Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.02.2021, RV/6100649/2019

Polizeigrundausbildung als Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinIBV in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Österreich (bisher Finanzamt St. Johann Tamsweg Zell am See) vom betreffend Familienbeihilfe für die Monate Juni 2019 bis Februar 2021 für das Kind SO zu Recht erkannt:

1.Der Beschwerde wird hinsichtlich der Monate Juni 2019 bis Jänner 2021 gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird insoweit - ersatzlos - aufgehoben.

2. Hinsichtlich des Monats Februar 2021 wird die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

3. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (kurz: Bf) stellte am unter Verwendung des Formulars Beih 100-PDF einen Antrag (beim Finanzamt eingelangt am ) auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihren Sohn S ab Juni 2019 wegen der Absolvierung einer "Polizeiausbildung". Diesem Antrag legte sie einen Sondervertrag gemäß § 36 VBG 1948 für die exekutivdienstliche Ausbildung bei.

Mit Bescheid vom wurde dieser Antrag für die Zeit von Juni 2019 bis Februar 2021 unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/16/0203, abgewiesen.

Die Bf brachte dagegen mit Schriftsatz vom ein und wies auf § 2 Abs. 5 lit b FLAG 1967 hin.

In einem ergänzenden Schriftsatz vom übermittelte sie Unterlagen von der Polizeigewerkschaft und vom Verwaltungsgerichtshof, in denen der Unterschied zwischen der Grenzdienstausbildung und der Polizeiausbildung erläutert sei. Der Sohn der Bf mache die Polizeigrundausbildung mit festem Unterricht, Stundentafel, erfolgreichen Prüfungen und begleitend nicht selbständiger Praxis. Auf Seite 4 und 5 des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/16/0203, würde man den Unterschied der Ausbildungsformen erkennen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde ab und führte begründend ua. aus, dass, da der Sohn der Bf am 02/2021 das 25. Lebensjahr vollenden werde, der Zeitraum daher korrekt mit Juni 2019 bis Februar 2021 bestimmt worden sei. Gemäß § 2 Abs. 1 FLAG 1967 könne die Familienbeihilfe bei Vorliegen verschiedener Tatbestände bis maximal zur Vollendung des 25. Lebensjahres zuerkannt werden.
Des Weitern nahm es unter Hinweis auf § 2 lit. b FLAG 1967 und die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Umschreibung des Begriffes "Berufsausbildung" vor.
Im Anschluss daran hielt das Finanzamt fest, dass laut Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes , Ra 2018/16/0203, die Ausbildungsphase/Grundausbildung eines (Grenz-)Polizisten keine Berufsausbildung im Sinne des § 2 lit b FLAG 1967 darstelle. Dieses Erkenntnis betreffe zwar den Zeitraum, in dem der Sohn des (dortigen) Revisionswerbers nach Absolvierung der ersten Ausbildungsphase seinen Dienst als Grenzpolizist ausgeübt habe, jedoch verneine der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis das Vorliegen einer Berufsausübung für die gesamte Grundausbildung oder Ausbildungsphase (vgl. Rz 16, 17 des Erkenntnisses Ra 2018/16/0203). Es sei daher unerheblich, ob eine Grundausbildung, praktische Verwendung oder Ergänzungsausbildung absolviert werde (vgl ).
Mit einer Berufsausübung seien die Tatbestandsvoraussetzungen in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 nicht erfüllt und es spiele daher auch keine Rolle, ob das Ausbildungsentgelt einer Entschädigung aus einem anerkannten Lehrverhältnis im Sinne des § 5 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 gleichgehalten werden könnte.
Auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes , RV/2101014/2019, wurde zusätzlich verwiesen.

