Nachsicht wegen Nichtbescheid im Feststellungsverfahren
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Markus Knechtl LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BDO Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Am Belvedere 4, 1100 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom betreffend Nachsicht § 236 BAO zur Steuernummer 23 - ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Am erließ das Finanzamt Waldviertel (Rechtsvorgänger des Finanzamtes Österreich - Dienststelle Waldviertel; belangte Behörde) einen gemäß § 295 Abs 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid 2008, aus dem sich eine Nachforderung in Höhe von € 154.986,39 ergab. In der Begründung wurde angeführt, dass die Änderung gem. § 295 BAO aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen des Finanzamtes Waldviertel zur Steuernummer 23 ***AB_StrNr*** (ehemalige ***AB***) vom erfolgte.
Mit Bescheid vom bewilligte die belangte Behörde eine Aussetzung der Einhebung der Einkommensteuernachforderung 2008 in Höhe von € 154.986,39 und der Anspruchszinsen in Höhe von € 10.629,89 auf Grund eines diesbezüglichen Antrages.
Mit Beschluss vom wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde der Rechtsnachfolgerin der ***AB*** gegen den Feststellungsbescheid 2008 zur Geschäftszahl RV/7103130/2013 als unzulässig zurück, weil den angefochtenen Erledigungen keine Bescheidqualität zugekommen war.
Mit Bescheid vom setzte die belangte Behörde Anspruchszinsen in Höhe von € 19.416,85 für den Zeitraum von bis fest.
Am verfasste der Beschwerdeführer nachfolgenden Schriftsatz:
"Beschwerde gegen den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom
In eventu Antrag auf Nachsicht der Einkommensteuer 2008, sowie der Aussetzungs- und Anspruchszinsen betreffend die Veranlagung zur Einkommensteuer 2008 gem § 236 BAO
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen und Auftrag unserer oben angeführten Mandantschaft erheben wir gegen den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom innerhalb offener Rechtsmittelfrist das Rechtsmittel der
Beschwerde
und stellen den
Antrag
den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom aufzuheben.
Wir begründen unseren Antrag damit, dass die Festsetzung von Aussetzungszinsen auf der mit Einkommensteuerbescheid 2008 vom vorgeschriebenen Nachzahlung iHv EUR 154.986,39 beruht. Der Einkommensteuerbescheid ist jedoch gem § 295 BAO aufzuheben. Hierzu verweisen wir auf den Antrag auf Aufhebung gern § 295 Abs 1 und Abs 4 BAO vom .
Antrag auf Nachsicht der Einkommensteuer 2008 sowie der Aussetzungs- und Anspruchszinsen gem § 236 BAO
Fällige Abgaben können gem § 236 BAO ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Voraussetzung für die Gewährung einer Nachsicht ist demnach das Vorliegen einer Unbilligkeit der Einhebung, welche in den Besonderheiten des Einzelfalles gelegen sein muss.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein.
Sachliche Unbilligkeit
Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einer anormalen Belastungswirkung und - verglichen mit ähnlichen Fällen - zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen. Der in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat.
Änderungsbescheide iSd § 295 BAO sind von einem rechtsgültigen Grundlagenbescheid abzuleiten. Anpassungen des Grundlagenbescheides sind aufgrund der Regelungen des § 295 BAO stets mittels Änderungsbescheides auf den Abgabenbescheid zu übertragen. Im Falle der nachträglichen Aufhebung des Grundlagenbescheides ist der davon abgeleitete Bescheid gänzlich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen zur Erlassung des Abgabenbescheides nicht mehr vorliegen. Auch Anspruchs- und Aussetzungszinsen haben als Nebenansprüche jeweils eine rechtmäßige, per Bescheid vorgeschriebene Abgabe als Grundlage. Fällt der Anspruch auf die Abgabe im Nachhinein weg (etwa aufgrund einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren), sind stets auch die damit verbundenen Nebenansprüche herabzusetzen. Es entspricht somit dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnis, dass Nebenansprüche nur dann eingehoben werden, wenn auch die zugrundeliegende Abgabe rechtmäßig vorgeschrieben wurde.
Die den Zinsen zugrundeliegende Abgabe ist die mit Bescheid vom vorgeschriebene Nachzahlung an Einkommensteuer iHv EUR 154.986,39. In der Rechtsmittelbelehrung zu diesem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid nicht mit der Begründung angefochten werden könne, dass die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend seien.
