Zurückweisung eines Antrags auf Verfahrenshilfe, der vor dem Inkrafttreten der Bestimmung des § 292 BAO gestellt wurde
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VH/7400003/2020-RS1 | Ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, der vor dem Inkrafttreten der Bestimmung des § 292 BAO gestellt worden ist, ist als unzulässig zurückzuweisen. |
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Anna Mechtler-Höger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, betreffend Antrag vom auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen:
Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird als nicht zulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 9 iVm Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Begründung
Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführerin für das Abstellen des mehrspurigen Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen W-***** in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Tatort, in der Zeit vom , 11:04 Uhr, bis , 13:54 Uhr, Parkometerabgabe in Höhe von 26,00 Euro vorgeschrieben.
In der Begründung führte die belangte Behörde nach Zitat des § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung aus, das in Rede stehende Fahrzeug sei im genannten Zeitraum in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone ohne Kennzeichnung mit einem gültig entwerteten Parkschein bzw. ohne Aktivierung eines elektronischen Parkscheines abgestellt gewesen.
Die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld Zulassungsbesitzerin des Tatfahrzeuges gewesen, weshalb ihr gemäß § 1 Abs. 3 Wiener Parkometergesetz 2006 die formlose Zahlungsaufforderung vom übermittelt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe zwar ***1***, den handelsrechtlichen Geschäftsführer, als Lenker bekannt gegeben, aufgrund des Umstandes, dass hinsichtlich bestehender Forderungen der Stadt Wien gegen ***1*** bereits der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen den zuständigen Stellen übertragen worden sei, sei die gegenständliche Abgabenforderung bei ***1*** als uneinbringlich zu qualifizieren. Deshalb sei die Abgabe der Beschwerdeführerin als Zulassungsbesitzerin des gegenständlichen Fahrzeuges vorgeschrieben worden.
Mit FAX vom erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch den handelsrechtlichen Geschäftsführer, Beschwerde und führte aus, die Behörde habe grundlos die Uneinbringlichkeit der Abgabe beim Lenker des Fahrzeuges angenommen. Erst nach fruchtloser Betreibung der Forderungseinbringung beim Lenker sei der Zulassungsbesitzer heranzuziehen.
Außerdem habe die Kurzparkzone im Tatzeitpunkt nicht bestanden. Es werde die Durchführung einer mündlichen Senatsverhandlung und die "Beistellung eines Strafverteidigers" beantragt, weil der konkrete Fall im Hinblick auf die ohne rechtliche Grundlage angenommene Uneinbringlichkeit der Forderung beim Lenker eine besondere Tragweite habe.
Die Beschwerde und der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ("Beistellung eines Strafverteidigers") wurden mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen und hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ausgeführt, im Bereich der Bundesabgabenordnung bestehe keine Möglichkeit auf Verfahrenshilfe, weshalb sich der darauf gerichtete Antrag als unzulässig erweise.
Mit FAX vom stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch den handelsrechtlichen Geschäftsführer, einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und auf "Beistellung eines Strafverteidigers".
Rechtliche Würdigung
§ 292 BAO lautet:
"(1) Auf Antrag einer Partei (§ 78) ist, wenn zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgericht insoweit zu bewilligen,
1. als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und
2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(2) Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.
(3) Einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung (Personengemeinschaft) ohne eigene Rechtspersönlichkeit ist die Verfahrenshilfe insoweit zu bewilligen,
1. als die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihr noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und
2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(4) Ein wirtschaftlich Beteiligter (Abs. 3 Z 1) ist eine Person, auf deren Vermögenssphäre sich der Ausgang des Beschwerdeverfahrens nicht ganz unerheblich auswirkt und bei der es - auch aus diesem Grund - als zumutbar angesehen werden kann, von dieser Person eine Finanzierung der Verfahrenskosten zu verlangen.
(5) Offenbar aussichtslos ist eine Beschwerde insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Bei einer nicht ganz entfernten Möglichkeit des Erfolges liegt keine Aussichtslosigkeit vor. Mutwillig ist eine Beschwerde dann, wenn sich die Partei der Unrichtigkeit ihres Standpunktes bewusst ist oder bewusst sein muss.
(6) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist bis zur Vorlage der Bescheidbeschwerde bei der Abgabenbehörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Wird der Antrag vor Ablauf der Frist zur Einbringung einer Bescheidbeschwerde beim Verwaltungsgericht eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung. Für Verfahren über Maßnahmenbeschwerden (§ 283) und über Säumnisbeschwerden (§ 284) ist der Antrag beim Verwaltungsgericht einzubringen. Wird der Antrag vor Ablauf der Frist zur Einbringung einer Maßnahmenbeschwerde bei der Abgabenbehörde eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung.
(7) Der Antrag kann gestellt werden
1. ab Erlassung des Bescheides, der mit Beschwerde angefochten werden soll bzw.
2. ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat bzw.
3. nach Ablauf der für Säumnisbeschwerden nach § 284 Abs. 1 maßgebenden Frist.
(8) Der Antrag hat zu enthalten
1. die Bezeichnung des Bescheides (Abs. 7 Z 1) bzw. der Amtshandlung (Abs. 7 Z 2) bzw. der unterlassenen Amtshandlung (Abs. 7 Z 3),
2. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
3. die Entscheidung der Partei, ob der Kammer der Wirtschaftstreuhänder oder der Rechtsanwaltskammer die Bestellung des Verfahrenshelfers obliegt,
4. eine Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers und der wirtschaftlich Beteiligten.
(9) Ein bei der Abgabenbehörde vor Vorlage der Bescheidbeschwerde eingebrachter Antrag ist unter Anschluss der Verwaltungsakten unverzüglich dem Verwaltungsgericht vorzulegen.
