Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.03.2021, RV/7102029/2017

BFG Erkenntnis: keine neue Tatsache iSd § 303 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Ansgar Unterberger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Wiederaufnahme § 303 BAO / USt 2008, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde ***Bf1*** (in der Folge: Beschwerdeführer: Bf) als Haftungspflichtiger gemäß §§ 9 und 80 BAO ua für die aushaftende Abgabenschuldigkeit Umsatzsteuer 2008 (€ 81.267,93) der GmbH (in der Folge: GmbH) zur Haftung herangezogen.

Diese Abgabenschuldigkeit beruht auf einer Nachforderung infolge einer bei der GmbH durchgeführten Betriebsprüfung, bei der im Zusammenhang mit Umsatzsteuer festgestellt worden war, dass zur Verschleierung von ausbezahlten "Schwarzlöhnen" Rechnungen von dubiosen Subunternehmern ohne tatsächliche Leistungserbringung als Fremdleistungsaufwand verbucht worden seien und aus diesen Rechnungen zu Unrecht Vorsteuern geltend gemacht worden wären. Diese Vorsteuerabzüge wurden infolge der Betriebsprüfung rückgängig gemacht, was zu der mit Bescheid vom festgesetzten Nachforderung iHv € 81.267,93 gegenüber der GmbH führte.

Mit Schreiben vom stellte der Bf einen "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden mit dem Antrag auf ersatzlose Behebung des Haftungsbescheides vom ua hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 2008.

In der Begründung verwies der Beschwerdeführer auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7100982/2012. Darin sei festgestellt worden, dass keine verdeckte Ausschüttung stattgefunden habe und dass Zahlungen an Subfirmen auch den Machthabern derselben zuzurechnen seien und nicht den Gesellschaftern der GmbH. Dieses Erkenntnis habe daher direkte Auswirkungen auf die im Haftungsbescheid geltend gemachten Abgabenschuldigkeiten, die wie die nunmehr rechtskräftig behobene Kapitalertragsteuer nicht zu Recht bestünden.

Anm. d. Ri.: Mit dem genannten Erkenntnis wurden KESt-Bescheide aufgehoben, weil es für die (bei der oben angeführten Betriebsprüfung bei der GmbH) festgestellten verdeckten Ausschüttungen nach Ansicht des BFG im Rahmen der Beweiswürdigung keine hinreichenden Anhaltspunkte hinsichtlich des tatsächlichen Zuflusses gäbe. Dem Erkenntnis sind aber keine Tatsachenfeststellungen hinsichtlich einer evtl. tatsächlich stattgefundenen Leistungserbringung zu entnehmen. Hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Feststellungen ist dem Erkenntnis ebenfalls nichts zu entnehmen.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Wiederaufnahme mit der Begründung ab, das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom stelle keine neu hervorgekommene Tatsache iSd § 303 Abs 1 lit b BAO dar. Wenn sich der Antrag vom formal nur auf den Haftungsbescheid beziehe, müsse nach dem Erkenntnis des der Antrag auch als solcher auf Wiederaufnahme des USt-Verfahrens 2008 gewertet werden. Das Bundesfinanzgericht habe im dortigen Erkenntnis vom aber keine Sachverhaltsfeststellungen darüber getroffen, dass ein Leistungsaustausch mit den näher bezeichneten Subunternehmern stattgefunden habe oder Vorsteuern aus den Rechnungen der angeführten Subunternehmer zu Recht abgezogen worden wären.

Aus den Erwägungen des Bundesfinanzgerichtes ließen sich nach den Denkgesetzen keine Schlussfolgerungen ableiten, die als Tatsachen anzuerkennen wären. Aus dem Erkenntnis ergäben sich auch nicht mittelbar neu hervorgekommene Tatsachen. Nur mit dem abgeschlossenen Verfahren zusammenhängende tatsächliche Umstände, nicht aber Entscheidungen von Gerichten könnten neue Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO sein.

Die Frage, ob eine verdeckte Ausschüttung vorliege, stelle auch keine Vorfrage iSd § 303 Abs 1 lit. c iVm § 116 BAO dar.