Die vorgeschriebene Einkommensteuer resultiert aus der gem § 295 Abs 1 BAO vorgenommenen Ableitung vom Bescheid des Finanzamtes Waldviertel über die Feststellung von Einkünften gem § 188 BAO für das Jahr 2008 vom zu Steuernummer ***AB_StrNr*** (=Feststellungsbescheid). Der maßgebliche Einkommensteuerbescheid ist somit ein Änderungsbescheid gem § 295 Abs 1 BAO.
Gegen diesen Feststellungsbescheid wurde am das Rechtsmittel der Berufung erhoben und eine Aussetzung der Einhebung der Abgaben gem § 212a BAO beantragt.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 wurde aufgrund der oben zitierten Rechtsmittelbelehrung kein Rechtsmittel erhoben.
Das Bundesfinanzgericht erkannte im Beschluss vom (GZ.RV/7103130/2013) - dh mehr als sieben Jahre nach der Berufung und mehr als zehn Jahre nach Entstehen des Abgabenanspruchs - dass sämtliche, bisher in den Feststellungsverfahren 2008 und 2009 der ***AB*** erlassenen Feststellungsbescheide "Nichtbescheide" darstellten und damit unwirksam sind. Die Beschwerde (Berufung) wurde daher als unzulässig zurückgewiesen.
Die für die Berechnung der Zinsen maßgebliche Einkommensteuer 2008 wurde folglich von einem nichtigen Bescheid abgeleitet. Damit ist der Änderungsbescheid zweifellos rechtswidrig ergangen und wäre in meritorischer Erledigung einer Beschwerde aufzuheben gewesen. Auch die nachträgliche Erlassung eines gültigen Grundlagenbescheides würde die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheides nicht sanieren (VwGH 24.11.19998, 93/14/0203).
Ein Rechtsmittel gegen den Feststellungsbescheid und damit mittelbar gegen den Änderungsbescheid ist nur daher derzeit nicht anhängig, weil das Finanzamt Waldviertel es bisher verabsäumte - nach mehr als zehn Jahren nach Einreichung der Feststellungserklärung - einen gültigen Feststellungsbescheid zu erlassen und das Wohnsitzfinanzamt den Abgabepflichtigen aufgrund einer falschen Rechtsmittelbelehrung in der Möglichkeit der Verfolgung seiner Rechte behindert hat. Die Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Änderungsbescheid erschien daher aussichtslos und wurde auch in einem Fall mit der Begründung abgelehnt, dass eben eine Beschwerde nur gegen Feststellungsbescheid vorgesehen sei.
Hätte zudem das BFG innerhalb der in § 291 BAO gesetzlich normierten Entscheidungsfrist von höchstens 6 Monaten entschieden und nicht erst nach 14-facher Überschreitung der maximalen Frist, hätte der Steuerpflichte die Aufhebung des Änderungsbescheides ohne jeglichen Zweifel gem § 295 BAO mit Erfolg beantragen können.
Der Vorschreibung der maßgeblichen Abgaben und Nebenansprüche war daher nur aufgrund vielfältiger Versäumnisse der Behörden - Verletzung der Entscheidungsplicht, Erlassung eines ungültigen Feststellungsbescheides, Ableitung von Abgaben von einem Nichtbescheid, irreleitende Rechtsmittelbelehrung und 14-fache Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen Frist - möglich.
Es liegt daher ein offener Widerspruch in der Rechtsanwendung vor, der ausschließlich aufgrund eines außergewöhnlichen und gesetzeswidrigen Geschehensablaufs möglich war, der eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat.
Auch gem der Rechtsprechung des BFG steht außer Zweifel, dass es unbillig wäre, von einem Abgabepflichtigen, dem in einem von der Abgabenbehörde angestrengten Verfahren eine Abgabe aufgrund der unrichtigen Lösung einer maßgeblichen Rechtfrage zweifelsfrei unrechtmäßig vorgeschrieben wurde, die Entrichtung dieser Abgabe trotz Fehlens eines materiell-rechtlichen Anspruches nur aufgrund der (formal) rechtswirksamen Vorschreibung zu verlangen ( GZ. RV/2100561/2019). Demzufolge ist es auch unbillig, Abgaben nur aufgrund des Eintritts der formalen Rechtskraft des abgeleiteten Bescheides einzuheben, wenn zweifelsfrei feststeht, dass kein rechtswirksamer Grundlagenbescheid existiert und der Abgabenbescheid somit mit einem wesentlichen, nicht sanierbaren Rechtsmangel behaftet ist.
