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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.02.2021, RV/7103858/2018

Frist für Anträge nach § 295 Abs 4 BAO (id ab 8.1.2021 geltenden Fassung des COVID-19-StMG)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Peter Unger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ACCURATA Steuerberatungs GmbH & Co KG, Rechte Kremszeile 62, 3500 Krems/Donau, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom betreffend Zurückweisung eines Antrages gemäß § 295 Abs 4 BAO, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 295 Abs 4 BAO die Aufhebung abgeänderter Einkommensteuersteuerbescheide der Jahre 2008 bis 2011. Begründend wurde ua ausgeführt, das Bundesfinanzgericht habe die gegen die zugrundeliegenden Feststellungsbescheide eingebrachte Beschwerde zurückgewiesen, da es sich hierbei um Nichtbescheide gehandelt habe.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers mit näherer Begründung als verspätet zurück.

Mit der dagegen erhobenen Beschwerde bekämpfte der Beschwerdeführer die Zurückweisung durch belangten Behörde und wies ua - ergänzend zu seinem verfahrenseinleitenden Antrag - darauf hin, dass das Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom die Beschwerde gegen die Feststellungsbescheide aufgrund der Qualifikation als Nichtbescheide zurückgewiesen habe und bereits am , innerhalb weniger Tage nach Zustellung des BFG-Erkenntnisses der Antrag gemäß § 295 Abs 4 BAO gestellt worden sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde mit näherer Begründung als unbegründet ab, wogegen der Beschwerdeführer fristgerecht einen Vorlageantrag einbrachte.

Mit Vorlagebericht vom nahm die belangte Behörde die Beschwerde- und Aktenvorlage gemäß § 265 BAO vor.

Mit Eingabe vom zog der Beschwerdeführer seine Anträge auf Senatszuständigkeit und Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

Mit hg. Beschluss vom , RV/5100992/2017, wurde die Beschwerde rechtskräftig gegen die als Feststellungsbescheide intendierten Erledigungen vom als unzulässig zurückgewiesen, da es sich bei den Anfechtungsobjekten um Nichtbescheide gehandelt habe.

Mit Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des von diesen als Nichtbescheide qualifizierten Dokumenten abgeleiteten Einkommensteuerbescheide der Jahre 2008 bis 2011.

Beweiswürdigung

Der hg. Zurückweisungsbeschluss vom ist ebenso aktenkundig wie der verfahrenseinleitende Antrag vom .

Gegen den hg. Zurückweisungsbeschluss wurde eine außerordentliche Revision erhoben, die vom Verwaltungsgerichtshof mit aktenkundigem Beschluss vom , Ra 2018/15/0061, zurückgewiesen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Bescheidaufhebung)

§ 295 Abs 4 BAO erhielt durch das COVID-19-Steuermaßnahmengesetz - COVID-19-StMG, eine neue Fassung. Das entsprechende BGBl I 2021/3 wurde am kundgemacht. Mangels einer ausdrücklichen Inkrafttretensregelung der Novellierung von § 295 Abs 4 BAO (vgl § 323 Abs 70 BAO idF BGBl I 2021/3) trat die gegenständliche Fassung dieser Bestimmung gemäß Art 49 Abs 1 B-VG iVm § 11 Abs 1 BGBlG mit in Kraft und ist diese Fassung von § 295 Abs 4 BAO als Norm des Verfahrensrechts (mangels einer speziellen Regelung ihres zeitlichen Geltungsbereiches) seitdem auch auf alle offenen Fälle anzuwenden (vgl Stoll, BAO-Kommentar, 62; sowie ; , mwN; ; ; ).

§ 295 Abs 4 BAO idF COVID-19-StMG (BGBl I 2021/3) lautet:

"(4) Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt

- eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder

- eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,

gerichtet ist, als unzulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird."

