Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.02.2021, RV/6100445/2020

Umschreibung eines Wiederaufnahmegrundes

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich, vormals des Finanzamtes Salzburg-Land vom betreffend die Wiederaufnahme des Verfahren gemäß § 303 Abs.1 BAO zur Einkommensteuer 2013 sowie die Bescheide vom betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs.1 BAO zur Einkommensteuer 2014 und 2015 zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

1. Den Beschwerden wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochteten Bescheide werden aufgehoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der BF wurde aufgrund seiner Erklärungen am zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für 2013, am zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für 2014 und am zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für 2015 veranlagt, wobei neben seinen Einkünften aus dem Ruhegenuss für seine ehemalige Tätigkeit beim BMLV auch verschiedene Sonderausgaben berücksichtigt wurden.

Mit Bescheid vom wurde das Verfahren betreffend die Einkommensteuer für 2013 wiederaufgenommen und ein neuer Einkommensteuerbescheid für 2013 erlassen. Mit Bescheiden vom wurden die Verfahren betreffend die Einkommensteuer für 2014 und für 2015 wiederaufgenommen und neue Einkommensteuerbescheide für 2014 und 2015 erlassen. Zur Begründung der Wiederaufnahme verwies das FA auf die mit jeweils gleichen Datum ergangenen Einkommensteuerbescheide. Dort wurde zur Begründung ausgeführt, dass sich durch die nachträgliche Übermittlung eines Lohnzettels des BMLV neue Tatsachen ergeben hätten, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich gemacht hätten. Diese Lohnzettel umfassten Bezüge über einen geldwerten Vorteil aus der Überlassung einer Naturalwohnung i.H.v. € 668,12 für 2013, € 542,24 für 2014 und € 636,29 für 2015.

Gegen diese sechs Bescheide sowie Bescheide über die nicht näher bezeichnete Festsetzung von Anspruchszinsen erhob der BF durch seinen ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Beschwerde und begründete dies hinsichtlich der Wiederaufnahme der Verfahren im Wesentlichen damit, dass nach einer vom zuständigen FA durchgeführten Nachschau erst über Anregung des Rechnungshofes eine neuerliche Überprüfung der steuerlichen Sachbezüge durch das FA erfolgt sei und erst dann Haftungsbescheide für die Lohnsteuer erlassen worden seien, wogegen das BMLV Beschwerde erhoben habe. Der BF habe sich diesem Verfahren angeschlossen.

Der Sachverhalt sei nach der ersten und der zweiten Nachschau des FA der Gleiche gewesen, weswegen die Wiederaufnahme auch wegen der verspäteten bzw. verfristeten Geltendmachung unbillig sei. Den angefochtenen Wiederaufnahmebescheiden könne keine Interessenabwägung unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit bzw. der Billigkeit entnommen werden, den Bescheiden hafte wegen der formularhaften Begründung ein Begründungsmangel an. Letztlich stelle die bis dato nicht ergangene Entscheidung über den Haftungsbescheid beim BMLV eine Vorfrage dar, die gegenüber der Partei des wiederaufzunehmenden Verfahrens bindend sein müsse.

Weiters enthielten die Beschwerden inhaltlich umfassende Vorbringen zur Unrichtigkeit der Einkommensteuerbescheide sowie zum Schicksal von Anspruchszinsenbescheiden bei einer Änderung der Einkommensteuerbescheide.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom (für 2013) und vom wies das FA die Beschwerden des BF als unbegründet ab und begründete dies hinsichtlich der Wiederaufnahme der Verfahren im Wesentlichen damit, dass die zusätzlichen Lohnzettel des BMLV erst mit Mai 2019 an die Abgabenbehörde übermittelt worden seien. Dies sei unzweifelhaft eine neue Tatsache, die sich auf den Inhalt des Einkommensteuerbescheides auswirken müsse. Zudem lägen die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung vor, da für den Steuerpflichtigen neben dem Lohnzettel für seine Pensionsbezüge durch das BVA Pensionsservice ein weiterer Lohnzettel durch das BMLV ausgestellt worden sei.

In der Begründung führte das FA zur Besteuerung des geldwerten Vorteiles dem Grunde und der Höhe nach aus.

