Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.03.2021, RV/7100430/2021

Abweisung eines Antrages auf Famiienbeihilfe auf Grund einer Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 883/2004

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterRi in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe für das Kind ***1*** im Zeitraum vom bis zum zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Eingabe vom stellte der die italienische Staatbürgerschaft besitzende, auf Grund einer Konzernversetzung seit Februar 2019 in Wien wohnhafte Bf. Familienbeihilfe für seinen minderjährigen Sohn ab dem . Aus den, dem Antrag beigelegten Unterlagen geht hervor, dass die Ehegattin sowie der Sohn des Bf. seit dem an dessen österreichischen Wohnadresse einen Nebenwohnsitz begründet haben, respektive das Kind ***1*** seit September 2019 eine Kindergruppe besucht.

Laut einer mit datierten Bestätigung stehe der Bf. in der Zeit vom bis zum in einem aufrechten Dienstverhältnis zu der in Wien domizilierten ***2*** GmbH.

Der Antrag des Bf. auf Familienbeihilfe wurde für den Zeitraum vom bis zum vermittels Bescheid vom abgewiesen, wobei die belangte Behörde begründend ins Treffen führte, dass der Bf. in nämlichen Zeitraum in Österreich keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt, respektive keine Geldleistungen erhalten habe, ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht zum Tragen komme.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom verweist die Vertretung des Bf. nochmals auf den Umstand dessen, auf Entsendung beruhender und seit dem bestehender Tätigkeit bei der in Österreich ansässigen ***2*** GmbH.

Demzufolge ergehe nochmals der Antrag auf Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen ab dem .

In der Folge gab die Vertretung des Bf. am bekannt, dass der Bf. in Italien keine Familienbeihilfe bezogen habe, wobei dieser Umstand betreffend das Jahr 2019 seitens der ***5*** bestätigt wurde.

Am erließ die belangte Behörde eine, das Rechtsmittels des Bf. abweisende Beschwerdevorentscheidung (BVE) nachstehenden Inhalts:

"Die Bescheidbeschwerde verweist auf eine Konzernentsendung zur Fa. ***3*** GmbH in Wien und auf eine "Ansässigkeit" von Herrn ***4*** in Österreich seit .

Gemäß § 2 (8) Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland haben. Wo sich der Lebensmittelpunkt einer Person befindet, ist stets nach dem Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu entscheiden.

Ansässigkeit ist ein Begriff der internationalen Besteuerung, insbesondere jeweils bilateraler Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung, nicht aber des Familienlastenausgleichsgesetzes oder der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäß Verordnung (EG) 883/2004.

Im Allgemeinen ist ein Steuerpflichtiger in jenem Staat ansässig, in dem er seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hat. Ist dies in mehreren Staaten der Fall, dann ist die Ansässigkeit abhängig vom betreffenden Abkommen u. a. dort, wo die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen.

Nach § 26 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) hat jemand einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Gemäß § 26 Abs. 2 BAO hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Abgabenvorschriften dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt.

Laut vorliegender Aktenlage ist der Aufenthalt von Herrn ***4*** in Österreich berufsbedingt nur vorübergehend. Der Dienstvertrag mit der Fa. ***3*** GmbH ist mit dem Zeitraum bis befristet.

Auch der eingewandte "Nachzug" nach Österreich im April 2019, lässt nicht auf eine dauerhafte Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nach Österreich schließen, und ist (abgestellt auf die lediglich befristete Entsendung nach Österreich) nur vorübergehend.

Die in Wien bewohnte Wohnung wird vom Dienstgeber für die Dauer der befristeten Tätigkeit unentgeltlich zur Verfügung gestellt.

Die Wohnung in Italien wurde beibehalten und der jederzeitigen eigenen Nutzung Vorbehalten, eine ev. zwischenzeitige (Unter-)Vermietung oder Nutzung für andere Zwecke im Entsendungszeitraum besteht nicht.

In der Regel führt ein zweijähriges Auslandsdienstverhältnis bzw. eine kurze Entsendung nicht zur Verlagerung des Lebensmittelpunktes, wenn die bestehende Wohnstätte beibehalten wird, selbst dann nicht, wenn die Familienangehörigen den entsandten Dienstnehmer an den Entsendungsort begleiten.

Der Besuch des Montessori-Kindergartens des Sohnes lässt zwar auf einen derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Bundesgebiet schließen, weist aber nicht einen Mittelpunkt der Lebensinteressen der Eltern in Österreich nach.

