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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.02.2021, RV/7102839/2020

Österreichische Staatsbürgerin ohne Wohnsitz in Österreich

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache [...], [...], über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Juli 2017 bis November 2019 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurden Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge mit der Begründung von der Beschwerdeführerin(Bf.) zurückgefordert, dass sie ihren Wohnsitz bzw. Mittelpunkt der Lebensinteressen i.S. des § 2 Abs. 2 und Abs. 8 FLAG 1967 nicht mehr in Österreich habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , in der die Bf. als Begründung folgendes vorbrachte:

Die VO 883/2004 und 987/2009 regelten, dass Familienleistungen, wie auch andere Leistungen (Arbeitslosigkeit, Invalildität…) ins Ausland exportiert werden müssten. Art. 7 dieser VO, der für beitragsunabhängige Leistungen nicht gelte, besage, dass Leistungen, die ins Ausland exportiert werden, nicht gekürzt werden dürften.

Österreich müsse Geldleistungen exportieren, wenn das Kind im Ausland lebe und ein Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgehe oder einen Pensionsanspruch habe.

Die Bf. fühle sich durch die österreichischen Behörden diskriminiert, habe sich auf die Rechtmäßigkeit der Bescheide verlassen und im Vertrauen auf diese Bescheide das gesamte Geld bereits verkonsumiert. Sie erkläre sich für zahlungsunfähig und könne die Rückzahlung nicht begleichen, da sie in Deutschland nur von Sozialgeldern lebe.

(Anm.: Lt. Mitteilung der belangten Behörde an die Bf. vom wurde ihr die Familienbeihilfe ursprünglich bis Dezember 2020 gewährt)

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde u.a. folgendes ausgeführt:

"Sie haben für sich selbst erhöhte Familienbeihilfe bezogen, laut Daten des Zentralen

Melderegisters haben Sie Ihren Wohnsitz in Österreich am abgemeldet. Bis Juli 2016

haben Sie in Österreich Pflegegeld bezogen, seit August 2016 haben Sie in Österreich kein

Einkommen. Laut Ihren Angaben beziehen Sie in Deutschland eine Rente.

Daher wurde die Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum Juli 2017 bis

November 2019 rückgefordert.

In Ihrer Beschwerde berufen Sie sich auf die Verordnung 883/2004.

Voraussetzung für einen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe ist gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967, dass die den Anspruch geltend machende Person den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet hat.

Für die Anwendung der Verordnung 883/2004 muss ein grenzüberschreitender Sachverhalt

vorliegen. Bei rein inländischen Sachverhalten ist sie daher genauso wenig anzuwenden wie bei

rein ausländischen Sachverhalten. Die österreichische Staatsbürgerschaft alleine reicht als

Bezugspunkt zu Österreich nicht aus, um die Anwendung der Verordnung auszulösen. Die

Verordnung kommt daher nicht zur Anwendung, wenn der vorliegende Sachverhalt nur einen

Mitgliedstaat betrifft und kein anderer Mitgliedstaat involviert ist.

Sie wohnen in Deutschland und beziehen eine deutsche Rente. In Österreich sind Sie weder

beschäftigt noch beziehen Sie eine österreichische Rente. Es liegt kein grenzüberschreitender

Sachverhalt vor. Der Sachverhalt tangiert nur Deutschland. Daher liegt kein Anwendungsbereich der Verordnung für den Bereich der Familienleistungen vor."

Im Vorlageantrag vom verwies die Bf. darauf, dass sie seit 1981 österreichische Staatsbürgerin sei.123 sei sie mit ihrem Mann (Österreicher) nach Österreich übersiedelt, 2007 erfolgte die Scheidung. Ihr Mann sei 2016 verstorben. Aus privaten Gründen habe sie 2017 nach Deutschland übersiedeln müssen. Sie sei durch eine Behinderung nie in der Lage gewesen einer regelmäßigen Tätigkeit nachzugehen um für den eigenen Lebensunterhalt sorge zu tragen. Als Österreicherin in einem Land des europäischen Auslandes (Deutschland) sei sie

davon ausgegangen, dass ihr diese finanziellen Mittel (Hilfen) auch hier in Deutschland zustehen würde, immerhin war/sei sie durch ihre Behinderung NICHT in der Lage zu ihrem eigenen Lebensunterhalt beizutragen. Es solle nicht unerwähnt bleiben, dass die finanzielle Versorgung, (siehe obenstehende Beträge) nicht exportiert worden seien, sondern auf ihr Konto der Ersten Bank und Sparkassen überwiesen worden seien. Diese Maßnahme gegen ihre

Person empfinde ich als diskriminierend, zumal ihr Fälle hier in Deutschland bekannt seien, die sehr wohl das österreichische Pflegegeld und die erhöhte Familienbeihilfe exportiert bekommen.

