Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.02.2021, RV/2100020/2021

Sachliche und persönliche Unbilligkeit der Einhebung von (teils bereits entrichteten) Anspruchszinsen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch ***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, Adresse, vertreten durch V, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Oststeiermark vom , Abgabenkontonummer 999, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Beim Beschwerdeführer (Bf.) fand im Jahr 2016 eine abgabenbehördliche Prüfung über die Jahre 2010 bis 2014 statt (BP-Bericht ABNr. 111).
Der Prüfer stellte fest, dass der Bf., der seinen Gewinn nach § 5 EStG 1988 ermittelte, mit seine gesamte betriebliche Tätigkeit eingestellt hat. Die Gasthausräumlichkeiten des Teilbetriebes Gasthaus mit Gästezimmervermietung wurden in das Privatvermögen des Bf. überführt. Die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Teilbetriebes Bäckerei wurden an den Sohn des Bf. verkauft, der den Bäckereibetrieb ohne Unterbrechung weiterführte.
Der Prüfer vertrat die Rechtsauffassung, dass dem Bf. die im Jahr 2010 beantragte (und im Einkommensteuerbescheid 2010 vom gewährte) Steuerbefreiung gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 nicht zustehe, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Begünstigungsvorschrift bei einer Teilbetriebsaufgabe nicht zur Anwendung komme. Es seien daher die im Betriebsvermögen des Bf. liegenden stillen Reserven von Grund und Boden aufzudecken und ein Aufgabegewinn zu versteuern.

Das Finanzamt folgte der Rechtsauffassung des Prüfers und erließ am im gemäß § 303 Abs. 4 BAO wiederaufgenommenen Verfahren einen (neuen) Sachbescheid mit einer Nachforderung an Einkommensteuer in der Höhe von 179.130 €.

Mit dem Bescheid vom gleichen Tag setzte das Finanzamt gegenüber dem Bf. Anspruchszinsen 2010 in der Höhe von insgesamt 15.156,72 € fest.

Im Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer (Bf.) durch seinen steuerlichen Vertreter die Nachsicht der Anspruchszinsen 2010 in der Höhe von 15.156,72 €.

Dazu wurde ausgeführt:
Die Festsetzung dieser Anspruchszinsen resultiert aus dem berichtigten Einkommensteuerbescheid 2010 vom und ist ausschließlich auf die Berichtigung des seinerzeit erlassenen Einkommensteuerbescheides, zufolge eines im Rahmen einer Betriebsprüfung buchmäßig festgestellten Veräußerungsgewinnes aus meiner Betriebsaufgabe am , zurückzuführen.

Ich habe am meine gesamte aktive betriebliche Tätigkeit eingestellt. Die Schlussbilanz zum einschließlich sämtlicher Abgabenerklärungen 2010 wurden im April 2012 beim Finanzamt eingereicht und mit Bescheid vom - nach angeforderter Ergänzung im August 2012 - veranlagt.

Im Rahmen der im Kalenderjahr 2016 durchgeführten abgabenbehördlichen Betriebsprüfung 2010 - 2014 wurde schlussendlich festgestellt, dass im Rahmen meiner Betriebsaufgabe am ein Aufgabegewinn von rd. € 710.000,-- zu versteuern ist und mir die bisher gewährte Steuerbefreiung gemäß § 24 Abs. 6 EStG nicht zusteht. Auf die beiliegende Niederschrift, den BP-Bericht und dazu gehörende Erläuterungen zum Sachverhalt wird verwiesen.

Auf Grund der kassenmäßigen Durchführung der berichtigten Einkommensteuerveranlagung für 2010 wurden neben der Einkommensteuer, Anspruchszinsen für die Zeit vom bis in Höhe von € 15.156,72, festgesetzt.

Da mich die gesamte, enorme Abgabennachforderung völlig unvorbereitet und unerwartet getroffen hat, bin ich in einen argen Liquiditätsnotstand geraten. Ich habe mit allen Mitteln versucht den Abgabenrückstand möglichst kurzfristig durch Teilzahlungen zu reduzieren, und habe ich für diese Entrichtungen auch eine teilweise Veräußerung von Vermögen zusätzlich vornehmen müssen.

