§ 209a (2) iVm § 304 (b) BAO: mittelbare Abhängigkeit des Einkommensteuerverfahrens von der abschließenden Entscheidung zum Wiederaufnahmebescheid (§ 303 (1) BAO)
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom (beim Finanzamt eingelangt am ) gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Zurückweisung eines Antrages vom auf Wiederaufnahme (§ 303 Abs. 1 BAO) des Einkommensteuerbescheides 2010 vom (eingebracht am zur Steuernummer ***BF1StNr1*** ) zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Strittig ist im anhängigen Verfahren die Zulässigkeit der vom Beschwerdeführer (Bf) mit Eingabe an das Finanzamt X (FA) vom beantragten Korrektur des Einkommensteuer- (ESt-) Bescheides 2010 vom im Rahmen einer Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 BAO.
Mit dem - unter Verweis auf eine beiliegende Bescheidkopie - als "Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2010" titulierten Schriftsatz begehrte der Bf die Anpassung der Höhe seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach Abschluss eines Gerichtsverfahrens, in welchem am die Ungültigkeit eines Gesellschafterbeschlusses der Tourismus- GmbH (WWW-GmbH) vom 8.Sept.2010 über die Höhe seiner Geschäftsführerentschädigung festgestellt worden sei. Dieser Gesellschafterbeschluss sei Grundlage für jene Honorarabrechnungen an die WWW-GmbH gewesen, welche seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit im angeschlossenen ESt-Bescheid 2010 zu Grunde liege.
Das FA behandelte die Eingabe vom als Antrag auf Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 BAO zum beigelegten ESt-Bescheid 2010 des Bf vom und wies diesen Antrag mit dem verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid vom wegen eingetretener Verjährung der ESt 2010 gem. § 207 iVm § 304 BAO als unzulässig zurück.
Mit Eingabe vom erhob der Bf "Einspruch gegen den Antrag gem. § 303 (1) BAO vom auf Wiederaufnahme das mit Einkommensteuerbescheid 2010 vom abgeschlossenen Verfahrens". Begründend führte er aus: "das Verfahren war zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen aufgrund eines Einspruchs beim Bundesfinanzgericht".
Allerdings sei seine "Beschwerde vom gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO des Einkommensteuerbescheid 2010 vom " (….) "am als unbegründet abgewiesen" worden, noch vor Abschluss seines Gerichtsverfahrens betreffend die aufgrund des oa. Gesellschafterbeschlusses erfolgten Honorarlegungen an die WWW-GmbH. Aus dem Gerichtsurteil vom gehe nun hervor, dass der Gesellschafterbeschluss vom 8.Sept.2010 ungültig gewesen sei und ihm daher das verrechnete Honorar nicht zustehe. Den betreffenden "Honorarlegungen" seien tatsächlich "ursprünglich gebuchte Aufwendungen wie Reiserechnungen, Flurentschädigungen und sonstige", nicht aber "Entschädigungen für Zeitaufwendungen und sonstige Geschäftsführertätigkeiten" zugrunde gelegen. Aufgrund des Gerichtsurteiles beantrage er nun, seine "Honorarlegungen", die er lt. Verrechnungskonto nachweislich nie ausbezahlt erhalten habe, wieder in die ursprünglich abgerechneten "Reiserechnungen und sonstigen Aufwandsentschädigungen" - wie vor deren Umschreibung in "Honorarlegungen" - umzuwandeln und die bezahlte Einkommensteuer 2010 rückzuerstatten.
Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wies das FA den als Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid vom gewerteten "Einspruch" des Bf als unbegründet ab. In der Begründung verwies die Abgabenbehörde darauf, dass das BFG-Erkenntnis vom , RV/2100885/2014 lediglich den Bescheid vom betreffend die Wiederaufnahme (§ 303 Abs. 1 BAO) des ESt-Bescheides 2010 betroffen habe. Der zugleich ergangene, neue Sachbescheid (ESt-Bescheid 2010 vom ), auf dessen Korrektur sich die Eingabe des Bf vom beziehe, sei dagegen in Rechtskraft erwachsen.
Auf Basis der maßgeblichen Verjährungsbestimmungen sei das Recht zur Festsetzung der ESt 2010 im Fall des Bf Ende 2016 verjährt. Da ein Wiederaufnahmeantrag gemäß § 207 Abs.1 iVm § 304 BAO in der anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 14/2013 vor Eintritt der Verjährung eingebracht werden müsse, sei der Antrag des Bf vom wegen bereits eingetretener Verjährung zurückzuweisen gewesen.