Per E-Mail vom erläuterte die Bf. den Sachverhalt wie folgt:

1. Ich wurde xy in der damaligen DDR geboren. Im Alter von zwei Jahren erkrankte ich, die Folge war eine Gehbehinderung, später eine völlige Gehunfähigkeit. Mitte der 70-ziger Jahre führte die DDR eine Art Pflegegeld ein. Der Betrag ca. 400,-DM. Dann wurde ich durch eine Operation beider Füße, 1975 - 1976 wieder teilweise gefähig. 1977 begann ich eine kirchliche Ausbildung, die ich nicht beenden konnte. 1978 lernte ich meinen damaligen Mann kennen. Dieser wurde in Niederösterreich, abc geboren. Seine Mutter zog, nach dem plötzlichen Tod seines Vater, zu ihren Eltern, def. Dort lernten wir uns kennen.

2. Die Ehe schlossen wir in ghi, seit 1981 bin ich im Vollbesitz der österreichischen Staatszugehörigkeit. Zwei Jahre, bis zu unserer Übersiedlung 123 nach Wien/Österreich, war ich Doppelstaaterin. Die DDR Staatsbürgerschaft wurde mir mit dem Antrag auf Ausreise aberkannt.

3. Nach der Wiedervereinigung, 1990 erhielt ich durch den Deutschen Staat, diese 400,00,-DM als eine Pensionszahlung, durch meine Behinderung, (Arbeitsunfähigkeit). Durch diese minimale Zahlung war ich in Österreich auslandsversichert, (Kranken - und Rentenversicherungsträger)

4. In Österreich Wien, erhielt ich das Pflegegeld, Pflegestufe 5, Mitte der 90-ziger, nach der Erhöhung des Pflegegeldes, rund 14000,-Schillige. + 2800,00,-Schillige. 2007 ließen wir uns scheiden, 2016 im Janner verstarb mein Ex-Mann. Eine Widwenpension beziehe ich leider, von der PVA nicht, da ich auf ehelichen Unterhalt zu Gunsten meines Ex-Mannes verzichtete.

5. Die Ausgleichszulage durch die PVA bezog ich seit 2008, die erhöhte Familienbeihilfe bezog ich ebenfalls seit 2008."

In einer weiteren E-Mail vom übermittelte die Bf. den aktuellen Rentenbescheid aus Deutschland.

Lt. der von der belangten Behörde vorgelegten Abfrage aus dem zentralen Melderegister war die Bf. von bis durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf.) war ursprünglich Staatsbürgerin der DDR.

Seit 1981 ist sie österreichische Staatsbürgerin.

Seit 123 lebte sie in Österreich.

Auf Grund einer in der Kindheit aufgetretenen Krankheit war sie nie erwerbsfähig und bezog in Österreich bis einschließlich Juni 2017 neben Pflegegeld auch (erhöhte) Familienbeihilfe.

Weitere Geldleistungen wurden und werden auch dzt. nicht bezogen.

Seit 1990 bezog sie aus Deutschland eine Rente, lt. aktuellem Rentenbescheid bezeichnet als "Altersrente". Diese wird auch weiterhin in Deutschland bezogen.

Am gab sie ihren Hauptwohnsitz in Österreich auf und übersiedelte in der Folge nach Deutschland.

Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten elektronischen Akt sowie durch weitere Ergänzungen der Bf. per E-Mail an das Bundesfinanzgericht, so wie in den Entscheidungsgründen dargestellt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Nationales Recht:

§ 2 FLAG (Familienlastenausgleichsgesetz) 1967 lautet auszugsweise:

Abs. 1: Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,………….