Mit Schriftsatz vom brachte die Bf inhaltlich einen Vorlageantrag ein und führte ergänzend aus:

Ihr Sohn habe am die Polizeigrundausbildung im Bildungszentrum Wien - aufgrund eines Sondervertrages nach § 36 VBG 1948 für die exekutivdienstliche Ausbildung begründeten privatrechtlichen Dienstverhältnisses zum Bund (§ 1 Abs. 1 VBG) - begonnen.
Die im angefochtenen Abweisungsbescheid angeführte Begründung, wonach ein öffentlich rechtliches Dienstverhältnis (einschließlich Grundausbildung oder Ausbildungsphase/n) bereits als Berufsausübung zu werten sei und nicht die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 erfülle, weshalb in diesem Zusammenhang kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag bestehe (vgl. ), gehe ins Leere, da in casu der Sohn der Bf keine fremden- und grenzpolizeiliche exekutivdienstliche Ausbildung absolviere.
Der Verwaltungsgerichtshof habe - wie dargestellt - sehr deutlich den Unterschied der im Bereich des Bundesministeriums für Inneres vorhandenen exekutivdienstlichen Ausbildungen aufgearbeitet.
Der Verwaltungsgerichtshof habe ferner festgehalten, dass es unstrittig sei, dass die Basisausbildung zur Grundausbildung für die exekutivdienstliche Verwendung im fremden- und grenzpolizeilichen Bereich (Dauer 6 Monate) und die Ergänzungsausbildung zur Grundausbildung für den Exekutivdienst (9 Monate) als Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 anzusehen sei.
Das Finanzamt habe unzutreffend und rechtswidrig eine Ausbildungsphase der fremden- und grenzpolizeilichen exekutivdienstlichen Ausbildung, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe begründe (weil das FLAG 1967 den Begriff der Ausbildungsphase nicht kenne) bei der 24 monatigen durchgehenden Ausbildung des Sohnes der Bf angenommen.
Dass im Zuge einer Berufsausbildung praktische und nicht nur theoretische Kenntnisse vermittelt werden könnten und etwa im Praktikum zu vermittelnde praktische Grundkenntnisse unter die Berufsausbildung fielen, habe der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis , 2009/16/0315, ausgesprochen. Wie sich auch aus § 5 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ergebe, falle unter eine Berufsausbildung auch ein "duales System" der Ausbildung zu einem anerkannten Lehrberuf (, ).
Die 24-monatige durchgehende Grundausbildung für den Exekutivdienst, welche der Sohn absolviere, sei daher als eine Berufsausbildung anzusehen und begründe den Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 .

Mit Bericht vom wurde die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht vorgelegt.

Im Rahmen des beim Bundesfinanzgericht durchgeführten Verfahrens legte die Bf ua das Zeugnis ihres Sohnes über die bestandene Dienstprüfung der Grundausbildung für den Exekutivdienst (Polizeigrundausbildung) vor.

DAZU WIRD ERWOGEN

1 gesetzliche Grundlagen

Gemäß § 2 Abs. 1 lit b Satz eins FLAG 1967haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit g FLAG 1967haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die in dem Monat, in dem sie das 24. Lebensjahr vollenden, den Präsenz- oder Ausbildungsdienst oder Zivildienst leisten oder davor geleistet haben, bis längstens zur Vollendung des 25. Lebensjahres, sofern sie nach Ableistung des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder Zivildienstes für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; …..

Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) eines Kindes führt gemäß § 5 Abs. 1 FLAG 1967 idF BGBl I 138/2013 bis zu einem Betrag von 10.000,00 Euro in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. Übersteigt das zu versteuernde Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) eines Kindes in einem Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem das Kind das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Betrag von 10.000,00 Euro, so verringert sich die Familienbeihilfe, die für dieses Kind nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 10.000,00 Euro übersteigenden Betrag. § 10 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) des Kindes bleiben außer Betracht:
a) das zu versteuernde Einkommen, das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht,
b) Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,
….
Der Grenzbetrag von 10.000,00 Euro erhöht sich mit auf 15.000,00 Euro (vgl. BGBl I 109/2020).

