Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 10.03.2021, RV/7103511/2016

Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde, weil nicht nachvollzogen werden konnte, inwieweit und in welchem Umfang die Vermutung einer Abgabenhinterziehung in das Ausmaß der geschätzten Umsätze und der Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb Eingang gefunden haben

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Karoline Windsteig in der Beschwerdesache ***1***. ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, betreffend die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Einkommensteuer 2014 und Umsatzsteuer 2014 Steuernummer beschlossen:

Die Bescheide betreffend die Einkommensteuer 2014 und Umsatzsteuer 2014 vom sowie die Beschwerdevorentscheidungen vom werden gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.

Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Herr ***3*** ***2*** (Bf.) betrieb als Einzelunternehmer ein im Firmenbuch eingetragenes Bauunternehmen (***4***.).

Dem Firmenbuchauszug ist zu entnehmen, dass über das Unternehmen des Bf. mit Gerichtsbeschluss am der Konkurs eröffnet und in der Folge aufgrund eines Sanierungskonzeptes am aufgehoben wurde. Während des Konkursverfahrens war zur Abwicklung und Vermögensverwaltung eine Masseverwalterin eingesetzt gewesen.

Der Bf. hat für 2014 weder eine Einkommensteuerklärung noch eine Umsatzsteuererklärung abgegeben, weshalb das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen gem. § 184 BAO im Schätzungswege ermittelte und im Einkommensteuerbescheid 2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 35.000,00 € und im Umsatzsteuerbescheid 2014 umsatzsteuerbare- und pflichtige Umsätze in Höhe von 400.000,00 € in Ansatz gebracht hatte. Es wurden keine Vorsteuerbeträge in Abzug gebracht.

Aus dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid ergibt sich außerdem, dass der Bf. für sein Einzelunternehmen im Jahr 2014 von zwei unterschiedlichen Bauunternehmen Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von insgesamt 12.614,78 € erhalten hatte.

Im Begründungsteil der angefochtenen Bescheide wurde ausgeführt, dass wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen die Besteuerungsgrundlagen gem. § 184 BAO im Schätzungswege ermittelt wurden.

Gegen den Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheid 2014 erhob der Bf. am Beschwerde. Darin wurde ausgeführt, dass sich der Bf. mit seinem Einzelunternehmen seit dem Dezember 2013 in einem Konkursverfahren befunden und keinerlei Umsätze erzielt habe. Außerdem habe er im Jahre 2014 keinerlei selbständige gewerbliche Einkünfte getätigt, sondern lediglich nichtselbständige Einkünfte als gewerblicher Geschäftsführer erhalten.

Über Vorhalt vom forderte das Finanzamt den Bf. auf, bis eine Einkommensteuererklärung und eine Umsatzsteuererklärung abzugeben, da nach der Aktenlage für das Kalenderjahr 2014 zwei Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht worden wären, die einen Umsatz von über 60.000,00 € ausgewiesen hätten. Außerdem existieren zwei mit und datierte und vom Einzelunternehmen des Bf. ausgestellte Teilrechnungen betreffend eine Rohbaufertigstellung in Höhe von insgesamt 42.000,00 € zuzüglich einer 20%igen Umsatzsteuer von 8.400,00 €. Darüber hinaus sei der Bf. bei mehreren Bauunternehmen als gewerberechtlicher Geschäftsführer tätig gewesen und habe diesbezügliche Einkünfte nicht erklärt. Die belangte Behörde erließ wegen der Nichtbeantwortung des Vorhaltes abweisende Beschwerdevorentscheidungen mit folgender Begründung:

"Mangels Beantwortung des Ersuchens um Ergänzung vom war Ihre Beschwerde abzuweisen".

Im Vorlageantrag ergänzte der rechtsfreundliche Vertreter des Bf. das Beschwerdevorbringen wie folgt: "Der Bf. war Inhaber des protokollierten Einzelunternehmens mit der Firma "***4***.", FN ***5***. Aufgrund erheblicher finanzieller Schwierigkeiten wurde der Betrieb dieses Unternehmens bereits Ende 2013 bzw. Anfang 2014 eingestellt. Umsätze wurden seit jedenfalls keine mehr erzielt. Die Gewerbeberechtigung wurde mit ruhend gestellt. Mit Beschluss vom wurde vor dem Handelsgericht Wien zu GZ 6 S 54/14d über das Vermögen der ***4***. ein Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom wurde angeordnet, dass das bereits geschlossene Unternehmen, weiterhin geschlossen bleibt. Mit Beschluss vom wurde der Sanierungsplan als rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben.