Ich bin überzeugt, dass im vorliegenden Sachverhalt für mich eine sachliche Unbilligkeit in der Abgabeneinhebung dieser Anspruchszinsen vorliegt, weil in diesem Fall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ereignis eintritt, welches zu einer anormalen Belastungswirkung führt und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff führt.

Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung ist grundsätzlich in Fällen anzunehmen, in denen das ungewöhnliche und unvorhergesehene Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalem Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führt. Dies ist bei mir beim vorliegenden Sachverhalt in jedem Fall gegeben.

In diesem Zusammenhang ist auch ausdrücklich festzuhalten, dass die gesamte Abgabenbelastung samt Nebenansprüchen aus einer - erst im Rahmen der Betriebsprüfung - neu entwickelten Rechtsansicht entstanden ist, außerdem im Rahmen der unentgeltlichen Betriebsaufgabe keinerlei Zahlungsflüsse stattgefunden haben, und somit der gesamte Abgabenrückstand nur aus der rechnerischen (buchmäßigen) Entnahme der Betriebsliegenschaften zum Teilwert - ohne Veräußerung oder Liquiditätszufluss - resultiert.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , 2002/15/0002 festgehalten hat, stellt der "in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen, der seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf hat, und eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist", eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung dar.

Unter Würdigung des gesamten vorliegenden Sachverhaltes ist für mich eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung dieser Anspruchszinsen gegeben, und bitte ich daher um antragsgemäße Erledigung.

Mit dem Bescheid vom wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen ab.
Aus § 205 BAO ergebe sich eindeutig, dass Anspruchszinsen festzusetzen seien. Es handle sich daher nicht um ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis.
Ebensowenig handle es sich um einen atypischen Vermögenseingriff im Vergleich mit ähnlichen Fällen.
Die Außenprüfung habe keine neue Rechtsansicht entwickelt, sondern bestehendes Recht angewendet. Gegen diese Feststellungen sei im Übrigen vom Bf. kein Rechtsmittel ergriffen worden; im Gegenteil sei im Rahmen der Prüfung auf die Einbringung eines Rechtsmittels verzichtet worden.
Bei zu erwartenden Nachforderungen an Einkommensteuer seien Anspruchszinsen nicht als unerwartete Abgabenschuld zu sehen. Eine sachliche Unbilligkeit liege daher nicht vor.

Gegen den Bescheid erhob der Bf. durch seinen Vertreter das Rechtsmittel der Beschwerde und führte aus:

Ich verweise noch einmal auf meine Ausführungen in meinem Antrag vom , die in der vorliegenden Bescheidbegründung nach meiner Auffassung bei weitem nicht entsprechend gewürdigt wurden.

Vor allem auf den zu Grunde liegenden Sachverhalt - Nachversteuerung eines rechnerischen Aufgabegewinnes von rund € 700.000,00 -, daraus resultierend eine Abgabennachforderung von mehr als € 170.000,00. Darauf Anspruchszinsen von € 15.156,52 - ohne dass es in diesem Zusammenhang zu irgendeinem Liquiditätszufluss gekommen ist.

Der gesamte Abgabenrückstand ist nur aus der buchmäßigen Entnahme der Betriebsliegenschaften zum Teilwert anlässlich der Betriebsprüfung - in Abweichung zu der mir vorher gewährten Steuerbefreiung gem. § 24, Abs. 6 EStG - entstanden.

Daher ist nach meiner Meinung eindeutig ein unproportionaler Vermögenseingriff bei mir vorhanden, und verweise ich nochmals auf das in meinem Antrag zitierte Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom , das unter anderem aussagt, dass eine sachliche Unbilligkeit dann vorliegt, wenn in der anormalen Belastungswirkung, die seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf hat, und eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist.

Auch sind die weiteren Ausführungen in der Bescheidbegründung, dass "kein außergewöhnlicher Geschehensablauf", bei dem zugrunde liegenden Sachverhalt erblickt werden kann (nochmaliger Hinweis auf die vorerst gewährte Abgabenbefreiung und die Entwicklung einer neuen Rechtsansicht im Rahmen der Betriebsprüfung - unentgeltliche Betriebsaufgabe ohne irgendwelche Zahlungsunflüsse) m.E. vollkommen unzutreffend.

