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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.01.2021, RV/5100718/2018

Neuhervorkommen einer Tatsache bei über mehrere Veranlagungsjahre hinweg gleichbleibendem Sachverhalt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag.Dr. Thomas Leitner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch COUNT IT AUDIT Steuerberatung Wirtschaftsprüfung GmbH, Hamerlingstraße 40, 4020 Linz, über die Beschwerde vom gegen

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2012,

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013,

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014,

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2015,

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Einkommensteuer 2012,

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Einkommensteuer 2013,

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Einkommensteuer 2014 und

  • den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Einkommensteuer 2015

zu Recht:

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Ergänzungsersuchen vom forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer ua dazu auf, die im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 beantragten Arbeitsmittel und sonstigen Werbungskosten belegmäßig nachzuweisen.

Mit Schreiben vom führte der steuerliche Vertreter des Beschwerdeführers zusammengefasst aus, bei den abgesetzten Arbeitsmitteln handle es sich im Wesentlichen um Aufwendungen für ein betrieblich genutztes Arbeitszimmer, welches sich im Wohnungsverband des Beschwerdeführers befinde, sowie um Anschaffungskosten für diverse EDV-Geräte bzw die darauf entfallende AfA. Konkret werde das Arbeitszimmer vom Beschwerdeführer in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied verwendet. Bei den sonstigen Werbungskosten handle es sich um Kosten für eine Eigentumswohnung in ***Ort1***, die der Beschwerdeführer bei beruflich bedingten Abendterminen zur Nächtigung nutze. Ergänzend wurde angemerkt, dass diese Vorgehensweise der belangten Behörde seit dem Jahr 2008 bekannt sei, da dieser im Jahr 2008 anlässlich der Prüfung der Steuererklärung 2006 sämtliche Unterlagen vorgelegt worden seien. Der Beschwerdeführer habe sich daher bei der Erstellung der Steuererklärungen in den Folgejahren - gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben - darauf verlassen, dass diese Vorgehensweise rechtens sei.

Mit Ergänzungsersuchen vom forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer dazu auf, die beantragten Kosten für Arbeitsmittel (Kennzahl 719) für die Jahre 2012 - 2015 der Höhe nach zu belegen. Daraufhin wurden der belangten Behörde diverse Belege/Rechnungen sowie Beilagen zu den Einkommensteuererklärungen 2012 bis 2015 übermittelt. Aus diesen geht hervor, dass es sich bei den beantragten Kosten im Wesentlichen um Aufwendungen für ein Arbeitszimmer sowie um Anschaffungskosten für diverse EDV-Geräte bzw die darauf entfallende AfA handelt.

Mit Bescheiden vom nahm die belangte Behörde die Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2012 bis 2015 wieder auf und erließ gleichzeitig neue Sachbescheide für diese Jahre, mit denen die vom Beschwerdeführer beantragten Werbungskosten, soweit diese unter den Titel Kosten der doppelten Haushaltsführung fallen, zur Gänze als nicht abzugsfähig behandelt wurden. Darüber hinaus wurden die beantragten Kosten für Arbeitsmittel nur noch teilweise als Werbungskosten berücksichtigt. Aus der gesondert ergangenen Bescheidbegründung vom , auf die sowohl in den Wiederaufnahmebescheiden als auch in den neuen Sachbescheiden verwiesen wird, geht hervor, dass die Wiederaufnahme von der belangten Behörde auf das Neuhervorkommen der Tatsache, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer beantragten Werbungskosten um (teilweise) nicht abzugsfähige Kosten für ein Arbeitszimmer sowie um gänzlich nicht abzugsfähige Kosten für eine Zweitwohnung handelte, gestützt wurde. Materiellrechtlich wurde von der belangten Behörde zusammengefasst ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Geltendmachung von Kosten der doppelten Haushaltsführung nicht vorlägen, da eine tägliche Rückkehr an den Familienwohnort aufgrund der Entfernung von weniger als 80 km und der Fahrzeit von weniger als einer Stunde zumutbar sei. Die Kosten für das im Wohnungsverband gelegene Arbeitszimmer stünden nicht zu, da dieses nicht den Mittelpunkt der beruflichen/betrieblichen Aktivität gebildet habe. Betreffend die vom Beschwerdeführer angeschaffte EDV-Ausstattung sei zudem ohne Nachweis der beruflichen Nutzung ein Privatanteil von 40% auszuscheiden.

