VwGH-Erkenntnis kein Wiederaufnahmegrund
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Wideraufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2015, 2016 und 2017 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer (Bf.) bezog in den Streitjahren 2015 bis 2017 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Nach Einreichung der Arbeitnehmererklärungen für die Jahre 2015 bis 2017 erfolgte seitens des Finanzamtes die Erlassung der Einkommensteuerbescheide.
Der Einkommensteuerbescheid für 2015 wurde am , der Einkommensteuerbescheid 2016 wurde am und der Einkommensteuerbescheid 2017 wurde am erlassen. Die den Bf. betreffenden Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2017 erwuchsen in Rechtskraft.
Am erließ der Verwaltungsgerichtshof zu Ro 2018/13/0008 ein Erkenntnis, wonach die anlässlich eines Frontexeinsatzes ausbezahlten Tagesgelder als steuerfrei zu behandeln sind.
Der Bf. stellte daraufhin unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes VwGH Ro 2018/13/0008 vom am 27. und Anträge auf Wiederaufnahme seiner Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2017, ersuchte um Neuberechnung der Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2017 und Steuerfreistellung der Tagesgelder.
Das Finanzamt erließ am abweisende Bescheide betreffend die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2017.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden könne, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Keine Wiederaufnahmegründe seien laut BAO Handbuch Ritz § 303 Tz 23:
Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen worden seien.
Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (-0289).
Der Antrag des Bf. auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2017 sei abzuweisen gewesen, da im gegenständlichen Verfahren keine neuen Tatsachen hervorgekommen seien.
Der Bf. erhob Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2017 und führte aus, dass die Tatsache, dass er für die Streitjahre 2015 bis 2018 gemäß § 39a Abs. 3 BDG schriftliche Verzichtserklärungen auf die ihm nach RGV gebührenden Leistungen abgegeben habe im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnte.
Diese Verzichterklärungen für 2015 bis 2017 lägen in concreto zwar nicht mehr vor, doch ergäbe sich aus den Inhalten der Bestätigung der Personalabteilung des Bundesministeriums für Inneres vom und des Schreibens der Nationalen Frontex Kontaktstelle der Republik Österreich vom , dass der Bf. eine solche Verzichtserklärung für die Jahre 2015 bis 2017 hinsichtlich der nationalen Gebühren abgeben habe.
Der Bf. legte seiner Beschwerde die beiden Bestätigungen vom und vom bei.
Die vom Bf. nunmehr vorgelegten Bestätigungen seien als Beweismittel zwar neu entstanden, bezögen sich jedoch auf nicht erst nach Abschluss der wieder aufzunehmenden Verfahren entstandene Tatsachen.
Nach Ansicht des Bf. hätten die Kenntnis dieser Umstände zu im Spruch anders lautenden Bescheiden betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2017 geführt.
Dies ergäbe sich aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes VwGH Ro 2018/13/0008 vom , wonach bei einer schriftlichen Verzichtserklärung des entsandten Beamten auf die ihm gemäß RGV gebührenden Leistungen die von dritter Seite (Frontex) empfangenen Leistungen als Zulagen gemäß § 21 GehaltsG gälten und damit unter die Befreiungsbestimmung des § 3 Abs. 1 Z 8 EStG fielen.
Für den Fall der Verneinung der Voraussetzungen der Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO regte der Bf. an die Verfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen.
In den abweisenden Beschwerdevorentscheidungen betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2017 vom wiederholte das Finanzamt seine Begründung in den abweisenden Bescheiden vom , dass höchstgerichtliche Erkenntnisse keine Wiederaufnahmegründe darstellen unter Hinweis auf das Erkenntnis des und andere und stellte fest, dass im gegenständlichen Verfahren keine neuen Tatsachen hervorgekommen seien.
Der Bf. stellte den Antrag auf Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht, wiederholte seine Ausführungen und ergänzte, dass das Finanzamt in Unkenntnis der Verzichtserklärungen von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Bf. im Inland ausgegangen sei, der Dienstort des Bf. jedoch für die Dauer seiner Entsendung im Ausland gelegen sei, weshalb die von dritter Seite (Frontex) erhaltenen Leistungen unter die Befreiungsbestimmung des § 3 Abs. 1 Z 8 EStG fielen.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Strittig ist im vorliegenden ob das Erkenntnis des VwGH Ro 2018/13/0008 vom und die die damit in Zusammenhang stehenden Verzichtserklärungen des Bf. einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund darstellen, um die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2015 bis 2017 wieder aufzunehmen und die von Frontex dem Bf. im Rahmen der Auslandseinsätze gewährten Zulagen von der Besteuerung auszunehmen.
Das Bundesfinanzgericht geht im gegenständlichen Verfahren von folgendem entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus:
Der Bf. bezog in den Streitjahren 2015 bis 2017 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Bundesbediensteter. In den Streitjahren war der Bf. mehrmals zu Auslandseinsätzen für Frontex entsandt.
Im Rahmen der Entsendungen gab der Bf. Erklärungen ab, dass er auf die Zahlung nationaler Reisegebühren durch den Arbeitgeber verzichte und erhielt Zahlungen von Reisegebühren von der Nationalen Frontexkontaktstelle, welche höher waren als die inländischen Zulagen.