Abs. 8: Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

§ 4 FLAG 1967 lautete auszugsweise:

Abs 1: Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

Abs. 2: Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nachdiesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

Abs. 3: Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe, die nach diesem Bundesgesetz zu gewähren wäre, geleistet.

§ 5 lautete auszugsweise:

Abs. 3: Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Abs. 4: Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, für die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe besteht. Die Gewährung einer Ausgleichszahlung (§ 4 Abs. 2) wird dadurch nicht ausgeschlossen.

§ 10 lautet auszugsweise:

Abs. 2: Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrundhinzukommt.

§ 11 lautet:

Abs. 1: Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 4, monatlich durch das Wohnsitzfinanzamt automationsunterstützt ausgezahlt.

Abs. 2: Die Auszahlung erfolgt durch Überweisung auf ein Girokonto bei einer inländischen oder ausländischen Kreditunternehmung. Bei berücksichtigungswürdigen Umständen erfolgt die Auszahlung mit Baranweisung.

§ 12 lautet:

Abs. 1: Das Wohnsitzfinanzamt hat bei Entstehen oder Wegfall eines Anspruches auf Familienbeihilfe eine Mitteilung auszustellen. Eine Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe ist auch über begründetes Ersuchen der die Familienbeihilfe beziehenden Person auszustellen.

Abs. 2: Wird die Auszahlung der Familienbeihilfe eingestellt, ist die Person, die bislang die Familienbeihilfe bezogen hat, zu verständigen.

§ 13 lautet:

Über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe hat das nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person zuständige Finanzamt zu entscheiden. Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist ein Bescheid zu erlassen.

§ 53 lautet:

Abs. 1: Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Abs. 2: Die Gleichstellung im Sinne des Abs. 1 gilt auch im Bereich der Amtssitzabkommen sowie Privilegienabkommen, soweit diese für Angestellte internationaler Einrichtungen und haushaltszugehörige Familienmitglieder nicht österreichischer Staatsbürgerschaft einen Leistungsausschluss aus dem Familienlastenausgleich vorsehen.

Abs. 3: § 41 ist im Rahmen der Koordinierung der sozialen Sicherheit im Europäischen Wirtschaftsraummit der Maßgabe anzuwenden, dass ein Dienstnehmer im Bundesgebiet als beschäftigt gilt, wenn er den österreichischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterliegt.

Nach § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden (§ 33 Abs. 3 EStG 1988).

Unionsrecht:

Art 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit lautet auszugsweise:

a) "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeitausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

b) "selbstständige Erwerbstätigkeit" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

j) "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person;

k) "Aufenthalt" den vorübergehenden Aufenthalt;

z) "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfennach Anhang I.

Art. 2

Persönlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Art. 3:

Sachlicher Geltungsbereich

Abs. 1 Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

...

j) Familienleistungen.

Artikel 4:

Gleichbehandlung

Sofern in dieser Verordnung nichts Anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Art. 5 :

Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen

Sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes:

  • Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschrifteneines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.

b) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären.

Artikel 7:

Aufhebung der Wohnortklauseln

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Artikel 11:

1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davonausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

b) ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;

c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

d) eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegtunbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungenaufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen,den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats....

Erwägungen:

Die Bf. vertritt die Auffassung, dass ihr die bis einschließlich Juni 2017 gewährte (erhöhte) österreichische Familienbeihilfe trotz der Verlegung ihres Wohnsitzes nach Deutschland ab Juli 2017 weiterhin zustehe. Diese Auffassung begründet sie mit der vermeintlich auch auf ihren Fall anwendbaren VO 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, und leitet daraus die Verpflichtung Österreichs zur Exportierung der ihr schon bisher ausbezahlten Familienbeihilfe nach Deutschland ab.

Einleitend ist auszuführen, dass die Bf. nach rein innerstaatlicher Rechtslage keinen Anspruch auf Familienbeihilfe hat, da sie im Inland unstrittig weder über einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. § 2 Abs.1 lit. a FLAG 1967) verfügt.

Die österreichische Staatsbürgerschaft ist auch nach innerstaatlichem Recht nicht Voraussetzung für den Bezug der Familienbeihilfe.

