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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.12.2020, RV/7103469/2019

Ohne Vorsatz keine Hinterziehung der Familienbeihilfe bei Rückforderung und Verjährung

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7103469/2019-RS1
Die Abgabenbehörde ist nicht daran gehindert, im Abgabenverfahren - ohne dass es einer finanzstrafbehördlichen Entscheidung bedarf - festzustellen, dass Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO hinterzogen sind. Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz als Schuldform erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn in nachprüfbarer Weise auch der Vorsatz feststeht.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Susanne Zankl in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Markus Freund, Riemergasse 6, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom betreffend Familienbeihilfe für das Kind ***1***, geboren am ***2***, für den Zeitraum Juli 2008 bis Februar 2017 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Soweit der angefochtene Bescheid über den Zeitraum Juli 2008 bis April 2012 abspricht, wird er ersatzlos aufgehoben.

Im Übrigen bleibt der Spruch des angefochtenen Rückforderungsbescheides unverändert. Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge werden für die Monate Mai 2012 bis Februar 2017 in Höhe von € 11.212,20 zurückgefordert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf) und ihr Kind ***1***, geboren am ***2***, sind österreichische Staatsbürger. Die Bf bezog für ihren Sohn von dessen Geburt an laufend Familienbeihilfe (FB, sowie Kinderabsetzbeträge, KAB).

Im Juni 2016 stellte die Großmutter des Kindes, mütterlichseits, Frau ***3***, einen Antrag auf Gewährung der FB für ***1*** ab 07.2016.

In Beantwortung des Ergänzungsauftrages vom 15.02.3017 gab diese dem Finanzamt am bekannt, dass ihr Enkel ***1*** seit seiner Geburt in ihrem Haushalt leben würde. Ihre Tochter, die Bf, hätte bis jetzt die FB erhalten und ihr diese immer überwiesen (siehe dazu Bestätigungsschreiben der Bf vom ). Deshalb würde sie jetzt den Antrag auf Gewährung der FB für ***1*** nunmehr ab März 2017 stellen.

Die Ermittlungen der Finanzbehörde ergaben in der Folge, dass die Bf mit Juni 2008 und Sohn ***1*** mit November 2008 von Österreich nach Saudi-Arabien verzogen waren. Erst mit Mai bzw. Juni 2015 kamen die Bf und ihr Sohn wieder nach Österreich zurück, wobei sie mit ***10*** bzw. ***13*** bei der Großmutter ***3*** in ***4*** und im Anschluss daran ab ***5*** in ***6*** gemeldet waren.

Mit Ergänzungsauftrag vom wurde die Bf aufgefordert nachstehende Unterlagen vorzulegen:
"Kindergartenbestätigung vom Kind ab 2008
Schulbestätigung vom Kind ab Schulpflicht (Schuljahr 2009/2010 bzw. 2010/2011) bis laufend
Bestätigung vom Kinderarzt über Behandlungen, Impfungen etc. ab 2008-lfd.
Bestätigung von Ihnen und dem Kind über den Aufenthalt in Österreich von 2008-lfd. in Form von Belegen, Kontoauszügen, Rechnungen etc.
Mietvertrag von Ihnen ab 2008-lfd.
Dienstgeberbestätigung (Beschäftigungszeiten) von Ihnen ab 2008-lfd.
Bestätigung von der Bank wer der Kontoinhaber des von Ihnen am Antrag angegebenen Kontos ist, bzw. wer ist verfügungsberechtigt auf diesem Konto ist.
Heiratsurkunde von Ihnen bzw. Bescheid über die Namensänderung
Wer lebt mit Ihnen und dem Kind im gemeinsamen Haushalt? Bitte um Angabe der Namen und Geburtsdaten aller Personen
Haben Sie weiterhin die Obsorge für Ihr Kind? Wenn nicht, bitte Beschluss vorlegen.
Bei Nichtvorlage der oben genannten Unterlagen wird die gesamte Familienbeihilfe rückgefordert!"

