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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.01.2021, RV/5101306/2020

Keine rückwirkende Feststellung des Behinderungsgrades durch das Sozialministeriumservice

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 Steuernummer 41-***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf) reichte die Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2019 am elektronisch beim Finanzamt ein. Unter anderem machte er außergewöhnliche Belastungen aufgrund eines Behinderungsgrades von 50 %, den Freibetrag für ein eigenes Kfz bei Gehbehinderung und zusätzliche Kosten von 994,20 € geltend.

Mit Ergänzungsersuchen vom gleichen Datum forderte das Finanzamt den Bf auf, durch Vorlage der dort näher bezeichneten Unterlagen einen Nachweis für die beantragten außergewöhnlichen Belastungen zu erbringen.

Mit Schreiben vom verwies der Bf darauf, dass seine Erkrankung im Juni 2019 diagnostiziert worden sei und er sich seither in ständiger Behandlung befinde.

Sein Kfz habe er im September 2019 gegen ein anderes getauscht und auf den Namen seiner Lebensgefährtin angemeldet - ausschließlich zu seiner Verwendung! 2020 habe er das Kfz wieder auf seinen Namen gemeldet; daher habe er für 2019 keinen Zulassungsschein.

Der Bf legte ein Schreiben des Sozialministeriumservice vom bei, mit welchem ihm mitgeteilt wurde, dass aufgrund seines Antrages vom als Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt werde. Unter anderem liege die Voraussetzung für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" vor.

Der unbefristet ausgestellte Behindertenpass werde in den nächsten Tagen übermittelt werden.

Mit weiterem beigelegten Schreiben des Sozialministeriumservice vom wurde dem Bf der beantragte Parkausweis (Ausweis gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung) übermittelt.

Zum Ansuchen des Bf vom um Gewährung der Befreiung von der motorbezogenen Versicherungssteuer wurde ihm mitgeteilt, dass die Befreiung ab für das dort näher bezeichnete Kfz zuerkannt werde.

Ausgaben für Medikamente, Heilbehelfe, Sehhilfen, Krankenhausaufenthalte usw. in Höhe von 916,55 € belegte der Bf durch beigefügte Rechnungskopien.

Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom erging ohne Berücksichtigung der pauschalen Freibeträge für einen Behinderungsgrad von 50 % und für die Benützung eines eigenen Kfz aufgrund einer Gehbehinderung.

In der Bescheidbegründung wurde darauf verwiesen, dass die Bescheinigungen des Sozialministeriumservice für das Finanzamt verbindlich seien. Da sowohl der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses als auch der Bescheid aus dem Jahr 2020 seien, könnten die pauschalen Freibeträge 2019 nicht berücksichtigt werden.

Die übrigen außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 994,20 € hätten ebenfalls nicht berücksichtigt werden können, weil die Aufwendungen niedriger seien als der Selbstbehalt von 7.946,42 €.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid ersuchte der Bf um Berücksichtigung der pauschalen Freibeträge für 2019, weil seine Erkrankung, wie dies Krankenhausaufenthalte und andere Atteste belegten, im Jahr 2019 aufgetreten sei. Nach Auskunft seines Steuerberaters gebe es für die Möglichkeit der Berücksichtigung in solchen Angelegenheiten entsprechende Erkenntnisse des OGH. Als schwer Erkrankter ersuche er daher nochmals, die pauschalen Freibeträge bei Ermittlung der Einkommensteuer 2019 zu berücksichtigen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und verwies auf die Begründung im Erstbescheid. Da der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses im Jahr 2020 gestellt worden und auch der Bescheid im Jahr 2020 ausgestellt worden sei, könnten die pauschalen Freibeträge 2019 nicht berücksichtigt werden.

Mit als "Berufung gegen die Beschwerdevorentscheidung vom " bezeichnetem Vorlageantrag vom verwies der Bf auf die Diagnose und den Beginn der Therapie der Krebserkrankung - Multiples Myelom IgA-Kappa und Amyliodose der Zunge im Herbst 2019. Der diesbezügliche Befund liege bei.

Der Bf ersuche, einem schwer an Krebs erkrankten Menschen die steuerliche Begünstigung bei der Arbeitnehmerveranlagung 2019 zu gewähren.

Dem Vorlageantrag legte er einen am unterschriebener Aufklärungsbogen betreffend eine Chemotherapie bei multiplem Myelom IgA-Kappa bei.

Im Vorlagebericht vom verwies das Finanzamt abermals darauf, dass die erforderlichen Nachweise zur Berücksichtigung pauschaler Freibeträge wegen Behinderung erst 2020 ausgestellt worden seien.

In einer Ergänzung vom zur Beschwerdevorlage brachte der Bf vor, dass er vor der Entscheidungsfindung nochmals auf die Diagnose und beginnende Therapie seiner Erkrankung im Jahr 2019 hinweisen wolle. Der Befund des Krankenhauses sei dem Finanzamt übermittelt worden.

Auf die Möglichkeit eines Behindertenpasses sei er leider erst 2020 während einer Behandlung im Krankenhaus durch die Sozialabteilung aufmerksam gemacht worden. Er ersuche um Nachsicht, dass der Nachweis des Sozialministeriumservice deshalb erst 2020 erbracht worden sei. Weiters ersuche er, für einen schwer und unheilbar erkrankten Menschen eine menschliche und akzeptable Lösung bzw. Entscheidung zu finden.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ist unbestritten und ergibt sich aus den dem Bundesfinanzgericht vorgelegten Aktenteilen.