Das Bundesfinanzgericht erkannte mit Beschluss vom (GZ.RV/7103130/2013), dass im Feststellungsverfahren 2008 und 2009 der ***AB*** keine rechtsgültigen Feststellungsbescheide erlassen wurden. Dennoch erfolgte die Veranlagung der Einkommensteuer 2008 auf Basis der Nichtbescheide. Der Einkommensteuerbescheid 2008 (Änderung gem § 295 Abs 1 BAO zu Bescheid vom ) vom , der Anspruchszinsenbescheid vom sowie der Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom sind somit - mangels Grundlagenbescheides - mit einem wesentlichen Rechtsmangel behaftet.
Folglich ist die Einhebung der unten angegebenen Abgaben unbillig und gem § 236 BAO nicht vorzunehmen.
Einkommensteuer 2008 iHv EUR 153.645,27
Anspruchszinsen 2008 iHv EUR 10.629,89
Aussetzungszinsen 2019 iHv EUR 19.416,85
Conclusio
Die Einhebung der Einkommensteuer 2008 iHv EUR 153.645,27, der Anspruchszinsen 2008 iHv EUR 10.629,89 sowie der Aussetzungszinsen 2019 iHv EUR 19.416,85 wäre unbillig und ist daher gem § 236 BAO nicht vorzunehmen.
Mit dem Ersuchen um antragsgemäße Erledigung verbleiben wir mit freundlichen Grüßen."
Bescheid
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag auf Nachsicht ab. Die Begründung lautet:
"Gemäß § 236 BA0 können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.
Da noch bescheidmäßig über die Feststellungserklärung des Jahres 2008 zu 23-***AB_StrNr*** abzusprechen sein wird und die Festsetzung der Einkommensteuer der an diesem Feststellungsverfahren Beteiligten mittelbar von diesem Feststellungsbescheid abhängig ist, kann erst nach Eintritt der Rechtskraft der Abgabenbescheide über die sachliche Unbilligkeit abgesprochen werden. Die Einhebung von Aussetzungszinsen ist nicht sachlich unbillig, da diese durch einen vom Abgabepflichtigen selbst eingebrachten Antrag auf Aussetzung der Einhebung ausgelöst werden. Der Abgabepflichtige kann jederzeit durch Entrichtung der ausgesetzten Beträge das Entstehen der Aussetzungszinsen verhindern. Tut er das nicht und konsumiert den Zahlungsaufschub, lukriert er dadurch auch einen entsprechenden Zinsengewinn. Auch die Einhebung der Anspruchszinsen ist nicht sachlich unbillig.
Anspruchszinsen i.S.d. § 205 BA0 sind eine objektive Rechtsfolge, um (mögliche) Zinsvorteile auszugleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzung ergeben. Aufgrund obiger Ausführungen liegt Unbilligkeit nicht vor und fehlt somit die gesetzliche Voraussetzung für eine Nachsicht. Das Ansuchen war daher aus Rechtsgründen abzuweisen."
Beschwerde
Mit Schreiben vom , bei der belangten Behörde eingelangt am , erhob der Beschwerdeführer Beschwerde wie folgt:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen und Auftrag unserer oben angeführten Mandantschaft erheben wir gegen den Bescheid über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten vom innerhalb offener Rechtsmittelfrist (die Rechtmittelfrist ist gewahrt, da die Rechtsmittelfrist gem § 245 Abs 1 einen Monat beträgt, daher grundsätzlich bis zum . Aufgrund des durch das 2. Covid-19 Gesetz neu eingeführten S 323c BAO sind Fristen, die bis zum noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des unterbrochen. Sie beginnen mit neu zu laufen. Die Rechtsmittelfrist läuft daher gern § 245 Abs 1 BAO bis ) das Rechtsmittel der
BESCHWERDE
und stellen den
ANTRAG,
den Bescheid über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten vom in der Form abzuändern, sodass unserem Antrag auf Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten vollinhaltlich stattgegeben wird.