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

2 Sachverhalt

Der Sohn der Bf kam am 02/96 zur Welt, vollendete am 02/2020 das 24. Lebensjahr und am 02/2021 das 25. Lebensjahr.

Nach der im Juni 2015 bestandenen Matura absolvierte der Sohn laut Sozialversicherungs-Auszug von bis den Zivildienst.

Aufgrund eines Sondervertrag gemäß § 36 VBG 1948 für die exekutivdienstliche Ausbildung ist der Sohn seit Vertragsbediensteter des Bundes und absolviert die Grundausbildung im Bildungszentrum Wien. Dieser Dienstvertrag ist auf 24 Monate befristet.

Nach den Angaben im Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe wohnt der Sohn bei der Bf im gemeinsamen Haushalt.

Die Polizeigrundausbildung ist in der Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Grundausbildungen für den Exekutivdienst (Grundausbildungsverordnung - Exekutivdienst BMI), BGBl. II Nr. 153/2017, geregelt. Diese Verordnung wurde aufgrund der Bestimmungen der §§ 26 und 144 BDG, des § 67 VBG und des §§ 11 Abs. 4 SPG erlassen.

Diese Verordnung regelt gemäß § 1 Zif. 1 für den Ressortbereich des Bundesministeriums für Inneres (BMI) die Grundausbildung für den Exekutivdienst - Polizeigrundausbildung.

Ausbildungsziel der Grundausbildungen ist die inhaltliche und methodische Vermittlung jener Kompetenzen, die erforderlich sind, um den Anforderungen des jeweiligen Aufgabenbereichs professionell und verantwortungsvoll nachzukommen. Der Lehrstoff ist entsprechend dem neuesten Stand der Wissenschaft, den dienstlichen Erfordernissen sowie den aktuellen pädagogisch-didaktischen Grundsätzen zu vermitteln (§ 2 der VO).

Die Sicherheitsakademie (SIAK) hat für die in § 1 angeführten Grundausbildungen nach Maßgabe des dienstlichen Bedarfes Grundausbildungslehrgänge bereitzustellen. Die Leitung der Grundausbildungslehrgänge obliegt der SIAK (§ 3 Abs. 1 der VO).

Die Grundausbildungen sind in Form von Grundausbildungslehrgängen zu gestalten. Die Inhalte und die Mindeststundenanzahl der Lehrgegenstände der Grundausbildungslehrgänge für die jeweilige Grundausbildung sind in den Anlagen 1 bis 3 festgelegt (§ 4 Abs. 1 der VO).

Die Zuweisung zu einem Grundausbildungslehrgang erfolgt durch die zuständige Dienstbehörde nach Maßgabe der im BDG 1979 sowie im VBG vorgesehenen Voraussetzungen (§ 5 Abs. 1 der VO).

Die Grundausbildung wird durch die Ablegung einer Dienstprüfung vor einem Prüfungssenat (§ 11) abgeschlossen. Die Anlagen 1 bis 3 beinhalten Aufbau, Ablauf und Inhalt der Dienstprüfung für die jeweilige Grundausbildung. Die Bediensteten sind von Amts wegen zur Dienstprüfung zuzuweisen. Voraussetzung für die Zulassung zur Dienstprüfung ist das Erreichen der gemäß § 4 Abs. 2 definierten Lernziele aller Ausbildungsmodule der jeweiligen Grundausbildung (§ 9 Abs. 1 und 2 der VO).

