Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.12.2020, RV/7103504/2019

Bachelor- und Masterstudium bilden gemeinsam kein langes Studium iSd § 2 Abs 1 lit j FLAG 1967

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache der [...] über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages ab Juli 2018 für den Sohn ***S***, SVNR ***2***, zu Recht erkannt:

  • Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

  • Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf) ist kroatische Staatsbürgerin und in Österreich unternehmerisch tätig. Sie ist Mutter eines in Kroatien lebenden und studierenden Sohnes, der im Juni 1994 geboren wurde. Er betreibt dort zügig ein technisches Bachelor- und ein Masterstudium. Die belangte Behörde hat der Bf mit Mitteilung vom für ihren Sohn die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag (im Folgenden kurz: Familienbeihilfe) bis Juni 2018 gewährt. Mit formlosem Schreiben vom beantragt die Bf die Familienbeihilfe für Zeiträume ab Juli 2018, weil ihr Sohn ein sogenanntes "langes Studium" betreibe, weshalb sie einen gesetzlichen Anspruch bis zum 25. Geburtstag im Juni 2019 ihres Sohnes habe. Diesen Antrag hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen, weil die Kombination eines Bachelor- und eines Masterstudiums nicht unter die Begünstigung des § 2 Abs 1 lit j Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) falle.

Strittig ist ausschließlich die Rechtsfrage, ob das vom Sohn betriebene Studium dem § 2 Abs 1 lit j FLAG 1967 unterfällt, wodurch sich der Anspruchszeitraum um ein Jahr verlängern würde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Formalia

Bescheidbeschwerde und Vorlageantrag sind form- und fristgerecht, jedoch unbegründet. Da keine weiteren Anträge gestellt wurden, ist die Rechtsmittelentscheidung durch den Einzelrichter zu treffen (Art 135 Abs 1 B-VG).

Die Mitteilung der belangten Behörde, dass für die Bf in Österreich kein Wohnsitz bekannt sei, entspricht nicht den Tatsachen. Anlässlich eines Telefonats im November 2020 gab die Bf dem BFG ihre neue Adresse bekannt, die in den Spruch des Erkenntnisses aufgenommen wurde. Durch Einsichtnahme in den elektronischen Steuerakt der Bf wurde festgestellt, dass die Bf ihre Einkommen- und Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2019 zu der telefonisch bekannt gegebenen Adresse persönlich am eingebracht hat. Die Bf übt in Österreich offenbar seit 2018 die Tätigkeit einer selbständigen Betreuerin aus. Für die Einreichung von Abgabenerklärungen für das Jahr 2018 wurde um Zuteilung einer Steuernummer für die unternehmerische Tätigkeit ersucht. Das BFG geht davon aus, dass die Bf bei den von ihr betreuten Personen wohnt und dass es sich bei der Adresse um eine Abgabestelle iSd § 2 Z 4 Zustellgesetz handelt, an der die Zustellung behördlicher oder gerichtlicher Erledigungen zulässig ist. Dass die Bf an dieser Adresse nicht gemeldet ist, nimmt dieser Adresse nicht ihre rechtliche Eignung als Abgabestelle.

Rechtsgrundlagen

§ 2 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

"(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

a) (...)

b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. Zeiten als Studentenvertreterin oder Studentenvertreter nach dem Hochschülerschaftsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 22/1999, sind unter Berücksichtigung der Funktion und der zeitlichen Inanspruchnahme bis zum Höchstausmaß von vier Semestern nicht in die zur Erlangung der Familienbeihilfe vorgesehene höchstzulässige Studienzeit einzurechnen. Gleiches gilt für die Vorsitzenden und die Sprecher der Heimvertretungen nach dem Studentenheimgesetz, BGBl. Nr. 291/1986. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung die näheren Voraussetzungen für diese Nichteinrechnung festzulegen. Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres hemmen den Ablauf der Studienzeit. Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird; Gleiches gilt, wenn alle Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Studieneingangs- und Orientierungsphase nach § 66 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, erfolgreich absolviert wurden, sofern diese mit mindestens 14 ECTS-Punkten bewertet werden. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß,

(...)

j) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr vollendet haben bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, bis längstens zum erstmöglichen Abschluss eines Studiums, wenn sie

aa) bis zu dem Kalenderjahr, in dem sie das 19. Lebensjahr vollendet haben, dieses Studium begonnen haben, und

bb) die gesetzliche Studiendauer dieses Studiums bis zum erstmöglichen Studienabschluss zehn oder mehr Semester beträgt, und

cc) die gesetzliche Studiendauer dieses Studiums nicht überschritten wird,

k) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr vollendet haben bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, und die sich in Berufsausbildung befinden, wenn sie vor Vollendung des 24. Lebensjahres einmalig in der Dauer von acht bis zwölf Monaten eine freiwillige praktische Hilfstätigkeit bei einer von einem gemeinnützigen Träger der freien Wohlfahrtspflege zugewiesenen Einsatzstelle im Inland ausgeübt haben; für Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, jedoch nur im Rahmen der in § 2 Abs. 1 lit. b vorgesehenen Studiendauer,

(...)"

§ 13 Abs 2 Studienförderungsgesetz 1992 lautet:

"(2) Unter der vorgesehenen Studienzeit ist jene in Semestern oder Studienjahren definierte Zeitspanne zu verstehen, die in den jeweiligen Studienvorschriften für die Absolvierung eines Studienabschnittes oder eines Studiums festgelegt ist."