Auf Grund der österreichische Staatsbürgerschaft fällt die Bf. jedoch in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 883/2004.

Da, es sich bei der Familienbeihilfe um eine Familienleistung i.S. der Verordnung handelt, fällt sie auch in deren sachlichen Anwendungsbereich.

Die VO 883/2004 kommt, wie auch ihr Titel bereits aussagt, immer dann zur Anwendung, wenn ein grenzüberschreitende Sachverhalt vorliegt und die Systeme von zumindest zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu koordinieren sind. Dabei gilt der allgemeine Grundsatz des Art. 11 Abs. 1, wonach Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Abs. 2 regelt das sog. Beschäftigungslandprinzip, wonach für die Gewährung von Familienleistungen der Mitgliedstaat zuständig ist, in dem eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (vgl. ,). Davon ausdrücklich ausgenommen, also nicht einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt, sind lt. Abs. 2, Satz 2 "Invaliditäts-, Alters-oder Hinterbliebenenrenten oder Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken."

Aus Art. 11 Abs. 2 VO 883/2004 lässt sich somit ableiten, dass der Bezug einer Pension, einer Rente und der Bezug von Pflegegeld keine einer Beschäftigung "gleichgestellte Situation" im Sinne des Art. 1 lit. a VO 883/2004 schafft (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG Kommentar, Rz 106 zu § 53).

Art. 11 Abs. 3 lit. a-d regeln, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, wenn eine Person einen bestimmten Sachverhalt erfüllt.

Lt. lit. e unterliegt "jede andere Person" den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates.

Die VO 883/2004 definiert den Wohnmitgliedstaat nicht unmittelbar. Wohnmitgliedstaat ist jener Staat, in dem sich der Wohnort einer Person befindet. (, , ).

Nach Art. 1 lit. j VO 883/2004 bedeutet der Ausdruck "Wohnort" den "gewöhnlichen Aufenthalt" einer Person. Er hat damit eine eigenständige unionsrechtliche Bedeutung. Der Begriff bezeichnet den Ort, an welchem eine Person gewöhnlich wohnt und wo eine Person den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Lebensführung bzw. ihrer Lebensinteressen hat. (, ).

Das dazu in Art. 11 Abs. 1 DVO 987/2009 genannte Kriterium "Mittelpunkt der Interessen einer Person" und die angeführten "Fakten" entsprechen im Wesentlichen dem "Mittelpunkt der Lebensinteresse" im Sinne des § 2 Abs. 8 FLAG 1967 (vgl. ).

§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 sieht den Mittelpunkt der Lebensinteressen als in dem Staat gelegen, zu dem die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen ().

Eine Person kann zwar mehrere Wohnsitze, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen im Sinne des § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben (vgl. ).

Hinsichtlich des Begriffes "Wohnsitz" findet sich in § 26 BAO eine Legaldefinition. Einen Wohnsitz hat gemäß § 26 Abs. 1 BAO jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Dies bedeutete für den gegenständlichen Fall folgendes:

Die Bf. hat im Juni ihren Hauptwohnsitz in Österreich abgemeldet und hat ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegt. Ihr Wohnort i.S. des Art. 1 lit.j der VO befindet sich daher in Deutschland.

Aus ihrem Vorbringen im Vorlageantrag (..."aus privaten Gründen nach Deutschland übersiedelt"…..) ist zu schließen, dass die Bf. damit den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sowohl im innerstaatlichen auch im unionsrechtlichen Sinn nach Deutschland verlegt hat.

Deutschland ist daher "Wohnmitgliedstaat" i.S. der VO 883/2004.

Unstrittig übt die Bf. in Österreich keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit aus und liegt auch keine dieser gleichgestellte Situation im Sinne der VO vor. Vielmehr bezog sie auch weiterhin die von den deutschen Behörden als Altersrente bezeichnete Rente. Zuständig für den Bezug von Familienleistungen ist daher der Wohnmitgliedstaat, damit Deutschland.

Gegenüber Österreich liegt kein sich aus Art. 11 der VO ergebender Anknüpfungspunkt vor, der eine Zuständigkeit Österreichs für die Gewährung von Familienbeihilfe begründet.