Nach der Anlage 1 zu dieser Verordnung umfasst die Polizeigrundausbildung folgende Lehrgegenstände:


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  • A - LEHRPLAN
LEHRGEGENSTAND
AUSBILDUNGSMODUL
MINDESTSTUNDENANZAHL
Personale und Sozial- Kommunikative Kompetenzen
Einführung und Behördenorganisation
204
Angewandte Psychologie
Kommunikation und Konfliktmanagement
Berufsethik und Gesellschaftslehre
Menschenrechte
Polizeifachliche Kompetenzen
Dienstrecht
1134
Sicherheitspolizeiliche Handlungslehre
Straf- und Privatrecht
Verfassungsrecht und Europäische Union
Verkehrsrecht
Verwaltungsrecht
Kriminalistik
Bürokommunikation
Situationsadäquate Handlungskompetenzen sowie Wahrnehmungs- & Reflexionskompetenzen
Modulares Kompetenztraining
806
Einsatztraining
Sport
Erste Hilfe
Fremdsprachen
Themenzentrierter Unterricht
Berufspraktikum
Berufspraktikum I
468
2612


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B - DIENSTPRÜFUNG
MÜNDLICHE GESAMTPRÜFUNG
Im Zuge der Prüfung sollen exekutivspezifische Sachverhalte praxisorientiert, themenübergreifend und kompetenzorientiert behandelt werden.Der Schwerpunkt liegt dabei in den polizeifachlichen Kompetenzen, wobei seitens der Prüfer auch Themengebiete aus den anderen im Lehrplan angeführten Ausbildungsmodulen berücksichtigt werden sollen.

Laut dem Ausbildungsplan der Sicherheitsakademie des Bundesministeriums für Inneres zur Grundausbildung für den Exekutivdienst gliedert sich die zweijährige Grundausbildung in
die Basisausbildung (12 Monate Theorie),
das Berufspraktikum I (3 Monate),
die Vertiefung der Ausbildung (5 Monate Theorie mit anschließender Dienstprüfung)
und das viermonatige Berufspraktikum II.

Ferner werden im Ausbildungsplan Struktur und Ausbildungsziele der Polizeigrundausbildung wie folgt beschrieben:

Die Polizeigrundausbildung soll den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchpraxisnahe Lehre unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methodenjene Kompetenzen vermitteln, die im Kompetenzprofil für den uniformierten Polizeidienst als relevant definiert wurden. Die Schwerpunkte der polizeilichen Grundausbildung sind Handlungssicherheit und Bürgernähe auf Basis menschenrechtskonformen Verhaltens.

BASISAUSBILDUNG - 12 MONATE

Die Polizeibediensteten sollen jenes rechtliche sowie einsatztaktische und -technische Basiswissen erlangen, das sie für den Dienst in einer Polizeiinspektion (PI) benötigen. Die Wissensvermittlung soll kompetenzorientiert und praxisnah unter Vernetzung aller Ausbildungsinhalte erfolgen.

BERUFSPRAKTIKUM I - KENNENLERNEN DES DIENSTBETRIEBES - 3 MONATE

Das Berufspraktikum dient zur Vermittlung des für die Verwendung in einer Polizeiinspektion nötigen dienstbetrieblichen Wissens sowie der Beurteilung der persönlichen und fachlichen Eignung für den exekutiven Außendienst. Die Polizeibediensteten werden dabei, ohne zum Personalstand der Praktikumsdienststelle zu zählen, von Exekutivbediensteten geschult und betreut.

VERTIEFUNG - 5 MONATE

Die Polizeibediensteten sollen die Ausbildungsinhalte, Erlebnisse und Erfahrungen des Berufspraktikums reflektieren. Darüber hinaus sollen sie das in der Basisausbildung erworbene Wissen vertiefen und mit den Ausbildungsinhalten des Berufspraktikums vernetzen.

BERUFSPRAKTIKUM II - EINFÜHRUNG IN DEN DIENSTBETRIEB - 4 MONATE

Während der Einführung in den Dienstbetrieb werden die Auszubildenden von Exekutivbediensteten kontinuierlich in den Dienstbetrieb ihrer Polizeidienststelle eingeführt.

