Familienbeihilfe - Rückwirkende Beantragung durch den Jugendwohlfahrtsträger bei Übertragung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik über die Beschwerde der Bf., Vers.Nr. xyz, vertreten durch Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Kinder und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11, 1030 Wien, Karl-Borromäus-Platz 3, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Abweisung des Antrags auf Familienbeihilfe vom Jänner 2016 bis Juni 2020, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der bekämpfte Bescheid wird (ersatzlos) aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang:
Für die mj. Beschwerdeführerin (Bf), geb. am 2012, wurde durch den Vormund, Magistratsabteilung 11 des Magistrates der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11, am ein Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs 5 FLAG 1967, rückwirkend ab , gestellt.
Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe habe die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung. Nach der Entscheidung des , falle die - auch rückwirkende - Antragstellung auf Zuerkennung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG in den Obsorgebereich der Pflege und Erziehung.
Das antragstellende Kind befinde sich seit in einer sozialpädagogischen Einrichtung im Rahmen der vollen Erziehung. Der Stadt Wien entstünden dadurch Kosten von mindestens EUR 80,00 täglich. Der Unterhaltsanspruch des Kindes werde zum Kostenersatz herangezogen. Von den Eltern des Kindes langten seit Antragsbegehren übergegangene Unterhalts- bzw. Kostenersatzbeträge lt. Beilage ein.
Angefügte Beilagen:
- Beschluss des BG Innere Stadt Wien über die Verpflichtung des Kindesvaters, ab Unterhalt iHv EUR 110,00 monatlich an den Magistrat der Stadt Wien bis zur Beendigung der Maßnahme zu leisten
- Vereinbarung zwischen dem Magistrat der Stadt Wien und der Kindesmutter über den Kostenersatz ab , längstens bis zur Beendigung der Maßnahme, iHv EUR 30,00 monatlich
- Kontoauszüge über (teilweise) erfolgte Zahlungen der Eltern
Am wurde der Obsorgebeschluss des BG Innere Stadt Wien vom übermittelt, wonach die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung für die Bf von den Eltern an den Jugendwohlfahrtsträger übertragen wird.
Das Finanzamt (FA) wies den Antrag mit Bescheid vom für den Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2020 mit der Begründung ab, dass kein Nachweis über die Übertragung der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung vorgelegt worden sei.
Gegen den Abweisungsbescheid erhob der Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11, am (eingelangt beim FA am ) Beschwerde und verwies i.w. auf das bereits zit. Urteil des OGH, wonach auch im Falle der rückwirkenden Antragstellung auf Zuerkennung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG keine gesonderte Übertragung der Obsorge für die Vermögensverwaltung nötig sei, da Angelegenheiten der Familienbeihilfe in den Obsorgebereich der Pflege und Erziehung fielen. Daher sei der geforderte Nachweis obsolet.
Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab, wobei der Spruch des Bescheides insofern abgeändert wurde, als der Antrag auf Familienbeihilfe für den Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2020 (nunmehr) zurückgewiesen wurde.
In der Begründung wurde nach Zitierung der gesetzlichen Bestimmungen i.w. ausgeführt, gemäß , sei die Geltendmachung eines Familienbeihilfenanspruchs dem Bereich der Geltendmachung von unterhaltsrechtlichen Ansprüchen zuzuordnen. Dies ergebe sich auch aus den primären Zielsetzungen des FLAG 1967, gemäß welcher Unterhaltskosten, die durch die Betreuung und Versorgung von Kindern entstünden, ausgeglichen und der Mindestunterhalt des Kindes sichergestellt werden solle.
In Fällen der Fremdunterbringung im Rahmen der vollen Erziehung (Kinderschutzmaßnahme) verfüge der Kinder- und Jugendhilfeträger über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung.
Entsprechend der vorliegenden OGH Entscheidung und nach Rechtsansicht des Justizressorts sowie des BKA falle die Geltendmachung von Familienbeihilfebeträgen für vergangene Zeiträume nicht in den Bereich der Pflege und Erziehung, da sich diese nicht auf aktuelle Lebensbedürfnisse bezögen. Vielmehr würde dies die Geltendmachung von Vermögensbestandteilen bedeuten, die durch die einmalige rückwirkende Auszahlung zu einem Ertrag und Bildung von Stammvermögen des Kindes führten.
