Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.02.2021, RV/7100110/2021

Geltendmachung von Familienbeihilfe für vergangenen Zeitraum durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Siegfried Fenz in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Magistrat der Stadt Wien Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Gasgasse 8-10, 1150 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe 05.2019-07.2020 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Das Finanzamt erließ folgenden an den Bf. Z.H. MA 11 Kinder-u Jugendhilfe 13,14,15 gerichteten Bescheid:
Abweisungsbescheid
Ihr Antrag vom auf Familienbeihilfe wird abgewiesen für:
Name des Kindes (Bf.) Zeitraum von - bis: Mai 2019-Juli 2020
Begründung
Da die Entscheidung des obersten Gerichtshofes vom nicht die
Familienbeihilfe für rückwirkenden Zeitraum abspricht, war Ihr Antrag für
oben genannten Zeitraum abzuweisen.

Der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien (Regionalstelle Rechtsvertretung Bezirke 13,14, 15), erhob als Vertreter des Bf. gegen den Bescheid vom Beschwerde wie folgt:
Der in Beschwerde gezogene Bescheid wird zur Gänze bekämpft.
Begründung:
Mit dem Abweisungsbescheid der oben genannten Behörde vom wurde der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe vom für den Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020 abgewiesen.
Begründet wurde die Entscheidung mit drei Zeilen wie folgt: "Da die Entscheidung des obersten Gerichtshofes vom nicht die Familienbeihilfe für rückwirkenden Zeitraum abspricht, war ihr Antrag für den genannten Zeitraum abzuweisen."
Dazu ist wie folgt auszuführen:
Mit Mitteilung vom erfolgte neben dem vorliegenden Abweisungsbescheid die Bekanntgabe, dass die Familienbeihilfe ab August 2020 gewährt wird.
Es liegt daher offenbar kein materieller Grund für den vorliegenden Abweisungsbescheid vor, sondern zieht die Behörde mit der oben wörtlich wiedergegebenen Begründung scheinbar die Vertretungsbefugnis des Kinder- und Jugendhilfeträgers in Zweifel bzw geht die Behörde scheinbar davon aus, dass der Kinder- und Jugendhilfeträger nicht befugt sei, den Bf. zu vertreten.
Vom datieren die Entscheidungen des OGH zu 6 Ob 62/20s sowie 6 Ob 50/20a.
Der Entscheidung 6 Ob 62/20s lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Kind beantragte, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien, beim Finanzamt im Juli 2019 die Zuerkennung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG rückwirkend ab Februar 2019.
Das betreffende Kind befand sich ab in voller Erziehung der Stadt Wien. Parallel dazu wurde beim Pflegschaftsgericht vom Kinder- und Jugendhilfeträger Wien im Juli 2019 der Antrag gestellt, mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betraut zu werden. Das Erstgericht, Bezirksgereicht Fünfhaus, wies mit Beschluss vom diesen Antrag mit der Begründung ab, die Obsorge des Kinder- und Jugendhilfeträgers im Bereich Pflege und Erziehung reiche für eine Beantragung der Familienbeihilfe aus. Eine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und ab Antragstellung auf Familienbeihilfe wurde nicht vorgenommen. Der OGH bestätigte mit 6 Ob 62/20s letztlich diese Entscheidung. Auch vom OGH wurde keine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und ab Antragstellung auf Familienbeihilfe vorgenommen.
In 6 Ob 62/20s zieht der OGH für den Eigenanspruch nach § 6 Abs 5 FLAG zudem Parallelen zum Unterhaltsanspruch des Kindes und verweist in Bezug auf die Vertretungsbefugnis auf 8 Ob 99/12k.
Dieser Entscheidung lag ein im Juli 2011 eingebrachter Unterhaltsbemessungsantrag zugrunde, mit dem das Kind rückwirkend ab den Zuspruch erhöhter Unterhaltsbeträge angestrebt hat.
Auch in dieser Entscheidung wurde für die Vertretungsbefugnis nicht zwischen rückwirkenden Begehren und laufenden Begehren unterschieden und erkannt, dass die Vertretungsbefugnis im Unterhaltsbereich jenem Elternteil zukommt, der mit Pflege und Erziehung betraut ist.
In der Entscheidung 6 Ob 50/20a schließlich ist der OGH der Rechtsauffassung des dortigen Revisionsrekurswerbers, für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbemessungsantrages sei die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung nicht ausreichend, sondern sei dafür die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung erforderlich, entgegen getreten und hat ausdrücklich ausgesprochen, dass auch für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbegehrens die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung die entsprechende Grundlage bietet.
Im Zusammenwirken der drei genannten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (8 Ob 99/12k; 6 Ob 62/20s; 6 Ob 50/20a), die in RIS-Justiz RS0128525 zusammen gefasst sind, ergibt sich daher eindeutig, dass die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung ausreicht, um das Kind im Verfahren auf Zuerkennung der Familienbeihilfe zu vertreten, unabhängig davon, ob der Antrag nur die Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Antragstellung oder auch für rückwirkende Zeiträume anstrebt.
Der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien ist im vorliegenden Fall mit der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung betreffend den Bf. betraut, was auch von der den angefochtenen Bescheid erlassenden Behörde nicht bezweifelt wird. Dies legitimiert den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien entsprechend der obgenannten Rechtsprechung des OGH zur Antragstellung auf Familienbeihilfe sowohl für laufende als auch für rückwirkende Zeiträume.
Gerade bei der Antragstellung auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG ist es geradezu typisch, dass nicht nur die Familienbeihilfe ab Antragstellung begehrt wird, sondern auch für einen gewissen rückwirkenden Zeitraum. Bei Übernahme des Kindes in volle Erziehung müssen nämlich die anspruchsbegründenden Umstände vor einer Antragstellung auf Gewährung der Familienbeihilfe erst abgeklärt werden. Dafür müssen etwa Nachweise über allfälliges Eigeneinkommen des Kindes beschafft werden oder es muss erst abgewartet werden, ob die Eltern ihre Unterhaltsverpflichtungen halbwegs regelmäßig erfüllen, damit der anspruchsbegründende Tatbestand erfüllt ist, dass sich das Kind nicht zur Gänze auf Kosten des Kinder- und Jugendhilfeträgers in voller Erziehung befindet. In einer solchen Situation hinsichtlich der Vertretungsbefugnis danach zu differenzieren, ob der Antrag nur laufende Perioden ab Antragstellung oder in gewissem Umfang auch - von der Antragstellung her betrachtet - rückwirkende Perioden betrifft, steht einerseits nicht im Einklang mit der genannten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und steht andererseits auch den praktischen Bedürfnissen an einer einheitlichen Zuordnung der Vertretungsbefugnis und damit einer raschen Abwicklung ohne zwingenden Grund entgegen.
Der Bf., vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien (Regionalstelle Rechtsvertretung Bezirke 13,14,15), stellt daher den ANTRAG, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Familienbeihilfe auch für den Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020 gewährt wird.