Eine sachliche Unbilligkeit liegt eben dann vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetz offenbar in dieser Größenordnung nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Eine Abgabennachforderung von rund € 170.000,00 und dazu noch Anspruchszinsen von € 15.156,52 (!) aus einem "Buchgewinn" ohne tatsächliche Veräußerung und vor allem keinen Geldmittelzufluss ist mit Sicherheit ein "vom Gesetz offenbar in dieser Größenordnung nicht beabsichtigtes Ergebnis". Vor allem bei einem Pensionsbezieher mit zusätzlichen geringfügigen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung - siehe meinen Steuerakt.

Sollte das Finanzamt trotzdem die Meinung vertreten, dass eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliegt, verweise ich auf die bei mir ebenfalls vorliegende persönliche Unbilligkeit.

Aufgrund meiner gesamten aktuellen wirtschaftlichen Situation besteht ein eindeutiges wirtschaftliches Missverhältnis zwischen der Einhebung der gesamten Abgaben samt Anspruchszinsen und den in meinem Bereich entstehenden wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen. Die Abstattung der gesamten Abgabenschuld einschließlich Anspruchszinsen war und ist für mich mit gravierenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen verbunden, die bis dato nur unter Veräußerung von Vermögenswerten bewerkstelligt werden konnte. Siehe diesbezügliche Teilzahlungen vom 24.11. und .

Ich halte daher fest, dass aufgrund des geschilderten Sachverhaltes sehr wohl eine sachliche und persönliche Unbilligkeit vorliegt und somit eine Ermessensentscheidung getroffen werden kann, in der mein bisheriges steuerliches Verhalten, nämlich den eindeutig bekundeten Willen zur gänzlichen Tilgung des gesamten Abgabenrückstandes, seinen entsprechenden Niederschlag finden müsste.

Unter Würdigung der gesamten vorliegenden Situation beantrage ich daher meiner eingangsgestellten Beschwerde zu entsprechen, um einen meinem seinerzeitigen Antrag entsprechenden Bescheid zu erlassen.

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
Von der Abgabenbehörde könne weder das Vorliegen einer sachlichen noch einer persönlichen Unbilligkeit erkannt werden.
Es liege keine "Neuentwicklung" einer Rechtsansicht, sondern die Umsetzung geltenden Rechts vor. Gegen die Sachbescheide sei kein Rechtsmittel erhoben worden.
Es ergebe sich keine atypische Belastungswirkung, weil sich die Auswirkungen betreffend Anspruchszinsen bei Differenzbeträgen weiterer Abgabenbescheide völlig ident verhielten.
Zum Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit sei vom Bf. bis dato lediglich vorgebracht worden, dass die Begleichung der Abgabenschuld nur durch die Veräußerung von Vermögenswerten bewerkstelligt werden konnte. Daraus lasse sich keine Existenzgefährdung ableiten.

Im Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht vom führte der Bf. ergänzend aus:

Sowohl im Bescheid vom , mit welchem mein Antrag vom abgewiesen wurde, als auch in der Beschwerdevorentscheidung vom , wird seitens des Finanzamtes beinahe gleichlautend argumentiert, dass sich im gegenständlichen Fall durch die Festsetzung von Anspruchszinsen weder eine sachliche noch eine persönliche Unbilligkeit ergeben würde.

Wir erlauben uns nochmals festzuhalten, dass nach unserer Ansicht in beiden Bescheidbegründungen unsere Vorbringen zum Sachverhalt im Antrag vom bzw. faktisch überhaupt nicht gewürdigt wurden.

Nach unserer Auffassung ist nämlich im vorliegenden Fall sehr wohl ein "atypischer Vermögenseingriff" im Vergleich zu ähnlichen Fällen gegeben.

Wir verweisen nochmals auf den zu Grund liegenden Sachverhalt, nämlich die Nachversteuerung eines rechnerisch - ohne irgendeinen Liquiditätszufluss - nur buchmäßig entstandenen Aufgabegewinnes von rd. € 700.000,--, woraus eine Abgabennachforderung von mehr als € 170.000,-- und daraus resultierend Anspruchszinsen von € 15.156,52 entstanden sind.