Mit Schreiben des steuerlichen Vertreters vom wurde vom Beschwerdeführer gegen die vorgenannten Bescheide das Rechtsmittel d er Beschwerde eingebracht. Begründend wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, der belangten Behörde sei bekannt, dass die in Rede stehenden Kosten für ein Arbeitszimmer und die Kosten für eine doppelte Haushaltsführung (zumindest) ab dem Jahr 2006 - somit auch in den Jahren 2012 bis 2015 - als Werbungskosten beantragt worden seien. Dies sei damit zu begründen, dass der belangten Behörde im Jahr 2008, in dem eine Prüfung (Nach-Bescheidkontrolle) der Einkommensteuererklärung 2006 durchgeführt worden sei, sämtliche diesbezügliche Unterlagen vorgelegt und vom Beschwerdeführer mit dem zuständigen Sachbearbeiter besprochen worden seien. Der Tatbestand des Neuhervorkommens von Tatsachen sei folglich nicht erfüllt. Gegen die von der belangten Behörde erlassenen neuen Sachbescheide wurden im Rahmen der Beschwerde keine inhaltlichen Einwendungen erhoben. Vielmehr sei es "(n)icht denkungmöglich […], dass das Finanzamt diese Kosten 2008 falsch beurteilt hat."

Mit Beschwerdevorentscheidungen der belangten Behörde vom wurde die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide vom betreffend die Jahre 2012 bis 2015 als unbegründet abgewiesen. Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom wurde die Beschwerde gegen die Bescheide vom über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2012 bis 2015 als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde dabei jeweils zusammengefasst ausgeführt, das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" beziehe sich der Rsp des VwGH zufolge auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres. Die Einkommensteuerbescheide für 2012, 2013, 2014 und 2015 seien am , , und jeweils ungeprüft ergangen, ohne dass dem Finanzamt im Zeitpunkt der Bescheiderstellungen bekannt gewesen sei, dass es sich bei den geltend gemachten Arbeitsmitteln um Kosten für ein Arbeitszimmer handelt und bei den sonstigen Werbungskosten um Kosten für eine Wohnung in ***Ort1***. Diese Umstände seien dem Finanzamt erst mit den Vorhaltsbeantwortungen des Beschwerdeführers vom und vom bekannt geworden.

Mit Schreiben vom sowie mit Schreiben vom stellte der steuerliche Vertreter des Beschwerdeführers jeweils einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

Am erfolgte durch die belangte Behörde die Vorlage der gegenständlichen Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

Der Beschwerdeführer war in den Streitjahren 2012 bis 2015 als Geschäftsführer der ***X*** GmbH nichtselbständig tätig. Seine Arbeitsstätte lag in ***Bf1-Adr2***. Seinen Familienwohnsitz hatte der Beschwerdeführer in ***Bf1-Adr***. Zudem war der Beschwerdeführer Miteigentümer einer Eigentumswohnung in ***Ort1***.

Am Familienwohnsitz verfügte der Beschwerdeführer über ein sich im Wohnungsverband befindliches Arbeitszimmer.

Der Beschwerdeführer legte die Fahrten zwischen Familienwohnsitz und Arbeitsstätte im streitgegenständlichen Zeitraum mit einem PKW zurück. Die mit einem PKW - überwiegend auf der Landesstraße ***B*** - zurückzulegende Entfernung zwischen der Arbeitsstätte und dem Familienwohnsitz des Beschwerdeführers beträgt 56 km. Die Fahrtzeit beläuft sich auf ca 1 Stunde.

Im Rahmen der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2012 bis 2015 machte der Beschwerdeführer unter der Kennzahl 719 ("Arbeitsmittel") unter anderem auf das sich am Familienwohnsitz befindliche Arbeitszimmer entfallende Aufwendungen als Werbungskosten geltend. Zudem machte der Beschwerdeführer Aufwendungen in Zusammenhang mit der in seinem anteiligen Eigentum befindlichen Wohnung in ***Ort1*** unter der Kennzahl 724 ("Sonstige Werbungskosten, die nicht unter die Kennzahlen 719, 720, 721, 722, 300 und 723 fallen") als Werbungskosten geltend.

Zuvor hatte der Beschwerdeführer auf das sich am Familienwohnsitz befindliche Arbeitszimmer entfallende Aufwendungen sowie Aufwendungen in Zusammenhang mit der in seinem anteiligen Eigentum befindlichen Wohnung in ***Ort1*** unter anderem bereits im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit abgesetzt.

Unterlagen betreffend die Art und die Höhe der vorgenannten, im Jahr 2006 als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen wurden der belangten Behörde vom Beschwerdeführer im Jahr 2008 zur Kenntnis gebracht.