Die Beschwerdevorentscheidung wurde erlassen wie folgt:
Ihre Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Spruch des Bescheides vom wird folgendermaßen geändert:
Ihr Antrag auf Familienbeihilfe vom wird für den Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020
zurückgewiesen.
Begründung:
Sachverhalt:
Sie befinden sich seit April 2019 in voller Erziehung der Stadt Wien und sind in einer sozialpädagogischen Einrichtung Fremduntergebracht. Dem Jugendwohlfahrtsträger wurde keine Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung übertragen.
Ihr Eigenantrag wurde mit Bescheid vom für den Zeitraum von Mai 2020 bis Juli 2020 abgewiesen.
Gesetzliche Grundlagen:
Nach § 6 Abs. 5 haben Kinder einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe unter denselben Voraussetzungen unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (§ 6 Abs. 1 bis 3):
• sofern ihre Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und
• ihr Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfs getragen wird.
Würdigung:
Gemäß der höchstgerichtlichen Entscheidung des () ist die Geltendmachung eines Familienbeihilfeanspruches dem Bereich der Geltendmachung von unterhaltsrechtlichen Ansprüchen zuzuordnen. Dies ergibt sich (nach Rechtsansicht der Fachabteilung für Familienbeihilfe) auch aus den primären Zielsetzungen des FLAG 1967 gemäß welcher Unterhaltskosten, die durch die Betreuung und Versorgung von Kindern entstehen, ausgeglichen und der Mindestunterhalt des Kindes sichergestellt werden soll.
In Fällen einer der Fremdunterbringung im Rahmen der vollen Erziehung (Kinderschutzmaßnahme), verfügt der Kinder- und Jugendhilfeträger über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung.
Entsprechend der vorliegenden OGH Entscheidung und nach Rechtsansicht des Justizressorts sowie des BKA fällt die Geltendmachung von Familienbeihilfebeträgen für vergangene Zeiträume nicht in den Bereich der Pflege und Erziehung, da sich diese nicht auf aktuelle Lebensbedürfnisse bezieht. Vielmehr würde dies die Geltendmachung von Vermögensbestandteilen bedeuten, die durch die einmalige rückwirkende Auszahlung zu einem Ertrag und Bildung von Stammvermögen des Kindes führen.
Nach Rechtsansicht des Justizressorts sind Kinder- und Jugendhilfeträger, welche nur über eine Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung verfügen, nicht legitimiert, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe für vergangene Zeiträume zu stellen. Für die Antragstellung und Geltendmachung der Familienbeihilfe durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für vergangene Zeiträume müsste somit auch eine Obsorgeübertragung auf den Kinder- und Jugendhilfeträger im Bereich der Vermögensverwaltung vorhanden sein.
Da keine Übertragung im Bereich der Vermögensverwaltung vorliegt, ist Ihre Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien (Regionalstelle Rechtsvertretung Bezirke 13, 14, 15), brachte folgenden Vorlageantrag ein:
Mit der Beschwerdevorentscheidung der oben genannten Behörde vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe vom für den Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020 zurückgewiesen.
Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass alleine die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung für die rückwirkende Antragstellung nicht ausreiche und eine Übertragung der Obsorge im Bereich Vermögensverwaltung nicht vorliegen würde.
Dazu ist wie folgt auszuführen:
Vom datieren die Entscheidungen des OGH zu 6 Ob 62/20s sowie 6 Ob 50/20a.
Der Entscheidung 6 Ob 62/20s lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Kind beantragte, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien, beim Finanzamt im Juli 2019 die Zuerkennung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG rückwirkend ab Februar 2019.
Das betreffende Kind befand sich ab in voller Erziehung der Stadt Wien. Parallel dazu wurde beim Pflegschaftsgericht vom Kinder- und Jugendhilfeträger Wien im Juli 2019 der Antrag gestellt, mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betraut zu werden.
