Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist (Verlust der Beschwerde am Postweg)
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Mirha Karahodzic MA in der Beschwerdesache des ***Bf***, vertreten durch RA Mag. Franz Kellner, Kärntner Ring 14, 1010 Wien über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien Referat Landes- und Gemeindeabgaben vom betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 309a iVm § 308 BAO, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist in Bezug auf den Haftungsbescheid vom stattgegeben wird.
II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensgang und Vorbringen:
Der Beschwerdeführer wurde mit Haftungsbescheid vom gemäß § 6a Abs. 1 Kommunalsteuergesetz und § 6a Dienstgeberabgabegesetz von der belangten Behörde für den Rückstand an Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe samt Nebenansprüchen der ***3*** GmbH iHv 3.488,46 Euro zur Haftung herangezogen.
Dieser Haftungsbescheid ist dem Beschwerdeführer am zugegangen. Eine dagegen am per Mail bei der belangten Behörde eingebrachte Beschwerde wurde von dieser sowie - nach einem Vorhalteverfahren - vom Bundesfinanzgericht als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen (vgl. ).
Am brachte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein und holte gleichzeitig die versäumte Handlung nach, in dem er seine Beschwerde vom "samt Postaufgabeschein" nochmals beilegte.
Im Wiedereinsetzungsantrag brachte der Beschwerdeführer wörtlich vor, dass er die Beschwerde vom an diesem Tag beim Postamt ***1*** Wien eingeschrieben zur Sendungsnummer ***2*** zur Post gegeben habe. Laut Auskunft des Services der Post sei die Postsendung am "abgeholt" worden. Den Beschwerdeführer treffe kein Verschulden daran, dass seine rechtzeitige eingeschrieben zur Post gegebene Beschwerde nicht beim Magistrat der Stadt Wien eingelangt sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde mit angefochtenem Bescheid vom zurückgewiesen. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die dagegen eingebrachte Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Dagegen brachte der Beschwerdeführer per E-Mail am einen Vorlageantrag ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Einhebung (siehe dazu das Erkenntnis ). Zur Zurückweisung des Antrages wurde begründend mit Verweis auf Ritz, BAO6, § 308 Rz 9, ausgeführt, ein unvorhergesehenes Ereignis sei ein solches, das die Partei nicht einberechnet habe und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten könnte. Ein solches Ereignis sei zB der Verlust eines Schriftstückes auf dem Postweg, selbst dann, wenn die Postaufgabe als nicht bescheinigte Sendung aufgegeben worden sei.
Am fand vor dem Bundesfinanzgericht die beantragte mündliche Verhandlung statt, in der nochmals in den Akt der belangten Behörde zum Verfahren RV/7400033/2019 Einsicht genommen sowie die Judikatur zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erörtert wurde.
2. Rechtliche Beurteilung:
2.1. Zu der vom Beschwerdeführer angestrebten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ergeben sich für das Bundesfinanzgericht aus dem übermittelten Akteninhalt sowie aus dem Verfahren RV/7400033/2019 (Beschluss vom ) und der mündlichen Verhandlung folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt, der gemäß § 167 BAO als erwiesen angenommen werden konnte:
Der Beschwerdeführer wurde als Geschäftsführer der ***3*** GmbH mit Haftungsbescheid vom gemäß § 6a Abs. 1 Kommunalsteuergesetz und § 6a Dienstgeberabgabegesetz von der belangten Behörde für den Rückstand an Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe samt Nebenansprüchen der ***3*** GmbH iHv 3.488,46 Euro zur Haftung herangezogen. Dieser Haftungsbescheid ist dem Beschwerdeführer am zugegangen.
Der Beschwerdeführer verfasste dagegen am eine Beschwerde und gab sie an diesem Tag um 12:49 Uhr beim Postamt ***1*** Wien eingeschrieben zur Sendungsnummer ***2*** zur Post. Die Postsendung wurde am "abgeholt". Es kann nicht festgestellt werden, dass die Postsendung bei der belangten Behörde einlangte. Den Beschwerdeführer trifft daran kein Verschulden.
Der Umstand, dass die Beschwerde nicht bei der belangten Behörde eingelangt war, wurde dem Beschwerdeführer am bekannt.
2.2. Die getroffenen Feststellungen zur Zustellung des Haftungsbescheides der belangten Behörde vom 2017 an den Beschwerdeführer und zu den nachfolgenden Geschehnissen bis zur Einbringung des gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrages beruhen auf den diesbezüglichen unbedenklichen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren, denen die belangte Behörde in der mündlichen Verhandlung nicht mehr entgegen getreten ist. Im vorliegenden Fall ist es im Lichte der Beweiswürdigung für das Bundesfinanzgericht auf Basis des Postaufgabescheins und der beigebrachten Sendungsverfolgung sowie der weiteren - auf Grund der Überschreitung der 6-Monats-Frist - vergeblichen Nachforschung bei der Post, die im Übrigen nochmals in der mündlichen Verhandlung dargelegt wurde, glaubhaft, dass der Beschwerdeführer seine selbst verfasste Beschwerde fristgerecht zur Post gegeben hat. Die Beschwerde langte trotz Zustellnachweis jedoch bei der belangten Behörde nicht ein und ging daher am Postweg verloren. Der Beschwerdeführer hat dies weder einberechnet, noch konnte er dies unter Berücksichtigung seiner persönlich zumutbaren Aufmerksamkeit und Vorsicht erwarten.