In der im Ausbildungsplan enthaltenen Stundentafel werden die in der Anlage 1 zur Ausbildungsverordnung angeführten Lehrgegenstände und Unterrichtseinheiten wie folgt näher aufgegliedert:


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LEHRGEGENSTAND
UNTERRICHTS-EINHEITEN
GESAMT
1. PERSONALE UND SOZIALKOMMUNIKATIVE KOMPETENZEN
204
Einführung und Behördenorganisation
24
Angewandte Psychologie
48
Kommunikation und Konfliktmanagement
48
Berufsethik und Gesellschaftslehre
28
Menschenrechte
56
2. POLIZEIFACHLICHE KOMPETENZEN
1134
Dienstrecht
40
Sicherheitspolizeiliche Handlungslehre
240
Straf- und Privatrecht
172
Verfassungsrecht und Europäische Union
32
Verkehrsrecht
176
Verwaltungsrecht
160
Kriminalistik
164
150
3. SITUATIONSADÄQUATE HANDLUNGSKOMPETENZEN SOWIE WAHRNEHMUNGS- UND REFLEXIONSKOMPETENZEN
Modulares Kompetenztraining
160
806
Einsatztraining
424
Sport
120
Bürokommunikation
16
Fremdsprachen
4
Themenzentrierter Unterricht
82
4. BERUFSPRAKTIKUM
448
SUMME
2612

(Quelle: https://bmi.gv.at/104/Beruf_und_Karriere/start.aspx).

Laut dem vorgelegten Zeugnis bestand der Sohn der Bf am die Dienstprüfung für den Exekutivdienst (Polizeigrundausbildung) mit ausgezeichnetem Erfolg.

Der Sohn der Bf bezog im Jahr 2019 laut dem im Abgabeninformationssystem des Bundes gespeicherten Lohnzettel für den Zeitraum Juni 2019 bis Dezember 2019 einen Ausbildungsbeitrag, der unter dem Grenzbetrag von 10.000,00 Euro liegt. Im Kalenderjahr 2020 betrugen die steuerpflichtigen Bezüge laut dem im Abgabeninformationssystem des Bundes gespeicherten Lohnzettel 20.782,78 Euro. Im Jänner 2021 liegt der Ausbildungsbeitrag zweifellos unter dem gesetzlich vorgesehenen Grenzbetrag.

3 rechtliche Würdigung

Einleitend ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, an Hand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten ist. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit je nach Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. etwa ).

Im Spruch des angefochtenen Bescheides hat das Finanzamt einen Antrag des Bf für den Zeitraum "Juni 2019-Feb. 2021" abgewiesen. Damit hat das Bundesfinanzgerichtes über diesen Zeitraum zu entscheiden.

Nach der geltenden Rechtslage (vgl. Lenneis/Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG 2. Auflage 2020, § 1 Rz 188) steht grundsätzlich höchstens bis zum Ende des Monats, in den der 24. Geburtstag des Kindes fällt, Familienbeihilfe zu. Hiervon normieren die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 lit. g bis k FLAG 1967 fünf Ausnahmen, wonach sich bei Zutreffen der dort normierten Voraussetzungen die Altersgrenze längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes verlängert (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG 2. Auflage 2020, § 2 Rz 29).

Der Sohn des Bf ist im Februar 1996 geboren. Er leistete von bis den ordentlichen Zivildienst. Damit kommt § 2 Abs. 1 lit. g FLAG 1967 zur Anwendung, der eine Verlängerung des Anspruchszeitraums über das 24. Lebensjahr hinaus bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs vorsieht, wenn sich das Kind in Ausbildung befindet und zuvor Zivildienst geleistet hat (vgl. ).

Das 25. Lebensjahr wird im Februar 2021 vollendet. Bei Vorliegen einer Berufsausbildung ist demnach bis einschließlich Februar 2021 die Familienbeihilfe zuzuerkennen.