Mit Beschluss des BFG wurde die belangte Behörde am ersucht, die Ausgangspunkte, Überlegungen und Schlussfolgerungen der in Streit stehenden Schätzung von Einkünften aus Gewerbetrieb in Höhe von 35.000,00 € und umsatzsteuerbaren Umsätzen in Höhe von 400.000,00 € bekanntzugeben. Hingewiesen wurde auf die ständige Rechtsprechung des VwGH, wonach auch Schätzungsergebnisse zu begründen sind (vgl zB ; , 2002/14/0152; , 2007/15/0229; , 2007/15/0040; , 2007/15/0226; , 2009/15/0181; , 2012/13/0068; ebenso EStR 2000, Rz 1108).

Das Finanzamt übermittelte daraufhin dem BFG Umsatzdaten des Jahres 2013, die aus dem an den Bf. gerichteten rechtskräftigen Umsatzsteuerbescheid 2013 hervorgingen, in welchem umsatzsteuerpflichtige Einnahmen in Höhe von 425.598,10 €, ebenso im Schätzungswege, in Ansatz gebracht wurden. Diese Umsatzzahlen seien nach Ansicht der belangten Behörde die Berechnungsgrundlage für die vorliegende Schätzung gewesen. Außerdem könne der Behauptung des Vertreters des Bf., im Jahre 2014 wären keine Umsätze getätigt worden, infolge der eingereichten UVAs als auch durch die vorliegenden im Wege einer Kontrollmitteilung bekannt gewordenen im Jahr 2014 verbuchten Rechnungen nicht gefolgt werden.

Aktenkundig ist ebenso eine der Finanzverwaltung übermittelte Anzeige der Landespolizeidirektion Wien vom , betreffend den Bf. und sein Einzelhandelsunternehmen wegen Beschäftigung von Fremden ohne erforderliche Arbeitserlaubnis und des Verdachts auf Abgabenhinterziehung. Als Tatzeit wurde in der Anzeige der angegeben.

Rechtliche Erwägungen:

Nach § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amtswegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.

Unabhängig von der Offenlegungs- und Mitwirkungspflicht der Partei trägt die Abgabenbehörde die Feststellungslast für alle Tatsachen, die vorliegen müssen, um einen Abgabenanspruch geltend machen zu können.

Der Hinweis in der Anzeige vom auf eine mögliche Abgabenhinterziehung durch den Bf. wurde zwar zuständigkeitshalber an das Finanzamt weitergeleitet, dennoch ist der konkreten Aktenlage nicht zu entnehmen, inwieweit abgabenbehördliche Ermittlungen auf Grund der Anzeige angestellt wurden und inwieweit deren Ergebnisse der Abgabenbemessung 2014 bzw. der Schätzung zu Grunde gelegt wurden.

Die alleinige Übernahme von Umsatzdaten aus dem Umsatzsteuerbescheid 2013 des Bf. ohne nähere Ausführungen zur Ableitung der Schätzungsergebnisse, vor allem aufgrund welcher Anhaltspunkte, Überlegungen und Schlussfolgerungen das Finanzamt in den angefochtenen Bescheiden die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und die umsatzsteuerbaren Erlöse in der jeweils genannten Höhe angesetzt hat, ermöglicht keine nachvollziehbare und keine überprüfbare Schätzung der Besteuerungsgrundlagen.

Gemäß § 93 Abs. 3 lit. a BAO hat ein Bescheid eine Begründung zu enthalten. Diese soll es ermöglichen, die für eine behördliche Entscheidung maßgeblichen Überlegungen nachzuvollziehen. In der Begründung sind etwa die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhaltsfeststellungen), die Beweiswürdigung und die hierfür maßgeblichen Erwägungen, deretwegen der angesprochene Tatbestand als erfüllt erachtet wurde, zusammenzufassen.

Der VwGH hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass auch Schätzungsergebnisse der Begründungspflicht unterliegen. Die Begründung hat die für die Schätzungsbefugnis sprechenden Umstände, die Schätzungsmethode, die der Schätzung zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen und die Ableitung der Schätzungsergebnisse darzulegen. Die Begründung muss in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (zB ; ).

Die Begründung der angefochtenen Bescheide vom hält diesen Anforderungen nicht stand, sie beschränkt sich nämlich auf den Satz: "Wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen wurden die Besteuerungsgrundlagen gem. § 184 BAO im Schätzungswege ermittelt." Damit führt das Finanzamt lediglich einen Grund für die Schätzungsberechtigung an, nämlich die Nichtabgabe von Erklärungen. Es fehlen allerdings gänzlich Ausführungen zur Schätzungsmethode, zu den der Schätzung zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen und zur Ableitung der konkreten Schätzungsergebnisse.