Das Erstgericht, Bezirksgericht Fünfhaus wies mit Beschluss vom diesen Antrag mit der Begründung ab, die Obsorge des Kinder- und Jugendhilfeträgers im Bereich Pflege und Erziehung reiche für eine Beantragung der Familienbeihilfe aus. Eine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und ab Antragstellung auf Familienbeihilfe wurde nicht vorgenommen. Der OGH bestätigte mit 6 Ob 62/20s letztlich diese Entscheidung. Auch vom OGH wurde keine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor und ab Antragstellung auf Familienbeihilfe vorgenommen.
In 6 Ob 62/20s zieht der OGH für den Eigenanspruch nach § 6 Abs 5 FLAG zudem Parallelen zum Unterhaltsanspruch des Kindes und verweist in Bezug auf die Vertretungsbefugnis auf 8 Ob 99/12k.
Dieser Entscheidung lag ein im Juli 2011 eingebrachter Unterhaltsbemessungsantrag zugrunde, mit dem das Kind rückwirkend ab den Zuspruch erhöhter Unterhaltsbeträge angestrebt hat.
Auch in dieser Entscheidung wurde für die Vertretungsbefugnis nicht zwischen rückwirkenden Begehren und laufenden Begehren unterschieden und erkannt, dass die Vertretungsbefugnis im Unterhaltsbereich jenem Elternteil zukommt, der mit Pflege und Erziehung betraut ist.
In der Entscheidung 6 Ob 50/20a schließlich ist der OGH der Rechtsauffassung des dortigen Revisionsrekurswerbers, für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbemessungsantrages sei die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung nicht ausreichend, sondern sei dafür die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung erforderlich, entgegen getreten und hat ausdrücklich ausgesprochen, dass auch für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbegehrens die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung die entsprechende Grundlage bietet.
Im Zusammenwirken der drei genannten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (8 Ob 99/12k ;6 Ob 62/20s 6; Ob 50/20a), die in RIS-Justiz RS0128525 zusammen gefasst sind, ergibt sich daher eindeutig ,dass die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung ausreicht, um das Kind im Verfahren auf Zuerkennung der Familienbeihilfe zu vertreten unabhängig davon, ob der Antrag nur die Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Antragstellung oder auch für rückwirkende Zeiträume anstrebt.
Der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien ist im vorliegenden Fall mit der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung betreffend den Bf. betraut, was auch von der die Beschwerdevorentscheidung erlassenden Behörde nicht bezweifelt wird. Dies legitimiert den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien entsprechend der obgenannten Rechtsprechung des OGH zur Antragstellung auf Familienbeihilfe sowohl für laufende als auch für rückwirkende Zeiträume.
Gerade bei der Antragstellung auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FLAG ist es geradezu typisch, dass nicht nur die Familienbeihilfe ab Antragstellung begehrt wird, sondern auch für einen gewissen rückwirkenden Zeitraum. Bei Übernahme des Kindes in volle Erziehung müssen nämlich die anspruchsbegründenden Umstände vor einer Antragstellung auf Gewährung der Familienbeihilfe erst abgeklärt werden. Dafür müssen etwa Nachweise über allfälliges Eigeneinkommen des Kindes beschafft werden oder es muss erst abgewartet werden, ob die Eltern ihre Unterhaltsverpflichtungen halbwegs regelmäßig erfüllen, damit der anspruchsbegründende Tatbestand erfüllt ist, dass sich das Kind nicht zur Gänze auf Kosten des Kinder- und Jugendhilfeträgers in voller Erziehung befindet. In einer solchen Situation hinsichtlich der Vertretungsbefugnis danach zu differenzieren, ob der Antrag nur laufende Perioden ab Antragstellung oder in gewissem Umfang auch - von der Antragstellung her betrachtet - rückwirkende Perioden betrifft, steht einerseits nicht im Einklang mit der genannten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und steht andererseits auch den praktischen Bedürfnissen an einer einheitlichen Zuordnung der Vertretungsbefugnis und damit einer raschen Abwicklung ohne zwingenden Grund entgegen.
Der Bf., vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien (Regionalstelle Rechtsvertretung Bezirke 13,14,15), stellt daher den ANTRAG, das Bundesfinanzgericht möge der Beschwerde vom Folge geben und die Familienbeihilfe auch für den Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020 zuerkennen.

Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Der am geborene mj. Bf. stellte, vertreten durch die Kinder- und Jugendhilfe, einen auf § 6 Abs 5 FLAG gestützten Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Mai 2019. Der Bf. befindet sich seit im Krisenzentrum Pleischlgasse, einer sozialpädagogischen Einrichtung der Stadt Wien, und erzielte seit Ende September 2019 eine Lehrlingsentschädigung. Die Eltern des Bf. leisten ebenfalls Unterhaltszahlungen respektive Kostenbeiträge. Die Kindermutter verständigte das Finanzamt am von der Unterbringung des Bf. bei der MA11 weswegen der Anspruch auf Familienbeihilfe auch nicht mehr bestehe. Die Kindermutter bezog daher bis inklusive Juni 2019 Familienbeihilfe für den Bf. Die Kinder- und Jugendhilfe hat die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung inne.
Beweismittel:
Siehe Inhaltsverzeichnis
Stellungnahme:
Aufgrund einer vorliegenden Stellungnahme des Justizressorts vertritt die Fachabteilung für Familienbeihilfe folgende Rechtsansicht: Gemäß der höchstgerichtlichen Entscheidung des () ist die Geltendmachung eines Familienbeihilfeanspruches dem Bereich der Geltendmachung von unterhaltsrechtlichen Ansprüchen zuzuordnen. Dies ergibt sich nach Rechtsansicht der Fachabteilung für Familienbeihilfe auch aus den primären Zielsetzungen des FLAG 1967 gemäß welcher Unterhaltskosten, die durch die Betreuung und Versorgung von Kindern entstehen, ausgeglichen und der Mindestunterhalt des Kindes sichergestellt werden soll. In Fällen einer Fremdunterbringung im Rahmen der vollen Erziehung, verfügt der Kinder- und Jugendhilfeträger über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung. Grundsätzlich ist daher der Kinder- und Jugendhilfeträger, sofern er über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung des Kindes verfügt, legitimiert den Eigenanspruch für das betroffene Kind zu stellen. Entsprechend der vorliegenden OGH Entscheidung und nach Rechtsansicht des Justizressorts sowie des BKA fällt die Geltendmachung von Familienbeihilfebeträgen für vergangene Zeiträume nicht in den Bereich der Pflege und Erziehung, da sich diese nicht auf aktuelle Lebensbedürfnisse bezieht. Vielmehr würde dies die Geltendmachung von Vermögensbestandteilen bedeuten, die durch die einmalige rückwirkende Auszahlung zu einem Ertrag und Bildung von Stammvermögen des Kindes führen. Nach Rechtsansicht des Justizressorts sind Kinder- und Jugendhilfeträger, welche nur über eine Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung verfügen, nicht legitimiert, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe für vergangene Zeiträume zu stellen. Für die Antragstellung und Geltendmachung der Familienbeihilfe durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für vergangene Zeiträume müsste somit auch eine Obsorgeübertragung auf den Kinder- und Jugendhilfeträger im Bereich der Vermögensverwaltung vorhanden sein. Verfügt der Kinder- und Jugendhilfeträger ausschließlich über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung, nicht jedoch über die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung, ist dieser nicht legitimiert, den Eigenanspruch auf Familienbeihilfe für das betroffene Kind für vergangene Zeiträume geltend zu machen. Diese Rechtsmeinung ändert auch die in der Beschwerde zitierte OGH-Entscheidung nicht, da diese nicht explizit über rückwirkende Geltendmachung von Familienbeihilfenansprüchen abspricht. Aufgrund dieser Ansicht des BKA wird daher beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Der durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Wien (Regionalstelle Rechtsvertretung Bezirke 13,14, 15) vertretene Bf. befand sich im beschwerdegegenständlichen Zeitraum - Mai 2019 bis Juli 2020 -in voller Erziehung der Stadt Wien und war in einer sozialpädagogischen Einrichtung fremduntergebracht.
Dem Jugendwohlfahrtsträger wurde die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung übertragen; eine Übertragung im Bereich der Vermögensverwaltung (mittels Gerichtsbeschluss) wurde nicht vorgenommen.