Der Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG wird im Gesetz nicht näher definiert. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien entwickelt, die erfüllt sein müssen, um vom Vorliegen einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG ausgehen zu können. Im Erkenntnis vom , Ra 2018/16/0203, hat der Verwaltungsgerichtshof diese in der Rz 11 wie folgt zusammengefasst:

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff der "Berufsausbildung" alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird (, , ). Für die Qualifikation als Berufsausbildung ist nicht allein der Lehrinhalt bestimmend, sondern auch die Art der Ausbildung und deren Rahmen. Ziel einer Berufsausbildung in diesem Sinn ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschriftvorgesehen sind, ist essentieller Bestandteil der Berufsausbildung ().
Dass im Zuge einer Berufsausbildung praktische und nicht nur theoretische Kenntnisse vermittelt werden können und etwa im Praktikum zu vermittelnde praktische Grundkenntnisse unter die Berufsausbildung fallen, hat der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis vom , 2009/16/0315, ausgesprochen. Wie sich auch aus § 5 Abs. 1 lit.b FLAG ergibt, fällt unter eine Berufsausbildung auch ein "duales System" der Ausbildung zu einem anerkannten Lehrberuf (; zur Berufsausbildung im Rahmen einer Lehre )."

Im Erkenntnis , wies der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass bei einer "Basisausbildung" mit einem Lehrplan und einer Stundentafel, die in theoretischen Unterweisungen, Aufgabenstellungen, Übungen und Arbeiten besteht, eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG vorliegt (Rz 32).

Weiters hob der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung hervor, dass das von einer Absolventin eines Lehramtsstudiums absolvierte Unterrichtspraktikum eine Einschulung am Arbeitsplatz im Beruf eines Lehrers und keine Berufsausbildung mehr darstelle (Rz 26, 27). Dagegen stelle die Ableistung der Gerichtspraxis durch einen Rechtspraktikanten eine Berufsausbildung dar, da es sich dabei um eine Berufsvorbildung und keine Einschulung am Arbeitsplatz handle (Rz 28).

Angesichts dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung stellen jedenfalls die oben näher dargestellte zwölfmonatige Basisausbildung (laut Ausbildungsplan "12 Monate Theorie") und die fünfmonatige Vertiefung dieser Basisausbildung (laut Ausbildungsplan "5 Monate Theorie mit anschließender Dienstprüfung") eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG dar.

Das zwischen diesen beiden Theorie-Ausbildungsblöcken zu absolvierende Berufspraktikum I dient nach dem Ausbildungsplan der Vermittlung des für die Verwendung in einer Polizeiinspektion nötigen dienstbetrieblichen Wissens sowie der Beurteilung der persönlichen und fachlichen Eignung für den exekutiven Außendienst. Die Polizeibediensteten werden dabei, ohne zum Personalstand der Praktikumsdienststelle zu zählen, von Exekutivbediensteten geschult und betreut. Dieser Teil der Ausbildung stellt somit eine typische Form der Vermittlung praktischer Grundkenntnisse dar, die nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls unter die Berufsausbildung fällt (vgl. ). Auch der Umstand, dass dieses Praktikum vor Ablegung der Dienstprüfung geleistet wird, spricht dafür, dass das Berufspraktikums I noch keine Berufsausübung darstellt.

Anderes gilt dagegen für das Berufspraktikum II. In diesem werden "während der Einführung in den Dienstbetrieb die Auszubildenden von Exekutivbediensteten kontinuierlich in den Dienstbetrieb ihrer Polizeidienststelle eingeführt". Dieses nach Ablegung der Dienstprüfung zu absolvierende Praktikum ist damit vergleichbar mit dem von einer Absolventin eines Lehramtsstudiums geleisteten Unterrichtspraktikums am Arbeitsplatz. Insofern liegt keine Berufsausbildung mehr vor, sondern bereits eine Einschulung im Beruf des Polizisten am Arbeitsplatz.