Nach Rechtsansicht des Justizressorts seien Kinder- und Jugendhilfeträger, welche nur über eine Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung verfügten, nicht legitimiert, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe für vergangene Zeiträume zu stellen. Für die Antragstellung und Geltendmachung der Familienbeihilfe durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für vergangene Zeiträume müsste somit auch eine Obsorgeübertragung im Bereich der Vermögensverwaltung vorhanden sein.
Da keine Übertragung im Bereich der Vermögensverwaltung vorliege, sei die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Gegen die Beschwerdevorentscheidung wurde am (eingelangt beim FA am ) vom Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11, als Vertreter der Minderjährigen ein Vorlageantrag eingebracht und i.w. ausgeführt, mit Mitteilung vom sei die Bekanntgabe erfolgt, dass die Familienbeihilfe ab Juli 2020 gewährt werde.
Betreffend vorliegenden Abweisungsbescheid gehe die Behörde offenbar davon aus, dass der Kinder- und Jugendhilfeträger nicht befugt sei, die Bf zu vertreten.
Auf die Entscheidungen des sowie 6Ob50/20a, werde verwiesen.
In der Entscheidung 6Ob62/20s habe das Kind, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien, beim FA im Juli 2010 rückwirkend die Zuerkennung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG ab Februar 2019 beantragt. Das betreffende Kind habe sich ab in voller Erziehung der Stadt Wien befunden. Parallel dazu sei beim Pflegschaftsgericht vom Kinder- und Jugendhilfeträger Wien im Juli 2019 der Antrag gestellt worden, mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betraut zu werden. Das BG Fünfhaus habe diesen Antrag mit Beschluss vom mit der Begründung abgewiesen, die Obsorge des Kinder- und Jugendhilfeträgers im Bereich Pflege und Erziehung reiche für eine Beantragung der Familienbeihilfe aus. Eine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und ab Antragstellung sei nicht vorgenommen worden. Der OGH habe diese Entscheidung letztlich bestätigt, wobei auch von ihm keine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und nach der Antragstellung vorgenommen worden sei.
Zudem ziehe der OGH in dieser Entscheidung für den Eigenanspruch nach § 6 Abs 5 FLAG Parallelen zum Unterhaltsanspruch des Kindes und verweise in Bezug auf die Vertretungsbefugnis auf 8Ob99/12k. Dieser Entscheidung sei ein im Juli 2011 eingebrachter Unterhaltsbemessungs antrag zu Grunde gelegen, mit dem das Kind rückwirkend ab den Zuspruch erhöhter Unterhaltsbeträge angestrebt habe. Auch in dieser Entscheidung sei für die Vertretungsbefugnis nicht zwischen rückwirkenden und laufenden Begehren unterschieden und erkannt worden, dass die Vertretungsbefugnis im Unterhaltsbereich jenem Elternteil zukomme, der mit Pflege und Erziehung betraut sei.
In der Entscheidung 6Ob50/20a schließlich sei der OGH der Rechtsauffassung des dortigen Revisionsrekurswerbers, für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbemessungsantrages sei die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung nicht ausreichend, sondern sei dafür die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung erforderlich, entgegen getreten und habe ausdrücklich ausgesprochen, dass auch für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbegehrens die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung die entsprechende Grundlage biete.
Aus allen drei Entscheidungen des OGH ergebe sich somit eindeutig dass die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung ausreiche, um das Kind im Verfahren auf Zuerkennung der Familienbeihilfe zu vertreten, unabhängig davon, ob der Antrag rückwirkend oder nicht sei.
Daher sei auch im ggstdl Fall der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien, der mit der Obsorge für die Bf im Bereich Pflege und Erziehung betraut sei, legitimiert zur Antragstellung auf Familienbeihilfe sowohl für laufende als auch für rückwirkende Zeiträume.