In der fristgerecht gegen die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages erhobenen Beschwerde vom führte der Beschwerdeführer aus, aus dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom ergebe sich sowohl der sachverhaltsbezogene Neuerungstatbestand als auch der Vorfragentatbestand. Das Bundesfinanzgericht habe auf Grund amtswegiger Erforschung der materiellen Wahrheit seine Zweifel an der Schlüssigkeit der von der Betriebsprüfung getroffenen Feststellungen zur KESt 2008 und 2009 dargelegt, die von der belangten Behörde trotz Aufforderung zur Stellungnahme nicht ausgeräumt worden seien. Von diesen Zweifeln seien auch die kongruenten Sachverhalte und Tatsachen des abgeschlossenen Verfahrens hinsichtlich ua Umsatzsteuer des Jahres 2008 betroffen.

Mit Unterlassung der Stellungnahme durch die belangte Behörde gelte die "Unschlüssigkeit des festsetzungsbegründenden Sachverhaltes für die KESt als zugestanden". Dieses Zugeständnis gelte auch für die Abgaben 2008 und sei auch vorfragenrelevant, weil auf unschlüssigen Sachverhalten keine Abgabenfestsetzung in der ergangenen Höhe oder nur in geringerer Höhe erfolgt wäre.

Die vom BFG festgestellten Zweifel hinsichtlich der Ausschüttungen müssten auch Folgen für die Umsatzsteuer haben, weshalb auch der Vorfragentatbestand erfüllt sei. Insofern die Kongruenz der KESt-Tatbestände und der Umsatzsteuer nicht festgestellt worden sei, liege eine mangelhafte Sachverhaltsfeststellung vor.

Hinzu komme die unwiderlegt gebliebene und damit vom Bundesfinanzgericht neu festgestellte Tatsache der Verletzung des rechtlichen Gehörs im Betriebsprüfungsverfahren. Darin liege ein weiterer Neuerungstatbestand.

Der Beschwerdeführer verzichtete auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung.

Die Beschwerde hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Haftungsverfahrens wurde mit Erkenntnis des , und die Beschwerde betreffend die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Lohnabgaben mit Erkenntnis des , abgewiesen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen und im Wesentlichen auch unstrittigen Sachverhalt fest:

lm Zuge Außenprüfung wurde festgestellt, dass die GmbH, statt Lohnaufwand korrekt auszuweisen und die entsprechenden Abgaben zu leisten, sogenannte Deckungsrechnungen von dubiosen Subunternehmen für Fremdleistungen in ihr Rechenwerk aufgenommen habe. Die Differenz zwischen dem nichtanzuerkennenden Aufwand aus jenen Scheinrechnungen und dem im Schätzungsweg ermittelten Aufwand für "schwarz" bezahlte Löhne wurde als den Gesellschaftern als verdeckte Ausschüttung zugeflossen behandelt. Die aus den "Deckungsrechnungen" ohne tatsächlich stattgefundenem Leistungsbezug geltend gemachten Vorsteuerabzüge wurden rückgängig gemacht.

Im Erkenntnis vom , RV/7100982/2012 betreffend Kapitalertragsteuer 2008 und 1-6/2010 ging das Bundesfinanzgericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung davon aus, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für die festgestellte verdeckte Ausschüttung vorliegen, und gab der Beschwerde statt.

Der mit Haftungsbescheid vom gemäß den §§ 9 und 80 BAO zur Haftung ua für Umsatzsteuer des Jahres 2008 herangezogene Beschwerdeführer stützt seinen Antrag auf Wiederaufnahme des USt-Verfahrens auf das erwähnte Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom . Als Wiederaufnahmegründe führt er die dort getroffene Feststellung an, dass keine verdeckte Ausschüttung stattgefunden hat.

Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen beruhen auf dem dargestellten verwaltungsbehördlichen Verfahren und den angeführten und dem BFG vorliegenden Unterlagen.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsstellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen annehmen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Ein Antragsrecht auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens besteht grundsätzlich auch für Personen, die nach Inanspruchnahme mittels Haftungsbescheides eine Abgabe schulden (§ 77 BAO iVm § 78 BAO, ).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH ist im Zweifel dem Anbringen einer Partei jener Inhalt beizumessen, der ihr die Möglichkeit zur Rechtsverteidigung einräumt (). Sowohl der ursprüngliche Antrag auf Wiederaufnahme als auch die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages wurden somit vom Finanzamt richtigerweise so verstanden, dass sich diese Anbringen auch auf die Umsatzsteuer 2008 beziehen.

