunternehmer auftrat und wahrscheinlich Schwarzarbeiter an die Baustellen der Bf. entsandte. Die Bf. hätte von dieser (jedoch nicht eindeutig festgestellten) Schwarzarbeit wissen müssen, weswegen die Hälfte des bezahlten Werklohnes im Schätzungswege gestrichen wurde. Dass die Bf. wissentlich Schwarzarbeiter beschäftigte, wurde von der belangten Behörde weder behauptet noch festgestellt und ist auch vom Bundesfinanzgericht nicht feststellbar (zur Schätzungsbefugnis in einem derartigen Fall vgl. ). Obwohl aber das vereinbarte, marktübliche Entgelt bezahlt wurde, die Leistungen auch erbracht wurden und ein Rückfluss von der ***4*** an die Bf. nicht vorliegt, soll dennoch eine Schätzungsbefugnis bestehen. Damit würde aber im Ergebnis über die Inanspruchnahme der Schätzungsbefugnis durch die belangte Behörde eine Art Empfängerbenennung nach § 162 BAO entstehen. Denn bei der Empfängerbenennung kann - im Lichte der Rechtsprechung des VwGH - bei der Sorgfaltswidrigkeit üblicher Überprüfungen der Abzug von Betriebsausgaben versagt werden (vgl. zuletzt ; , Ra 2020/13/0064). Auf die Empfängerbenennung nach § 162 BAO stützt sich die belangte Behörde jedoch ausdrücklich nicht.

Wenn aber - wie das Bundesfinanzgericht im Rahmen der Beweiswürdigung zum Ergebnis kommt - die formellen Mängel der Dokumentation der Bf. die sachliche Richtigkeit der Bücher der Bf. nicht in Frage stellt bzw. das Ergebnis sachlich richtig erscheint, ergibt sich die von der belangten Behörde beanspruchte Schätzungsbefugnis für das Bundesfinanzgericht nicht. Damit ist der Beschwerde in diesem Punkt stattzugeben und die angefochtenen Bescheide entsprechend abzuändern.

Rechnerische Auswirkungen:

Die von der belangten Behörde im Schätzungswege vorgenommene Aufwandskürzung ist folglich rückgängig zu machen:

2016: 126.000 Euro
2017: 40.000 Euro

Zudem ist die schätzungsweise Erhöhung des Personalaufwandes folglich rückgängig zu machen:

2016: 63.000 Euro
2017: 20.000 Euro

Beilage: 2 Berechnungsblätter

Zu Spruchpunkt II.B. (Aufhebung Haftung Kapitalertragsteuer)

Im Rahmen der Betriebsprüfung wurden 50% der abgeschätzten Betriebsausgaben als Personalaufwand der Bf. hinzugerechnet. Die weiteren 50% wurden als verdeckte Ausschüttung qualifiziert und die Kapitalertragsteuer der Bf. im Haftungswege vorgeschrieben.

Wie das Bundesfinanzgericht unter 3.2. zum Ergebnis kommt, besteht im vorliegenden Fall für die belangte Behörde in den Streitjahren keine Schätzungsbefugnis.

Verdeckte Ausschüttungen sind Vorteile, die eine Gesellschaft ihren Gesellschaftern aus ihrem Vermögen in einer nicht als Gewinnausschüttung erkennbaren Form außer der Dividende oder sonstigen offenen Gewinnverteilung unter welcher Bezeichnung auch immer gewährt, die sie anderen Personen, die nicht ihre Gesellschafter sind, nicht oder nicht unter den gleichen günstigen Bedingungen zugestehen würde (vgl. zB. mwN).

Für die Beurteilung eines Sachverhaltes als verdeckte Ausschüttung ist u.a. Voraussetzung, dass einem Anteilsinhaber ein Vermögensvorteil aus gesellschaftsrechtlicher Veranlassung zugewendet wird (vgl. , Rn 16 mwN). Wie festgestellt, wurden Zahlungen der Bf. auf das Bankonto der ***4*** getätigt. Dass jedoch Zahlungen von der ***4*** an die Bf. oder ihr nahestehende Personen zurückflossen, ist nicht festgestellt und nicht feststellbar. Damit kann aber eine verdeckte Ausschüttung dem Grunde nach nicht vorliegen, weswegen die Haftungsbescheide Kapitalertragsteuer 2016 und 2017 ersatzlos aufzuheben sind.

Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der Rechtsprechung des VwGH zum Vorliegen der Schätzungsbefugnis (vgl. ua ) sowie zum Vorliegen von verdeckten Ausschüttungen (vgl. ). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 260 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 163 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 131 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 131b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 163 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 254 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 278 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise



§ 162 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101694.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at