(10) Das Verwaltungsgericht hat über den Antrag mit Beschluss zu entscheiden. Hat das Gericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw. die Rechtsanwaltskammer hievon zu benachrichtigen.
(11) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw. die Rechtsanwaltskammer hat mit Beschluss den Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt zu bestellen, dessen Kosten die Partei nicht zu tragen hat. Wünschen der Partei über die Auswahl der Person des Wirtschaftstreuhänders oder Rechtsanwaltes ist im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen. Von der Bestellung sind die Abgabenbehörde und das Verwaltungsgericht zu verständigen.
(12) Wird der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb einer für die Einbringung der Beschwerde (§ 243, § 283), des Vorlageantrages (§ 264) oder einer im Beschwerdeverfahren gegenüber dem Verwaltungsgericht einzuhaltenden Frist gestellt, so beginnt diese Frist mit dem Zeitpunkt, in dem
1. der Beschluss über die Bestellung des Wirtschaftstreuhänders bzw. Rechtsanwaltes zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid dem Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt bzw.
2. der den Antrag nicht stattgebende Beschluss der Partei zugestellt wurde, von neuem zu laufen.
(13) Die Bewilligung der Verfahrenshilfe ist vom Verwaltungsgericht zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung nicht mehr gegeben sind oder wenn das Vorhandensein der Voraussetzungen auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben der Partei zu Unrecht angenommen worden ist.
(14) Der Bund hat der Kammer der Wirtschaftstreuhänder und dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag jährlich spätestens zum 30. September für die im abgelaufenen Kalenderjahr erbrachten Leistungen der nach Abs. 11 bestellten Wirtschaftstreuhänder und Rechtsanwälte eine angemessene Pauschalvergütung zu zahlen, deren Höhe durch Verordnung des Bundesministers für Finanzen festzusetzen ist. Die Festsetzung hat anhand der Anzahl der jährlichen Bestellungen und des Umfanges der erbrachten Leistungen zu erfolgen."
Gemäß § 85a BAO sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über Anbringen (§ 85 BAO) der Parteien ohne unnötigen Aufschub abzusprechen.
Die Entscheidungspflicht besteht nicht nur für Anbringen, die meritorisch zu erledigen sind, sondern auch dann, wenn ein Anbringen zurückzuweisen ist (Ritz, BAO6, § 85a Tz 10, mwN).
Ein Anbringen ist zurückzuweisen, wenn es unzulässig ist. Eine Unzulässigkeit liegt z.B. bei entschiedener Sache oder bei mangelnder Antragslegitimation vor. Zurückzuweisen sind weiters verspätete Anbringen sowie zu früh eingebrachte Anbringen, mit Ausnahme von Bescheidbeschwerden, die vor Beginn der Rechtsmittelfrist eingebracht wurden (Ritz, aaO).
Der die Verfahrenshilfe regelnde § 292 BAO trat mit in Kraft (§ 323 Abs. 51 BAO; BGBl I 117/2016). Der ist somit der erstmögliche Zeitpunkt, zu dem ein Antrag nach § 292 BAO in Betracht kommt (Unger, Verfahrenshilfe in Abgabensachen [Teil I], taxlex 2017, 161; ).
Der streitgegenständliche Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ("Beistellung eines Strafverteidigers") wurde am gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war ein entsprechender Antrag iSd § 292 BAO mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig und daher zurückzuweisen.
Der Senat und auch der Einzelrichter können trotz rechtzeitigen Antrages eine mündliche Verhandlung unterlassen, wenn eine Formalentscheidung (z.B. Zurückweisung) zu erfolgen hat. § 274 Abs. 3 BAO gestattet in diesem Fall das Unterbleiben beantragter mündlicher Verhandlungen. Dies liegt auch bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Bestimmung im Ermessen des Verwaltungsgerichtes.
Entscheidungen, die die Abgabenbehörden und gemäß § 2a BAO auch das Verwaltungsgericht nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.
Im Hinblick darauf, dass das Einbringungsdatum des Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe außer Streit steht, somit jedenfalls vor dem Inkrafttreten der Bestimmung des § 292 BAO liegt, und der Antrag daher als unzulässig zurückzuweisen ist, war dem Verwaltungsgericht ein Eingehen auf die Frage, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben sind, verwehrt. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung kann keinen Beitrag zur Klärung der hier zu beurteilenden Rechtsfrage leisten. Dementsprechend stehen keine berechtigten Interessen der beschwerdeführenden Parteien der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung entgegen. Im Sinne einer rascheren Erledigung erscheint es daher sinnvoll, von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen.
Gemäß § 274 Abs. 3 BAO iVm § 274 Abs. 5 BAO konnte daher in Anbetracht der obigen Ausführungen von der Durchführung einer mündlichen Senatsverhandlung abgesehen werden.
Hinweis
Es bleibt der Beschwerdeführerin unbenommen, einen neuerlichen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe unter Beachtung der in § 292 Abs. 8 Z 4 BAO angeführten Darstellung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ihrer wirtschaftlich Beteiligten einzubringen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da hinsichtlich der Frage, ob vor dem Inkrafttreten der Bestimmung des § 292 BAO eingebrachte Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zulässig sind, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, und der Lösung dieser Frage daher grundsätzliche Bedeutung zukommt, war die ordentliche Revision zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Landesabgaben Wien |
betroffene Normen | § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung, ABl. Nr. 51/2005 § 1 Abs. 3 Wiener Parkometergesetz 2006, LGBl. Nr. 09/2006 § 292 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 85a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 85 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 323 Abs. 51 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 274 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 274 Abs. 5 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:VH.7400003.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at