In Beantwortung des Vorhaltes gab die Bf am bekannt, dass ihr Sohn ***1*** seit seiner Geburt bei seiner Großmutter ***3*** leben würde und diese das Obsorgerecht hätte. Dem Finanzamt vorgelegt wurden lediglich der Beschluss des BG ***7*** vom ***8***, mit dem die Obsorge für ***1*** und seine beiden Geschwister auf die Mutter der Bf, ***3***, überging sowie ein Bestätigungsschreiben der Bf darüber, dass sie die FB immer an ihre Mutter überwiesen hätte.

Mit Sammelbescheid vom wurde die von der Bf zu Unrecht bezogene FB (KAB) für ***1*** unter Heranziehung der 10-jährigen Verjährungsfrist für die Monate Juli 2008 bis Februar 2017 mit einem Gesamtbetrag von € 19.475,90 zurückgefordert.

Am erhob die Bf durch ihren ausgewiesenen Rechtsvertreter Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid vom :
"Im angefochtenen Bescheid vertritt die belangte Behörde die verfehlte Rechtsauffassung, dass die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht gemäß §115 BAO nicht nachgekommen wäre, weshalb anzunehmen sei, dass im Zeitraum zwischen Juli 2008 und Februar 2017 kein Anspruch auf Bezug der Familienbeihilfe bestanden hat. Die belangte Behörde lässt jedoch völlig außer Betracht, dass sich aus dem Akteninhalt ohne Zweifel ergibt, dass die Mutter der Beschwerdeführerin erst im Juli 2012 mit der Obsorge für den mj. ***1*** betraut wurde. Vermag diese den mj. ***1*** auch zuvor bereits fallweise beaufsichtigt haben, so ändert dies nichts daran, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls bis Juli 2012 zum Bezug der Familienbeihilfe berechtigt war.
Der Akteninhalt lässt auch klar erkennen, dass sich der mj. ***1*** jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Übertragung der Obsorge an die Mutter der Beschwerdeführerin in Österreich aufgehalten hat; konkret hat dieser im Schuljahr 2011/12 eine Volksschule in Wien besucht.
Die Beschwerdeführerin ist ihrer Mitwirkungspflicht mit bestem Wissen und Gewissen nachgekommen, nachdem sie innerhalb der von der Behörde normierten Frist unumwunden zugestanden hat, dass die Obsorge an die Großmutter übertragen wurde.
Hätte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Ergebnisse ihrer Erhebungen vorgehalten und zur Äußerung übermittelt, wäre es der Beschwerdeführerin möglich gewesen, den von ihr vorgebrachten Sachverhalt zu konkretisieren und darzulegen, dass die Obsorge für ihren Sohn erst seit 2012 ihrer Mutter zukommt, diese zuvor nur fallweise mit der Kinderbetreuung befasst war und bis zu diesem Zeitpunkt die Unterhaltskosten für ihren Sohn überwiegend selbst getragen hat.
Nach § 207 Abs 4 BAO verjährt das Recht, den Ersatz zu Unrecht geleisteter oder die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern, in fünf Jahren. In den Fällen des § 207 Abs 4 BAO beginnt nach § 208 Abs 1 lit c BAO die Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem die rückzufordernden Beihilfen, Erstattungen, Vergütungen oder Abgeltungen geleistet wurden. Der angefochtene Bescheid schreibt den Rückforderungsbetrag in einem, nicht teilbaren Gesamtbetrag für den Zeitraum von Juli 2008 bis Februar 2017 vor und ist damit infolge eingetretener Verjährung mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet."
Gleichzeitig stellte die Bf den Antrag gem. § 274 BAO auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Finanzbehörde die Beschwerde ab und begründete dies damit, dass laut den Ermittlungen der Behörde (Zentralmelderegister, Schülermatrik des Stadtschulrates,..) die Bf im Juni 2008 nach Saudi-Arabien verzogen wäre und Sohn ***1*** sich ebenfalls im Zeitraum bis sowie vom bis nicht in Österreich aufgehalten hätte. Mit ***9*** wäre ***1*** abgemeldet worden (verzogen nach Saudi-Arabien). Ein Schulbesuch hätte in diesen Zeiträumen ebenfalls nicht in Österreich stattgefunden.
Eine Meldung über Änderungen wäre nicht erfolgt.