Darauf beantragte der BF durch seinen ausgewiesenen Vertreter fristgerecht die Vorlage der Beschwerden betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 sowie der Beschwerden betreffend die Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 zur Entscheidung durch das BFG und ergänzte sein Vorbringen zur Unzulässigkeit der Wiederaufnahme der Verfahren und der Unrichtigkeit der Einkommensteuern. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Finanzgericht wurde angeregt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Das BFG legt seiner Entscheidung den im Folgenden dargestellten Sachverhalt zugrunde, der sich aus dem Vorbringen der Verfahrensparteien im Beschwerdeverfahren und den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt.

Der BF ist Dienstnehmer des BMLV im Ruhestand und bezieht als solcher Pensionsbezüge. Er wurde aufgrund seiner Erklärungen am zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für 2013, am zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für 2014 und am zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für 2015 veranlagt, wobei neben seinen Einkünften aus dem Ruhegenuss für seine ehemalige Tätigkeit beim BMLV auch verschiedene Sonderausgaben berücksichtigt wurden.

Das BMLV stellte dem BF auch im Ruhestand eine Naturalwohnung in ***Bf1-Adr*** im Ausmaß von 84,96 m2 zur Verfügung. Für die Überlassung dieser Wohnung wurden seitens des BMLV im Jahr 2019 für die Jahre 2013-2015 Lohnzettel nach § 84 EStG 1988 ausgestellt.

Das FA führte am (betreffend das Jahr 2013) bzw. am (betreffend die Jahre 2014 und 2015) eine Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO durch und verwies zur Begründung auf den mit gleichem Datum erlassenen (neuen) Einkommensteuerbescheid für das jeweilige Jahr. Die Begründung der Sachbescheide lautete in allen Jahren wörtlich wie folgt: "Durch die nachträgliche Übermittlung eines Lohnzettels des BMLV ergeben sich neue Tatsachen die eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich machen." In der Beschwerdevorentscheidung führte das FA zu diesem Punkt ergänzend aus: "Die zusätzlichen Lohnzettel des BMLV wurden erst mit Mai 2019 an die Abgabenbehörde übermittelt. Das ist unzweifelhaft eine neue Tatsache, die sich auf den Inhalt des Einkommensteuerbescheides auswirken muss."

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Zur Amtspartei ab :

Gemäß § 323b Abs.1 BAO treten das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes.

Gemäß § 323b Abs. 2 BAO werden die am bei einem Finanzamt … anhängigen Verfahren von der jeweils am zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt.

In den gegenständlichen Beschwerdeverfahren, das vom FA Salzburg-Land dem BFG vorgelegt worden waren, ist somit ab das FA Österreich zuständig.

2.2. Zur Anregung einer mündlichen Verhandlung:

Zu der oben angeführten Anregung einer mündlichen Verhandlung ist auszuführen, dass gemäß § 274 Abs. 1 Z. 1 lit. b) BAO über die Beschwerde eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat, wenn dies im Vorlageantrag (§ 264) beantragt wird.

Wie bei jedem Anbringen kommt es auf den Inhalt und nicht auf zufällige verbale Formen an. Kein ausreichender Antrag ist nach der Rechtsprechung jedoch das Ersuchen, zur Minimierung des verwaltungsökonomischen Zeiteinsatzes falls erforderlich, um Einladung zu einer mündlichen Verhandlung über das gegenständliche Berufungsthema (), …, der Antrag, "allenfalls" eine mündliche Verhandlung durchzuführen ( , 140-142), …, der Antrag "sofern notwendig eine mündliche Verhandlung anzuberaumen" ( ). (Ritz, BAO6, § 274, Tz. 5)

Im Antrag, "in eventu eine mündliche Berufungsverhandlung im Sinn des § 284 Abs. 1 BAO (jetzt § 274 Abs. 1 BAO)" anzuberaumen, vermochte der Gerichtshof im Hinblick auf seine Unbestimmtheit (in eventu) nicht als einen Parteienantrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu erkennen (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO, § 2 74, E 18 unter Verweis auf ).

Der gegenständliche Vorlageantrag, in dem diese "Anregung" einer mündlichen Verhandlung enthalten ist, wurde von einem Rechtsanwalt erstellt, der in seinem Schriftsatz sehr wohl Anträge (auf Vorlage verschiedenster Bescheide an das BFG) enthielt.

