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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.12.2020, RV/7101915/2020

Behördenentscheidung über nicht gestellten Antrag nach § 303 BAO statt § 299 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Andrea Ebner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Rogy und Rogy Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH, Geusaugasse 39 Tür 8, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2016 zu Recht:

I. Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit FinanzOnline-Eingabe vom stellte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers einen als "Aufhebung gem. § 299 (1) BAO- Einkommensteuer 2016" bezeichneten Antrag. In der Begründung ersuchte diese dabei um Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Veranlagung der Einkommensteuer für das Jahr 2016, weil ein Verlustvortrag aus dem Jahr 2012 iHv EUR -14.429.33 nicht berücksichtigt worden sei.

Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde einen Antrag auf Wideraufnahme des Verfahrens betreffend die Veranlagung der Einkommensteuer für das Jahr 2016 ab, weil Verluste aus dem Jahr 2012 gemäß § 18 EStG 1988 nicht vortragsfähig gewesen seien.

In der dagegen am erhobenen Beschwerde beantragte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers die Berücksichtigung eines Verlustvortrages iHv EUR 15.026,10, weil der Verlustvortrag aus dem Jahr 2012 im Jahr 2015 aufgebraucht worden sei und somit aus dem Jahr 2013 ein unbeschränkt vortragsfähiger Verlust verblieben sei, der im Jahr 2016 zu berücksichtigen gewesen sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab, weil im Wiederaufnahmeantrag vom die Berücksichtigung eines (nicht vortragsfähigen) Verlustes aus dem Jahr 2012 beantragt worden sei und der Antrag somit zu Recht abzuweisen gewesen sei.

Dagegen richtete sich der Vorlageantrag vom , in welchem der Beschwerdeführer die korrekte Anerkennung des Verlustvortrages aus dem Jahr 2013 ersuchte, weil der Verlustvortrag aus dem Jahr 2012 bereits im Jahr 2015 aufgebraucht gewesen sei.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im Vorlagebericht vom selben Tag beantragte sie die Abweisung der Beschwerde, weil der Antrag einen Verlust aus dem Jahr 2012 im Wege der Wiederaufnahme zu berücksichtigen rechtlich nicht möglich sei.

Die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers teilte dem Bundesfinanzgericht mit E-Mail vom mit, dass kein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO gestellt worden sei, sondern ein Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO. Der entsprechende Antrag wurde dem Bundesfinanzgericht übermittelt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Mit Bescheid vom stellte die belangte Behörde das Einkommen des Beschwerdeführers für das Jahr 2016 mit EUR 18.961,07 fest. Es ergab sich in der Folge eine Einkommensteuergutschrift iHv EUR 2.922,00.

Gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 erhob die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers mit Eingabe vom das Rechtsmittel der Beschwerde, "da der Verlustvortrag aus den Jahren 2012 und 2013 bei der Veranlagung nicht in Abzug gebracht wurde".

Mit Beschwerdevorentscheidung vom setzte die belangte die Einkommensteuer mit EUR -3.101,00 fest. Die Beschwerdevorentscheidung ist in Rechtskraft erwachsen.

Am stellte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers mit FinanzOnline-Eingabe einen als Aufhebung des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2016 gemäß § 299 Abs BAObezeichneten Antrag. Die darin enthaltene Begründung lautete wie folgt:

"Ich bitte um Wiederaufnahme des Veranlagungsverfahrens des Jahres 2016, da sich der Spruch des Einkommensteuerbescheides 2016 als nicht richtig erweist. [Der Beschwerdeführer] hat aus dem Jahr 2012 einen Verlustvortrag iHv -14.429,33 €, der bei der Einkommensermittlung nicht abgezogen wurde. Dem Finanzamt war bewusst, dass [der Beschwerdeführer] im Jahr 2012 einen Verlust erzielt hat - siehe Begründung des am erlassenen Einommensteuerbescheides 2016. Leider wurde für das Jahr 2012 kein Einkommensteuerbescheid erlassen, allerdings kann ein Verlustvortrag[…] auch in den Folgejahren gegenverrechnet werden, wenn es zu keiner bescheidmäßigen Feststellung des Verlustvortrags gekommen ist, aber eine ordnungsgemäße Buchführung vorliegt und der Verlust entsprechend nachvollzogen werden kann. In der Beilage übermittle ich die GuV für 2012 und bitte um antragsgemäße Veranlagung des Jahres 2016."