Mit stellte die Bf den Antrag, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vorzulegen. Aufgrund der Verjährungsbestimmungen wäre ein Rückforderungsanspruch im Umfang von € 7.579,30 (Juli 2008, 2009, 2010, 2011) nicht durchsetzbar. Es könnte nicht von Hinterziehung ausgegangen werden.

Da in der Beschwerdevorentscheidung vom 16.02.3018 auf das Beschwerdevorbringen "Verjährung" nicht eingegangen wurde, wurde am das Finanzamt aufgefordert, eine entsprechende Stellungnahme dazu abzugeben.

In der Beantwortung vom führte die Finanzbehörde dazu wie folgt aus:
"Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a FLAG 1967, nur auf Antrag gewährt. Die Beschwerdeführerin brachte zeitnah nach der Geburt einen Antrag auf Familienbeihilfe für ihr Kind ein. Notwendige formelle Voraussetzung dafür ist auch eine Unterschrift (§ 85 Abs 2 BAO) auf dem Antrag. Damit verpflichtet sich ein Antragsteller - und damit verpflichtete sich auch die Beschwerdeführerin - Tatsachen, die bewirken, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt (..) binnen einen Monats zu melden (§ 25 FLAG 1967).
Die Verjährungsvorschriften der BAO sind unstrittig auch auf das Familienbeihilfenverfahren anzuwenden. Gemäß § 207 Abs 4 BAO verjährt das Recht, die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern in fünf Jahren. Gemäß § 207 Abs 2 beträgt die Verjährungsfrist bei Hinterziehung jedoch zehn Jahre.
Die Beschwerdeführerin hat die Meldepflicht verletzt und damit in Kauf genommen, dass sie die Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge unrechtmäßig bezieht. Zeitnahe Ermittlungen waren der Finanzbehörde dadurch nicht möglich.
Die Anwendung der zehn-jährigen Verjährungsfrist für die Rückforderung war daher nach Ansicht der ho. Finanzbehörde rechtmäßig (siehe ; vom , RV/7100224/2016).
Ob die Beschwerdeführerin im Zeitraum vor Juni 2008 rechtmäßig Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge bezogen hat oder nicht vielmehr die Großmutter auch hier einen Anspruch gehabt hätte, kann dahin gestellt bleiben, da dieser Zeitraum absolut verjährt ist."

Der Antrag der Bf in der Beschwerde vom auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde mit Schriftsatz (FAX) vom zurückgezogen.

entscheidungsrelevanter Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf) und ihr Kind ***1***, geboren am ***2***, sind österreichische Staatsbürger. Die Bf bezog für ihren Sohn von Geburt an laufend bis 02/2017 Familienbeihilfe (sowie KAB, Urkunden vom und ).

Die Bf verzog mit ihrem Sohn ***1*** mit Juni 2008 bzw. mit November 2008 von Österreich nach Saudi-Arabien (siehe dazu Abfrage ZMR vom ).

Ab ***10*** (Zeitpunkt der Wiedereinreise nach Österreich) bis ***5*** ist die Bf im Haushalt ihrer Mutter, Frau ***3***, gemeldet (siehe Abfrage ZMR vom ).

Ab ***13*** ist ***1*** bei seiner Großmutter in Wien gemeldet und besuchte zumindest bis 03/2017 eine Schule in Wien (Abfrage ZMR, Schulbestätigung durch Stadtschulrat vom ).
Ab ***9*** ist ***1*** in Österreich nicht mehr gemeldet (siehe Abfrage ZMR vom 9.011.2018).

Im Zeitraum bis hielt sich ***1*** in Österreich auf und besuchte im Schuljahr 2011/2012 die Volkschule in Wien. Während dieser Zeit war das Kind im Haushalt der Großmutter gemeldet. In der Folge wurde die Schule abgebrochen (siehe dazu Abfrage ZMR vom , Bestätigungsschreiben des Stadtschulrates für Wien vom ).
Im Zeitraum bis war der Sohn der Bf in Österreich nicht gemeldet (siehe Abfrage ZMR vom ).