Gerade bei der Antragstellung auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG sei es geradezu typisch, dass nicht nur die Familienbeihilfe ab Antragstellung begehrt wird, sondern auch für einen gewissen rückwirkenden Zeitraum. Bei Übernahme des Kindes in volle Erziehung müssten nämlich die anspruchsbegründenden Umstände vor einer Antragstellung auf Gewährung der Familienbeihilfe erst abgeklärt werden. Dafür müssten etwa Nachweise über allfälliges Eigeneinkommen des Kindes beschafft werden oder es müsse erst abgewartet werden, ob die Eltern ihre Unterhaltsverpflichtungen halbwegs regelmäßig erfüllten, damit der anspruchsbegründende Tatbestand erfüllt sei, dass sich das Kind nicht zur Gänze auf Kosten des Kinder- und Jugendhilfeträgers in voller Erziehung befinde. In einer solchen Situation hinsichtlich der Vertretungsbefugnis danach zu differenzieren, ob der Antrag nur laufende Perioden ab Antragstellung oder in gewissem Umfang auch - von der Antragstellung her betrachtet - rückwirkende Perioden betreffe, stehe einerseits nicht im Einklang mit der genannten Rechtsprechung des OGH und stehe andererseits auch den praktischen Bedürfnissen an einer einheitlichen Zuordnung der Vertretungsbefugnis und damit einer raschen Abwicklung ohne zwingenden Grund entgegen.
Der Bf stelle daher den Antrag, die Familienbeihilfe auch für den Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2020 zu gewähren.
Das FA legte mit Vorlagebericht vom die Beschwerde dem BFG vor und verwies auf die Rechtsansicht der Fachabteilung für Familienbeihilfe, wonach für die Antragstellung der Familienbeihilfe durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für vergangene Zeiträume auch eine Obsorgeübertragung im Bereich der Vermögensverwaltung vorhanden sein müsste. Diese Rechtsmeinung ändere auch die in der Beschwerde zit. OGH-Entscheidung nicht, da diese nicht explizit über die rückwirkende Geltendmachung von Familienbeihilfenansprüchen abspreche.
Es werde daher die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen
Sachverhalt:
Mit Obsorgebeschluss des BG Innere Stadt Wien vom wurde die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung für die mj. Bf, geb. 2012, von den Eltern an den Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11) übertragen; eine Übertragung im Bereich der Vermögensverwaltung (mittels Gerichtsbeschluss) wurde nicht vorgenommen.
Die Betrauung mit der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung umfasst auch die gesetzliche Vertretung in diesem Bereich.
Die Bf befindet sich in einer sozialpädagogischen Einrichtung der Stadt Wien im Rahmen der vollen Erziehung.
Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ist unstrittig. Die entsprechenden Unterlagen sind aktenkundig.
Rechtliche Beurteilung:
Strittig ist, ob der Jugendwohlfahrtsträger, dem die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung für die mj. Bf übertragen wurde, befugt ist, für die Bf rückwirkend einen (Eigen)Antrag auf Familienbeihilfe iSd § 6 Abs 5 FLAG 1967 zu stellen.
Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht gemäß § 279 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Eine Aufhebung hat beispielsweise zu erfolgen, wenn ein verfahrensrechtlicher Bescheid (zB Zurückweisung eines Antrages, Zurücknahmebescheid gemäß § 85 Abs. 2 BAO) zu Unrecht erlassen wurde (vgl. Ritz, BAO6, § 279 Rz 6, ).
Im ggstdl. Fall wurde über den Antrag der Bf auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2020 ausschließlich deshalb abschlägig entschieden (laut Erstbescheid vom : Abweisung; laut Beschwerdevorentscheidung vom : abgeändert in zurückgewiesen), weil der Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11, mangels Vorliegen einer Obsorgeübertragung im Bereich der Vermögensverwaltung nicht legitimiert sei, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe zu stellen und insoweit nicht vertretungsbefugt sei. Die Begründung des angefochtenen Bescheides und die Beschwerdevorentscheidung lassen erkennen, dass das Wort "Abweisungsbescheid" und "abzuweisen" als ein Vergreifen im Ausdruck zu werten ist. Es handelt sich bei dem angefochtenen Bescheid um eine Zurückweisung eines Antrages wegen mangelnder Aktivlegitimation.