Mit Eingaben des Beschwerdeführers vom sowie vom wurden der belangten Behörde erstmalig Erläuterungen und Unterlagen betreffend die Art und den Umfang der in den Veranlagungsjahren 2012 bis 2015 als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen vorgelegt.

Beweiswürdigung

Gemäß § 167 Abs 1 BAO bedürfen Tatsachen, die bei der Abgabenbehörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, keines Beweises. Gemäß § 167 Abs 2 BAO hat die Abgabenbehörde im übrigen unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Die Feststellungen betreffend die zurückzulegende Entfernung zwischen der Arbeitsstätte und dem Familienwohnsitz des Beschwerdeführers und die dafür anfallende Fahrtzeit beruht auf Eingaben der Adressen des Familienwohnsitzes und der Arbeitsstätte bei dem in Google.Maps integrierten Routenplaner. Dass die Fahrtzeit weniger als eine Stunde beträgt, wurde zudem bereits von der belangten Behörde im Rahmen der Bescheidbegründung vom festgestellt. Dieser Feststellung wurde vom Beschwerdeführer nicht entgegengetreten.

Im Übrigen sind die obigen Feststellungen unstrittig und ergeben sich diese aus den aktenkundigen Unterlagen.

Vor diesem Hintergrund können die unter Punkt 1. getroffenen Feststellungen gem § 167 Abs 2 BAO als erwiesen angenommen werden.

Rechtliche Beurteilung

Wiederaufnahme des Verfahrens

Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen unter anderem wiederaufgenommen werden, "wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind" und "die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln iSd § 303 Abs 1 lit b BAO nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (vgl zB ; vgl zudem die bei Ritz, BAO6 § 303 Rz 31 angeführten Nachweise der Rsp des VwGH). Bei jährlich zu veranlagenden Steuern bezieht sich das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" damit auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres (vgl zB ; ; , mwN).

Im vorliegenden Fall wird die gegen die von der belangten Behörde erlassenen Wiederaufnahmebescheide - sowie gegen die gemäß § 307 Abs 1 BAO mit den Wiederaufnahmebescheiden verbundenen neuen Sachbescheide - eingebrachte Beschwerde ausschließlich darauf gestützt, dass der belangten Behörde bereits in Zusammenhang mit der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 2006 zur Kenntnis gebracht worden war, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer im Jahr 2006 beantragten Werbungskosten unter anderem um auf das sich am Familienwohnsitz befindliche Arbeitszimmer entfallende Aufwendungen sowie um Aufwendungen in Zusammenhang mit der in seinem anteiligen Eigentum befindlichen Wohnung in ***Ort1*** gehandelt habe. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer auch in den Veranlagungsjahren 2012 bis 2015 Aufwendungen für dieses Arbeitszimmer sowie für diese Eigentumswohnung zu tragen hatte und dass diese Aufwendungen vom Beschwerdeführer auch in diesen Jahren als Werbungskosten beantragt wurden, könne aus der Sicht der belangten Behörde somit keine neuhervorgekommene Tatsache iSd § 303 Abs 1 lit b BAO darstellen.

Diesem Vorbringen ist jedoch zu entgegnen, dass nach der Maßgabe der oa Rechtsprechung des VwGH das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens und nicht aus anderen Verfahren, bei denen diese Tatsachen möglicherweise erkennbar waren, zu beurteilen ist. Nach der stRsp des VwGH bezieht sich das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" iSd § 303 Abs 1 BAO auf den Wissensstand (insbesondere auf Grund der Abgabenerklärungen und der Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres; maßgebend ist allein der Wissensstand der Abgabenbehörde über die Verhältnisse der betreffenden Besteuerungsperiode (vgl zB ; ). Der Wiederaufnahme des konkreten Veranlagungsjahres steht es somit nicht entgegen, wenn die Abgabenbehörde in einem ein anderes Veranlagungsjahr betreffenden Verfahren von den maßgeblichen Tatsachen Kenntnis hatte (vgl ; ).

Die hinsichtlich früherer Veranlagungsjahre (hier: 2006) gewonnenen Erkenntnisse der belangten Behörde über bestimmte rechtserhebliche Lebenssachverhalte steht einem Neuhervorkommen von Tatsachen betreffend die im Streitzeitraum (2012 bis 2015) steuerlich maßgebenden Verhältnisse demnach nicht entgegen.

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass auch ein Verschulden der Behörde am Unterbleiben der Feststellung der maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel im Erstverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht ausschließt (vgl zB ).

Die belangte Behörde hat die ihr mit Eingaben des Beschwerdeführers vom sowie vom betreffend die Veranlagungsjahre 2012 bis 2015 zur Kenntnis gebrachten Umstände somit zu Recht als neuhervorgekommene Tatsachen qualifiziert. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, das Fehlen eines Wiederaufnahmegrundes aufzuzeigen.

