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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.03.2021, RV/1100290/2020

Anerkennung von Behinderungen als außergewöhnliche Belastung, Voraussetzungen dafür.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Gerald Daniaux in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 Steuernummer zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Beschwerdevorentscheidung vom abgeändert. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind der Beschwerdevorentscheidung zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) wurde mit Vorhalt vom vom Finanzamt aufgefordert, seinen Bescheid des Sozialministeriums und jenen des Partners betreffend Erwerbsminderungen in der von ihm eingebrachte Arbeitnehmerveranlagung 2019 einzureichen.

Im Einkommensteuerbescheid 2019 vom wurden hinsichtlich den Bf. ein eigener Freibetrag für eine Erwerbsminderung von 25 % sowie ein pauschaler Freibetrag wegen Krankendiätverpflegung für Zuckerkrankheit sowie ein weiterer Freibetrag wegen Behinderung des (Ehe)Partners als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Die Zuckerkrankheit betreffend seine Gattin wurde nicht berücksichtigt. Begründend wurde ausgeführt, dass hiefür keine Bestätigung vorliege.

Am brachte der Bf. über Finanzonline Beschwerde ein: "Anbei das Gutachten, darin können sie die Zuckerkrankheit meiner Gattin entnehmen."

Der Bf. wurde am vom Finanzamt über Finanzonline darüber informiert, dass keine Unterlagen übermittelt worden seien und er es nochmals versuchen oder das Gutachten beim Finanzamt in den Briefkasten werfen oder es mit der Post senden solle.

Ebenfalls am erging an den Bf. ein Ergänzungsersuchen des Finanzamtes mit welchem der Bf. ersucht wurde die Diätverpflegung seiner Gattin wegen Zuckerkrankheit anhand einer Bescheinigung des Sozialministeriumservice nachzuweisen.

In der den angefochtenen Bescheid abändernden Beschwerdevorentscheidung vom wurden der Freibetrag wegen Behinderung des (Ehe)Partners gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 und Pauschbeträge nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen wegen der Behinderung des (Ehe)Partners als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Begründend wurde ausgeführt, dass die fälschlicherweise berücksichtigten Pauschbeträge für eine eigene Behinderung i.H.v. 25 % und der Diätverpflegung für Zuckerkrankheit des Bf. im Zuge der Beschwerdeerledigung nachträglich zu berichtigen gewesen seien.

In dem über Finanzonline eingebrachten Vorlageantrag des Bf. vom wird angeführt: "Anbei die 2 Bestätigungen über die eigene Behinderung (außergewöhnl. Belastung)."

Dem Bf. wurde hierauf umgehend vom Finanzamt mitgeteilt, dass keine Unterlagen übermittelt worden seien.

Mit Ergänzungsersuchen vom wurde der Bf. vom Finanzamt ersucht, seine beantragte Erwerbsminderung und die Diätverpflegung wegen Zuckerkrankheit anhand einer Bescheinigung des Sozialministeriumservice nachzuweisen.

Mit Antwortschreiben vom hat der Bf. eine "Ärztlich(e) Bestätigung" vom von (im Kopf des Schreibens) Frau ***1***, Ärztin für Allgemeinmedizin, ***2***, lautend wie folgt beigebracht: "hiermit wird bestätigt, dass Herr ***3*** an einem Diabetes mellitus Typ II. erkrankt ist, der derzeit mittels einer oralen Kombinationstherapie Dauer behandelt wird.", gezeichnet "Mit freundlichen Grüßen Dr. ***4***".

Weiters wurde ein Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg, aus 2016 (Gutachten vom , Untersuchung vom ) betreffend Frau ***3***, die Ehefrau des Bf., beigebracht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist strittig, ob die Bestätigung einer/s Allgemeinmedizinerin/mediziners über die Erkrankung an einem Diabetes mellitus Typ II. ausreicht, den Freibetrag für eine Erwerbsminderung von 25 % sowie dem pauschalen Freibetrag wegen Krankendiätverpflegung für Zuckerkrankheit zu berücksichtigen.

Eine Bestätigung über die Behinderung und den Grad der Behinderung des Sozialministeriumservice liegt unbestrittenermaßen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

Die Belastung ist nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Die Belastung beeinträchtigt nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen näher geregelten Selbstbehalt übersteigt.

Nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 können u.a. Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden. Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind (§ 34 Abs. 6 letzter Satz EStG 1988).

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen u. a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung und erhält er keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm nach § 35 Abs. 1 EStG1988 ein Freibetrag (§ 35 Abs. 3 EStG 1988) zu. Die Höhe des Freibetrages richtet sich nach dem Grad der Behinderung.

Anstelle des Freibetrags nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 können nach § 35 Abs. 5 leg. cit. auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6 leg. cit.).

