Verfahrenshilfe – Einzel – Beschluss, BFG vom 16.03.2021, VH/5100001/2020

Bedeutung des Rechtsstreites für den Antragsteller

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Norbert Zöls über den Antrag des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch AUSTRIA TREUHAND Holding SteuerberatungsgmbH, Mariahilfer Straße 1 c 7 Top 4a, 1060 Wien, vom auf Gewährung der Verfahrenshilfe gegen den Haftungsbescheid gem. § 11 BAO des Finanzamtes Linz vom zu StNr. ***2*** beschlossen:

Dem Antragsteller wird gem. § 292 BAO die Verfahrenshilfe bewilligt.

Die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer wird hiervon gemäß § 292 Abs. 10 BAO verständigt.

Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Sachverhalt

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Antragsteller (ASt) als Haftungspflichtiger gem. § 11 BAO für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Firma ***1***. im Ausmaß von 87.894,00 € in Anspruch genommen.

Gegen diesen Haftungsbescheid wurde mit Eingabe vom Beschwerde erhoben unter Hinweis auf die Uneinbringlichkeit der Haftungsschuld beim ASt. Auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung wurde verzichtet. Gleichzeitig wurde ein Antrag auf Verfahrenshilfe gestellt, ohne diesen näher zu begründen. Der Antrag wurde im Zusammenhang mit der Beschwerdevorlage dem BFG übermittelt.

Mit Beschluss vom wurde dem ASt gem. § 85 BAO aufgetragen, die dem Antrag anhaftenden Mängel (Bezeichnung des Bescheides, Gründe der Rechtswidrigkeit, Entscheidung ob Kammer der Wirtschaftstreuhänder oder Rechtsanwaltskammer, Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse) zu beheben. Dem Auftrag wurde mit Eingabe vom entsprochen. Ergänzend wurde angeführt, dass man sich die steuerliche Vertretung nicht mehr leisten könne.

Aus dem ergänzten Antrag sind folgende persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse des ASt ersichtlich:

Der ASt wohnt in einer Mietwohnung, wobei die monatlichen Kosten 550,00 € betragen. Das monatliche Einkommen wurde mit 1.500,00 € bekannt gegeben, die Höhe der Schulden mit 4.200.000,00 €. Vermögen ist nicht vorhanden. Unterhalspflichten bestehen gegenüber der Ehegattin und zwei minderjährigen Kindern.

Die Entscheidung, dass der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer die Bestellung des Verfahrenshelfers obliegt, wurde vom ASt getroffen.

Rechtslage

Gemäß § 292 Abs. 1 BAO ist auf Antrag einer Partei (§ 78), wenn zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgericht insoweit zu bewilligen,

1. als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und

2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Gemäß § 292 Abs. 2 BAO ist als notwendiger Unterhalt derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.

Offenbar aussichtslos ist eine Beschwerde gemäß § 292 Abs. 5 BAO insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Bei einer nicht ganz entfernten Möglichkeit des Erfolges liegt keine Aussichtslosigkeit vor. Mutwillig ist eine Beschwerde dann, wenn sich die Partei der Unrichtigkeit ihres Standpunktes bewusst ist oder bewusst sein muss.

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist gemäß § 292 Abs. 6 BAO bis zur Vorlage der Bescheidbeschwerde bei der Abgabenbehörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Wird der Antrag vor Ablauf der Frist zur Einbringung einer Bescheidbeschwerde beim Verwaltungsgericht eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung.

Gemäß § 292 Abs. 7 Z 1 BAO kann der Antrag ab Erlassung des Bescheides, der mit Beschwerde angefochten werden soll, gestellt werden.

Gemäß § 292 Abs. 8 BAO hat der Antrag zu enthalten

1. die Bezeichnung des Bescheides (Abs. 7 Z 1) bzw. der Amtshandlung (Abs. 7 Z 2) bzw. der unterlassenen Amtshandlung (Abs. 7 Z 3),

2. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

3. die Entscheidung der Partei, ob der Kammer der Wirtschaftstreuhänder oder der Rechtsanwaltskammer die Bestellung des Verfahrenshelfers obliegt,

4. eine Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers und der wirtschaftlich Beteiligten.

Gemäß § 292 Abs. 10 BAO hat das Verwaltungsgericht über den Antrag mit Beschluss zu entscheiden. Hat das Gericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw. die Rechtsanwaltskammer hievon zu benachrichtigen.

Gemäß § 292 Abs. 11 BAO hat die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw. die Rechtsanwaltskammer mit Beschluss den Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt zu bestellen, dessen Kosten die Partei nicht zu tragen hat. Wünschen der Partei über die Auswahl der Person des Wirtschaftstreuhänders oder Rechtsanwaltes ist im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen. Von der Bestellung sind die Abgabenbehörde und das Verwaltungsgericht zu verständigen.