Es wurde bisher überhaupt nicht dem Umstand Rechnung getragen, dass der gesamte Abgabenrückstand nur aus der buchmäßigen Entnahme der Betriebsliegenschaften zum Teilwert anlässlich einer Betriebsprüfung - in Abweichung zu der unserem Mandanten im Rahmen des Veranlagungsverfahrens zur Gänze gewährten Steuerbefreiung gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 - entstanden ist.

Es liegt daher sehr wohl ein "außergewöhnlicher" Geschehensablauf bei dem zugrunde liegenden Sachverhalt vor.

Auch gilt es nochmals auf die sachliche Unbilligkeit zu verweisen, dass im vorliegenden Fall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar in dieser Größenordnung nicht beabsichtigtes Ereignis eintritt. Eine Abgabennachforderung von rd. € 170.000,-- und dazu noch Anspruchszinsen vom € 15.156,52 aus einem reinen "Buchgewinn", ohne tatsächliche Veräußerung und ohne irgendeinen Geldmittelzufluss, ist mit Sicherheit ein "vom Gesetz offenbar in dieser Größenordnung nicht beabsichtigtes Ereignis".

Dieser unserer Argumentation wurde in den bisherigen Bescheidbegründungen absolut nicht Rechnung getragen, und es erhebt sich berechtigt die allgemeine Frage, wann denn dann ein "vom Gesetz offenbar in dieser Größenordnung nicht beabsichtigtes Ereignis" vorliegt und es zu einer Unbilligkeit führt.

Neben der vorliegenden sachlichen Unbilligkeit verweisen wir auch noch hinsichtlich der persönlichen Unbilligkeit auf die Ausführungen in unserer Beschwerdeschrift.

Abschließend erlauben wir nochmals vorzubringen, dass aufgrund des geschilderten Sachverhaltes nach unserer Meinung, sowohl eine sachliche als auch eine persönliche Unbilligkeit vorliegt, und somit auch eine Ermessensentscheidung getroffen werden kann.

In dieser müsste auch das bisherige steuerliche Verhalten unseres Mandanten, nämlich der eindeutig bekundete und auch bis dato realisierte Wille zur gänzlichen Tilgung des gesamten Abgabenrückstandes, seinen entsprechenden Niederschlag finden.

Unter Würdigung sämtlicher Ausführungen zur vorliegenden Sachlage beantragen wir daher die stattgebende Erledigung …

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können auf Antrag des Abgabepflichtigen fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zumTeil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage desFalles unbillig wäre.
Gemäß
§ 236 Abs. 2 BAO findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

Bei der Entscheidung über Nachsichtsansuchen ist stets die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung, d.h. im Zeitpunkt der Beschwerdeerledigung, maßgebend (vgl. ).

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage der Unbilligkeit der Einhebung der mit dem Bescheid vom festgesetzten Anspruchszinsen 2010 in der Höhe von 15.156,72 €.

Nach der Rückstandsaufgliederung des Abgabenkontos StNr. 67 ***BF1StNr1*** vom haften die Anspruchszinsen 2010 derzeit mit einem Betrag von 11.148,86 € aus. Im Hinblick auf die teilweise Entrichtung der Anspruchszinsen 2010 in der Höhe von 4.007,86 € ist im vorliegenden Fall daher die Unbilligkeit der Einhebung der Anspruchszinsen in der Höhe von 11.148,86 € sowie weiters zu prüfen, ob gemäß § 236 Abs. 2 BAO eine Unbilligkeit der Einhebung darin liegt, dass der Abgabengläubiger die teilweise entrichtete Abgabe in der Höhe von 4.007,86 € behält. Dabei ist für die Nachsicht bereits entrichteter Abgaben an den Begriff der Unbilligkeit kein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Nachsicht noch nicht entrichteter Abgabenschulden ().

Die in § 236 Abs. 1 BAO geforderte Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann entweder persönlich oder sachlich bedingt sein.

Der Bf. bringt vor, die Einhebung der Anspruchszinsen 2010 sei sachlich und persönlich unbillig.

