Wiederholte Wiederaufnahme des Verfahrens - keine res iudicata
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Gabriele Grossgut-Palotás in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Amstetten Melk Scheibbs vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO) hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und Anspruchszinsen (§ 205 BAO) 2012 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Angefochten sind die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2012 und die aufgrund des neuen Sachbescheides erfolgte Festsetzung von Anspruchszinsen 2012.
Die Arbeitnehmerveranlagung 2012 erfolgte im Wesentlichen erklärungsgemäß, wonach die anrechenbare Lohnsteuer mit 5.679,90 € ausgewiesen wurde (Bescheid vom ).
Aufgrund einer GPLA-Prüfung (Gemeinsame Prüfung Lohnabgaben) des Dienstverhältnisses des Beschwerdeführers mit der C GmbH (vormals M Reinigung), wonach die anrechenbare Lohnsteuer von der Dienstgeberin zu hoch ausgewiesen worden sei, nahm das Finanzamt das Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder auf (erster Wiederaufnahmebescheid) und erließ einen neuen Sachbescheid, in dem es die Lohnsteuer im festgestellten Ausmaß von 4.886,82 € berücksichtigte (Bescheid vom ). Als Begründung erfolgte nachstehender Textbaustein:
"Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO wiederaufzunehmen, weil dem Finanzamt auf Grund eines berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe etc.) erst nachträglich Umstände bekannt wurden, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent waren und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen."
Die angekündigte Begründung fehlt jedoch im neuen Sachbescheid.
Am (eingelangt beim Finanzamt am ) stellte der Beschwerdeführer einen Antrag gemäß § 299 BAO auf Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides bzw. des Einkommensteuerbescheides 2012 jeweils vom , da sich aus den genannten Bescheiden nicht entnehmen lasse, aus welchen Gründen es 2018 zu einer Berichtigung des Lohnzettels 2012 gekommen sei. Auf die näheren Ausführungen wird verwiesen.
Das Finanzamt hob am wegen Mangelhaftigkeit der Begründung den Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2012 sowie den Einkommensteuerbescheid 2012 gemäß § 299 BAO auf und erließ am einen neuen (zweiten) Wiederaufnahmebescheid mit dem gleichen oben zitierten Textbaustein und dem Verweis auf die nähere Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides.
Begründung Einkommensteuerbescheid 2012 vom :
"Anlässlich einer im Jahr 2018 bei Ihrem Dienstgeber C GmbH (vormals M Reinigung) durchgeführten Prüfung der lohnabhängigen Abgaben (GPLA) wurde festgestellt, dass von Ihrem Dienstgeber ein unrichtiger Lohnzettel an die Abgabenbehörde übermittelt wurde. Auf diesem wurde die einbehaltene Lohnsteuer zu hoch (2.932,80 € statt 2.139,72 €) ausgewiesen. Bei Ihrer Arbeitnehmerveranlagung 2012 wurde daher eine um 793,- zu hohe Gutschrift ermittelt. Im Zuge des Abschlusses der GPLA-Prüfung wurde daher ein neuer korrigierter Jahreslohnzettel an das Finanzamt übermittelt. Zu diesem Zeitpunkt ist für das Finanzamt neu hervorgekommen, dass die bisher im Bescheid angerechnete Lohnsteuer zu hoch ist."
Gleichzeitig erließ das Finanzamt einen Bescheid über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2012 in Höhe von 53,99 €.
Gegen den Wiederaufnahmebescheid und den Anspruchszinsenbescheid erhob der Beschwerdeführer wegen entschiedener Rechtssache (res iudicata) mit Schriftsatz vom Beschwerde und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Auf die näheren Ausführungen wird verwiesen.
Mit Beschwerdevorentscheidungen jeweils vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.
Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom die Vorlage seiner Bescheidbeschwerde an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung. Auf die näheren Ausführungen wird verwiesen.
Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Auf die Begründung wird verwiesen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer arbeitete im beschwerdegegenständlichen Jahr 2012 bei der C GmbH (damals M Reinigung). Im Lohnzettel 2012 über den Zeitraum 1.1. bis der Dienstgeberin war die anrechenbare Lohnsteuer mit 2.932,80 €statt richtigerweise mit 2.139,72 € ausgewiesen. Es ergab sich daher zuzüglich der anrechenbaren Lohnsteuer aus dem Zeitraum 29.5. bis eine insgesamt anrechenbare Lohnsteuer in Höhe von 5.679,90 € statt richtigerweise 4.886,82 €.
Eine Berichtigung des Lohnzettels erfolgte im Rahmen einer GPLA-Prüfung der Dienstgeberin des Beschwerdeführers im Jahr 2018. Die Ergebnisse dieser Prüfung wurden seitens der NÖ. Gebietskrankenkasse in die Datenbank des Finanzamtes eingespielt.
Beweiswürdigung
Der Sachverhalt hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens ist unstrittig; es handelt sich um eine reine Rechtsfrage.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Rechtlage
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß §307 Abs. 3 BAO tritt durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.
Gemäß § 205 Abs. 1 BAO sind Differenzbeträge an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von Anzahlungen (Abs. 3), nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, für den Zeitraum ab 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruchs folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen).