Mit Beschluss des BG ***7*** vom ***8*** wurde der Bf und dem Kindesvater die Obsorge für ihre drei Kinder ***1***, ***11*** und ***12*** entzogen und der Mutter der Bf, Frau ***3***, übertragen.

Im Juni 2016 stellte die Mutter der Bf und damit Großmutter des Kindes, Frau ***3***, einen Antrag auf Gewährung der FB für ***1*** zunächst ab 07/2016 (siehe dazu das Formular Beih 1).

In Beantwortung des Ersuchens um Ergänzung durch ***3*** wurde dem Finanzamt mitgeteilt, dass sich ***1*** seit seiner Geburt bei ihr aufhielte und diese auch das Obsorgerecht für das Kind ab 2012 hätte. Ihr Antrag auf Gewährung der FB für ***1*** gälte nunmehr ab 03/2017.

Mit Sammelbescheid vom wurde die von der Bf zu Unrecht bezogene FB (sowie KAB) für ***1*** unter Heranziehung der 10-jährigen Verjährungsfrist gem. § 207 Abs 1 und 4 BAO für die Monate Juli 2008 bis Februar 2017 mit einem Gesamtbetrag von € 19.475,90 zurückgefordert (Rückforderungsbescheid vom ).

Der Antrag der Bf in der Beschwerde vom auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde mit Schriftsatz (FAX) vom zurückgezogen.

III. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die Angaben der Bf, auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen des Finanzamtes bzw. der Bf sowie auf die Ergebnisse der vom Gericht durchgeführten Ermittlungen.

IV. Rechtsausführungen

§ 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF lautet:
Personen, die die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt, haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

§ 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF lautet:
Personen haben für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört, Anspruch auf Familienbeihilfe.

§ 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF lautet:
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

§ 10 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF lautet:
Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Die Gewährung von FB richtet sich daher nach dem jeweiligen Monat.

§ 25 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF lautet.
Personen, denen Familienbeihilfe gewährt wird, sind verpflichtet, Tatsachen, die bewirken, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt, sowie Änderungen des Namens oder der Anschrift ihrer Person oder der Kinder, innerhalb eines Monats ab dem Bekannt werden, beim zuständigen Finanzamt zu melden.

Gemäß § 115 Bundesabgabenordnung 1961 idgF trifft die Partei im Abgabeverfahren (was auch die Beihilfe einschließt) trifft eine Mitwirkungspflicht. Diese wird umso größer, je weniger Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde offenstehen. Bei Auslandsachverhalten besteht daher eine erhöhte Mitwirkungspflicht.

§ 26 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF lautet:
(1) Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
(2) Zurückzuzahlende Beträge nach Abs. 1 können auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfen angerechnet werden.
(3) Für die Rückzahlung eines zu Unrecht bezogenen Betrages an Familienbeihilfe haftet auch derjenige Elternteil des Kindes, der mit dem Rückzahlungspflichtigen in der Zeit, in der die Familienbeihilfe für das Kind zu Unrecht bezogen worden ist, im gemeinsamen Haushalt gelebt hat.
(4) Die Oberbehörden sind ermächtigt, in Ausübung des Aufsichtsrechtes die nachgeordneten Abgabenbehörden anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre.

§ 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 idgF lautet:
Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.