Über den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe wurde vom Finanzamt für den Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020 ausschließlich deshalb abschlägig entschieden (laut Bescheid vom : Abweisung; laut Beschwerdevorentscheidung: Zurückweisung), weil eine für die Geltendmachung der Familienbeihilfe durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für vergangene Zeiträume erforderliche Obsorgeübertragung auf den Kinder- und Jugendhilfeträger im Bereich der Vermögensverwaltung (mittels Gerichtsbeschluss) nicht vorhanden war.

Dieser Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich aus dem oben wiedergegebenen Akteninhalt.

Die Beurteilung, ob der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien als Vertreter des Bf. zu Recht für den vergangenen Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020 - in welchem sich der Bf. bereits in voller Erziehung der Stadt Wien befunden hatte und in einer sozialpädagogischen Einrichtung fremduntergebracht war(!) - Familienbeihilfe geltend machen konnte oder nicht, ergibt Folgendes:

Dem Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 6 Ob 62/20s (der Bescheid vom nennt das Datum , keine GZ), lag Folgendes zugrunde:
Am beantragte der Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) seine Betrauung mit der Vermögensverwaltung im Umfang der Beantragung und Verwaltung des Eigenanspruchs des Kindes auf Familienbeihilfe; dieser stehe dem Kind nach § 6 Abs 5 FamLAG zu. Eine solche gerichtliche Betrauung werde benötigt, um dem zuständigen Finanzamt im Verfahren über die Zuerkennung der Familienbeihilfe die Vertretungsbefugnis nachweisen zu können.
Die Eltern äußerten sich zu diesem Antrag nicht.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Abgesehen davon, dass dieser keine Begründung aufweise, weshalb der Entzug der Obsorge im genannten Teilbereich wegen sonstiger Kindeswohlgefährdung (§ 181 ABGB) erforderlich sei, bedürfe es eines derartigen Entzugs auch gar nicht. Die Familienbeihilfe diene im konkreten Fall der Deckung des Unterhaltsbedarfs des Kindes, womit die gesetzliche Vertretung bei der Geltendmachung des Eigenanspruchs des Kindes in den Teilbereich der Pflege und Erziehung der Obsorge falle, mit dem aber ohnehin der KJHT betraut sei.
Hierüber erwog der Gerichtshof:
Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht damit grundsätzlich jenem Elternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde. …