Wie der Bf. in seinem Vorbringen unter Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausführt, liegt eine sachlich bedingte Unbilligkeit der Einhebung vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt.
Der in der anormalen Belastungswirkung gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (, , 94/13/0264 und 0265; , 2002/15/0002; , 2003/13/0062).
Sachliche Unbilligkeit liegt somit nicht vor, wenn die Steuervorschreibung bloß eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage und generell anzuwendender Normen darstellt, die alle Steuerpflichtigen gleichermaßen treffen (), und deren Verwirklichung vom Abgabepflichtigen selbst (ohne behördliches Zutun) verursacht wurde bzw. gegebenenfalls von ihm auch abgewendet hätte werden können.

Der Bf. argumentiert das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit vor allem mit der Erlassung des im Zuge des wieder aufgenommenen Verfahrens ergangenen neuen Einkommensteuerbescheides vom mit einer Abgabennachforderung von über 170.000 €.

Die Versteuerung stiller Reserven eines den Gewinn nach § 5 EStG 1988 ermittelnden Abgabepflichtigen bei der Überführung von Grundstücken aus dem Betriebs- in das Privatvermögen stellt ein vom Gesetzgeber beabsichtigtes Ergebnis dar. Im Jahr 2010 war vom Bf. ein Aufgabegewinn zu versteuern. Eine "neu entwickelte Rechtsansicht" des Prüfers liegt nicht vor, sondern, wie die Abgabenbehörde ausführt, die Anwendung der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtslage.

Die Abgabenbehörde verweist in diesem Zusammenhang auch zu Recht darauf, dass ein Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 vom nicht eingebracht wurde. Eine Nachsicht dient nämlich nicht dazu, im Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen nachzuholen (). Erscheint dem Bf. daher die Festsetzung der Abgaben infolge unzutreffender Abgabenbescheide unbillig, die mit Hilfe der zustehenden Rechtsmittel nicht bekämpft wurden, kann dagegen nicht mit einem Antrag nach § 236 BAO vorgegangen werden.

Bei der Besteuerung stiller Reserven - die eine tatsächliche Veräußerung oder einen Geldmittelzufluss nicht bedingt - handelt es sich auch nicht um Umstände, die die Behörde zu verantworten hätte, sondern sind diese der Sphäre und der zumindest grundsätzlichen Dispositionsmöglichkeit des steuerlich vertretenen Bf. zuzurechnen.

Hinweise auf eine objektiv nicht gewollte Doppelbesteuerung, ein Verschulden der Abgabenbehörde an der Nachforderung der Abgaben oder das Vertrauen des Bf. auf eine unrichtige Rechtsauskunft, die eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung begründen könnten, wurden nicht vorgebracht. Im vorliegenden Fall war die steuerliche Auswirkung Folge einer generellen Norm, die alle von diesem Anwendungsbereich erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise betrifft, weshalb eine Unbilligkeit im Einzelfall nicht vorliegt. Auch der vorliegende Geschehnisablauf (Festsetzung der Abgaben nach Durchführung einer Außenprüfung) kann nicht als außergewöhnlich bezeichnet werden.

Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann ().
Eine anormale Belastungswirkung oder ein atypischer Vermögenseingriff im Sinne eines vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnisses wurde zwar behauptet, aber die Unzumutbarkeit bzw. Unverhältnismäßigkeit der Besteuerung nicht näher dargelegt.

Dass die sofortige Entrichtung von Abgabenforderungen, die zu einem vom Abgabepflichtigen nicht erwarteten Zeitpunkt schlagend werden, im Einzelfall für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden sein kann, trifft zu. Um derartigen Härten zu begegnen, sieht die Bundesabgabenordnung die Möglichkeit einer Antragstellung gemäß § 212 BAO vor (siehe ).

Im vorliegenden Fall ist aber nicht die Unbilligkeit der Einhebung der Einkommensteuer Gegenstand des Verfahrens, sondern jene der Anspruchszinsen.

Gemäß § 205 Abs. 1 BAO sind Differenzbeträge an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von Anzahlungen (Abs. 3), nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, für den Zeitraum ab 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruchs folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen).
Gemäß
§ 205 Abs. 2 BAO betragen die Anspruchszinsen pro Jahr 2% über dem Basiszinssatz. Anspruchszinsen, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen. Anspruchszinsen sind für einen Zeitraum von höchstens 48 Monaten festzusetzen.

