Bloßer Hinweis auf erfolgte Übermittlung eines berichtigten oder neuen Lohnzettels kein Wiederaufnahmegrund
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Ansgar Unterberger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BKS Steuerberatung GmbH & Co KG, Untere Hauptstraße 10, 3150 Wilhelmsburg an der Traisen, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten vom betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2003 bis 2010 sowie vom betreffend Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahren 2011, Steuernummer ***, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden - ersatzlos - aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Ansgar Unterberger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BKS Steuerberatung GmbH & Co KG, Untere Hauptstraße 10, 3150 Wilhelmsburg an der Traisen, betreffend Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten vom betreffend Einkommensteuer 2003 - 2010 und vom betreffend Einkommensteuer 2011, Steuernummer **, beschlossen:
Die Beschwerde vom wird gemäß § 261 Abs. 2 BAO als gegenstandslos erklärt.
Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.
Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 iVm Abs. 9 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang, Sachverhalt, Beweiswürdigung
Strittig ist, ob die erfolgte Wiederaufnahme der Einkommensteuer (ESt)-Verfahren und in weiterer Folge die Erlassung von neuen ESt-Bescheiden für die Jahre 2003 bis 2011 zu Recht erfolgte.
Im Zuge der Überprüfung eines Bescheides für ***Bf1*** (in der Folge: Beschwerdeführerin: Bf) im Jahr 2013 stellte das Finanzamt fest, dass bei den ESt-Veranlagungen (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) der streitanhängigen Jahre Daten von Lohnzetteln, welche von der Pensionsversicherungsanstalt dem Finanzamt zur Sozialversicherungsnummer der Bf elektronisch übermittelt worden waren, keine Berücksichtigung fanden. Wie sich herausstellte, wurde im Finanzamt für die Bf ein zweiter Datensatz, unter dem die genannten Lohnzetteldaten gespeichert wurden, geführt. Nach Ansicht des Finanzamtes sei die entsprechende Subjektvereinigung unterblieben, weil die Bf in ihren Steuererklärungen nie die vollständige Sozialversicherungsnummer sondern immer nur ihr Geburtsdatum und bei den Angaben zur Anzahl der bezugauszahlenden Stellen sowie zur Anzahl der Mitteilungen gemäß § 109a EStG immer nur "0" angegeben hätte.
Das Finanzamt vertrat weiters die Ansicht, dass aufgrund dieser fehlenden Vereinigung die zur Erlassung der ESt-Bescheide zuständigen Organisationseinheit von den Lohnzetteln der Pensionsversicherungsanstalt keine Kenntnis hatte. Die Daten dieser Lohnzettel seien daher für die zuständige Organisationseinheit neu hervorgekommene Tatsachen. Da die Bf durch Angabe der Zahl "0" bei der Anzahl der pensionsauszahlenden Stellen ihre Offenlegungspflicht verletzt habe und der Bf überdies ab der Veranlagung der ESt 2002 im November 2003 aufgefallen sein müsste, dass die Lohnzetteldaten ihrer Pension bei der Veranlagung zur ESt nicht berücksichtigt waren, ging das Finanzamt von hinterzogenen Abgaben aus und erließ demgemäß innerhalb der verlängerten zehnjährigen Verjährungsfrist am (bzw für 2011 am ) die nunmehr strittigen Wiederaufnahme- und ESt-Bescheide für die Jahre 2003 bis 2011.
In der Begründung der Wiederaufnahmebescheide führte das Finanzamt jeweils wörtlich aus, dass diese erforderlich seien, "weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde, aus dem sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen ESt-Bescheides verwiesen." Die ESt-Bescheide enthielten entgegen dieses Verweises keine Begründung.
In der gegen die strittigen Bescheide eingebrachten Berufung, welche nunmehr als Beschwerde zu behandeln ist, brachte die Bf im Wesentlichen vor, dass die Lohnzettel jährlich ordnungsgemäß übermittelt worden seien und daher keine hinterzogenen Abgaben vorliegen würden. Für die Jahre bis 2006 sei daher bereits Verjährung eingetreten. Aufgrund dieser ordnungsgemäßen Übermittlungen hätte das Finanzamt über die Sozialversicherungsnummer einen Datenabgleich durchführen können. Dem Finanzamt könne etwas, von dem es Kenntnis hätte, nicht verschwiegen werden. Diese Nichtdurchführung bzw. technische Probleme innerhalb der Finanzverwaltung seien der Bf nicht anzulasten. Selbst in den Steuererklärungsformularen und Erlässen des BMF werde darauf hingewiesen, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht einzutragen seien, da diese Lohnzetteldaten sich ohnehin in der Lohnzetteldatenbank der Finanzverwaltung befinden. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Entscheidung durch den gesamten Senat. Beide Anträge wurden vom steuerlichen Vertreter der Bf mit Schreiben vom zurückgenommen.
Die Berufung (Beschwerde) gegen die strittigen Bescheide wurde mit einer ausführlich begründeten Berufungsvorentscheidung (BVE) vom als unbegründet abgewiesen. Obwohl die BVE vom eindeutig erkennbar auch über die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide absprach, wurde am nochmals eine diesbezügliche abweisende BVE erlassen.
Infolge der durch die Bf eingebrachten Vorlageanträge vom und vom wurde die Beschwerde dem BFG mit Vorlagebericht vom , in dem das verwaltungsbehördliche Verfahren und die Ansicht des Finanzamtes ausführlich dargestellt wurde, vorgelegt.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung (Erkenntnis, Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide)
Zum Erkenntnis
Nach § 303 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen u.a. wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Nach der Rechtsprechung des VwGH können nach dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung entstandene Umstände (nova producta) keinen Wiederaufnahmegrund bilden (zB.: ). Die automatisch von der EDV-Anlage eingefügte Formulierung weil ein "berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde" weist eher in Richtung des Vorliegens von nova producta. Es hätte in der Begründung eines Verweises auf Tatsachen bedurft, die bereits bei der Bescheiderlassung bestanden haben und den Lohnzettel zu entnehmen gewesen wären. Der Verweis auf die Begründung zu den Sachbescheiden geht ins Leere, da diese keine Begründung enthalten.