Nach Einreichung der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2015 bis 2017 wurden vom Finanzamt Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2015 bis 2017 erlassen.
Die die inländischen Reisegebühren übersteigenden Beträge wurden der Verwaltungspraxis entsprechend als steuerpflichtiger Arbeitslohn der Besteuerung unterzogen.
Diese Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2017 erwuchsen in Rechtskraft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat am zu Ro 2018/13/0008 ein Erkenntnis erlassen mit welchem entschieden wurde, dass als Voraussetzung für die Befreiung von Zulagen darauf abzustellen ist, ob der Beamte seinen Dienstort im Ausland hat. Für diesen Fall fallen die Zulagen unter die Befreiungsbestimmung des § 3 Abs. 1 Z 8 EStG 1988.
Der vom Bf. unter Verweis auf das oben angeführte Erkenntnis gestellte Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 bs. 1 BAO wurde vom Finanzamt abgewiesen.
Der Bf. stellte den Antrag auf Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.
Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Würdigung:
Rechtskräftig abgeschlossene Verfahren können nach Maßgabe der Bundesabgabenordnung nur unter ganz bestimmten im Gesetz angeführten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden.
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind.
Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht)geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ; , 95/14/0094; , 2006/13/0107; , 2010/15/0064) (Ritz6, BAO, § 303, Tz 21).
Keine Wiederaufnahmsgründe (keine Tatsachen) sind hingegen etwa:
Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden ( ; , 96/15/0148; , 2008/15/0215),
Hervorkommen von Rechtsirrtümern ( ),
Höchstgerichtliche Erkenntnisse (vgl -0161; , 97/17/0257-0279; , 98/14/0015; , 2008/13/0175), wie etwa EuGH-Entscheidungen ( ; , 2009/16/0005; , 2012/16/0210) oder Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( ) (Ritz6, BAO, § 303, Tz 23).
Keine Beweismittel sind zB Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (, 93/14/0015, 0082).
Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB ; , 96/15/0221).
Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist nach hA aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB ; , 2006/13/0019; , 2007/15/0045; , 2007/13/0157; ,2009/15/0016; , 2011/15/0106; aM Schobesberger, ÖStZ 1988, 310; Wiedermann,Wiederaufnahme, 99 ff; vgl hiezu auch Stoll, BAO, 2935 ff) (Ritz6, BAO, § 303, Tz 21ff).
Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung der Sachverhaltselemente sind keine Tatsachen ().
Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage - eine solche liegt im gegenständlichen Fall vor - nicht nachträglich im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen ().
Nach ständiger Rechtsprechung zu § 303 Abs. 1 lit b BAO sind höchstgerichtliche Erkenntnisse keine "Tatsachen" im Sinne dieser Gesetzesbestimmung ( ).
Bei Anwendung der vorzitierten Judikatur auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die vom Bf. abgegebenen Verzichtserklärungen eine der tatsächlichen Voraussetzungen für die steuerfreie Behandlung der erhaltenen Zulagen von dritter Seite darstellen. Dass diese Zahlungen als steuerfrei zu behandeln sind, wurde jedoch erst durch die Rechtsauslegung des Verwaltungsgerichtshofes im angeführten Erkenntnis VwGH Ro 2018/13/0008 am klargestellt.
Bis zu diesem Erkenntnis ist das Finanzamt in seiner Verwaltungspraxis zu Unrecht davon ausgegangen, dass die zu einem Frontexeinsatz entsendeten Beamten ihren Dienstort und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und daher nicht als Auslandsbeamte im Sinne der Steuerbefreiung des § 3 Abs. 1 Z 8 EStG 1988 anzusehen sind.
Im Hinblick auf diese Rechtsauslegung kam den Verzichtserklärungen des Bf. im Zeitpunkt der Erlassung der Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2017 keine Bedeutung zu.
Wären die Verzichtserklärungen bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Erstbescheide betreffend Einkommensteuer 2015 bis 2017 vorgelegen, wären diese Bescheide gleichlautend erlassen worden, da das Finanzamt im Zeitpunkt der Bescheiderlassungen noch einer andere Rechtsauslegung folgte, die zur Besteuerung der übersteigenden Taggelder geführt hat.
Erst im Erkenntnis des hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass solcherart entsendete Beamte als Auslandsbeamte anzusehen sind, obwohl sie noch einen gewöhnlichen Wohnsitz im Inland haben.
Die steuerfreie Behandlung der Zahlungen von dritter Seite (Frontex) fusst damit aber nicht auf neuen Tatsachen, sondern auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes VwGH Ro 2018/13/0008 vom .
Im gegenständlichen Fall fehlt ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund im Sinn des § 303 Abs. 1 lit b BAO auf den die Wiederaufnahme auf Antrag oder von Amts wegen gestützt werden kann. Der Tatbestand des § 303 Abs. 1 lit b BAO einer Wiederaufnahme durch Hervorkommen von neuen Tatsachen oder Beweismitteln ist nicht gegeben.
Die Beschwerde des Bf. war spruchgemäß abzuweisen.
Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall konnte die Rechtsfrage anhand der im Erkenntnis zitierten vorliegenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wiederaufnahme des Verfahrens beantwortet werden. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lag nicht vor, weshalb eine Revision nicht zuzulassen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7104909.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at