2.3. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
§ 308 BAO lautet:
"(1) Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 124/2003)
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war bzw. bei der die Verhandlung stattfinden sollte, eingebracht werden. Bei Versäumnis einer Beschwerdefrist (§ 245) oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§ 264) gilt § 249 Abs. 1 dritter Satz sinngemäß. Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen.
(4) Wenn die Zuständigkeit zur Abgabenerhebung auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen ist, kann der Antrag unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Handlung auch bei der Abgabenbehörde eingebracht werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung zur Abgabenerhebung zuständig ist."
§ 309a BAO lautet:
"Der Wiedereinsetzungsantrag hat zu enthalten:
a) die Bezeichnung der versäumten Frist oder der versäumten mündlichen Verhandlung;
b) die Bezeichnung des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses (§ 308 Abs. 1);
c) die Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Fristversäumung oder der Versäumung der mündlichen Verhandlung notwendig sind;
d) die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig sind."
§ 310 BAO lautet:
"(1) Die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand obliegt der Behörde, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war.
(2) Wenn die Zuständigkeit zur Abgabenerhebung auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen ist, steht die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung der zuletzt zuständig gewordenen Abgabenbehörde zu.
(3) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat. Soweit die versäumte Handlung erst die Einleitung eines Verfahrens zur Folge gehabt hätte, ist durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung die ursprünglich versäumte Handlung als rechtzeitig vorgenommen anzusehen."
2.4. Im Beschwerdefall ist strittig, ob die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages durch die belangte Behörde mangels Vorliegens der in § 309a BAO iVm § 308 BAO genannten Voraussetzungen zu Recht erfolgte. Die belangte Behörde vertrat im angefochtenen Bescheid die Ansicht, der Beschwerdeführer habe das unabwendbare oder unvorhergesehene Ereignis in seinem Antrag gar nicht genannt; ein auf dem Postweg verloren gegangenes Schriftstück stelle kein solches Ereignis dar. Es ist daher zunächst zu klären, ob überhaupt ein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt.
2.4.1. Zum Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses:
Ein unvorhergesehenes Ereignis liegt dann vor, wenn die Partei das Geschehnis tatsächlich nicht einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Berücksichtigung ihrer persönlich zumutbaren Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten hätte können. Ein Ereignis ist unabwendbar, wenn es die Partei mit den, einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Mitteln, nicht verhindern konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (vgl. ; , 2012/13/0051). Geht die Sendung nach Übergabe an die Post verloren und langt daher nicht bei der Behörde ein, stellt dies nach der Judikatur ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar (vgl. ; Ritz, BAO6 § 308 Rn 11). Die belangte Behörde hat daher zu Unrecht angenommen, dass ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis nicht vorliegt. Die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages aus diesem Grund erweist sich daher als nicht zulässig.
Es ist daher vor dem Hintergrund der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen zu prüfen, ob die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorlagen:
2.4.2. Zum Vorliegen eines minderen Grad des Verschuldens:
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen (vgl. ). Diese liegt definitionsgemäß bei einem Fehler, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht, vor. Handelt eine Partei mit auffallender Sorgfaltswidrigkeit, in einer Weise wie es ein ordentlicher Mensch in dieser Situation keinesfalls täte, ist das Vorliegen leichter Fahrlässigkeit ausgeschlossen. Die nicht bescheinigte Aufgabe einer Sendung ist nicht als auffallend sorgloses Verhalten einzustufen, da diese vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. ). Auch die Überprüfung des Einlangens eines Antrages bei der Abgabenbehörde ist nicht erforderlich und steht bei Unterlassung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen (vgl. ). Das Verhalten des Beschwerdeführers ist daher nicht einmal als leichte Fahrlässigkeit einzustufen, hat er doch seine Beschwerde sogar postalisch bescheinigt übermittelt. Ihm war es damit nicht möglich, den Verlust der Beschwerde auf dem Postweg zu verhindern.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erweist sich daher als zulässig und begründet. Der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages ist daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid in diesem Sinne wie im Spruch ersichtlich abzuändern.
Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat (§ 310 Abs. 3 BAO).
5. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Landesabgaben Wien |
betroffene Normen | § 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 309a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 310 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7400070.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at