Dass die Kenntnis der im vorliegenden Fall maßgeblichen Tatsachen zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid zu führen vermochte, wird vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt (siehe dazu auch die Ausführungen im Folgenden unter Punkt 3.2.).

Betreffend die für die Entscheidung über die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 20 BAO erforderliche Interessenabwägung ist wie folgt auszuführen: Von zentraler Bedeutung für die Ermessensübung ist die Berücksichtigung des Zweckes der Ermessen einräumenden Norm. Zweck des § 303 BAO ist es, eine neuerliche Bescheiderlassung dann zu ermöglichen, wenn Umstände gewichtiger Art hervorkommen. Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis. Daher ist bei der Ermessensübung grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) zu geben (vgl Ritz, BAO6 § 303 Rz 67 mit Nachweisen der Rsp des VwGH). In Anbetracht der Höhe der vom Beschwerdeführer in den Jahren 2012 bis 2015 im Ergebnis zu Unrecht abgesetzten Werbungskosten (2012: 8.329,32 Euro; 2013: 7.906,69 Euro; 2014: 8.167,45 Euro; 2015: 7.700,46 Euro; siehe dazu die Ausführungen im Folgenden unter Punkt 3.2.) sind die Auswirkungen (Nachforderung Einkommensteuer 2012: 4.206,00 Euro; Nachforderung Einkommensteuer 2013: 4.214,00 Euro; Nachforderung Einkommensteuer 2014: 4.208,00 Euro; Nachforderung Einkommensteuer 2015: 3.977,00 Euro) weder absolut gesehen noch im Hinblick auf das gesamtbetragliche Ergebnis der bisherigen Sachbescheide als geringfügig einzustufen (vgl dazu zB ). Wenn die belangte Behörde im Hinblick auf die angeführte Änderung der Bemessungsgrundlage dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit den Vorrang gegenüber dem Grund der Rechtssicherheit eingeräumt hat, so hat sie somit von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht.

Betreffend das Vorbringen im Schreiben des steuerlichen Vertreters vom , eine Änderung der von der belangten Behörde betreffend das Veranlagungsjahr 2006 vertretenen Rechtsansicht stünde im Widerspruch zum Grundsatz von Treu und Glauben, ist wie folgt auszuführen:

Eine von der Abgabenbehörde für Vorjahre vorgenommene verfehlte Beurteilung, die sich zu Gunsten des Abgabepflichtigen ausgewirkt hat, ist im Allgemeinen dazu geeignet, bei diesem die Hoffnung wecken, die Abgabenbehörde werde diese Beurteilung auch in den Folgejahren beibehalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH schützt der Grundsatz von Treu und Glauben jedoch nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung in der Vergangenheit (vgl zB ; vgl zudem die bei Ritz, BAO6 § 114 Rz 9 angeführten Nachweise der Rsp des VwGH). Insbesondere schafft daher eine für Vorjahre vorgenommene abgabenrechtliche Beurteilung kein schutzwürdiges Vertrauen, die Behörde werde diese Beurteilung, auch wenn sie sich als unrichtig herausstellen sollte, auch für die Folgezeiträume beibehalten (vgl ).

Für eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben müssten besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Auffassung durch die Finanzverwaltung unbillig erscheinen ließen, wie dies zB der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wurde und sich nachträglich die Unrichtigkeit dieser Vorgangsweise herausstellt (vgl ). Die Verletzung dieses Grundsatzes setzt nach der Rsp des VwGH weiters voraus, dass der Abgabepflichtige im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die er ohne die unrichtige Auskunft nicht getroffen hätte (vgl ). Derartige Umstände liegen im gegenständlichen Beschwerdefall jedoch nicht vor, sodass vor dem Hintergrund obiger Ausführungen auch insoweit keine Rechtswidrigkeit der Ermessensübung der belangten Behörde zu erkennen ist.

Vom Beschwerdeführer geltend gemachte Werbungskosten

Gegen die gemäß § 307 Abs 1 BAO mit den Wiederaufnahmebescheiden verbundenen neuen Sachbescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2012 bis 2015 wurden vom Beschwerdeführer keine inhaltlichen Vorbringen erstattet, sondern wurde diesen lediglich die behauptete Rechtswidrigkeit der Wiederaufnahmebescheide entgegengesetzt. Auch das erkennende Gericht vermag keine Rechtswidrigkeit dieser Sachbescheide zu erkennen. Dies aus folgenden Gründen:

Werbungskosten sind gemäß § 16 Abs 1 Satz 1 EStG 1988 die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.