Auch die Tatsache, dass mit Mitteilung vom die Bekanntgabe erfolgte, dass die Familienbeihilfe ab Juli 2020 (auf Grund des Antrags vom , eingelangt am ) gewährt wurde, erhellt, dass ausschließlich die - nach Ansicht des FA - mangelnde Aktivlegitimation des Kinder- und Jugendhilfeträgers in Bezug auf rückwirkende (Eigen)Anträge auf Familienbeihilfe zur str. Entscheidung des FA führte. Schließlich wird auch im Vorlagebericht ausschließlich die Frage der Aktivlegitimation des Kinder- und Jugendhilfeträgers releviert.
Zur str. Rechtsfrage ist auszuführen wie folgt:
Dem Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 6 Ob 62/20s lag Folgendes zu Grunde:
Am beantragte der Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) seine Betrauung mit der Vermögensverwaltung im Umfang der Beantragung und Verwaltung des Eigenanspruchs des Kindes auf Familienbeihilfe; dieser stehe dem Kind nach § 6 Abs 5 FLAG 1967 zu. Eine solche gerichtliche Betrauung werde benötigt, um dem zuständigen Finanzamt im Verfahren über die Zuerkennung der Familienbeihilfe die Vertretungsbefugnis nachweisen zu können.
Die Eltern äußerten sich zu diesem Antrag nicht.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Abgesehen davon, dass dieser keine Begründung aufweise, weshalb der Entzug der Obsorge im genannten Teilbereich wegen sonstiger Kindeswohlgefährdung (§ 181 ABGB) erforderlich sei, bedürfe es eines derartigen Entzugs auch gar nicht. Die Familienbeihilfe diene im konkreten Fall der Deckung des Unterhaltsbedarfs des Kindes, womit die gesetzliche Vertretung bei der Geltendmachung des Eigenanspruchs des Kindes in den Teilbereich der Pflege und Erziehung der Obsorge falle, mit dem aber ohnehin der KJHT betraut sei. (Anm. :Kursivdruck durch BFG)
Hierüber erwog der Gerichtshof:
Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht damit grundsätzlich jenemElternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde. Es besteht somit keine Veranlassung, von der Auffassung wieder abzugehen, wonach die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen grundsätzlich - außer bei anderslautender Beschlussfassung - demjenigen zusteht, dem Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde (8 Ob 99/12k [ErwG 6.1.]); dies kann auch der KJHT sein (vgl 8 Ob 99/12k; Neuhauser aaO). … (Anm.: Kursivdruck durch BFG)."
Der OGH beschäftigt sich im genannten Beschluss in weiterer Folge mit dem Sinn und Zweck der Familienbeihilfe und gelangt zu dem eindeutigen Schluss:
"... so verbleibt als Zweck der Familienbeihilfe, die Pflege und Erziehung des Kindes (als Zuschuss) zu erleichtern und die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen - zumindest zum Teil - auszugleichen.
... Gerade diesem Zweck dient aber auch der Unterhaltsbeitrag, den der geldunterhaltspflichtige Elternteil gemäß § 231 ABGB zu leisten hat (vgl die Beispiele bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 [2019] Rz 1; siehe auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 128; 8 6 Ob 62/20s, Neuhauser in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm4 [2017] § 231 Rz 2 - alle mit zahlreichen Judikaturnachweisen), womit nicht ersichtlich ist, weshalb zwar Geltendmachung und Empfangnahme von Kindesunterhalt zum Obsorgeteilbereich Pflege und Erziehung gehören sollen, nicht aber Geltendmachung und Empfangnahme von dem Kind zustehenen Familienbeihilfeleistungen.
Da somit bereits das Erstgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass es eines (weiteren) Entzugs der Obsorge der Eltern im Teilbereich Vermögensverwaltung gar nicht bedarf, war dessen abweisliche Entscheidung wiederherzustellen. … (Anm.: Kursivdruck durch BFG).