Insgesamt gesehen stellen daher die ersten drei Teile der im Ausbildungsplan der Sicherheitsakademie des Bundesministeriums für Inneres zur Grundausbildung für den Exekutivdienst angeführten Teile (Basisausbildung, Berufspraktikum I und Vertiefung der Basisausbildung samt Dienstprüfung) eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG dar. (Vgl. , , , , RV/5100048/2020).

Der Sohn der Bf befand sich somit in den Monaten Juni 2019 bis einschließlich Jänner 2021 in Berufsausbildung.

In den zuletzt angeführten Erkenntnissen hat das Bundesfinanzgericht unter Verweis auf das Erkenntnis , darüber hinaus auch festgehalten, dass die Polizeigrundausbildung die vom Verfassungsgerichtshof herausgearbeiteten Kriterien eines anerkannten Lehrverhältnisses im Sinne des § 5 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 erfüllt und daher als ein "anerkanntes Lehrverhältnis" anzusehen ist.

Der Ausbildungsbeitrag, welcher den Polizeischülerinnen und Polizeischülern während ihrer Polizeigrundausbildung zusteht, ist demnach als Entschädigung aus einem anerkannten Lehrverhältnis im Sinne des § 5 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 zu qualifizieren und bleibt bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Kindes außer Betracht.

Dieser Rechtsansicht hat sich im Übrigen auch die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration im Bundeskanzleramt angeschlossen. Das Finanzamt Österreich wurde in einer Information der Abt. VI/1 der Sektion Familie und Jugend im Bundeskanzleramt, ehemals Abt. II/1 im BMAFJ, vom Jänner 2021 entsprechend in Kenntnis gesetzt.

Aus den angeführten Gründen steht der Bf somit unabhängig von der Höhe des von ihrem Sohn bezogenen Ausbildungsbeitrages für den Zeitraum Juni 2019 bis Jänner 2021 Familienbeihilfe zu. Der angefochtene Abweisungsbescheid ist daher hinsichtlich der Monate Juni 2019 bis einschließlich Jänner 2021 aufzuheben. (Vgl. ).

Das FLAG 1967 kennt keine bescheidmäßige Zuerkennung von Familienbeihilfe. Gleiches gilt für den gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 gemeinsam mit der Familienbeihilfe auszuzahlenden Kinderabsetzbetrag.

Steht Familienbeihilfe zu, ist diese gemäß § 11 FLAG 1967 vom Finanzamt auszuzahlen und darüber vom Finanzamt gemäß § 12 FLAG 1967 eine Mitteilung auszustellen. Diese Mitteilung ist nicht rechtskraftfähig. Nur wenn einem Antrag auf Familienbeihilfe nicht oder nicht zur Gänze stattzugeben ist, ist hinsichtlich des (monatsbezogenen) Abspruchs über die Abweisung gemäß § 13 Satz 2 FLAG 1967 ein Bescheid (Abweisungsbescheid) auszufertigen (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG, 2.Auflage 2020, § 26 Rz 3 m.w.N).

Gemäß § 282 BAO sind die Abgabenbehörden verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Das Finanzamt wird daher im Beschwerdefall die Familienbeihilfe für die Dauer der Absolvierung der ersten drei Teile der Polizeigrundausbildung (bis zur Ablegung der Dienstprüfung) gemäß § 11 FLAG 1967 auszahlen und gemäß § 12 FLAG 1967 eine Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe ausstellen.

Die Beschwerde gegen den Monat Februar 2021 ist demgegenüber abzuweisen, da dieser Monat bereits nach der abgelegten Dienstprüfung liegt.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

4 Revision

Eine Revision ist nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn ein Erkenntnis von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art. 133 Abs 4 B-VG)

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom18.12.2018, Ra 2018/16/0203, die Frage, ob die Bezüge des Polizeischülers Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis im Sinne des § 5 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 gleich gehalten werden können, ausdrücklich offengelassen (Rz 18). Da zu dieser Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung somit Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, ist eine ordentliche Revision zulässig.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.6100649.2019

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