Die Ausführungen der Bf. in der Beschwerde hinsichtlich des Exportes von Familienbeihilfe durch Österreich an Kinder, die im (EU-)Ausland wohnen, betrifft jene Fälle, worauf sie auch selbst verweist,….." wenn das Kind im Ausland lebt und ein Elternteil (in Österreich) einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder einen Pensionsanspruch hat."

Nur wenn eine Person grundsätzlich gemäß dem Beschäftigungslandprinzip den Rechtsvorschriften Österreichs unterliegt, greift der, ebenfalls von der Bf. ins Treffen geführte Art. 7 der VO, wonach Geldleistungen….nicht auf Grund der Tatsache gekürzt werden dürfen, ….. dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat wohnen……………..Wenn diese Voraussetzungen bei der Bf. nicht vorliegen, kann nach Auffassung des Bundesfinanzgerichtes darin keine Diskriminierung der Bf. gegenüber Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die diese Voraussetzungen sehr wohl erfüllen, erkannt werden.

Die Art. 67 und 68 der VO, die sog. Prioritätsregeln, kommen entgegen der Auffassung der Bf. nicht zur Anwendung, da kein Zusammentreffen mehrerer Ansprüche vorliegt.

Wenn die Bf. darauf verweist, die Familienbeihilfe sei im Rückforderungszeitraum auf ihr inländisches Bankkonto überwiesen worden, so ist aus diesem Vorbringen für die Frage, ob sie Anspruch auf die Familienbeihilfe nach innerstaatlichem Recht hat, nichts zu gewinnen. § 11 FLAG 1967 regelt nur den Auszahlungsmodus der Familienbeihilfe, und zwar üblicherweise durch Überweisung auf ein Girokonto bei einem inländischen oder ausländischen Bankinstitut. Ein inländisches Bankkonto ist somit nicht Voraussetzung, um den grundsätzlichen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe zu begründen.

Der Familienbeihilfenanspruch erlischt jedoch mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt (§10 Abs.2 FLAG 1967).

Gemäß § 13 FLAG 1967 wird über den Bezug oder den Wegfall der Familienbeihilfe eine Mitteilung durch das Finanzamt ausgestellt. Diese Mitteilung ist kein Bescheid, vermittelt somit keinen Rechtsanspruch. Sie eröffnet jedoch die Möglichkeit einen Antrag auf (neuerliche)Gewährung der Beihilfe zu stellen (vgl. z. B. ).

Aus der Mitteilung vom über den Bezug von Familienbeihilfe bis Dezember 2020 kann daher kein Rechtsanspruch für den Weiterbezug der Familienbeihilfe über Juni 2017 hinaus abgeleitet werden.

Zur Berechtigung der belangten Behörde, die Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge zurückzufordern, ist folgendes auszuführen:

Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ergibt sich eine objektive Erstattungspflicht zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe. Subjektive Momente, wie Verschulden, Gutgläubigkeit oder die Verwendung der Familienbeihilfe, sind nach ständiger Rechtsprechung des VwGH für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (siehez.B. ).

Im gegenständlichen Fall hat die Bf. die Familienbeihilfe nach den vorstehenden Ausführungen zu Unrecht erhalten, sodass sie zu recht zurückzufordern war, ohne dass es auf einen gutgläubigen Verbrauch ankäme.

Was das weitere Vorbringen der Bf. zu ihrer finanziellen Situation betrifft, so wird dazu ergänzend zur Information auf die Möglichkeit hingewiesen, beim Finanzamt einen Antrag gemäß § 212 BAO auf Zahlungserleichterung und gemäß § 236 BAO auf Nachsicht einzubringen.

Derartige Maßnahmen sind jedoch nicht Gegenstand des anhängigen Beschwerdeverfahrens. Die Frage einer möglichen Unbilligkeit bei der Abstattung der zu Unrecht bezogenen Beträge wäre vielmehr in einem gesonderten Verfahren beim Finanzamt zu prüfen (vgl. dazu auch ).

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision wird nicht zugelassen, da sich die (Nicht)-Anspruchsberechtigung aus dem § 2 Abs. 1 FLAG 1967 und dem Art. 11 der VO 883/2004 ableiten lässt und somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Wien, am

[...]

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102839.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at