Festgehalten wird, dass nach dem glaubwürdigen Vorbringen der Bf diesem Fall zu Gunde lag, dass das Kind, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien, beim FA im Juli 2019 rückwirkend die Zuerkennung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG 1967 ab Feburar 2019 beantragte. Das betreffende Kind befand sich ab in voller Erziehung der Stadt Wien. Parallel dazu wurde beim Pflegschaftsgericht vom Kinder- und Jugendhilfeträger Wien im Juli 2019 der Antrag gestellt, mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaotung betraut zu werden.
In der abweisenden Entscheidung des Erstgerichts, des BG Fünfhaus (siehe oben), wurde keine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und ab Antragstellung vorgenommen. Der OGH, der diese Entscheidung letztlich bestätigte, nahm ebenso keine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und nach Antragstellung vor.
Diese Rechtsauffassung wird im Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 6 Ob 50/20a bestätigt, in dem der OGH ausführt:
"Da nach der Entscheidung 8 Ob 99/12k (ErwG 3.3.) für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme und der Geltendmachung von Unterhalt kein sachlicher Grund besteht (ebenso 6 Ob 62/20s), teilt der erkennende Senat auch nicht die Auffassung des Vaters im Revisionsrekurs, eine Vertretungsbefugnis des KJHT für die beiden Kinder bestehe hier in "Unterhaltssachen, jedenfalls was den rückständigen Unterhalt betrifft" - jedenfalls in diesem Fall sei Vermögensverwaltung gegeben - nicht..." (Anm.: Kursivdruck durch BFG).
Dem Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 8 Ob 99/12k, auf den sich die belangte Behörde bezieht, lag Folgendes zu Grunde:
Mit Eingabe vom stellte der Jugendwohlfahrtsträger Wien namens des Minderjährigen den Antrag auf Erhöhung des Unterhaltsbeitrags des Vaters ab auf monatlich 650 EUR. Dagegen wendete der Vater ein, dass der Minderjährige seit in seinem Haushalt wohne. Mit Schriftsatz vom stellte der Vater den Antrag auf Enthebung von der monatlichen Unterhaltsverpflichtung ab . …
Mit dem zugrunde liegenden Beschluss bestellte das Erstgericht "die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung, Jugendwohlfahrt" (das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger) zum Kollisionskurator für den Minderjährigen und ordnete an, dass dieser den Minderjährigen im Unterhaltsverfahren "zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche" gegen den Vater als auch gegen die Mutter zu vertreten habe. … Hierüber erwog der Gerichtshof:
"Gemäß § 144 ABGB umfassen die Pflege und Erziehung sowie die Vermögensverwaltung auch die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen. …
Dementsprechend schließt gemäß § 176 Abs 3 ABGB die Entziehung der Obsorge in Teilbereichen die Entziehung der gesetzlichen Vertretung in den jeweiligen Bereichen (grundsätzlich) mit ein, es sei denn, das Gericht differenziert in seiner Entscheidung (RIS-Justiz RS0112740; Hopf in KBB³ § 176b ABGB Rz 4; vgl auch Barth in Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 50).
Die gesetzliche Vertretung kann sich somit auf die Pflege und Erziehung sowie auf die Vermögensverwaltung - als das Außenverhältnis dieser Angelegenheiten im Gegensatz zur tatsächlichen Wahrnehmung dieser Aufgaben, dem Innenverhältnis - beziehen. Daneben gibt es auch eine gesetzliche Vertretung außerhalb dieser Bereiche ("bloße gesetzliche Vertretung"), so etwa in Angelegenheiten des § 154 Abs 2 ABGB oder sonst bei Wahrnehmung von Persönlichkeitsrechten des Kindes (Hopf aaO § 144 Rz 1; Stabentheiner in Rummel³ § 144 ABGB Rz 1b; Weitzenböck in Schwimann, TaschenKomm § 144 ABGB Rz 2 und 3).
...Im Anlassfall stellt sich vorweg die Frage, welchem Elternteil die gesetzliche Vertretung zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zukommt. Konkret ist zu klären, ob die Geltendmachung solcher Ansprüche dem Bereich der Pflege und Erziehung oder der Vermögensverwaltung zuzuordnen ist.