Ebenso spricht der Verbleib der gesamten Familie im italienischen Sozialversicherungssystem gegen die Annahme eines in Österreich gelegenen Mittelpunktes der Lebensinteressen.

Der Umstand, dass für Zwecke der Einkommensbesteuerung eine Ansässigkeit in Österreich erklärt worden war, ändert nichts an einer mangelnden Feststeilbarkeit eines in Österreich gelegenen Mittelpunkt der Lebensinteressen.

Die im § 2 (8) FLAG 1967 festgelegten Beihilfen-Zuerkennungsvoraussetzungen sind im Beschwerdezeitraum nicht erfüllt.

Soweit das Beschwerdebegehren auf Zuerkennung von österreichischen Familienleistungen nicht (nur) auf einen durch das Familienlastenausgleichsgesetz festgelegten Sachverhalt, sondern (auch) auf einen durch eine Beschäftigung in Österreich begründeten Anspruch gem. Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) 883/2004 gestützt werden sollte, ist festzuhalten, dass für den Beschwerdezeitraum zufolge der Entsendung Österreich eine Eigenschaft als Beschäftigungsstaat nicht zukommt, sondern gem. Art. 12 der Verordnung (EG) 883/2004 für Belange der sozialen Sicherheit (zu denen auch die Familienleistungen gehören) die Unterstellung unter die italienischen Rechtsvorschriften (für 24 Monate ab Entsendungsbeginn) weiterhin aufrecht bleibt.

In diesem Zusammenhang wird auch auf die nach wie vor gegebene Unterstellung unter die italienische Sozialversicherung hingewiesen."

In dem innerhalb verlängerter Frist eingebrachten Vorlageantrag vom wird nachstehendes ausgeführt:

"Ergänzend zu der von uns im Namen unseres Klienten am eingebrachten Bescheidbeschwerde sowie den Angaben auf das Ersuchen um Ergänzen seitens der Behörde im Rahmen der Bescheidbeschwerde, möchten wir noch folgendes ausführen:

Zugrunde liegender Sachverhalt:

Herr ***4*** hat mit eine vorübergehende Tätigkeit bei ***2*** GmbH (***6*** GmbH) angetreten. Der österreichische Dienstvertrag wurde auf 2 Jahre befristet ( - ). Inzwischen liegt eine Verlängerung der ursprünglichen Befristung vor und Herr ***4*** ist weiterhin in Österreich tätig (der Vertrag über die Verlängerung ist diesem Schreiben beigelegt). Sein bisheriger italienischer Arbeitgeber, ***5***, ist die Konzernmutter vom österreichischen Arbeitgeber ***6*** GmbH (Beteiligung ca. 85%).

Der italienische Dienstvertrag von Herrn ***4*** wurde für die Dauer seiner Tätigkeit in Österreich ruhend gestellt, jedoch nicht beendet. Ein Wiederaufleben für den Zeitpunkt der Rückkehr wurde explizit vereinbart. Die Dienstverträge sowie die Bestätigung über die Ruhendstellung wurden im Zuge der Beantwortung eines Ersuchens um Ergänzung mit an das Finanzamt übermittelt. Anbei dürfen wir Ihnen weiters noch die Ausnahmegenehmigung für den Verbleib in der italienischen Sozialversicherung übermitteln.

Aufgrund der nicht auf Dauer angelegten Tätigkeit in Österreich ist Herr ***4*** ursprünglich allein nach Österreich gezogen, seine Frau ***9*** und sein Sohn ***10*** sind in Italien geblieben. Da sich jedoch die Situation aufgrund der großen Entfernung als sehr schwierig herausgestellt hat (der Sohn war zu dem Zeitpunkt erst 7 Monate alt), sind seine Frau und sein Sohn, nach mehreren längeren Besuchen in Österreich zwischen 01/2019 und 03/2019, mit April 2019 auch nach Österreich gezogen. Seither liegt der gemeinsame Familienwohnsitz in Österreich, auch wenn der ursprüngliche Wohnsitz in Italien nicht aufgegeben wurde. Durch die Verlängerung des ursprünglich befristeten Vertrages in Österreich wurde auch der Aufenthalt auf unbestimmte Zeit verlängert.

Frau ***8*** war vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes Studentin (Studienabschluss Februar 2018, Geburt Mai 2018) und hat daher in Italien kein Dienstverhältnis gehabt (dadurch auch keine Karenz). In Italien wurden und werden keinerlei Familienleistungen bezogen. Herr ***4*** hat seit ausschließlich Einkünfte aus seiner Tätigkeit in Österreich.

