Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.02.2021, RV/7102837/2020

Wohnsitz und Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Michael Walter Nierla, Annagasse 5/2/15, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe für das Kind ***3*** ***5*** ***6***, geb. ***4***, ab August 2018 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Das Finanzamt teilte der Beschwerdeführerin (Bf.) Dipl.Ing. ***2*** ***3*** mittels Schreiben vom mit, dass die Auszahlung der Familienbeihilfe erst erfolgen könne, wenn ein Nachweis über den rechtmäßigen Aufenthalt ihrer am ***4*** geborene Tochter ***3*** ***5*** ***6*** im Bundesgebiet erbracht werde und ersuchte die Bf. daher Meldezettel und Geburtsurkunde des Kindes vorzulegen.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag vom der Beschwerdeführerin (Bf.) ***3*** ***2*** auf Familienbeihilfe ab August 2018 für ihre am ***4*** geborene Tochter ***3*** ***5*** ***6*** ab.

Begründend führte das Finanzamt aus, dass, da die Bf. trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen nicht eingebracht habe und dadurch ihrer Mitwirkungspflicht nach § 115 Bundesabgabenordnung nicht nachgekommen sei, angenommen werden müsse, dass im Spruch genannten Zeitraum ab Aug. 2018 kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden habe bzw. bestünde.

Gegen den Abweisungsbescheid brachte die Bf. am fristgerecht Beschwerde ein und führte aus, dass sie alle Unterlagen bereits eingereicht habe; die Anmeldebescheinigung werde Sie nachreichen sobald diese ihr vom zuständigen Magistrat zugestellt worden sei.

Mit Schreiben vom ersuchte das Finanzamt die Bf. die EU-Anmeldebestätigung ihres Kindes, die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, Wiegekarte und Impfpass ab Geburt dem Finanzamt vorzulegen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde ab und führte begründend aus:
"Sie haben am Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom eingebracht und haben in Ihrer Beschwerde erklärt, dass Sie diverse Unterlagen nachreichen werden.
Am haben wir Sie schriftlich ersucht uns die EU/EWR-Anmeldebescheinigung Ihres Kindes
***5******6*** sowie den Nachweis des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet Ihres Kindes, beispielsweise durch Mutter-Kind-Pass Untersuchungen, nachzuweisen.
Sie haben auf unser Ergänzungsersuchen nicht geantwortet.
Da Sie trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen nicht eingebracht haben und dadurch Ihrer Mitwirkungspflicht nach
§ 115 Bundesabgabenordnung nicht nachgekommen sind, muss angenommen werden, dass für Ihr Kind ***5******6*** kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden hat bzw. besteht.
Es war nach oben genannter gesetzlicher Bestimmung, spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen die Beschwerdevorentscheidung brachte der Vertreter der Bf. den Antrag ein, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Vorgelegt wurden eine Kopie der EU-Anmeldebescheinigung der Bf., der Beurkundung der Anerkennung der Vaterschaft, des Meldezettels der Tochter und der Bestätigung aus dem zentralen Melderegister der Bf. vorgelegt.

Das Finanzamt legte den Antrag dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Beigelegt wurde der Sozialversicherungsauszug der Bf..

Das Bundesfinanzgericht forderte die Bf. mittels Beschluss auf, zu erläutern, weshalb sie laut Sozialversicherungsauszug kein Karenzgeld erhalten habe. Weiters wurde sie ersucht, die vom Finanzamt angeforderten Unterlagen dem Bundesfinanzgericht vorzulegen und bekanntzugeben, ob sie sich seit der Geburt des Kindes mit dem Kind in Österreich aufgehalten habe.

Der Vertreter der Bf. legte die Unterlagen, die Kopie des Mutter-Kind-Passes einschließlich Impfpass und die Kopie der EU-Anmeldebescheinigung des Kindes vor, und führte aus, dass sich die Bf. seit 2014 durchgehend in Österreich und ab Geburt der Tochter mit ihrer Tochter gemeinsam in Österreich aufgehalten habe.

Das Finanzamt führte dazu aus, dass aufgrund der nun vorgelegten Unterlagen, des Umstandes, dass der Kindesvater in Österreich jedenfalls im Zeitraum seit Geburt des Kindes einer Erwerbstätigkeit nachgehe (siehe SV-Auszug anbei) und der gemeinsamen Wohnadresse (Auszug Zentrales Melderegister des Kindesvaters und des Kindes ebenfalls anbei) der Familie, von einem Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich und von einem Anspruch auf Familienbeihilfe ausgegangen werde könne.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (slowakische Staatsbürgerschaft) ist laut Zentralem Melderegister mit ihrem Hauptwohnsitz seit in der ***Bf1-Adr*** gemeldet.