Erwägungen

Aus der Bestimmung des § 292 BAO folgt, dass das Gericht im Einzelfall zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Verfahrenshilfe vorliegen (vgl. Rzeszut/Schury, Die Verfahrenshilfe in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, SWK 2017, S 89).

Besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art:

Nach § 292 Abs. 1 BAO ist zunächst Voraussetzung für die Bewilligung von Verfahrenshilfe, dass die zu entscheidenden Rechtsfragen "besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art" aufweisen.

Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung erfordert und erlaubt diese Wendung eine Prüfung, ob im konkreten Einzelfall für den Antragsteller besondere Schwierigkeiten bestehen. Dabei sind alle Umstände des Falles wie der Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Rechtsschutzsuchenden, die Bedeutung des Rechtsstreites für diesen, die Komplexität des geltenden Rechtes und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeiten des Rechtsschutzsuchenden, sein Anliegen wirksam zu verteidigen, abzuwägen.

Damit schließt § 292 Abs. 1 BAO die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall nicht schon deshalb aus, weil objektiv keine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art vorliegt().

Der ASt hat sein Ansuchen damit begründet, nicht am Strafverfahren teilgenommen zu haben. Daraus ergibt sich für den ASt bereits eine gewisse Komplexität. Die Höhe des Haftungsbetrages spricht im Hinblick auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dafür, dass für den ASt der Rechtstreit von besonderer Bedeutung ist. Auch dürfte eine Verständnisfrage und eine Verständigungsfrage vorliegen, hat doch der ASt auch einen Antrag auf Beiziehung eines Dolmetschers gestellt. Dass der ASt nicht in der Lage ist, sein Anliegen selbst wirksam zu verteidigen, ist aus dem Akteninhalt des Bundesfinanzgerichts unzweifelhaft erkennbar.

Demnach liegt die Voraussetzung zur Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 292 Abs 1 BAO vor.

Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts:

Zu prüfen ist weiters, ob der ASt die notwendigen Mittel zur Führung des Verfahrens aufbringen kann. Das Fehlen finanzieller Mittel zur Bestreitung der Verfahrenskosten bildet einen Bestandteil der Bewilligungsvoraussetzungen der Verfahrenshilfe. Nur wer sich einen steuerlichen Vertreter nicht leisten kann, soll in den Genuss der Verfahrenshilfe kommen.

Als notwendiger Unterhalt iSd § 292 Abs. 1 Z 1 BAO ist ein zwischen dem "notdürftigen" und dem "standesgemäßen" Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem Existenzminimum liegt und unter Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (siehe zur vergleichbaren Regelung des § 63 Abs 1 ZPO).

Stellt man das Einkommen den Unterhaltspflichten gegenüber so liegt es auf der Hand, dass die Bezahlung eines berufsmäßigen Parteienvertreters den notwendigen Unterhalt des ASt beeinträchtigen würde.

Es liegt daher auch die Voraussetzung zur Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 292 Abs. 1 Z 1 BAO vor.

Weder offenbar aussichtslos noch mutwillig:

Eine Beschwerde gegen den Haftungsbescheid gem. § 11 BAO kann auf Grund des Hinweises, nicht am Strafverfahren teilgenommen zu haben, im beschwerdegegenständlichen Fall zunächst weder als offenbar aussichtslos noch als mutwillig iSd § 292 Abs. 5 BAO bezeichnet werden.

Es liegt somit kein Fall einer Versagung der Verfahrenshilfe nach § 292 Abs. 1 Z 2 BAO vor.

Antrag im Zusammenhang mit der Aktenlage:

Der Haftungsbescheid wurde gemäß § 292 Abs 7 Z 1 BAO nach der Aktenlage wirksam erlassen und dem ASt zugestellt. Innerhalb offener Frist erhob dieser dagegen Beschwerde. Auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung wurde verzichtet.

Der verbesserte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe enthält sowohl die Bescheidbezeichnung (§ 292 Abs. 8 Z 1 BAO) als auch die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtwidrigkeit des Bescheides stützt. Weiters enthält der Antrag eine Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 292 Abs. 8 Z 4 BAO).

Beigabe eines Verfahrenshelfers

Dem Antragsteller wird daher Verfahrenshilfe bewilligt.

Die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer wird von der Bewilligung der Verfahrenshilfe verständigt.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die in diesem Beschluss zu beurteilenden Rechtsfragen folgen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Somit liegt kein Grund vor, die ordentliche Revision zuzulassen.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 292 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:VH.5100001.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at