Rechtliche Erwägungen
Wiederaufnahme des Verfahrens
Strittig ist, ob ein Wiederaufnahmegrund vorliegt. Zu prüfen ist daher, ob nach dem im gegenständlichen Beschwerdefall zur Anwendung kommenden Tatbestand Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind.
Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB 98/14/0038; 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB 96/15/0148; 95/14/0094; 2006/13/0107; 2010/15/0064). Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie zB die Zahlungsunwilligkeit, 82/12/0056; Ritz, BAO6, § 303 Tz 21).
Im gegenständlichen Fall ist durch die GPLA-Prüfung eine unrichtige anrechenbare Lohnsteuer festgestellt worden. Es handelt sich hiebei um eine neue Tatsache, die bei Kenntnis einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte, sodass eine Wiederaufnahme gerechtfertigt war.
Aufgrund der fehlenden Bescheidbegründung sah das Finanzamt eine Mangelhaftigkeit der Begründung und hob den Wiederaufnahmebescheid auf, erließ jedoch in weiterer Folge einen neuen nunmehr begründeten Wiederaufnahmebescheid.
Nach Ansicht des Beschwerdeführers lag aber res iudicata vor, sodass eine neuerliche Wiederaufnahme nicht rechtens sei. Zu überprüfen ist nunmehr, ob die zweite Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig war.
Wiederholte Wiederaufnahmen eines Verfahrens sind zulässig, wenn jeweils die diesbezüglichen Voraussetzungen vorliegen (). Um zu verhindern, dass über eine "res iudicata" entschieden wird, ist zu untersuchen, ob die neuerliche Wiederaufnahme andere Gründe hat, als sie bei Wiederaufnahme des vorherigen Bescheides vorlagen. Dies hat sich am jeweils bezogenen Wiederaufnahmegrund zu orientieren, der die Identität der abgesprochenen Sache (res iudicata) durch die Tatsachen eingrenzt, die als neu hervorgekommen qualifiziert und als zur Wiederaufnahme geeignet behandelt wurde ().
Der Wiederaufnahmebescheid vom wurde damit begründet, dass von der Arbeitgeberin des Beschwerdeführers ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt worden sei. Dies ist insoweit unzutreffend, als der Lohnzettel im Rahmen einer GPLA-Prüfung der NÖ. Gebietskrankenkasse und nicht von der C GmbH berichtigt wurde. Der automatische Begründungscode des Vorliegens eines berichtigten oder neuen Lohnzettels ist daher falsch.
Im beschwerdegegenständlichen Wiederaufnahmebescheid vom wird dementgegen ausgeführt, es sei anlässlich einer im Jahr 2018 bei der C GmbH durchgeführten Prüfung der lohnabhängigen Abgaben (GPLA) festgestellt worden, dass von der Dienstgeberin ein unrichtiger Lohnzettel an die Abgabenbehörde übermittelt worden sei. Die einbehaltene Lohnsteuer sei zu hoch (2.932,80 € statt 2.139,72 €) ausgewiesen worden, was bei der Arbeitnehmerveranlagung 2012 eine um 793 € zu hohe Gutschrift bewirkt habe. Im Zuge des Abschlusses der GPLA-Prüfung sei daher ein neuer korrigierter Jahreslohnzettel an das Finanzamt übermittelt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei für das Finanzamt neu hervorgekommen, dass die bisher im Bescheid angerechnete Lohnsteuer zu hoch gewesen sei.
Es ist evident, dass die Wiederaufnahmegründe laut Bescheid vom nicht mit jenen des angefochtenen Bescheides ident sind. Das Finanzamt hat richtigerweise das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2012 wiederaufgenommen. Eine wiederholte Wiederaufnahme aus demselben Grund (neuer oder berichtigter Lohnzettel des Arbeitgebers) liegt demnach nicht vor (so auch BFG., RV/5101489/2017 in einem gleichgelagerten Fall).
Festsetzung von Anspruchszinsen
Dem gegenständlichen Bescheid liegt eine ausgewiesene Nachforderung laut Einkommensteuerbescheid vom zu Grunde. Eine eventuelle fehlerhafte Berechnung der Höhe der Anspruchszinsen macht der Beschwerdeführer nicht geltend.
Es besteht gemäß § 205 Abs. 1 BAO eine Bindung des Anspruchszinsenbescheides an die im Spruch des Stammabgabenbescheides (hier Einkommensteuerbescheid 2012) ausgewiesene Nachforderung oder Gutschrift. Der Anspruchszinsenbescheid ist daher nicht mit der Begründung anfechtbar, dass der maßgebende Einkommensteuerbescheid inhaltlich rechtswidrig sei. Erweist sich hingegen der Einkommensteuerbescheid nachträglich als inhaltlich rechtswidrig, so wird diesem Umstand mit einem an den Abänderungsbescheid bzw. Aufhebungsbescheid gebundenen Anspruchszinsenbescheid Rechnung getragen (vgl. Ritz, BAO6, § 205 Tz 33 bis 35).
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall wird über den Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO und die Erlassung eines Anspruchszinsenbescheides gemäß § 205 Abs. 1 BAO abgesprochen. Zu den §§ 303 und 205 BAO liegt eine einheitliche Rechtsprechung vor. Eine Revision ist demnach nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 205 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100706.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at