Im Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 6 Ob 50/20a (vgl. oben: der Bescheid vom nennt das Datum , keine GZ), wurde erwogen:
Da nach der Entscheidung 8 Ob 99/12k (ErwG 3.3.) für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme und der Geltendmachung von Unterhalt kein sachlicher Grund besteht (ebenso 6 Ob 62/20s), teilt der erkennende Senat auch nicht die Auffassung des Vaters im Revisionsrekurs, eine Vertretungsbefugnis des KJHT für die beiden Kinder bestehe hier in "Unterhaltssachen, jedenfalls was den rückständigen Unterhalt betrifft" - jedenfalls in diesem Fall sei Vermögensverwaltung gegeben - nicht.

Dem Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 8 Ob 99/12k, lag Folgendes zugrunde:
Mit Eingabe vom stellte der Jugendwohlfahrtsträger Wien namens des Minderjährigen den Antrag auf Erhöhung des Unterhaltsbeitrags des Vaters ab auf monatlich 650 EUR. Dagegen wendete der Vater ein, dass der Minderjährige seit in seinem Haushalt wohne. Mit Schriftsatz vom stellte der Vater den Antrag auf Enthebung von der monatlichen Unterhaltsverpflichtung ab . …
Mit dem zugrunde liegenden Beschluss bestellte das Erstgericht "die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung, Jugendwohlfahrt" (das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger) zum Kollisionskurator für den Minderjährigen und ordnete an, dass dieser den Minderjährigen im Unterhaltsverfahren "zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche" gegen den Vater als auch gegen die Mutter zu vertreten habe. …
Hierüber erwog der Gerichtshof:
Gemäß § 144 ABGB umfassen die Pflege und Erziehung sowie die Vermögensverwaltung auch die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen. …
Dementsprechend schließt gemäß § 176 Abs 3 ABGB die Entziehung der Obsorge in Teilbereichen die Entziehung der gesetzlichen Vertretung in den jeweiligen Bereichen (grundsätzlich) mit ein, es sei denn, das Gericht differenziert in seiner Entscheidung (RIS-Justiz RS0112740; Hopf in KBB³ § 176b ABGB Rz 4; vgl auch Barth in Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 50). Die gesetzliche Vertretung kann sich somit auf die Pflege und Erziehung sowie auf die Vermögensverwaltung - als das Außenverhältnis dieser Angelegenheiten im Gegensatz zur tatsächlichen Wahrnehmung dieser Aufgaben, dem Innenverhältnis - beziehen. Daneben gibt es auch eine gesetzliche Vertretung außerhalb dieser Bereiche ("bloße gesetzliche Vertretung"), so etwa in Angelegenheiten des § 154 Abs 2 ABGB oder sonst bei Wahrnehmung von Persönlichkeitsrechten des Kindes (Hopf aaO § 144 Rz 1; Stabentheiner in Rummel³ § 144 ABGB Rz 1b; Weitzenböck in Schwimann, TaschenKomm § 144 ABGB Rz 2 und 3).
3.2 Im Anlassfall stellt sich vorweg die Frage, welchem Elternteil die gesetzliche Vertretung zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zukommt. Konkret ist zu klären, ob die Geltendmachung solcher Ansprüche dem Bereich der Pflege und Erziehung oder der Vermögensverwaltung zuzuordnen ist.
Barth (aaO § 144 Rz 11 und 14) ordnet die Verfügung über den Unterhalt des Kindes (Festsetzung und deren Änderung, Entgegennahme und Quittierung, Eintreibung, Verwendung) der Vermögensverwaltung zu. Im Weiteren (aaO § 144 Rz 16) vertritt er allerdings die Ansicht, dass nach § 176 Abs 3 ABGB die Übertragung von Pflege und Erziehung die Vertretung nach außen in diesen Bereichen einschließe. Damit sei auch die Befugnis verbunden, über den Kindesunterhalt zu verfügen. Der pflegende Elternteil, der Geldunterhalt vom anderen für das Kind erhalte, habe auch die Befugnis, diesen Unterhalt für den Lebensbedarf des Kindes auszugeben, soweit er - was wohl die Regel sei - der Pflege und Erziehung des Kindes zuzuordnen sei.
Die Verfügung über den Kindesunterhalt ordnet somit auch Barth der Pflege und Erziehung zu. Warum er zwischen Verfügung einerseits sowie Geltendmachung und Eintreibung andererseits unterscheidet, begründet er nicht.