Ein weiterer Antrag wurde Seitens des Beschwerdeführers nicht gestellt.

Der Spruch des Bescheides der belangten Behörde vom lautete wie folgt:
"Der Antrag von [Beschwerdeführer, Wohnort] vom , eingebracht am betreffend Wiederaufnahme 2016 wird abgewiesen."

Der Spruch der Beschwerdevorentscheidung vom lautete auszugsweise wie folgt:
"Es ergeht die Beschwerdevorentscheidung betreffend er Beschwerde vom von [Beschwerdeführer, Wohnort vertreten durch steuerliche Vertretung] gegen den Bescheid vom betreffend Abweisung des Antrages auf Wideraufnahme des Einkommensteuerbescheides 2016
[…] Ihre Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. […]
".

Im Vorlagebericht vom waren folgende Bezug habenden Normen angeführt:
"18 (6) und 124bZ 314 lit a ESTG , § 303 BAO"

Die Darstellung des Sachverhaltes und der Anträge lautete auszugsweise wie folgt:
"Sachverhalt:
mit einem Antrag gem.
§ 303 BAO wurde die Wiederaufnahme der E 2016 beantragt mit dem Begehr , Verluste aus dem Jahre 2012 anzurechnen
Beweismittel:
WA-antrag, Begründung WA-antrag,Beilage zum WA-antrag, AW WA-antrag, Stellungnahme FB, Beschwerde, BVE, Vorlageantrag
Stellungnahme:
laut den zitierten Gesetzesstellen im ESTG können in den Veranlagungsjahren ab 2016 Verluste zeitlich unbeschränkt verwertet werden , allerdings NUR, wenn es sich um Verluste handelt, die ab dem Jahr 2013 entstanden sind. Der Antrag einen Verlust aus dem Jahr 2012 im Weg der Wiederaufnahme zu berücksichtigen ist rechtlich unmöglich und die Beschwerde wäre daher abzuweisen.
"

Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durfte das Bundesfinanzgericht daher in freier Beweiswürdigung von den obigen Sachverhaltsfeststellungen ausgehen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteierklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Allerdings kann auch bei rechtsschutzfreundlicher Interpretation von Parteienerklärungen nicht die Befugnis oder Pflicht der Behörde abgeleitet werden, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nichterstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt (vgl ; , 2011/13/0082; , Ra 2019/15/0005, je mwN).

Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, nach außen hin auch nur andeutungsweise nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich (vgl , mwN; vgl auch - zu § 13 AVG - ). Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Behörde gehalten, die Absicht der Partei zu erforschen (vgl ; , 2012/15/0071; , Ra 2018/15/0108, je mwN).

Mit Beschwerdevorentscheidung vom setzte die belangte die Einkommensteuer rechtskräftig mit EUR -3.101,00 fest. Die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers stellte am über FinanzOnline einen Antrag lautend auf "Aufhebung gem. § 299 (1) BAO - Einkommensteuer 2016". Der Antrag wurde somit innerhalb der iSd § 299 BAO geforderten Jahresfrist gestellt.

Der Antrag von enthielt keine nach § 303 Abs 2 BAO geforderte Bezeichnung von Umständen (Abs 1 leg cit), auf die sich eine Wiederaufnahme stützen würde (insbesondere das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln). Vielmehr führte die Begründung des Antrages aus, dass der belangten Behörde der bestehende Verlustvortrag "bewusst" gewesen sei. Der Antrag bezeichnete genau diesen Umstand - nämlich die fehlende Verlustberücksichtigung - als Grund für die Unrichtigkeit des Einkommensteuerbescheides vom iSd § 299 Abs 1 lit b BAO. Dass in der Folge in der Begründung des Antrages die Wortfolge "bitte um Wiederaufnahme des Veranlagungsverfahrens des Jahres 2016, da sich der Spruch des Einkommensteuerbescheides 2016 als nicht richtig erweist" gewählt wurde, vermag eine Umdeutung in einen gestellten Wiederaufnahmeantrag nach § 303 BAO nicht zu begründen, zumal auch der zweite Satzteil den Wortlaut des § 299 BAO wiedergibt. Dass ausschließlich Gründe für eine Antragstellung nach § 299 BAO angeführt wurden und ausschließlich eine solche intendiert war, bestätigte die steuerliche Vertretung zudem mit E-Mail vom . In der Gesamtschau war der am von der steuerlichen Vertretung des Beschwerdeführers gestellte Antrag als Antrag gemäß § 299 BAO auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2016 anzusehen, weil sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweisen würde. Dies umso mehr als nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon auszugehen ist, dass ein beruflicher Parteienvertreter, der einen Antrag im Namen eines Mandanten stellen möchte, dies auch klar zum Ausdruck bringt ( sowie , Ra 2020/13/0046).