So auch das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 5. Dezember2019, RV/2101157/2019, mwN.
Auszugsweise wird auf das über einen ähnlichen Sachverhalt absprechende BFG Erkenntnis vom , RV/2100646/2020, und den Beitrag von Ritz, Rechtsschutz bei Begründungsmängeln - Welche Mängel sind nicht sanierbar? In SWK 12/2019, 602 verwiesen:
Es besteht für das Bundesfinanzgericht wohl kein Zweifel, dass das Finanzamt mit der in den Wiederaufnahmebescheiden angeführten Begründung dem zwingenden Erfordernis der Angabe des konkreten Wiederaufnahmegrundes nicht nachgekommen ist. Denn durch die Wortfolge "Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt" ist für die Bf als Bescheidadressaten nicht erkennbar, ob ein berichtigter oder ein neuer Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme war.
Ritz bringt im oben genannten Beitrag als Beispiel aus der Praxis der Finanzämter als "Begründung" einer Wiederaufnahme eines Einkommensteuerverfahrens von Amts wegen den im Wesentlichen gleichlautenden Text, wie er sich in den angefochtenen Bescheiden findet, und führt dazu aus:
"Wann welche Umstände im betreffenden Abgabenverfahren dem Finanzamt erst nachträglich bekannt wurden, verschweigt die Begründung. Sie ist überdies irreführend, wenn dort von "war […] wiederaufzunehmen" die Rede ist. Die Verfügung von Wiederaufnahmen liegt nämlich im Ermessen; die Ermessensübung ist zu begründen.
Der Bescheidadressat erfährt somit nicht,
•ob ein neuer oder ein berichtigter Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme ist,
•welcher Arbeitgeber gemeint ist,
•wann die maßgebenden Umstände dem Finanzamt bekannt wurden, oder
•die für die Ermessensübung bedeutsamen Umstände und Überlegungen.
In der Begründung der Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens sind die Wiederaufnahmegründe anzuführen. Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe ist im Rechtsmittelverfahren nicht "nachholbar", dies auch nicht in einer Beschwerdevorentscheidung. Bei einer amtswegigen Wiederaufnahme wird die Identität der "Sache" iSd. § 263 Abs.1 und § 279 Abs. 1 BAO, über die im angefochtenen Bescheid abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde.
Die Rechtsmittelbehörde kann sich bei der Erledigung gegen die Wiederaufnahme gerichteter Rechtsmittel auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Wiederaufnahmegründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme aus anderen Gründen zulässig wäre (vgl. insbesondere ).
Hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf Umstände gestützt, die keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, so ist der angefochtene Bescheid im Beschwerdeverfahren ersatzlos aufzuheben, was auch bereits durch Beschwerdevorentscheidung erfolgen kann.
Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die "Sache", über die das BFG gemäß § 279 Abs. 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltselemente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, so muss das BFG den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben."
Im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 5. Dezember2019, RV/2101157/2019 wird dazu auf folgende Erkenntnisse verwiesen: oder ).
Die Wiederaufnahmebescheide sind daher ersatzlos aufzuheben."
Zur Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
In der Beschwerde wird keine Rechtsfrage aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Da die Entscheidung betreffend die Zulässigkeit der Wiederaufnahme der Verfahren im Zusammenhang mit der Eignung des vom Finanzamt angenommenen Wiederaufnahmegrundes der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht (vgl. insbesondere )
Rechtliche Beurteilung (Beschluss, Gegenstandsloserklärung der Sachbescheide)
Zum Beschluss
§ 261 Abs. 2 BAO schreibt vor, dass, wenn einer Bescheidbeschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen wird, eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären ist.
Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt gemäß § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.
Wird der Wiederaufnahmsbescheid aufgehoben (insbesondere im Bescheidbeschwerdeverfahren), so tritt nach § 307 Abs. 3 das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmsbescheides scheidet somit ex lege der neue Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus, der alte Sachbescheid lebt wieder auf (vgl. Ritz, BAO6, § 307 Tz 8 und die dort zitierte Judikatur).
§ 261 Abs. 2 normiert die Gegenstandsloserklärung auch für Fälle, in denen nach bisheriger Rechtsauffassung Rechtsmittel als unzulässig geworden zurückzuweisen waren. Dies galt nach Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz (BAO3, § 299 Anm 25 idF vor 15. Ergänzungslieferung) für Berufungen gegen neue Sachbescheide, wenn der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid stattgegeben wird, wodurch der neue Sachbescheid als Folge des § 307 Abs. 3 BAO aufgehoben ist.
Die Gegenstandsloserklärung der Bescheidbeschwerde liegt nicht im Ermessen. Sie hat (durch die Abgabenbehörde) mit Beschwerdevorentscheidung bzw. (durch das Verwaltungsgericht) mit Beschluss zu erfolgen. Solche Gegenstandsloserklärungen sind mit Vorlageantrag (§ 264) bzw. mit Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder mit Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof.
Somit waren die gegen die Einkommensteuerbescheide 2003 bis 2011 gerichteten Bescheidbeschwerden mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis bzw. der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da sich die Verpflichtung zur beschlussmäßigen Gegenstandsloserklärung der gegen die Sachbescheide gerichteten Beschwerden unmittelbar aus § 261 Abs. 2 BAO ergibt, ist die Revision nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 261 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100615.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at