Barth (aaO § 144 Rz 11 und 14) ordnet die Verfügung über den Unterhalt des Kindes (Festsetzung und deren Änderung, Entgegennahme und Quittierung, Eintreibung, Verwendung) der Vermögensverwaltung zu. Im Weiteren (aaO § 144 Rz 16) vertritt er allerdings die Ansicht, dass nach § 176 Abs 3 ABGB die Übertragung von Pflege und Erziehung die Vertretung nach außen in diesen Bereichen einschließe. Damit sei auch die Befugnis verbunden, über den Kindesunterhalt zu verfügen. Der pflegende Elternteil, der Geldunterhalt vom anderen für das Kind erhalte, habe auch die Befugnis, diesen Unterhalt für den Lebensbedarf des Kindes auszugeben, soweit er - was wohl die Regel sei - der Pflege und Erziehung des Kindes zuzuordnen sei.
Die Verfügung über den Kindesunterhalt ordnet somit auch Barth der Pflege und Erziehung zu. Warum er zwischen Verfügung einerseits sowie Geltendmachung und Eintreibung andererseits unterscheidet, begründet er nicht.
... Der Lebensbedarf des Kindes einschließlich einer altersüblichen Freizeitgestaltung ist primär von den Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu bestreiten. Nur die nach Befriedigung der Verwaltungskosten verbleibenden Erträgnisse des Vermögens des Kindes sind zur Deckung seines Unterhalts zu verwenden. Der Vermögensstamm darf zur Bestreitung des Lebensbedarfs nur ausnahmsweise herangezogen werden, wenn die Unterhaltsleistungen der Eltern (und Großeltern) nicht ausreichen (Thunhart in Klang³ §§ 149, 150 ABGB Rz 7; Hopf aaO §§ 149-150 Rz 2; Weitzenböck aaO § 149 Rz 6).
Der Unterhalt dient also der Deckung der aktuellen, angemessenen (Lebens-)Bedürfnisse des Kindes. Dies betrifft vor allem die regelmäßig benötigten Betreuungs- und Versorgungsleistungen, die benötigten Leistungen zur Wahrung des körperlichen Wohls und der Gesundheit, weiters die Aufwendungen für die Ausbildung und zur Freizeitgestaltung. Die Vermögensverwaltung betrifft demgegenüber die Erhaltung und mögliche Vermehrung des Stammvermögens sowie die Gebarung mit den Erträgnissen. Nur wenn der Einsatz des eigenen Vermögens des Kindes im Einzelfall zur Befriedigung seiner aktuellen Bedürfnisse erforderlich ist, ist mit der Vermögensverwaltung auch die Bestreitung von Ausgaben für das Kind geboten (Thunhart aaO §§ 149, 150 Rz 6). Die Vermögensverwaltung betrifft also die Heranziehung des eigenen Stammvermögens und der Erträgnisse des Kindes.
Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht damit grundsätzlich jenemElternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde (vgl auch RIS-Justiz RS0072255: Für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme von Unterhalt und der Geltendmachung besteht kein sachlicher Grund). (Anm.: Kursivdruck durch BFG).
... Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Bestellung eines Kollisionskurators im Anlassfall nicht zu beanstanden..."
Aus den zit. Beschlüssen des OGH, denen das BFG folgt, ergibt sich daher - im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde - dass auch rückwirkende Anträge auf Familienbeihilfe vom Obsorgebereich Pflege und Erziehung umfasst sind. In wird die Auffassung des Vaters, eine Vertretungsbefugnis des KJHT für die beiden Kinder bestehe hier in "Unterhaltssachen, jedenfalls was den rückständigen Unterhalt betrifft - jedenfalls in diesem Fall sei Vermögensverwaltung gegeben - nicht", explizit nicht geteilt.
Das Bundesfinanzgericht kommt daher zum Ergebnis, dass im ggstdl. Fall der Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11, dem mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung übertragen wurde, befugt war, für die Bf (auch) rückwirkend für den Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2020 die Familienbeihilfe zu beantragen (vgl. ).
Die Vertretungsbefugnis des Magistrats der Stadt Wien, MA 11, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3,11, ist damit zu bejahen. Die Aktivlegitimation des Einschreiters ist gegeben.
Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall auf Grund der zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen nicht vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 144 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811 § 176 Abs. 3 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811 § 181 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811 § 231 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100131.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at