Ihre am ***4*** in Österreich geborene Tochter (slowakische Staatsbürgerschaft) ist ebenfalls mit ihrem Hauptwohnsitz am oa. Wohnsitz der Bf. gemeldet.

Laut den vorgelegten Kopien des Mutter-Kind-Passes ab Beginn der Schwangerschaft sind durchgehend die Untersuchungen sowohl der werdenden Mutter als auch ab Geburt der Tochter eingetragen.

Vorgelegt wurden weiters die EU-Anmeldebescheinigung der Bf. als auch des Kindes.

Die Vaterschaft wurde von ***7*** ***8*** (serbische Staatsbürgerschaft) anerkannt.

Der Hauptwohnsitz des Kindesvaters ist laut Melderegister seit der gemeinsamen Wohnsitz mit der Bf..

Laut SV-Auszug war der Kindesvater seit der Geburt des Kindes durchgehend in Wien erwerbstätig.

Der vorstehend der Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt übermittelten Teilen des Familienbeihilfenaktes und den Vorbringen und vorgelegten Unterlagen der Bf.

Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.

Gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört zum Haushalt einer Person ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.

Personen haben gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Nach § 3 Abs. 1 FLAG 1967 idF BGBl i 2014/35 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl.I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, gemäß § 3 Abs. 2 FLAG 1967 idF BGBl I 2014/35 sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG oder nach § 54 AsylG 2005 rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Nach § 167 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache anzunehmen ist oder nicht.

Im gegenständlichen Fall kann im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt außer Streit gestellt werden, dass die Bf und ihre Tochter nicht österreichische Staatsbürger sind, sich die Bf. aber nach §§ 8 und 9 NAG jedenfalls ab Juni 2014 und die Tochter ab August 2018 rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben bzw. noch immer aufhalten und demgemäß die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 erfüllen.

Neben dem rechtmäßigen Aufenthalt müssen die Anspruchsberechtigten (§ 3 Abs. 1 FLAG 1967) aber zusätzlich einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FLAG 1967) und den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich (§ 2 Abs. 8 FLAG 1967) haben. (Herwig Aigner/Rudolf Wanke in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG,§ 3 Rz 5).

Bei Klärung der Fragen, ob und wie lange die Bf einen Wohnsitz und den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Österreich hat bzw. gehabt hat, hat sich das Bundesfinanzgericht nach dem in § 167 Abs. 2 BAO verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung - zwar ohne an formale Regeln gebunden zu sein, aber unter Wahrung aller Verfahrensgrundsätze (ordnungsgemäß und vollständig durchgeführtes Ermittlungsverfahren, Parteiengehör) - Klarheit über den maßgebenden Sachverhalt zu verschaffen. Dabei ist unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Von mehreren Möglichkeiten ist jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt. Die Beweiswürdigung muss den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. (VwGH vom23.5.2012, 2011/17/0308, , ).

Im gegenständlichen Fall lebt die Bf. seit 2014 in Wien.

Die Bf hat eine EU-Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin vom

Ihre Tochter, geb. ***4***, ist bei der Bf. mit dem Hauptwohnsitz gemeldet.
Sie hat eine EU-Anmeldebescheinigung als Verwandte.

Die Untersuchungen der Bf. während der Schwangerschaft und die Untersuchungen der Tochter fanden laut Mutter-Kind-Pass durchgehend im Inland statt.

Der Kindesvater ist mit Hauptwohnsitz am gemeinsamen Wohnsitz bei der Bf. und dem Kind gemeldet.

Der Kindesvater arbeitete durchgehend seit der Geburt des Kindes in Wien.

Das Bundesfinanzgericht geht auf Grund des oa. Sachverhaltes und den Gegebenheiten davon aus, dass die Bf. und ihre Familie den Mittelpunkt der Lebensinteressen gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 in Österreich haben .

Der Beschwerde war daher stattzugeben.

3. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegendem Fall ist die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängig, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit Rechtsfragen zu beurteilen waren, folgte das Gericht den gesetzlichen Grundlagen. Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich.
Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher unzulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102837.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at