Da der Abgabenanspruch immer zum selben Zeitpunkt entsteht (z.B. für die Einkommensteuer 2010 mit Ablauf des Jahres 2010), sollen Anspruchszinsen (mögliche) Zinsvorteile bzw. Zinsnachteile ausgleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzung ergeben (). Für die Anwendung des § 205 BAO ist daher bedeutungslos, aus welchen Gründen die Abgabenfestsetzung früher oder später erfolgte (siehe Ritz, BAO6, § 205, Rz 2, mwN).
Bei der Verzinsung, die sich aus Abänderungen von Bescheiden ergibt, ist bedeutungslos, aus welchen Gründen die ursprüngliche Abgabenfestsetzung unrichtig war. Auf ein Verschulden des Abgabepflichtigen kommt es nicht an ().

Die Festsetzung der Anspruchszinsen 2010 nach der Erlassung des neuen Einkommensteuerbescheides 2010 im wieder aufgenommenen Verfahren vom lag nicht im Ermessen des Finanzamtes, sondern erfolgte entsprechend der gesetzlichen Bestimmung zur Verzinsung von Nachforderungen (bzw. Gutschriften) am Abgabenkonto.
Die Festsetzung der Anspruchszinsen stellt sich daher als eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage und generell anzuwendender Normen dar, die alle Steuerpflichtigen gleichermaßen treffen.

Eine sachliche Unbilligkeit der Abgabenfestsetzung liegt daher im vorliegenden Fall nicht vor.

Eine vom Bf. ebenfalls geltend gemachte persönlich bedingte Unbilligkeit der Einhebung liegt im Besonderen dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdet, wofür es genügt, wenn etwa die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögen möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme.

Den Antragsteller trifft, wie bereits ausgeführt, im Nachsichtsverfahren eine erhöhte Mitwirkungspflicht (). Der Nachsichtswerber hat einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann ().

Zur persönlichen Unbilligkeit hat der Bf. vorgebracht, er sei nunmehr Pensionist und habe die Abstattung der Abgabennachforderungen (Einkommensteuer und Anspruchszinsen) nur unter Veräußerung von Vermögenswerten bewerkstelligen können.
Einbußen an Vermögenswerten, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und jeden gleich berühren können, der einen Steuertatbestand verwirklicht, rechtfertigen eine Maßnahme nach § 236 BAO (noch) nicht ().
Obwohl die Abgabenbehörde in der Beschwerdevorentscheidung, der insoweit Vorhaltscharakter zukommt, bereits festgestellt hat, dass sich aus der (bloßen) Veräußerung von Vermögenswerten (noch) keine Existenzgefährdung ableiten lässt, wurde im Vorlageantrag kein weiteres Vorbringen zur Existenzgefährdung des Bf. erstattet.
Trotz der ihn im Nachsichtsverfahren treffenden erhöhten Mitwirkungspflicht hat der Bf. keinerlei Angaben über seine derzeitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse gemacht und nicht dargelegt, warum gerade die Entrichtung der gegenständlichen 15.156,72 € (nunmehr 11.148,86 €) eine Existenzgefährdung bewirken sollte.
Der Bf. hat nicht einmal selbst behauptet, die Entrichtung der Abgaben habe nur durch Vermögensverschleuderungen abgedeckt werden können bzw. könne der noch aushaftende Betrag an Anspruchszinsen 2010 nur unter diesen Bedingungen und nicht etwa durch mit Hilfe von Zahlungserleichterungen abgedeckt werden.

Da der Bf. keinen Sachverhalt dargelegt hat, der den gesetzlichen Erfordernissen der Unbilligkeit der Einhebung der Abgabe nach der Lage des Falles entspricht, und der Abgabenbehörde daher mangels Vorliegen einer Unbilligkeit der Weg für eine Ermessensentscheidung nicht offen stand, wurde der Antrag des Bf. vom zu Recht abgewiesen.

Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Darüber hinausgehende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wurden nicht aufgeworfen. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 236 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.2100020.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at