Unabhängig davon, dass die gegenständliche "Anregung" nicht in den Anträgen des BF formuliert wurde, sondern im Bereich einer ergänzenden Begründung des Beschwerdevorbringens im Vorlageantrag, ist sich aus Sicht des BFG ein berufsmäßiger Parteienvertreter jedenfalls darüber im Klaren, dass eine Anregung lediglich eine unverbindliche Empfehlung und damit nicht die Ausübung eines die Behörde oder das Gericht bindendes Antragsrechtes darstellt. Damit liegt aber vergleichbar mit den oben dargestellten Beispielen kein tauglicher Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor. Die Formulierung einer "Anregung" ist nach dem Verständnis des BFG sogar noch weiter von einem bestimmten Antrag nach § 274 Abs. 1 BAO entfernt, als dies die oben dargestellten Beispiele von bedingten Anträgen sind.

Da damit kein Antrag im Sinne des § 274 Abs. 1 BAO vorliegt und seitens des erkennenden Richters auch keine Notwendigkeit für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erkannt werden kann, konnte die gegenständliche Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

2.3. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren … von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB ; , 96/15/0221)

Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist nach hA aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB ; , 2006/13/0019; , 2007/15/0045; , 2007/13/0157; , 2009/15/0016; , 2011/15/0106; aM Schobesberger, ÖStZ 1988, 310; Wiedermann, Wiederaufnahme, 99 ff; vgl hiezu auch Stoll, BAO, 2935 ff). (Ritz, BAO6, § 303 Rz. 30f)

Die Verfügung der Wiederaufnahme liegt im Ermessen (zB ; , 99/13/0131; , 2004/13/0083; , 2006/13/0015) (Ritz, BAO6, § 303 Rz. 62) Die Ermessensübung ist entsprechend zu begründen ( ; , 95/13/0136; , 96/15/0129); (Ritz, BAO6, § 303 Rz. 64)

Gemäß § 307 Abs. 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wieder aufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden.

Die Wiederaufnahmsgründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH (zB ; , 90/14/0044; , 91/14/0165; , 93/14/0187, 0188) sich die Rechtsmittelbehörde bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann. (Ritz, BAO6, § 307 Rz. 3)

Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Änderungsbefugnis ("nach jeder Richtung") ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (zB ; , 2010/16/0032; , 2012/15/0161). Daher darf ein Erkenntnis beispielsweise nicht … den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmsgrund durch einen anderen ersetzen (zB ; , 97/13/0199; , 2003/15/0141; , 2012/15/0172; , 2012/15/0030) (Ritz, BAO6, § 279 Rz. 10f)

Für die Auslegung von Bescheiden sind die für Gesetze geltenden Auslegungsregeln (§§ 6 und 7 ABGB) analog heranzuziehen () Ausgangspunkt ist somit immer eine Wortinterpretation, allenfalls ergänzt durch die systematische, die teleologische oder die historische Auslegung. ()

Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies nach dem klaren Wortlaut der Begründung der nach Wiederaufnahme der Verfahren erlassenen Sachbescheide in den Streitjahren, dass als Wiederaufnahmsgrund ein neues Beweismittel in Form des vom BMLV übermittelten Lohnzettel zugrundegelegt wurde. Dies wird durch die Begründung in der Beschwerdevor-entscheidung - wie oben dargestellt - nochmals verstärkt. Diese Lohnzettel wurden allerdings erst im Jahr 2019 erstellt. Es handelt sich somit nicht um neu hervorgekommene Beweismittel, sondern um später entstandene Beweismittel. Dies war der einzige vom FA genannte Wieder aufnahmsgrund, der im Sinne der oben zitierten Entscheidungen keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO darstellt.

Da die Entscheidung des BFG über die Beschwerden gegen die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2013,2014 und 2015 wie oben dargestellt durch die "Sache" (den vom FA angeführten Wiederaufnahmsgrund) begrenzt ist, war den Beschwerden des BF gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2013,2014 und 2015 bereits aus diesem Grund stattzugeben ohne auf die weiteren Beschwerdepunkte (Verfristung, mangelnde Begründung des Ermessens bzw. das Vorliegen einer Vorfrage im GPLA Beschwerdeverfahren des BMLV) einzugehen.

2.4. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des BFG auf die "Sache" des Beschwerdeverfahrens und die Unmöglichkeit vom FA gewählten Wiederaufnahmsgrund durch das BFG auszutauschen basiert auf der oben dargestellten einhelligen Rechtsprechung des VwGH. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.6100445.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at