Rechtslage

Nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 steht einem Steuerpflichtigen, der außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat und der keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) erhält, ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

Nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 bestimmt sich die Höhe des Freibetrages nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung).

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

- Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente;

- die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern;

- in allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (kurz: Sozialministeriumservice).

Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 % bis 54 % wird ein jährlicher Freibetrag von 401,00 € gewährt (Abs. 3).

Nach § 35 Abs. 7 EStG 1988 kann der Bundesminister für Finanzen nach den Erfahrungen der Praxis im Verordnungsweg Durchschnittssätze für die Kosten bestimmter Krankheiten sowie körperlicher und geistiger Gebrechen festsetzen, die zu Behinderungen im Sinne des Abs. 3 führen.

Die vom Bundesminister für Finanzen erlassene Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996 idF BGBl II 91/1998, BGBl II 416/2001, BGBl II 430/2010 (in der Folge kurz: VO) lautet auszugsweise, soweit sie für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist:

"§ 1 Abs. 1: Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung, so sind die in den § 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

§ 1 Abs. 2: Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25 % beträgt.

§ 1 Abs. 3: Die Mehraufwendungen gemäß § 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

§ 3 Abs. 1: Für Körperbehinderte, die zur Fortbewegung ein eigenes Kraftfahrzeug benützen, ist zur Abgeltung der Mehraufwendungen für besondere Behindertenvorrichtungen und für den Umstand, dass ein Massenbeförderungsmittel aufgrund der Behinderung nicht benützt werden kann, ein Freibetrag von 190,00 € monatlich zu berücksichtigen. Die Körperbehinderung ist durch eine Bescheinigung gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung 1960 oder einen Bescheid über die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 2 Abs. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1952, gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1992 oder gemäß § 4 Abs. 3 Z 9 des Versicherungssteuergesetzes 1953 nachzuweisen."

Die Anführung der Stellen, die zur Feststellung der Behinderung und des Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. des Grades der Behinderung berufen sind, und ferner die Anordnung, dass der Anspruch auf einen Freibetrag an die Vorlage einer amtlichen Bescheinigung dieser Stellen geknüpft ist lassen erkennen, dass der Gesetzgeber bindende Beweisregeln geschaffen und damit insbesondere die Regel des § 166 BAO, wonach als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht kommt, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist, durchbrochen hat. Der von der Partei vorzulegenden amtlichen Bescheinigung kommt somit feststellende, die Abgabenbehörden bindende Wirkung zu (Althuber/Schimmer in Hofstätter/Reichel, Einkommensteuer: Kommentar, § 35 Tz 4, 62. Lfg., Dezember 2016).

Die Feststellung, ob, ab wann und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist daher bindend von den in § 35 Abs. 2 EStG 1988 genannten Stellen und nicht von der Abgabenbehörde oder dem Bundesfinanzgericht zu treffen.

Die rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses ist grundsätzlich nicht möglich. Ist die Behinderung allerdings Folge eines Ereignisses (z.B. eines Unfalls, einer Operation oder eines Spitalsaufenthaltes im Zuge einer schweren Erkrankung) und wird die Behinderung vom Sozialministeriumservice rückwirkend festgestellt, gilt der festgestellte Grad der Behinderung auch für Zwecke der Steuerermäßigung rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses (Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21 § 35 Rz 7/1).

Erwägungen

Strittig ist, ob im Beschwerdejahr pauschale Freibeträge wegen eines Behinderungsgrades von 50 % und wegen der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

Im vorliegenden Fall liegen die dafür geforderten Bescheinigungen für das Beschwerdejahr 2019 unstrittig nicht vor. Sowohl ein Behindertenpass mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" als auch ein Parkausweis gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung wurden erst im Kalenderjahr 2020 ausgestellt.

Anzumerken ist, dass dem Sozialministeriumservice im Zeitpunkt der Antragstellung sowohl der Beginn der Erkrankung als auch die bis dahin vorliegenden Befunde bekannt gewesen sind, eine Bescheinigung, dass der festgestellte Grad der Behinderung bereits ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit bestanden hat, aber dennoch nicht erfolgt ist. Weder bringt der Bf eine rückwirkende Einstufung durch das Sozialministeriumservice bereits ab 2019 vor, noch ist eine solche aktenkundig.

Wegen der bindenden Wirkung der ausgestellten Bescheinigungen sowohl für die Abgabenbehörde als auch das Bundesfinanzgericht ist eine rückwirkende Berücksichtigung nicht möglich.

Dass bereits mit der Diagnose einer schweren Erkrankung im Juni 2019 (laut Schreiben des Bf vom ) oder mit der bevorstehenden Chemotherapie (laut der am unterschriebenen Patientenaufklärung) ein Behinderungsgrad von 50 % und eine dauernde starke Gehbehinderung, welche die Benützung von Massenbeförderungsmitteln unmöglich gemacht hätte, verbunden gewesen wären, ist für das Bundesfinanzgericht nicht zwingend erkennbar, weil bei einer Krebserkrankung eher von einer zunehmenden Verschlechterung des Krankheitsbildes auszugehen ist.

Ein eindeutig feststellbares, einmaliges Ereignis wie ein Unfall oder eine Operation, das die Behinderung zweifelsfrei bereits zu einem bestimmten Datum im Jahr 2019 ausgelöst hätte, ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

Die Pauschbeträge gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 und gemäß § 3 Abs. 1 der o.a. VO können daher im Beschwerdejahr 2019 nicht gewährt werden.

Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da gegenständlich keine Rechtsfragen strittig waren, sondern ausschließlich Fragen des Sachverhaltes im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu klären waren, war eine ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5101306.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at