§ 207 Bundesabgabenordnung 1961 idgF lautet:
(1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
(2) Die Verjährungsfrist beträgt bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. Das Recht, einen Verspätungszuschlag, Anspruchszinsen, Säumniszuschläge oder Abgabenerhöhungen festzusetzen, verjährt gleichzeitig mit dem Recht auf Festsetzung der Abgabe.
(3) Das Recht zur Verhängung von Zwangs-, Ordnungs- und Mutwillensstrafen sowie zur Anforderung von Kostenersätzen im Abgabenverfahren verjährt in einem Jahr.
(4) Das Recht, den Ersatz zu Unrecht geleisteter oder die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern, sowie das Recht auf Rückforderung zu Unrecht zuerkannter Erstattungen, Vergütungen oder Abgeltungen von Abgaben verjährt in fünf Jahren. Abs. 2 zweiter Satz gilt sinngemäß.
(5) Abs. 2 zweiter Satz gilt sinngemäß für Abgaben, deren vorsätzliche Verkürzung nicht in den Anwendungsbereich des Finanzstrafgesetzes fällt.

§ 208 Abs. 1 lit c Bundesabgabenordnung 1961 lautet:
Die Verjährung beginnt in den Fällen des § 207 Abs. 4 mit dem Ablauf des Jahres, in dem die rückzufordernden Beihilfen, Erstattungen, Vergütungen oder Abgeltungen geleistet wurden;

V. Erwägungen

Gemäß § 2 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minder- bzw. volljährige Kinder nur solche Personen haben, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Anspruch auf FB für Kinder besteht nur dann, wenn der Anspruchswerber den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland hat.
Die Zuerkennung von FB gem. § 5 Abs.3 FLAG 1967 setzt auch voraus, dass sich das Kind nicht ständig im Ausland aufhält.

Die Bf hat mit Juni 2008 nachweislich Österreich verlassen und war nach Saudi Arabien verzogen. Erst mit ***10*** war diese in Österreich wieder an der Adresse ihrer Mutter ***3*** gemeldet und damit in Österreich aufhältig.
***1*** hat sich nachweislich im Zeitraum vom (Verzug nach Saudi Arabien) bis und vom bis nicht in Österreich aufgehalten. Der Einwand der Bf, ihr Sohn hätte sich bis zur Übertragung der Obsorge an die Großmutter im Juli 2012 in Österreich aufgehalten, muss damit ins Leere gehen.
Die vom Finanzamt bzw. vom BFG durchgeführten Recherchen haben ergeben, dass die Bf als auch der Sohn in den genannten Zeiträumen ab 2008 auch nicht im Zentralen Melderegister aufscheinen.

Mit Beschluss des Pflegschaftsgerichtes vom ***8*** wurde zwischenzeitlich die Obsorge über ***1*** den Kindeseltern entzogen und der Mutter der Bf, ***3***, übertragen.

Für die Bf besteht somit für Sohn ***1*** ab Juli 2008 (Verzug nach Saudi Arabien mit ) kein Anspruch auf FB bzw. KAB mehr. Die Bf begründete zwar mit ihrer Wiedereinreise am ***10*** an der Wohnadresse ihrer Mutter einen gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitz) in Österreich, doch wurde ihr in der Zwischenzeit das Obsorgerecht für ***1*** entzogen und der Großmutter des Kindes ***3*** übertragen.

Die an die Bf für ***1*** bis Februar 2017 gewährten FB und die KAB wurden an die Bf daher zu Unrecht ausbezahlt (ab 03/2017 Antrag ***3*** auf Gewährung der FB).

Die Rückforderungspflicht gem. § 26 Abs 1 FLAG 1967 trifft ausschließlich den Bezieher der FB.
Diese Bestimmung normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die FB zu Unrecht bezogen hat. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig (). Da der Rückforderungstatbestand nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 nach § 33 Abs 4 Z 3 lit a letzter Satz EStG 1988 auch auf Kinderabsetzbeträge anzuwenden ist, ist auch im Zusammenhang mit der Rückforderung des Kinderabsetzbetrages nur auf die objektive Unrechtmäßigkeit des Bezuges der Familienbeihilfe abzustellen (). Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist unerheblich (siehe dazu FLAG, Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, 2011).
Ob die Bf die FB bzw. die KAB an ihre Mutter weiterüberwiesen hat oder nicht, spielt keine Rolle und ist nicht entscheidungsrelevant.