Zudem stellen wir den
ANTRAG,
die Gründe hinsichtlich der Unbilligkeit der Einhebung während eines persönlichen Gesprächs zur Wahrung des Parteigengehörs gem § 115 (2) BAO noch vor der Erlassung der Beschwerdevorentscheidung zu erläutern."
Am erließ die belangte Behörde einen Mängelbehebungsauftrage weil der Beschwerde vom die Begründung fehlt.
Innerhalb der gesetzten Frist langte nachfolgende Mängelbehebung bei der belangten Behörde ein:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen und Auftrag unserer oben angeführten Mandantschaft reichen wir hiermit zur Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages vom die Begründung zur Beschwerde gegen den Bescheid vom , mit dem der Antrag auf Nachsicht gem. § 236 BAO vom abgewiesen wurde, nach.
Begründung
Fällige Abgaben können gem. § 236 BAO ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Voraussetzung für die Gewährung einer Nachsicht ist demnach das Vorliegen einer Unbilligkeit der Einhebung, welche in den Besonderheiten des Einzelfalles gelegen sein muss.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein.
Sachliche Unbilligkeit:
Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einer anormalen Belastungswirkung und - verglichen mit ähnlichen Fällen - zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen. Der in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat.
Änderungsbescheide i.S.d. § 295 BAO sind von einem rechtsgültigen Grundlagenbescheid abzuleiten. Anpassungen des Grundlagenbescheides sind aufgrund der Regelungen des § 295 BAO stets mittels Änderungsbescheides auf den Abgabenbescheid zu übertragen. Im Falle der nachträglichen Aufhebung des Grundlagenbescheides ist der davon abgeleitete Bescheid gänzlich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen zur Erlassung des Abgabenbescheides nicht mehr vorliegen. Auch Anspruchs- und Aussetzungszinsen haben als Nebenansprüche jeweils eine rechtmäßige, per Bescheid vorgeschriebene Abgabe als Grundlage. Fällt der Anspruch auf die Abgabe im Nachhinein weg (etwa aufgrund einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren), sind stets auch die damit verbundenen Nebenansprüche herabzusetzen. Es entspricht somit dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnis, dass Nebenansprüche nur dann eingehoben werden, wenn auch die zugrundeliegende Abgabe rechtmäßig vorgeschrieben wurde.
Die den Zinsen zugrundeliegende Abgabe ist die mit Bescheid vom vorgeschriebene Nachzahlung an Einkommensteuer iHv EUR 154.986,39. In der Rechtsmittelbelehrung zu diesem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid nicht mit der Begründung angefochten werden könne, dass die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend seien.
Die vorgeschriebene Einkommensteuer resultiert aus der gem § 295 Abs 1 BAO vorgenommenen Ableitung vom Bescheid des Finanzamtes Waldviertel über die Feststellung von Einkünften gem §188 BAO für das Jahr 2008 vom zu Steuernummer ***AB_StrNr*** (=Feststellungsbescheid). Der maßgebliche Einkommensteuerbescheid ist somit ein Änderungsbescheid gern § 295 Abs 1 BAO.
Gegen diesen Feststellungsbescheid wurde am das Rechtsmittel der Berufung erhoben und eine Aussetzung der Einhebung der Abgaben gem § 212a BAO beantragt. Gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 wurde aufgrund der oben zitierten Rechtsmittelbelehrung kein Rechtsmittel erhoben.
Das Bundesfinanzgericht erkannte im Beschluss vom (GZ.RV/7103130/2013) - dh mehr als 7 Jahre nach der Berufung und mehr als 10 Jahre nach Entstehen des Abgabenanspruchs - dass sämtliche, bisher in den Feststellungsverfahren 2008 und 2009 der ***AB*** erlassenen Feststellungsbescheide "Nichtbescheide" darstellten und damit unwirksam sind. Die Beschwerde (Berufung) wurde daher als unzulässig zurückgewiesen.
Die für die Berechnung der Zinsen maßgebliche Einkommensteuer 2008 wurde folglich von einem nichtigen Bescheid abgeleitet. Damit ist der Änderungsbescheid zweifellos rechtswidrig ergangen und wäre in meritorischer Erledigung einer Beschwerde aufzuheben gewesen. Auch die nachträgliche Erlassung eines gültigen Grundlagenbescheides würde die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheides nicht sanieren ().