Den parlamentarischen Materialien (ErläutIA 1109/A XXVII. GP, 31f) ist als Erläuterung der Novellierung von § 295 Abs 4 BAO zu entnehmen:

"Zu Z 7 (§ 295 Abs. 4):

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom , G 159/2019, den letzten Satz des § 295 Abs. 4 BAO als verfassungswidrig aufgehoben. In der Entscheidung hat der Gerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass er in der bisherigen Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO eine eigenständige Regelung zur Aufhebung von Bescheiden sieht, die unabhängig von der in § 302 Abs. 1 BAO mit dem Ablauf der Verjährungsfrist begrenzten Zulässigkeit von Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden besteht. Dies führt zunächst dazu, dass nach Ablauf der durch den VfGH gewährten Frist zur Anpassung der gesetzlichen Regelung Aufhebungsanträge gemäß § 295 Abs. 4 BAO unbegrenzt zulässig wären. In weiterer Folge zeitigt die bisherige Regelung des § 295 Abs. 4 BAO in Zusammenhang mit der Aufhebung des letzten Satzes unsachliche Folgen: Der geltende Gesetzeswortlaut des § 295 Abs. 4 BAO lässt lediglich Aufhebungen abgeleiteter Bescheide zu. Feststellungsbescheide nach § 188 BAO können jedoch ohne Rücksicht auf die Verjährungsfristen der BAO erlassen werden. Stellt sich demnach im Beschwerde- oder Revisionsverfahren gegen einen Feststellungsbescheid heraus, dass dieser eine als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation - somit ein "Nichtbescheid" - ist, kann die Abgabenbehörde zwar einen rechtswirksamen Feststellungsbescheid erlassen, ein von der als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation abgeleiteter Bescheid könnte jedoch nur mehr aufgehoben werden. Damit tritt der ursprüngliche Erstbescheid oder ein zuvor ergangener abgeleiteter Bescheid wieder in den Rechtsbestand; derartige Bescheide entsprechen in den allermeisten Fällen aber inhaltlich nicht mehr dem geltenden Feststellungsbescheid. Dies führt zu unsachlichen Ergebnissen, die häufig dazu führen können, dass eigentlich nicht zustehende Verluste nur deshalb lukriert werden können, weil ein unwirksamer Feststellungsbescheid bestanden hat, der aber mittlerweile durch einen wirksamen Feststellungsbescheid ersetzt wurde.

Mit der Änderung wird für die Partei die Möglichkeit geschaffen, einen Antrag auf Aufhebung des Bescheides zu stellen, der sich auf den Nichtbescheid gestützt hat. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage betrifft die Aufhebung damit nicht nur Änderungsbescheide gemäß § 295 Abs. 1 BAO sondern alle Bescheide, die auf den Nichtbescheid gestützt sind. Die Aufhebung ist nur zulässig, wenn der Antrag innerhalb von einem Jahr ab Rechtskraft der Zurückweisung gestellt wird. Mit dieser Antragsbefristung wird den Ausführungen des VfGH, wonach das Antragsrecht seine rechtserhebliche Bedeutung im Zeitpunkt der Zurückweisung der Beschwerde erlangt, Rechnung getragen.

Zur Vermeidung von unsachlichen Ergebnissen ist vorgesehen, dass der Übernahme der im (neu) erlassenen Feststellungsbescheid (bzw. Nichtfeststellungsbescheid) getroffenen Feststellungen die Verjährung nicht entgegensteht, wenn der neue Abgabenfestsetzungsbescheid innerhalb von einem Jahr ab Aufhebung ergeht. Wird gegen den (neu) erlassenen Feststellungsbescheid (bzw. Nichtfeststellungsbescheid) fristgerecht Beschwerde erhoben, soll durch die Anwendung des § 209a Abs. 2 erster Satz BAO - zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes - trotz Verjährungseintritt eine allfällige Anpassung des abgeleiteten Festsetzungsbescheides an den im Beschwerdeverfahren abgeänderten Feststellungsbescheid möglich sein."

Da nach den obigen Sachverhaltsfeststellungen die Frist für die Stellung des Antrages auf Aufhebung abgeleiteter Bescheide nach der im Zeitpunkt dieser hg. Entscheidung maßgeblichen Fassung von § 295 Abs 4 BAO unzweifelhaft gewahrt wurde, ist der (noch unter der alten Rechtslage ergangene) angefochtene Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde gemäß § 279 BAO aufzuheben (vgl Ritz, BAO6, § 279 Tz 6, mwN).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde über den nunmehr wieder unerledigten verfahrenseinleitenden Antrag des Beschwerdeführers vom meritorisch zu entscheiden haben.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im vorliegenden Fall entscheidungswesentlich die in freier Beweiswürdigung vorgenommene Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (Einhaltung einer Antragsfrist) war, liegen die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht vor (vgl ).

Es war daher gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 49 Abs. 1 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7103858.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at