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stellen sind der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente gemäß § 11 Abs. 2 Opferfürsorgegesetz, BGBl Nr. 183/1947, die Sozialversicherungsträgerbei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern bzw. in allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice); dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach § 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen zu erlassenen Bescheid zu bescheinigen.

Die Bestimmung des § 35 Abs. 8 EStG 1988 in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung ordnet an, dass die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (SMS) gespeicherten für die Berücksichtigung von Frei- und Pauschbeträgen erforderlichen personenbezogenen Daten dem zuständigen Finanzamt elektronisch zu übermitteln sind. Voraussetzung ist die ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen. Die Übermittlung der Daten ersetzt die Nachweisführung hinsichtlich des Grades der Behinderung.

Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl Nr. 303/1996 (ab der Veranlagung 2011: idF BGBl II Nr. 430/2010) sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen u.a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat.

Eine Behinderung liegt nach § 1 Abs. 2 der Verordnung vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25 % beträgt.

Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 der Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen (§ 1 Abs. 3 der Verordnung).

Nach § 4 der Verordnung idF BGBl II Nr. 91/1998, sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit von Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der Verordnung ist, dass diese in einem ursächlichen Zusammenhang mit der festgestellten Behinderung stehen (vgl. Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG Kommentar, § 35 Tz 17; sowie , und , VwSlg 7950/F).

Die Ermächtigung des Bundesministers für Finanzen zur Festlegung von solchen Fällen, in denen Aufwendungen "ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung" zu berücksichtigen sind, verändert die Regelung der §§ 34 und 35 EStG 1988 inhaltlich: Während etwa nach den Vorschriftendes § 35 Abs. 1 und 5 EStG 1988 iVm § 34 Abs. 6 EStG 1988 die Geltendmachung der tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung nur "anstelle" des Freibetrags vorgesehen ist, erlaubt die Verordnungsermächtigung des letzten Satzes des § 34 Abs. 6 EStG 1988 demgegenüber die Geltendmachung tatsächlicher Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung "neben" der Geltendmachung des Freibetrags nach § 35 Abs. 3 EStG 1988. Es handelt sich um eine Norm, mit der "im Kleid einer Verordnungsermächtigung der materielle Gehalt der in den diesbezüglichen Regelungen der §§ 34 und 35 geschaffenen Ansprüche geändert worden ist" (vgl. Fuchs, aaO, § 34 Tz 46/2; sowie nochmals , VwSlg 7950/F, und VwGH28.6.2006, 2002/13/0134).

Voraussetzung für eine steuerliche Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen (ohne Selbstbehalt) im Zusammenhang mit einer Behinderung ist in allen Fällen das Vorliegen einer amtlichen, im vorliegenden Fall vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumsservice) auszustellenden und (allenfalls) im elektronischen Wege der Abgabenbehörde gemäß § 35 Abs. 8 EStG1988 zu übermittelnden Bescheinigung über eine festgestellte Behinderung sowie die graduelle Einstufung dieser Behinderung (Feststellung des Grades der Behinderung) (siehe hierzu ).

Der Bf. wurde vom Finanzamt mit Ergänzungsersuchen vom aufgefordert, eine derartige Bescheinigung beizubringen, ebenfalls wurde er in dem ihm übermittelten Beschwerdevorlagebericht vom auf die diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen hingewiesen.

Eine solche Bescheinigung stellt aufgrund der Gesetzeslage eine unabdingbare Voraussetzung für die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen der genannten Art dar und kann demzufolge nicht durch die Vorlage von ärztlichen Bestätigungen von Allgemeinmedizinern oder von fachärztlichen Gutachten substituiert werden. So reichen weder Gutachten von Amtsärzten noch Privatgutachten aus, um die behördliche Einstufung zu ersetzen.

Die Abgabenbehörde hat ihrer Entscheidung die jeweils vorliegende amtliche Bescheinigung zugrunde zu legen ().

Für die Entscheidung der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Behinderung vorliegt, ist somit - im gegenständlichen Fall - ausschließlich die Feststellung des Sozialministeriumsservice maßgeblich und die Abgabenbehörde ist an diese gebunden.

Da kein vom Sozialministeriumsservice ausgestellter Behindertenpass vorliegt und auch vom Bf. trotz Aufforderung des Finanzamtes keine amtliche Bescheinigung vorgelegt wurde, konnte dem Begehren des Bf. nicht entsprochen werden bzw. erfolgte die Korrektur in der Beschwerdevorentscheidung zu Recht.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Erkenntnis weicht von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab und entspricht der geltenden Rechtslage, weshalb eine (ordentliche) Revision nicht zulässig ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.1100290.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at