Gemäß § 20 Abs 1 Z 1 EStG 1988 dürfen die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Dies gilt gemäß § 20 Abs 1 Z 2 lit a leg cit auch für Aufwendungen oder Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.

Aufwendungen des Steuerpflichtigen für eine doppelte Haushaltsführung (Familienwohnsitz, weiterer Wohnsitz am Beschäftigungsort) sind steuerlich nur unter der Voraussetzung als Werbungskosten zu berücksichtigen, dass eine berufliche Veranlassung für die doppelte Haushaltsführung besteht. Von einer beruflichen Veranlassung ist nach der Rechtsprechung des VwGH dem Grunde nach auszugehen, wenn der Familienwohnsitz des Steuerpflichtigen so weit von seinem Beschäftigungsort entfernt ist, dass ihm die tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann und die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes nicht privat veranlasst (bzw die Verlegung des Familienwohnsitzes nicht zumutbar) ist (vgl zB ; ).

In seinem Erkenntnis vom , 91/14/0227, hat der VwGH ausgeführt, die tägliche Rückkehr vom Beschäftigungsort zum Familienwohnsitz sei zumutbar, wenn die Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Familienwohnort 78 km betrage und für diese Strecke eine Fahrtzeit mit dem PKW von maximal einer Stunde benötigt werde.

Mit dem Erkenntnis des , wurde ein Bescheid bestätigt, in dem die tägliche Rückkehr an einen von der Arbeitsstätte 83 km entfernten Familienwohnsitz als zumutbar erachtet wurde, weil dies keine unüblich weite Entfernung darstelle und ein Großteil der Strecke auf der Autobahn zurückgelegt werden könne.

Bezug nehmend auf die oa Erkenntnisse vom , 91/14/0227, und vom , 99/14/0340, hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom , 2008/15/0239, ausgeführt, dass es nicht entscheidungswesentlich sei, ob die Entfernung zwischen Familienwohnsitz und Beschäftigungsort (dem Vorbringen des Beschwerdeführers entsprechend) 73 Kilometer oder (wie von der belangten Behörde angenommen) 71 Kilometer betrage, da nach den zitierten Erkenntnissen die tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz bei einer Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Familienwohnort von 78 bzw 83 Kilometern jedenfalls zumutbar sei. Auch die geltend gemachte Fahrtzeit von einer Stunde überschreite nicht das vom Verwaltungsgerichtshof in den zitierten Erkenntnissen schon als zumutbar erachtete Ausmaß.

Vor diesem Hintergrund liegen im Beschwerdefall sowohl die Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Familienwohnort (56 km) als auch die für die Zurücklegung dieser Strecke erforderliche Fahrtzeit (ca 1 Stunde) innerhalb des vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung als zumutbar erachteten Ausmaßes. Eine für die Anerkennung von Kosten der doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten erforderliche Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr an den Familienwohnsitz liegt demnach im Beschwerdefall nicht vor.

Betreffend die dem Beschwerdeführer für ein am Familienwohnsitz eingerichtetes Arbeitszimmer erwachsenen Kosten ist darauf zu verweisen, dass Aufwendungen auf ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer (einschließlich der Kosten seiner Einrichtung) gemäß § 20 Abs 1 lit d EStG 1988 nur dann abzugsfähig sind, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen bildet. Dass diese Voraussetzung im gegenständlichen Fall erfüllt wäre, wurde vom Beschwerdeführer nicht dargetan. Behauptet die Partei des Abgabenverfahrens das Vorliegen ungewöhnlicher Umstände, so unterliegt sie bei Feststellung dieser Verhältnisse allerdings einer erhöhten Mitwirkungspflicht (vgl ). Insbesondere hat derjenige, der typische Aufwendungen der privaten Lebensführung als Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend macht, im Hinblick auf seine Nähe zum Beweisthema von sich aus nachzuweisen, dass diese Aufwendungen entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung (nahezu) ausschließlich die berufliche bzw betriebliche Sphäre betreffen (vgl , mwN). Die belangte Behörde hat den beantragten Kosten für das Arbeitszimmer im gegenständlichen Beschwerdefall somit zu Recht die steuerliche Anerkennung versagt.

Unzulässigkeit der Revision

Gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Soweit im Beschwerdefall Rechtsfragen zu lösen sind, folgt das Bundesfinanzgericht der unter Punkt 3. dieses Erkenntnisses zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden ist.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 16 Abs. 1 Satz 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 20 Abs. 1 Z 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 20 Abs. 1 lit. d EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100718.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at