3.3 Der Lebensbedarf des Kindes einschließlich einer altersüblichen Freizeitgestaltung ist primär von den Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu bestreiten. Nur die nach Befriedigung der Verwaltungskosten verbleibenden Erträgnisse des Vermögens des Kindes sind zur Deckung seines Unterhalts zu verwenden. Der Vermögensstamm darf zur Bestreitung des Lebensbedarfs nur ausnahmsweise herangezogen werden, wenn die Unterhaltsleistungen der Eltern (und Großeltern) nicht ausreichen (Thunhart in Klang³ §§ 149, 150 ABGB Rz 7; Hopf aaO §§ 149-150 Rz 2; Weitzenböck aaO § 149 Rz 6).
Der Unterhalt dient also der Deckung der aktuellen, angemessenen (Lebens-)Bedürfnisse des Kindes. Dies betrifft vor allem die regelmäßig benötigten Betreuungs- und Versorgungsleistungen, die benötigten Leistungen zur Wahrung des körperlichen Wohls und der Gesundheit, weiters die Aufwendungen für die Ausbildung und zur Freizeitgestaltung. Die Vermögensverwaltung betrifft demgegenüber die Erhaltung und mögliche Vermehrung des Stammvermögens sowie die Gebarung mit den Erträgnissen. Nur wenn der Einsatz des eigenen Vermögens des Kindes im Einzelfall zur Befriedigung seiner aktuellen Bedürfnisse erforderlich ist, ist mit der Vermögensverwaltung auch die Bestreitung von Ausgaben für das Kind geboten (Thunhart aaO §§ 149, 150 Rz 6). Die Vermögensverwaltung betrifft also die Heranziehung des eigenen Stammvermögens und der Erträgnisse des Kindes.
Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht damit grundsätzlich jenem Elternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde (vgl auch RIS-Justiz RS0072255: Für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme von Unterhalt und der Geltendmachung besteht kein sachlicher Grund).
4.1 Die Pflicht zur amtswegigen Bestellung eines Kollisionskurators nach § 271 ABGB knüpft an einen Interessenkonflikt zwischen dem Kind und dem gesetzlichen Vertreter an. Voraussetzung für die Kuratorbestellung ist eine Kollision im formellen und im materiellen Sinn. Kollision im formellen Sinn liegt vor, wenn ein zufolge Gesetz oder behördlicher Verfügung Vertretungsbefugter in bestimmten Angelegenheiten nicht nur zu vertreten, sondern auch im eigenen oder im Namen Dritter zu handeln hätte. Kollision im materiellen Sinn liegt vor, wenn bei Kollision im formellen Sinn zusätzlich noch ein Interessenwiderspruch besteht (RIS-Justiz RS0058177). Ein Kurator ist dabei schon dann zu bestellen, wenn aufgrund eines objektiv gegebenen Interessenwiderspruchs eine Gefährdung der Interessen des Minderjährigen möglich ist (RIS-Justiz RS0107600). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich der Antrag des Kindes auf Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung gegen den als Vertreter berufenen Elternteil richtet, sich also das Kind als Gläubiger und der gesetzliche Vertreter als Schuldner gegenüberstehen (RIS-Justiz RS0079249; RS0079868).
4.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Bestellung eines Kollisionskurators im Anlassfall nicht zu beanstanden.

Im Hinblick auf den Umstand, dass sich der Bf. im beschwerdegegenständlichen ,vergangenen Zeitraum' Mai 2019 bis Juli 2020 bereits in voller Erziehung der Stadt Wien befunden hatte und in einer sozialpädagogischen Einrichtung fremduntergebracht war, lassen die höchstgerichtlichen Entscheidungen keinen Zweifel an der Richtigkeit des in der Beschwerde bzw. im Vorlageantrag vertretenen Standpunktes.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden auf Grund der zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen zu beurteilenden Fall nicht vor.

Wien, am

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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100110.2021

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