Stellungnahme zur Beschwerdevorentscheidung:

Gemäß § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalten haben.

Die Beschwerdevorentscheidung bezieht sich auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen in § 2 Abs. 8 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967). Da dies jedoch ein Sachverhalt mit Bezug zu einem anderen EU-Mitgliedstaat ist, stellt § 53 Abs. 1 FLAG 1967 klar, dass der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten ist.

Aufgrund des Anwendungsvorranges von EU-Recht hat jedoch vor einer Prüfung der nationalen Voraussetzungen nach dem FLAG 1967 eine Prüfung nach EU-Recht zu erfolgen. Diese Prüfung dient der Feststellung, welcher Staat für die Gewährung von Familienleistungen zuständig ist. Für den vorliegenden Sachverhalt sind die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rats vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO 883/2004 einschlägig.

Art 7 der VO 883/2004 ("Aufhebung der Wohnortklausel") lautet:

"Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

Demzufolge findet die auf Wohnortklauseln beruhende Bestimmungen des § 2 Abs. 1 FLAG 1967, die für den Familienbeihilfenbezug auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellt (im vorliegenden Fall betreffend Jänner bis März 2019), des § 2 Abs. 8 FLAG 1967, die auf den wesentlich durch den Wohnort bestimmten Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt (im vorliegenden Fall betreffend April bis Juli 2019), und des § 5 Abs. 3 FLAG 1967, das einen vom Wohnort abhängigen Ausschluss der Familienbeihilfe bei ständigem Aufenthalt des Kindes im Ausland vorsieht, gern. Art 7 VO 883/2004 keine Anwendung (siehe dazu ).

In der FLAG-Durchführungsrichtlinie (FLAG-DR) Teil 2 Abschnitt 10 ist das Verfahren, das für einen Sachverhalt mit Bezug zu einem EU-Mitgliedsstaat einzuhalten ist, dargelegt. In einem ersten Schritt muss seitens der Behörde, bei der ein Antrag, im vorliegenden Fall auf Familienbeihilfe, eingelangt ist, nach Art. 68 Abs. 1 und 2 der VO 883/2004 geprüft werden, ob Österreich vorrangig oder nachrangig zuständig ist. Für den Fall, dass in Bezug auf das Vorliegen der vorrangigen Zuständigkeit eine Abklärung mit einem Träger eines anderen Mitgliedstaates erforderlich erscheint, ist dieser zu kontaktieren.

Bei vorrangiger Zuständigkeit erfolgt danach eine Prüfung der nationalen Voraussetzungen, liegen diese vor (zu berücksichtigen ist die gesamte Familiensituation, unabhängig vom Wohnort), ist die Familienbeihilfe auszuzahlen. Ergibt sich dabei für das vorrangig zuständige Finanzamt der Hinweis, dass im nachrangig zuständigen Mitgliedsstaat ein Anspruch auf Ausgleichszahlung bestehen könnte, ist eine amtswegige Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Träger im nachrangig zuständigen Mitgliedsstaat vorgesehen und der Antragssteller darüber zu informieren.

Stellt das Finanzamt fest, dass Österreich der nachrangig zuständige Mitgliedsstaat ist, ist gern. Art. 60 Abs. 3 VO 987/2009 (DVO) folgende Vorgangsweise einzuhalten: in einem ersten Schritt muss eine vorläufige Entscheidung getroffen werden, dass der andere Mitgliedstaat vorrangig zuständig ist. Danach muss eine Kopie des gestellten Antrages gemeinsam mit einer Information über die vorläufige Entscheidung an den zuständigen Träger im anderen Mitgliedsstaat weitergeleitet werden. Der Antragssteller ist über diese Weiterleitung zu informieren, wobei aber kein Abweisungsbescheid zu erlassen ist. Der Träger des anderen Mitgliedstaates bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre.

Wenn Österreich als nachrangig zuständiger Staat eingestuft wird, ist auch ein allfälliger Anspruch auf Ausgleichszahlung in Österreich zu prüfen (Art 68 Abs. 3 VO 883/2004 bzw. Teil 2 Abschnitt 6.7 FLAG-DR).