§ 303 BAO normiert für die Wiederaufnahme eines Verfahrens auszugsweise:

"(1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (zB ).

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt auch in ständiger Rechtsprechung, dass Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die nach einem rechtskräftig abgeschlossenen Abgabenverfahren ergehen, als solche keine Wiederaufnahmegründe für das abgeschlossene Verfahren bilden und zwar weder hinsichtlich der darin getroffenen Sachverhaltsfeststellungen noch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung. Sowohl eine Sachverhaltsfeststellung, als auch deren rechtliche Beurteilung beruhen nämlich auf einer behördlichen Willensbildung, deren Ergebnis rechtlich erst mit Erlassung der betreffenden Entscheidung entsteht. Selbst wenn daher in einer späteren Entscheidung auf Grund des dort ermittelten Verfahrens eine Tatsache als erwiesen angenommen wird, handelt es sich dabei nicht um eine solche, die bereits im abgeschlossenen Verfahren bestanden hat und bloß später hervorgekommen ist, sondern um das Ergebnis eines späteren Rechtsfindungsaktes ().

Im vorliegenden Fall stützt sich der Antrag auf Wiederaufnahme einzig und allein auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , in welchem im Rahmen der freien Beweiswürdigung davon ausgegangen wurde, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung festgestellte verdeckte Ausschüttung vorliegen. Die in der Entscheidung vorgenommene Beweiswürdigung und die daraus gewonnenen Sachverhaltsfeststellungen stellen aber als nachträglich entstandene Fakten keinen Wiederaufnahmsgrund dar. Vom Bundesfinanzgericht festgestellte Sachverhaltselemente sind nicht mit den tatsächlichen Umständen selbst gleichzusetzen ().

Die als Ergebnis gerichtlicher Beweisaufnahmen und Beweiswürdigung gezogene Schlussfolgerung, in der Differenz zwischen dem nicht anzuerkennenden Aufwand aus Scheinrechnungen und dem im Schätzungsweg ermittelten Aufwand für "schwarz" bezahlte Löhne lägen keine verdeckten Ausschüttungen vor, bedeutet zudem nicht, dass mit der Rechtskraft dieses Urteiles die Tatsache neu hergekommen wäre, dass den "Deckungsrechnungen" tatsächlich erbrachte Leistungen zugrunde liegen würden und aufgrund dieser Belege somit der Vorsteuerabzug zustehe.

Neu gewonnene Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung unverändert gebliebener Sachverhaltselemente sind auch nicht Tatsachen iSd § 303 BAO (

Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung sind aber auch die Voraussetzungen des § 303 Abs. 1 lit. c BAO nicht gegeben. Bei einer Vorfrage handelt es sich um eine Frage, für die die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Entscheidung berücksichtigt werden muss. Eine Vorfrage ist somit ein vorweg, nämlich im Zuge der Tatbestandsermittlung zu klärendes rechtliches Element des bestimmten zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde/des erkennenden Gerichtes in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde/eines anderen Gerichtes fallenden Frage gefällt werden kann. Bei der Vorfrage muss es sich demnach um eine Frage handeln, die Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde/ein anderes Gericht ist ().

Von der belangten Behörde war das Vorliegen einer Vorfrage im Sinne der oben zitierten gesetzlichen Bestimmung daher zu Recht verneint worden. Ob die strittigen Umsätze als verdeckte Ausschüttungen zu behandeln waren, war im Verfahren betreffend die Kapitalertragsteuer ebenso als Hauptfrage zu entscheiden, wie im Umsatzsteuerverfahren die Frage nach der Zulässigkeit des Vorsteuerabzuges aus Belegen ohne Nachweis einer tatsächlich erfolgten Leistungserbringung.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 2008 wurde daher von der belangten Behörde zu Recht abgewiesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht weicht mit dem vorliegenden Erkenntnis nicht von der Rechtsprechungdes Verwaltungsgerichtshofes zu § 303 BAO ab, sondern folgt der in den Erkenntnissen zB vom , 89/16/0037, vom , 96/15/0149, und vom , 2006/13/0107 zum Ausdruck gebrachten Judikaturlinie, weshalb die Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 116 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102029.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at