Sachverhalt

Der Sohn der Bf wurde im Juni 1994 geboren und hat im Juni 2018 sein 24. Lebensjahr vollendet. Der Sohn wohnt und studiert in Kroatien. Er hat unmittelbar nach der Matura sein von der Bf im Antrag vom als "Erststuflerstudium (lat. Baccalaureus)" und "Diplomstudium" bezeichnete Berufsausbildung absolviert. Der Sohn hat die letzten für das Diplomstudium erforderlichen Prüfungen im September 2018, also während der Nachprüfungszeit, abgelegt. Der Sohn hat beide Studien innerhalb der Mindeststudiendauer von drei und vier Semestern abgeschlossen. Der Antrag auf Familienbeihilfe beschränkt sich nur auf die Dauer von Juli 2018 bis zu dem Monat, in dem die letzte Prüfung für das Masterstudium abgelegt wurde. Das sei, wie der Bf anlässlich eines Telefonats im November 2020 mitteilte, im September 2018 der Fall gewesen. Weiters wurde mitgeteilt, dass eine Wehrdienstpflicht vom Sohn zwischen Matura und Studienbeginn oder während des Studiums nicht erbracht wurde.

Beweismittel:

Diplom der kroatischen Universität, Fakultät für Elektrotechnik, Ingenieurwesen und Informatik, Osijek vom über die Verleihung des Bachelortitels (180 ECTS)

Diplom der kroatischen Universität, Fakultät für Elektrotechnik, Ingenieurwesen und Informatik, Osijek vom über die Verleihung des Magistertitels (120 ECTS)

Beweiswürdigung

Obige Sachverhaltsfeststellung ergab sich schlüssig aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und ist zwischen den Parteien unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die Bf trugt im Beschwerdeverfahren vor, dass das Bachelor- und das anschließende Masterstudium ihres Sohnes zusammen zu betrachten sind und insgesamt ein langes Studium iSd § 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967 darstellen.

Die belangte Behörde vertrat mit dem angefochtenen Bescheid die Ansicht, dass sämtliche Merkmale des § 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967 kumulativ erfüllt sein müssen und dass die Kombination eines Bachelor- und eines Masterstudiums, die erst in Summe zu einer gesetzlichen Studiendauer von 10 Semestern führen, nicht unter leg.cit. fällt.

Laut Sachverhalt hat der Sohn der Bf nach Ablegung der Reifeprüfung unmittelbar das Bachelorstudium begonnen und dieses in der Mindeststudienzeit von sechs Semestern abgeschlossen sowie wiederum unmittelbar daran das viersemestrige Masterstudium angeschlossen. Die letzten Prüfungen des Masterstudiums absolvierte der Sohn in der Nachprüfungszeit, im September 2018.

Die Verlängerung des Anspruchszeitraum steht nur dann zu, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 lit. j Sublit aa) bis cc) FLAG 1967, der wurde durch das Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 111/2010, in das FLAG 1967 eingefügt wurde, kumulativ (gemeinsam) erfüllt werden. Die gemeinsame Erfüllung aller drei in den Sublit aa) bis cc) genannten Voraussetzungen ergibt sich durch die Und-Verknüpfung der Sublit aa) bis cc) leg.cit. Ist nur eines der drei genannten Merkmale nicht erfüllt, fällt der Sachverhalt nicht unter die Bestimmung.

Fraglich ist einzig, wie der Begriff der "gesetzlichen Studiendauer" in lit. cc der genannten Bestimmung auszulegen ist. Diese Frage hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis , beantwortet.

§ 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967 normiert als Voraussetzung für die Verlängerung des Familienbeihilfenanspruchs über die Vollendung des 24. Lebensjahres des Kindes hinaus in lit. cc leg.cit., dass die "gesetzliche Studiendauer" nicht überschritten wird. Dass es für den Familienbeihilfenanspruch nach § 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967 genügen würde, dass sich das Kind "im Rahmen der in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 vorgesehenen Studiendauer" und somit innerhalb der vorgesehenen Studienzeit zuzüglich der in dieser Bestimmung näher geregelten Toleranz- und Verlängerungssemester befindet, ist demnach nicht erkennbar, hätte der Gesetzgeber doch in diesem Fall in § 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967 dieselbe Formulierung wie in § 2 Abs. 1 lit. k FLAG 1967 gewählt. Eine systematische Auslegung führt daher zum Ergebnis, dass mit dem Begriff der "gesetzlichen Studiendauer" nicht die in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 vorgesehene Studiendauer (einschließlich der dort normierten Toleranz- und Verlängerungssemester) gemeint ist (vgl ).

Der Begriff der "gesetzlichen Studiendauer" in § 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967 deckt sich mit dem schon weit früher in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 eingeführten Begriff der "vorgesehenen Studienzeit". Darunter ist nach § 13 Abs. 2 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305/1992, "jene in Semestern oder Studienjahren definierte Zeitspanne zu verstehen, die in den jeweiligen Studienvorschriften für die Absolvierung eines Studienabschnitts oder eines Studiums festgelegt ist". Unter der "gesetzlichen Studiendauer" ist somit die "Mindeststudiendauer" eines Studiums zu verstehen, ohne dass Raum für die Berücksichtigung allfälliger Toleranzsemester bliebe (nochmals VwGH Ra 2018/16/0105, mit Bezug auf Lenneis/Wanke, FLAG2, § 2 Rz 33, 77).

Die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid sind daher rechtlich nicht zu beanstanden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Falllösung war der Begriff der "gesetzlichen Studiendauer" in lit. cc des § 2 Abs 1 lit j FLAG 1967 auszulegen. Diese Rechtsfrage hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis , bereits beantwortet, weshalb die ordentliche Revision auszuschließen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103504.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at