Aufgrund der eindeutig auf Ebene des EU-Rechtes festgelegten Vorgangsweise für den vorliegenden Sachverhalt hätte ursprünglich kein Abweisungsbescheid erlassen werden dürfen. Wir ersuchen daher im Namen unseres Mandanten um Aufhebung des Abweisungsbescheides und Einleitung des vorgesehenen Verfahrens.

Herr ***4*** und Frau ***8*** haben zusätzlich zum Antrag auf Familienbeihilfe auch einen Antrag auf Kinderbetreuungsgeld bei der ÖGK gestellt. Seitens der ÖGK wurde das Verfahren korrekt eingeleitet und eine Anfrage an die italienischen Behörden gestellt sowie Herr ***4*** darüber informiert. In den FLAG-DR Teil 2 Abschnitt 10 1. Absatz 1 wird auch festgestellt, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen KV-Träger und Finanzamt notwendig ist - wir haben darauf im Vorfeld auch bei telefonischen Abstimmungen mit dem Finanzamt hingewiesen.

Anbei dürfen wir Ihnen auch das italienische Formular E411 zur Verfügung stellen, welches nach Anfrage der ÖGK bei den italienischen Behörden von diesen ausgestellt wurde und aus dem hervorgeht, dass in Italien kein Anspruch auf Familienleistungen besteht."

In ihrem, die Abweisung des Rechtsmittels beantragenden Vorlagebericht verweist die belangte Behörde auf den Schriftsatz des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (GZ. ***7***), mit welchem vom genannten Ministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt einer Vereinbarung nach Artikel 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) 883/2004 in der Form, dass Herr ***Bf1*** für den Zeitraum bis nicht den österreichischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterliegt, sondern den Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit desjenigen Mitgliedstaats unterstellt bleibt, in dessen Gebiet der italienische Dienstgeber den Sitz hat, zugestimmt worden war.

Demzufolge fänden - so die weiteren Ausführungen - die Regelungen der Artikel 11 bis 15 der Verordnung (EG) 883/2004 [und die daran anschließenden Vorgaben der Durchführungsverordnung (EG) 987/2009] keine Anwendung, sondern an deren Stelle die in der Ausnahmevereinbarung getroffenen Festlegungen.

Der durch die Ausnahmevereinbarung bewirkte Ausschluss von der Unterstellung unter die österreichischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit gelte für alle Belange der sozialen Sicherheit, die durch die Verordnung (EG) 883/2004 koordiniert (geregelt) werden, somit auch für Familienleistungen, wobei an vorgenanntem Faktum auch eine allenfalls bislang nicht erfolgte Gewährung italienischer Familienleistungen durch den zuständigen italienischen Träger nichts zu ändern vermag.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Festgestellter Sachverhalt

In der Folge legt das BFG dem Erkenntnis nachstehenden auf der Aktenlage fußenden Sachverhalt zu Grunde:

Der die italienische Staatsbürgerschaft besitzende Bf. wurde von seinem in ***11*** domizilierten Arbeitgeber zum Zwecke einer für den Zeitraum vom bis zum befristeten Dienstverrichtung bei dessen Konzerntochter, sprich der Fa. ***2*** GmbH nach Österreich versetzt.

Hierbei wurde der Dienstvertrag mit dem italienischen Dienstgeber während der Tätigkeit des Bf. in Österreich zwar ruhend gestellt, wobei dessen Wiederaufleben mit Rückkehr des Bf. nach Italien explizit bedungen wurde.

Gemäß einer dem österreichischen Arbeitgeber des Bf. am übermittelten Schriftsatz des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutzes, unterliegt der Bf. ob erzieltem Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt betreffend einer Vereinbarung nach Art. 16 Absatz 1 der VO (EG) Nr. 883/2004, im Zeitraum vom bis zum nicht den österreichischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit, sondern bleibt den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit des Mitgliedstaates unterstellt, in dessen Gebiet der Dienstgeber den Sitz hat.

Die Ehegattin und der minderjährige Sohn des Bf. verblieben zunächst an dem - bis dato beibehaltenen - italienischen Wohnsitz und zogen diese schlussendlich im April 2019 an den inländischen Wohnsitz des Bf.

2. Streitgegenstand

Vor dem Hintergrund des unter Punkt 1 dargestellten Sachverhalt steht die Rechtmäßigkeit der für den Zeitraum vom bis zum verfügte Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe für das minderjährige Kind ***1*** auf dem Prüfstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, wobei sich in Ansehung der Tatsache, dass der Bf. in der Beschwerde explizit den Beginn des Anspruchszeitraumes auf Familienbeihilfe mit dem festlegt, respektive umgekehrt gesprochen sohin die für den Monat Dezember 2018 verfügte Abweisung goutiert, die Prüfung nach dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen auf den Zeitraum vom bis zum zu beschränken ist.