Ein Rechtsmittel gegen den Feststellungsbescheid und damit mittelbar gegen den Änderungsbescheid ist nur daher derzeit nicht anhängig, weil das Finanzamt Waldviertel es bisher verabsäumte - nach mehr als 10 Jahren nach Einreichung der Feststellungserklärung - einen gültigen Feststellungsbescheid zu erlassen und das Wohnsitzfinanzamt den Abgabepflichtigen aufgrund einer falschen Rechtsmittelbelehrung in der Möglichkeit der Verfolgung seiner Rechte behindert hat. Die Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Änderungsbescheid erschien daher aussichtslos und wurde auch in einem Fall mit der Begründung abgelehnt, dass eben eine Beschwerde nur gegen den Feststellungsbescheid vorgesehen sei.
Hätte zudem das BFG innerhalb der in § 291 BAO gesetzlich normierten Entscheidungsfrist von höchstens 6 Monaten entschieden und nicht erst nach 14-facher Überschreitung der maximalen Frist, hätte der Steuerpflichte die Aufhebung des Änderungsbescheides ohne jeglichen Zweifel gem. § 295 BAO mit Erfolg beantragen können.
Der Vorschreibung der maßgeblichen Abgaben und Nebenansprüche war daher nur aufgrund vielfältiger Versäumnisse der Behörden - Verletzung der Entscheidungsplicht, Erlassung eines ungültigen Feststellungsbescheides, Ableitung von Abgaben von einem Nichtbescheid, irreleitende Rechtsmittelbelehrung und 14-fache Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen Frist - möglich. Es liegt daher ein offener Widerspruch in der Rechtsanwendung vor, der ausschließlich aufgrund eines außergewöhnlichen und gesetzeswidrigen Geschehensablaufs möglich war, der eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat.
Das Bundesfinanzgericht erkannte mit Beschluss vom (GZ.RV/7103130/2013), dass im Feststellungsverfahren 2008 und 2009 der ***AB*** keine rechtsgültigen Feststellungsbescheide erlassen wurden. Dennoch erfolgte die Veranlagung der Einkommensteuer 2008 auf Basis der Nichtbescheide. Der Einkommensteuerbescheid 2008 (Änderung gem. § 295 Abs 1 BAO zu Bescheid vom ) vom , der Anspruchszinsenbescheid vom sowie der Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom sind somit * mangels Grundlagenbescheides - mit einem wesentlichen Rechtsmangel behaftet.
Folglich ist die Einhebung der unten angegebenen Abgaben unbillig und gem. § 236 BAO nicht vorzunehmen.
Einkommensteuer 2008 iHv EUR 153.645,27
Anspruchszinsen 2008 iHv EUR 10.629,89
Aussetzungszinsen 2019 iHv EUR 19.416,85
Conclusio
Die Einhebung der Einkommensteuer 2008 iHv EUR 153.645,27, der Anspruchszinsen 2008 iHv EUR 10.629,89 sowie der Aussetzungszinsen 2019 iHv EUR 19.416,85 wäre unbillig und ist daher gem. § 236 BAO nicht vorzunehmen.
Mit dem Ersuchen um antragsgemäße Erledigung verbleiben wir mit freundlichen Grüßen."
Beschwerdevorentscheidung
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die Begründung dazu lautet:
"Fällige Abgabenschuldigkeiten können gemäß § 236 Abs. 1 BAO auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Diese Bestimmung findet gemäß § 236 Abs. 2 BAO auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein (vgl. § 1 der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung BGB. II Nr. 435/2005).
Eine sachliche Unbilligkeit ist unbeschadet der in § 3 der genannten Verordnung beispielsweise aufgezählten Fälle nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. etwa ).
Ein Umstand, der auch bei allen anderen Abgabepflichtigen in der gleichen Lage hätte eintreten können und den der Gesetzgeber daher hätte voraussehen können, vermag nicht zur Annahme der Unbilligkeit zu führen ().
Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (vgl. zusammenfassend mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Stoll, BAO, 2436). Ein Nachsichtsverfahren ersetzt weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes (vgl. bis 0081, mwN).