Das Fehlen einer schlüssigen Begründung stellt einen Verfahrensmangel dar, der zwar im Rechtsmittelverfahren sanierbar ist; dennoch ist im Beschwerdefall entscheidungswesentlich, dass das Bundesfinanzgericht nicht in der Lage ist, das Ergebnis der Schätzung nachzuvollziehen. Der in der Vorhaltsbeantwortung des Finanzamtes getroffene Verweis auf die oben erwähnte Anzeige und die beiden ausgestellten Teilrechnungen zeigen zwar einen Widerspruch zu den Ausführungen im Vorlageantrag auf, wonach der Bf. mit seinem Einzelunternehmen im Streitjahr keine Einnahmen erzielt hätte, sie legen allerdings keine Sachverhaltsfeststellungen dar, die das vorliegende Schätzungsergebnis überprüfbar gemacht hätten und den angefochtenen Bescheiden daher zu Grunde gelegt hätten werden können.

§ 278 Abs. 1 BAO legt fest:

"Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes

a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260 BAO) noch
b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1 BAO) oder als gegenstandlos (§ 256Abs. 3, § 261 BAO) zu erklären,

so kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1 BAO) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist."

Die Aufhebung unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabebehörde setzt voraus, dass Ermittlungen (§ 115 BAO) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderlassung hätte unterbleiben können.

Eine abschließende Beurteilung über die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie der Umsätze war für das Bundesfinanzgericht aufgrund der Aktenlage nicht möglich, und zwar weder dem Grunde noch der Höhe nach. Den vorgelegten Akten lässt sich zu den beschwerdegegenständlichen, im Schätzungswege ermittelten Einnahmen des Bf. kein zusammenhängender Sachverhalt sowie dessen rechtliche Beurteilung durch das Finanzamt entnehmen. Es kann auch nicht nachvollzogen werden, inwieweit das Finanzamt die in der oben erwähnten Anzeige zum Ausdruck gebrachte Vermutung einer Abgabenhinterziehung, insbesondere in welchem Umfang diese und aufgrund welcher konkreter Feststellungen in die vorgenommene Höhe der Schätzung Eingang gefunden haben. An dieser Einschätzung ändert auch nichts, dass der Bf. eine mit datierte Rechnung in Höhe von 50.400,00 € und Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hatte.

Nach § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen.

Zur Ermessensübung hat der VwGH im Erkenntnis , 2002/20/0315, ausgeführt: "Es würde die Anordnungen des Gesetzgebers über ein zweitinstanzliches Verfahren unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zu einer bloßen Formsache würde. Es sei nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde statt ihre umfassende Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht."

Die vorzitierten höchstgerichtlichen Ausführungen sind analog auf das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht anzuwenden.

Zweckmäßig ist die Zurückverweisung im gegenständlichen Fall jedenfalls, da zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes, ob der Bf. im geschätzten Ausmaß Umsätze ausführte und Einkünfte aus Gewerbebetrieb erhielt, noch grundlegende Ermittlungen notwendig sind, die zu tätigen dem Verwaltungsgericht die Funktion auferlegte, erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und rechtlich zu beurteilen. Billig ist die Zurückverweisung, weil es dem Bf. nicht zumutbar ist, das Verfahren durch ein zeitaufwändiges Erhebungsprocedere des Verwaltungsgerichtes weiter zu verzögern und durch die Verfahrensverlagerung zum Verwaltungsgericht den Rechtsschutz und die Kontrollmechanismen einzuschränken (vgl. auch ).

Die Abgabenbehörde wird daher für den Fall, dass die bisherige Rechtsauffassung in Bezug auf die schätzungsweise Zurechnung gewerblicher und selbständiger Einkünfte beibehalten werden sollte, ergänzende Ermittlungen durchzuführen und den unter Zugrundelegung dieser Ermittlungsergebnisse festgestellten Sachverhalt einer neuerlichen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen haben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die Formalerledigung der Aufhebung und Zurückverweisung bei Unterlassung wesentlicher Ermittlungen entspricht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. ; ;; ). Eine über den Individualfall hinausgehende relevante Rechtsfrage liegt im gegenständlichen Verfahren nicht vor, weshalb eine Revision als nicht zulässig zu beurteilen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 115 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7103511.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at