Die Bf bringt in diesem Zusammenhang vor, für den Ansatz der 10-jährigen Verjährungsfrist bestünde kein Raum, die Bf hätte die FB nicht hinterzogen. Für die Annahme einer Hinterziehung von FB und KAB würde es an der subjektiven Tatseite fehlen.

Dazu ist auszuführen:
Wird Familienbeihilfe vorsätzlich, unter Verletzung der sich aus §§ 25 FLAG ergebenden Verpflichtung zu Unrecht bezogen, ist für die Rückforderung der Familienbeihilfe die
zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 4 letzter Satz iVm 5 207 Abs. 2 BAO anwendbar.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Hinterziehungsverjährung dargetan hat, setzt die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, konkrete und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Dabei ist - so der Gerichtshof - vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz als Schuldform erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht (vgl. , , ).

Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen (vgl. , , , ):
"Die Abgabenbehörde ist nicht daran gehindert, im Abgabenverfahren - ohne dass es einer finanzstrafbehördlichen Entscheidung bedarf - festzustellen, dass Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO hinterzogen sind. Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz als Schuldform erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn in nachprüfbarer Weise auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzliches Handeln beruht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 92/14/0036) ..." .

Die Abgabenhinterziehung erfordert somit Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt.

Gemäß § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht. Fahrlässig handelt auch, wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 8 Abs. 2 FinStrG).

Wenn die Abgabenbehörde aus den in § 25 FLAG 1967 und im Formblatt Beih 1 enthaltenen Angaben den Rückschluss zieht, die Bf habe die Meldeverpflichtung gekannt, so bedeutet dies noch nicht, dass sie auch Kenntnis davon hatte, dass ihr ab Juli 2008 kein Anspruch auf Familienbeihilfe mehr zusteht.
Die belangte Behörde wirft der Bf im angefochtene Bescheid vor, die Bf hätte vorsätzlich gegen die sie gem. § 25 FLAG treffende Meldepflicht verstoßen, weshalb die zehnjährige Verjährungsfrist gem. § 207 Abs 4 iVm Abs 2 BAO zur Anwendung käme. Wenn die Abgabenbehörde zu dem Schluss kommt, dass die Beihilfen im Sinne des § 207 Abs 2 BAO hinterzogen wurden, so setzt eine solche Beurteilungeindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus und sind die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände von der Abgabenbehörde nachzuweisen (Ritz, BAO, §207 Tz 15). Die Abgabenbehörde hat es aber verabsäumt, im Bescheid jene Umstände und Überlegungen aufzuzeigen bzw. jene Feststellungen zu treffen, die erkennen lassen, dass die Bf vorsätzlich gehandelt hat.
Im vorliegenden Fall liegen keine für das BFG klar erkennbare Umstände vor, aus denen mit Erfolg auf ein nachweisbar vorsätzliches Handeln der Bf geschlossen werden kann.

Was der Bf angelastet werden kann, ist, dass sie fahrlässig gehandelt hat. So hätte die Bf, bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt jedenfalls Zweifel aufkommen müssen, ob ein Anspruch auf Familienbeihilfe noch besteht, wenn sie Österreich verlässt. Diese Zweifel hätten sie dazu veranlassen müssen, sich über das Weiterbestehen des Familienbeihilfenanspruches bei der zuständigen Behörde zu erkundigen. Indem sie diese Erkundigung, die ihr nach ihren persönlichen Verhältnissen möglich und nach den Umständen des Falles zuzumuten war, nicht eingeholt hat, ist ihr auf jeden Fall ein fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen.

Da ein fahrlässiges Verhalten für die Anwendung der 10-jährigen Verjährungsfrist aber nicht ausreicht, ist eine Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Sohn ***1*** nur für die Monate 05/2012 bis 02/2017 möglich.

VI. Zulässigkeit einer Revision

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängig, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit Rechtsfragen zu beurteilen waren, folgt das Gericht einer existierenden, einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 207 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 208 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 Abs. 2 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 10 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 25 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 Abs. 1 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 115 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 26 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Schlagworte
Rückforderung
Verjährungsfrist
Hinterziehung
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103469.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at