Im vorliegenden Fall wurde betreffend der Abgaben, deren Nachsicht begehrt wird, entweder kein Rechtsmittel oder ein Rechtsmittel nicht erfolgreich eingebracht. Im Übrigen ist die Frage, ob die Abgaben dem Grunde nach zu Recht festgesetzt wurden, im Hinblick auf das offene Rechtsmittelverfahren betreffend den ursächlichen Feststellungsbescheid noch nicht geklärt. Da somit vom Beschwerdeführer keine Umstände dargelegt wurden, die eine Unbilligkeit der Entrichtung der Abgaben selbst begründen würden, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen (vgl. ; )."
Vorlageantrag
Mit Vorlageantrag vom beantragte der Beschwerdeführer, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen und verwies auf seine bisherigen Ausführungen.
Vorlagebericht
Im Anschluss daran wurden die Beschwerdeakten dem Bundesfinanzgericht vorgelegt und vom Finanzamt als belangter Behörde im Vorlagebericht angeführt, dass der ESt-Bescheid 2008 am gem. § 295 Abs. 1 BAO geändert wurde und unbekämpf blieb.
"Die Einhebung der ESt 2008 und der Anspruchszinsen 2008 wurde über Antrag des Bf. iHa auf das offene Beschwerdeverfahren beim Feststellungsverfahren zu St.Nr. 23-***AB_StrNr*** mit Bescheid vom ausgesetzt. Dieses Beschwerdeverfahren im Feststellungsverfahren wurde mit dem , beendet, worin das BFG die Feststellungsbescheide für 2008 als Nichtbescheide qualifizierte.
IHa diese Beendigung des der AE zugrundeliegenden Beschwerdeverfahrens wurde beim Bf. mit Bescheiden vom der Ablauf der Aussetzung der Einhebung der ESt 2008 und der Anspruchszinsen verfügt als auch Aussetzungszinsen iHv € 19.416,85 festgesetzt.
Am erging im Feststellungsverfahren zu St.Nr. 23-***AB_StrNr*** für das Jahr 2008 ein Feststellungsbescheid, der inhaltlich ident mit dem "Nichtbescheid" ist. Dieser Bescheid wurde wiederum bekämpft und die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vorgelegt (RV/7101984/2020).
In der Eingabe des Bf. vom beantragte der Bf. "in eventu" die Nachsicht der ESt 2008, der diesbezüglichen Anspruchszinsen und Aussetzungszinsen gem. § 236 BAO. Begründet wurde das Ansuchen damit, dass die Einhebung unrechtmäßig vorgeschriebener Abgaben sachlich unbillig sei. Da dieser Antrag entgegen der Formulierung "in eventu" inhaltlich nicht unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wurde, dass ein anderer Antrag erfolglos bleibt, wurde der Nachsichtsantrag vom Finanzamt als eigenständig zu behandelnder Primärantrag gewertet."
Die belangte Behörde beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Am erließ die belangte Behörde einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2008, der eine Nachforderung in Höhe von € 154.986,39 ergab und Anspruchszinsen in Höhe von € 10.629,89 nach sich zog. Ein Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 wurde nicht erhoben. Mit Bescheid vom wurde die Aussetzung der Einhebung dieser Abgaben bewilligt.
Diesem Bescheid lag ein Anbringen zu Grunde, das auf eine Beschwerde gegen einen Feststellungsbescheid an die ***AB*** verwies. Mit Beschluss vom wurde diese Beschwerde zurückgewiesen und dieses Beschwerdeverfahren beendet.
Am setzte die belangte Behörde die strittigen Aussetzungszinsen in Höhe von € 19.416,85 fest, nachdem ebenfalls am der Ablauf der Aussetzung der Einhebung verfügt wurde.
Einen Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 hat die belangten Behörde mit Bescheid vom zurückgewiesen.
Am hat der Beschwerdeführer einen Nachsichtsantrag gestellt, der die Einkommensteuernachforderung, die Anspruchszinsen und die Aussetzungszinsen umfasst. Strittig ist, ob die Abweisung dieses Antrages zu Recht erfolgte.
Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich grundsätzlich aus den vorgelegten Aktenteilen und sind unstrittig.
Der Bescheid über die Abweisung des Nachsichtsantrages wurde am , somit nach dem erlassen. Die dagegen gerichtete Beschwerde langte am ein. Auf die verlängerte Beschwerdefrist wegen der COVID-19-Krise wurde hingewiesen.