In einem an die Sachbearbeiterin der BVE persönlich adressierten, als "Einspruch gegen die Beschwerdevorentscheidung" betitelten Schriftsatz vom bemängelte der Bf das Fehlen einer expliziten Mitteilung der Verjährungsfrist und wendete sich auch gegen die "angeblich" nur die Wiederaufnahme betreffende Entscheidung des die eine genaue Sachverhaltsdarstellung des Richters enthalte, obwohl das Gerichtsverfahren noch nicht beendet gewesen sei, mit dem die Beschlüsse über seine - nachweislich nur gebuchten aber nie ausbezahlten - Aufwandsentschädigungen als Geschäftsführer aufgehoben wurden. Da er nicht einsehen könne, dass er "der Finanz € 10.580,02 bezahlt habe für nicht erhaltene Ansprüche" beabsichtige er einen Anwalt zu konsultieren.
Im Vorlagebericht vom verwies das FA ergänzend darauf, dass selbst bei Anwendung der ab 1.Jän.2019 geltenden Rechtslage, die Antragstellung im Jahr 2020 betreffend den ESt-Bescheid 2010 vom gemäß § 304 BAO nicht mehr zulässig gewesen wäre.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
I. Der gegenständlichen Entscheidung liegt der folgende verfahrensrelevante Sachverhalt zugrunde, den das BFG aufgrund unbedenklicher abgabenbehördlichen Vorlageunterlagen und Datenbankinhalte als erwiesen erachtet:
Im Verfahren betreffend die ESt 2010 des Bf erließ das FA zunächst am 17.Jän.2012 wegen Nichteinreichung einer Abgabenerklärung einen ESt-Bescheid 2010 auf Basis des § 184 BAO.
Nach einer verspätet eingebrachten Berufung erging der verfahrensgegenständliche ESt-Bescheid 2010 vom als neuer Sachbescheid im gemäß § 303 Abs.1 BAO wiederaufgenommenen Verfahren und erwuchs in Rechtskraft.
Im Rechtsmittelverfahren gegen den zugleich ergangenen Wiederaufnahmebescheid gem. § 303 Abs.1 BAO erging am zu RV/2100885/2014 eine abweisende Beschwerdeentscheidung (BE) des BFG, mit welcher die Rechtmäßigkeit der durchgeführten Wiederaufnahme bestätigt wurde. Diese Entscheidung blieb unangefochten und befindet sich seither im Rechtsbestand.
Am langte beim FA der verfahrensgegenständliche, als "Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2010" titulierte Schriftsatz ein, der sich zweifelsfrei auf den (angeschlossenen) ESt-Bescheid 2010 vom bezieht und auf dessen Anpassung an ein im Jänner 2020 ergangenes Gerichturteil abzielt.
Das FA behandelte diesen Schriftsatz als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zum ESt-Bescheid 2010 vom und wies ihn wegen eingetretener Festsetzungsverjährung auf Basis des § 303 Abs.1 iVm § 304 BAO zurück.
II. § 303 BAO in der seit geltenden Fassung BGBl. I Nr. 2014/13 lautet:
"(1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
(2) Der Wiederaufnahmsantrag hat zu enthalten:
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;
b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.
(3)…."
Gemäß § 304 BAO in der seit geltenden Fassung BGBl. I Nr. 62/2018 ist "nach Eintritt der Verjährung (..) eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zulässig, wenn sie
a) vor Eintritt der Verjährungsfrist beantragt wird, oder
b) innerhalb von drei Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides beantragt oder durchgeführt wird."
§ 209a Abs. 2 BAO in der seit geltenden Fassung BGBl. I Nr. 62/2018 lautet:
"Hängt eine Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Beschwerde oder eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages (§ 85) ab, so steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Beschwerde oder der Antrag vor diesem Zeitpunkt eingebracht wird. Die Verjährung steht der Abgabenfestsetzung auch dann nicht entgegen, wenn eine Aufhebung gemäß § 299 Abs. 1 vor Ablauf der Jahresfrist des § 302 Abs. 1 oder wenn eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 vor Ablauf der Frist des § 304 lit. b beantragt oder durchgeführt wird."
Die Verjährungsfrist bei der Einkommensteuer beträgt nach § 207 Abs. 2 BAO grundsätzlich fünf Jahre, im Fall einer Abgabenhinterziehung zehn Jahre. Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist (§ 208 Abs. 1 lit a BAO). Gemäß § 4 Abs. 2 lit a Z 2 BAO entsteht der Abgabenanspruch für die zu veranlagende Einkommensteuer grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird.
Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist. Verfolgungshandlungen (§ 14 Abs. 3 FinStrG, § 32 Abs. 2 VStG) gelten als solche Amtshandlungen (§ 209 Abs. 1 BAO idF BGBl. I Nr. 105/2010).
III. Wie festgestellt, ergingen im Verfahren betreffend die ESt 2010 des Bf, in dem der Abgabenanspruch mit Ablauf des Jahres 2010 entstand, zunächst am 17.Jän.2012 ein erster ESt-Bescheid 2010 und in der Folge der verfahrensgegenständliche ESt-Bescheid 2010 vom .
Mangels finanzstrafrechtlich relevanter Umstände endete die nach Ergehen der beiden ESt-Bescheide 2010 nach § 209 Abs. 1 BAO mit sechs Jahren bemessene Verjährungsfrist für die Festsetzung der ESt 2010 somit am .
Entsprechend langte die verfahrensgegenständliche Eingabe des Bf vom , die sich zweifelsfrei auf den (angeschlossenen) ESt-Bescheid 2010 vom bezieht, deutlich nach Eintritt der Bemessungsverjährung für die ESt 2010 beim FA ein.
Da die Gesetzmäßigkeit eines angefochtenen Bescheides grundsätzlich nach der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Rechtslage zu beurteilen ist (z.B. ), kommt im anhängigen Verfahren die Bestimmung des § 304 BAO idF BGBl. I Nr. 62/2018 zum Tragen.
Auf Basis des § 304 lit a BAO war die verfahrensgegenständliche Eingabe als Wiederaufnahmeantrag tatsächlich verspätet.
Allerdings bildete das BFG-Erkenntnis vom , RV/2100885/2014 für die ESt-Festsetzung 2010 des Bf mittelbar den das Verfahren abschließenden Bescheid iSd § 209a Abs. 2 BAO. Hätte doch eine Stattgabe des in diesem Verfahren geprüften Rechtsmittels gegen den Wiederaufnahmebescheid (§ 303 Abs.1 BAO) zur ESt 2010 vom zum Ausscheiden des zugehörigen ESt-Bescheides 2010 vom aus dem Rechtsbestand geführt (vgl. und Ritz BAO Kommentar6, § 209a Rz 8f).
Entsprechend begann die Frist des § 304 lit b BAO in Bezug auf den ESt-Bescheid 2010 vom erst mit dem Abschluss des RM-Verfahrens betreffend den Wiederaufnahmebescheid (§ 303 Abs.1 BAO) zur ESt 2010 vom durch das BFG-Erkenntnis vom , RV/2100885/2014 zu laufen.
Diese Beurteilung gebieten der Normzweck sowohl des § 304 lit b BAO als auch des § 209a Abs. 2 BAO, der im Schutz der Parteien vor Rechtsnachteilen durch ein zeitliches Auseinanderklaffen von bescheidmäßigen Abschlüssen in Abgabenverfahren besteht, die in einem unmittelbaren oder mittelbaren Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen (vgl. ua.).
In Hinblick darauf war die Einbringung des vom FA als Antrag auf Wiederaufnahme (§ 303 Abs. 1 BAO) gewerteten Schriftsatzes vom fristgerecht. Dessen Zurückweisung durch das FA erfolgte daher zu Unrecht.
Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens gegen einen Bescheid, mit dem ein Antrag zurückgewiesen wurde, ist allein die Frage, ob der angefochtene Bescheid dieser Gesetzesbestimmung entspricht, ob also die sachliche Behandlung des Antrags zu Recht verweigert wurde.
Ob der verfahrensgegenständliche Wiederaufnahmeantrag des Bf inhaltlich berechtigt ist, wird vom FA im weiteren Verfahren im Rahmen einer meritorischen Entscheidung zu klären sein ().
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zur Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine gesicherte Rechtsprechung besteht bereits bei Vorliegen eines begründeten Erkenntnisses (vgl. )
Im anhängigen Verfahren lagen die genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision nicht vor. Soweit nicht Sachverhaltsfragen maßgeblich waren, folgt die Entscheidung dem klaren Wortlaut der verwendeten gesetzlichen Bestimmungen sowie der angeführten VfGH- und VwGH-Judikatur.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 304 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 304 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 208 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 209 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 4 Abs. 2 lit. a Z 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 209a Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.2101168.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at