Am wies die belangte Behörde einen am gestellten Antrag "betreffend Wiederaufnahme 2016" ab.

Für die Bedeutung einer Aussage im Spruch ist maßgebend, wie der Inhalt objektiv zu verstehen ist und nicht, wie ihn die Behörde verstanden wissen wollte oder wie ihn der Empfänger verstand (vgl Ritz, BAO6, § 92 Tz 6, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Spruch eines Bescheides im Zweifel iSd angewendeten Gesetzes auszulegen (vgl Ritz, BAO6, § 92 Tz 7 und die dort angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen, sofern zwischen Spruch und Begründung keine Widersprüche bestehen (vgl ; , 2009/15/0182 und vom , Ra 2017/15/0010). Lässt der Spruch eines Bescheides jedoch für sich allein beurteilt keine Zweifel an seinem Inhalt offen, dann kann die beigegebene Begründung nicht als Auslegungsbehelf für den Inhalt des Spruches herangezogen werden (vgl ).

Der Spruch des Bescheides der belangten Behörde vom wies eindeutig seiner Formulierung nach einen Antrag auf Wiederaufnahme das Jahr 2016 betreffend ab. Weder im Spruch noch in der Begründung des Bescheides findet sich eine Bezugnahme auf die Verfahrensbestimmungen § 303 BAO oder § 299 BAO.

Nach herrschender Ansicht stellt die Unterlassung der Anführung von (maßgeblichen) Gesetzesstellen im Spruch keinen wesentlichen Verfahrensfehler dar, sofern mit Rücksicht auf die Eindeutigkeit des Gegenstandes keine Zweifel darüber bestehen, welche gesetzlichen Vorschriften angewendet wurden (vgl ). Durch die eindeutige Bezugnahme auf die Wiederaufnahme im Spruch, die nur nach § 303 BAO, nicht jedoch nach § 299 BAO in Betracht kommt, hat die belangte Behörde mit Bescheid vom zweifelsfrei über einen nach § 303 BAO gestellten Antrag auf Wiederaufnahme abgesprochen.

Selbiges gilt auch für die Berufungsvorentscheidung vom deren Spruch ebenfalls auf "Abweisung des Antrages auf Wideraufnahme des Einkommensteuerbescheides 2016" lautet und - weder im Spruch noch in der Begründung - die bezugnehmenden Verfahrensbestimmungen anführt. Dass Seitens der belangten Behörde auch jedenfalls eine Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme nach § 303 BAO intendiert war, ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen des Vorlageberichtes. Darin wird als Sachverhalt dargestellt, dass mit einem "Antrag gem. § 303 BAO […] die Wiederaufnahme der E 2016 beantragt [wurde]".

Aufgrund des Gesagten besteht daher Zweifel, dass die belangte Behörde sowohl mit dem Bescheid vom als auch mit der Berufungsvorentscheidung vom über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO abgesprochen hat. Ein solcher Antrag wurde von der steuerlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Eingabe vom jedoch eindeutig nicht gestellt.

Damit hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid rechtswidrig über einen Antrag abgesprochen, der Seitens des Beschwerdeführers nicht gestellt wurde, sodass der angefochtene Bescheid ersatzlos zu aufzuheben ist (vgl Ritz, BAO6, § 279 Tz 5 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt im Beschwerdefall nicht vor, weil sowohl die Auslegung von Parteienerklärungen (insbesondere sowie , Ra 2020/13/0046, mwN), als auch die Auslegung von Bescheiden (vgl Ritz, BAO6, § 92 Tz 7 und die dort angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) durch die oben näher dargestellte höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärt ist. Ein Bescheid über einen nicht gestellten Antrag rechtswidrig und somit ist ersatzlos aufzuheben (vgl Ritz, BAO6, § 279 Tz 5 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 18 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 13 AVG, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991
§ 17a VfGG, Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl. Nr. 85/1953
§ 24a VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7101915.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at