Die Höhe der Einkommensteuernachforderung und der Anspruchszinsen ergibt sich einerseits aus dem Bescheid über die Bewilligung der Aussetzung der Einhebung vom und andererseits aus den Angaben in der Beschwerde vom .
Die Feststellung, dass gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 vom kein Rechtsmittel erhoben wurde ergibt sich unter anderem aus den Ausführungen im Nachsichtsantrag vom ; darin wird erläutert, dass sich aus dem zurückweisenden Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom ergibt, dass der Änderungsbescheid (Einkommensteuerbescheid 2008) rechtswidrig ergangen ist und "in meritorischer Erledigung einer Beschwerde aufzuheben" gewesen wäre. Schließlich wird auf Seite drei des Anbringens noch angeführt, dass die Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Änderungsbescheid aussichtslos erschien.
Rechtsgrundlagen
§ 236 BAO lautet:
§ 236. (1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
(3) Die Bestimmungen des § 235 Abs. 2 und 3 gelten auch für die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten.
§§ 1 - 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO (BGBl. II Nr. 435/2005 idF BGBl. II Nr. 236/2019) lauten:
§ 1. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.
§ 2. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung
1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;
2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.
§ 3. Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches
1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder
b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.
Rechtliche Beurteilung
Eventualantrag:
Ein Eventualantrag ist grundsätzlich zulässig, wobei bei einer solchen Verfahrensgestaltung die Behörde über den Primärantrag zu erkennen und nur bei dessen Verneinung über den Eventualantrag zu entscheiden hat (). Das Wesen eines solchen Antrags ist darin gelegen, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der jeweilige Primärantrag erfolglos bleibt (). Solange der Primärantrag nicht rechtskräftig abgewiesen wurde, kann keine Entscheidungspflicht über den Eventualantrag bestehen ().
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes (zB ). Parteierklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d.h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt.
Im Schriftsatz vom wendet sich der Beschwerdeführer im Rahmen einer Beschwerde gegen einen Bescheid betreffend Aussetzungszinsen. Diese Aussetzungszinsen betrugen € 19.416,85. Hingegen betrifft der - laut Betreff nur eventualiter - gestellte Nachsichtsantrag neben den Aussetzungszinsen auch noch die Anspruchszinsen in Höhe von € 10.629,89 sowie einen Einkommensteuerbetrag in Höhe von EUR 153.645,27. Die Begründung dieses Schriftsatzes vom befasst sich ausschließlich mit dem - laut Betreff nur eventualiter - gestellten Nachsichtsantrag. Schon daraus ergibt sich, dass die begehrte Nachsicht nicht nur für den Fall gestellt wurde, dass die Beschwerde gegen den Aussetzungszinsenbescheid abgewiesen wurde.
Nachsicht:
Gemäß § 236 Abs 1 und 2 BAO können fällige, aber auch bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, wonach die "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" wäre (). Bejaht die Abgabenbehörde das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Ist die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu verneinen, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (; sowie Stoll, BAO, 583).
Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungslast und Beweislast naturgemäß beim Nachsichtswerber. Seine Sache ist es, einwandfrei und unter Ausschluß jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann. Bei Prüfung eines Nachsichtsansuchens sind alle Umstände des Einzelfalles, und zwar im Zeitpunkt der Entscheidung (Rechtsmittelentscheidung), zu berücksichtigen, um zur Erkenntnis zu gelangen, ob Unbilligkeit vorliegt (; ).
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Nachsicht nach § 236 BAO ausgesprochen, dass eine persönliche Unbilligkeit einer Abgabenbelastung in einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen besteht. Eine solche Unbilligkeit ist stets gegeben, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährdet (). Diese Existenzgefährdung müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein. Eine - unbestrittene - Verminderung der Liquidität reicht jedoch für die Annahme einer Existenzgefährdung nicht aus (). Einen solchen Sachverhalt hat der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet.
Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. z.B. , mwN). Ein Umstand, der auch bei allen anderen Abgabepflichtigen in der gleichen Lage hätte eintreten können und den der Gesetzgeber daher hätte voraussehen können, vermag nicht zur Annahme der Unbilligkeit zu führen ().