3. Rechtliche Würdigung

3.1. Anspruch des Bf. auf Familienbeihilfe nach der VO (EG) Nr. 883/2004 im Zeitraum vom bis zum

3.1. Rechtsgrundlagen

Mit der VO(EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der hiezu ergangenen Durchführungsverordnung VO(EG) 987/2009 hat das Europäische Parlament und der Rat grundlegende Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit geschaffen.

Nach Art 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 gilt diese Verordnung u.a. für Staatsangehörige mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Gemäß Art 3 Abs. 1 lit. j VO(EG) 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften,die Familienleistungen betreffen.

Art 11 Abs. 1 VO(EG) 883/2004 bestimmt, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Welche Rechtsvorschriftendies sind, bestimmt sich nach den Ausführungen dieses Titels.

Art 11 Abs. 3 lit. a VO(EG) 883/2004 normiert dazu, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaateine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, vorbehaltlich der Art12 bis 16 der Verordnung den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates unterliegt.

Nach der Bestimmung des Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 können zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Mitgliedstaaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Einrichtungen im gemeinsamen Einvernehmen Ausnahmen von den Artikeln 11 bis 15 im Interesse bestimmter Personen oder Personengruppen vorsehen.

3.2. Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Fall kann auf Grund des festgestellten Sachverhaltes kein Zweifel bestehen, dass der Bf. und seine Familienangehörigen unter den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.

Ebenso unstrittig ist, die der österreichischen Familienbeihilfe um eine solche Familienleistung nach Art. 3 Abs. 1 lit. j der VO (EG) 883/2004 handelt.

Auf Grund der Tatsache, dass der Bf. - bezogen auf den Streitzeitraum - in einem befristeten Dienstverhältnis zu einer inländischen Konzerntochter seines italienischen Arbeitgebers (Konzernmutter) steht, respektive auf Kosten der ***2*** GmbH tätig wird, liegt der Fall einer sogenannten "Quasientsendung" vor.

In Ansehung der unter Punkt 1 dargestellten, auf der Bestimmung des Art. 16 Abs. 1 VO (EU) Nr. 883/2004 fußenden, den Bf. expressis verbis im Zeitraum vom bis zum nicht unter die österreichischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterstellende Ausnahmevereinbarung gelangte das BFG zur Überzeugung, dass für diesen weder im innerstaatlichen-, noch im Unionsrecht ein Anknüpfungspunkt auf Gewährung von Familienbeihilfe verankert ist.

Nämliche Schlussfolgerung des Verwatunsgerichtes liegt darin begründet, dass der Bf. ob oben angeführter Ausnahmevereinbarung einerseits nicht Normadressat des FLAG 1967 ist, respektive für diesen als - explizit bedungener - Normadressat der italienischen Rechtsvorschriften, Italien als exklusiv für dessen Familienleistungen zuständiger Staat zu erachten ist.

Aus vorgenannten Gründen - erscheint in Übereinstimmung mit den diesbezüglich, schlüssigen Ausführungen der belangten Behörde im Vorlagebericht, auf welche - schon um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen wird - angesichts der unzweifelhaften "beihilfenrechtlichen Eigenzuständigkeit" Italiens die Initiierung eines seitens der Vertretung des Bf. vermissten Trägerverfahrens als obsolet, weswegen auch einem in diese Richtung abzielenden Antrag nicht näher zu treten war.

Ebenso wenig vermochte der Einwand, dem gemäß der Bf. in Italien keine Familienbeihilfe bezogen hat, dem Rechtsmittel zum Erfolg zu verhelfen, zumal eine diesbezügliche Untätigkeit der zuständigen italienischen Behörde nicht in eine Gewährung inländischer Familienleistungen münden darf.

In Ansehung vorstehender Ausführungen konnte das BFG in der Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe für das Kind ***1*** im Zeitraum vom bis zum keine Rechtswidrigkeit erblicken und war ergo dessen spruchgemäß zu befinden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine derartige Rechtsfrage liegt nicht vor, da die mangelnde Anspruchsberechtigung des Bf. auf Famileinbeihilfe direkt auf der Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 fußt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
VO 833/2014, ABl. Nr. L 229 vom S. 1
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100430.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at