Nachsicht für Einkommensteuer:
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2008/15/0270, ausgesprochen, dass keine sachliche Unbilligkeit vorliegt, wenn ein Fehler in der Lohnsteuerberechnung in der vom Gesetz festgelegten Weise hätte beseitigt werden können und der für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung dazu ausreichende Erstattungsantrag nach § 240 Abs. 3 BAO unterlassen wurde. Nichts anderes gilt auch, wenn es unterlassen wurde, gegen einen Abgabenbescheid das Rechtsmittel der Beschwerde (bzw damals: Berufung) zu erheben oder es unterlassen wurde, zeitgerecht einen Antrag nach § 295 Abs 4 BAO zu stellen. Der Umstand, dass die seinerzeitige Zurückweisung des Antrages gemäß § 295 Abs. 4 BAO auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhte, führt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Einzelfall (); abgesehen davon, ist das diesbezügliche Beschwerdeverfahren noch anhängig.
Handelt es sich bei einer als Feststellungsbescheid intendierten Erledigung jedoch um einen "Nichtbescheid", ist eine daraufgestützte Änderung gemäß § 295 Abs 1 BAO rechtswidrig. Der gemäß § 295 Abs 1 BAO geänderte Bescheid wäre im Falle seiner Bekämpfung mit Beschwerde aufzuheben. Wird gegen einen gemäß § 295 Abs 1 BAO abgeleiteten Bescheid aber kein Rechtsmittel erhoben, entsteht für den Fall einer späteren Zurückweisung der Rechtsmittel gegen die als Grundlagenbescheide herangezogenen Erledigungen das Erfordernis einer Rechtskraftdurchbrechung, um diesen Bescheid zu beseitigen (vgl. Drapela/Knechtl/Moser/Wagner, SWK-Spezial Die Personengesellschaft in der Steuererklärung 2019, 44).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichts liegt keine Unbilligkeit vor, wenn eine Einkommensteuervorschreibung auf einen Feststellungsbescheid zurückzuführen ist, der sich (nachträglich) als Nichtbescheid herausstellt (; ; ).
Nachsicht für Anspruchszinsen:
Der Zweck der Anspruchszinsenregelung besteht darin, mögliche Zinsvorteile bzw. Zinsnachteile, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzung ergeben, auszugleichen. Entscheidend ist dabei die objektive Möglichkeit der Erzielung von Zinsvorteilen bzw. Zinsnachteilen, nicht, ob tatsächlich Zinsen in Höhe der festgesetzten Anspruchszinsen lukriert werden konnten. Nach § 205 Abs. 1 BAO sind jeweils Differenzbeträge zu verzinsen, insbesondere jene, die sich aus einer Gegenüberstellung einer neuerlichen Abgabenfestsetzung mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben. Bei Abänderungen von Abgabenfestsetzungen ergibt sich der zinsenrelevante Differenzbetrag also aus der nunmehr vorgeschriebenen Abgabe abzüglich der bisher vorgeschriebenen Abgabe (). Die Vorschreibung der Anspruchszinsen stellt daher eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage dar, die jeden vom betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen gleichermaßen trifft. Eine sachliche Unbilligkeit ist darin nicht zu erblicken.
Nachsicht für Aussetzungszinsen:
Eine beantragte Aussetzung der Einhebung führt grundsätzlich zu Aussetzungszinsen. Die Einhebung von Aussetzungszinsen ist im Hinblick darauf, dass diese Zinsen durch den vom Abgabepflichtigen eingebrachten Antrag auf Aussetzung der Einhebung strittiger Abgaben ausgelöst wurden, nicht sachlich unbillig, zumal den Aussetzungszinsen der Aspekt des Zinsengewinnes durch den Zahlungsaufschub beim Abgabepflichtigen gegenübersteht (; ). Sollen Aussetzungszinsen vermeiden oder gering gehalten werden, kann entweder von einer Antragstellung gemäß § 212a Abs. 1 BAO Abstand genommen werden oder es kann - wenn ein Antrag auf Aussetzung bereits bewilligt wurde - der dadurch bewirkten Zahlungsaufschub jederzeit durch die in § 212a Abs. 8 BAO vorgesehene Tilgung beendet werden (vgl. ). Insofern liegt auch hinsichtlich der Aussetzungszinsen keine Unbilligkeit vor.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Zulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Daher liegt kein Grund für eine Revisionszulassung vor.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7103716.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at