Zuzugsfreibetrag setzt Verlagerung des Lebensmittelpunktes ins Inland voraus - Lebensmittelpunkt am Familienwohnsitz
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RV/7104303/2020-RS1 | Der Antrag auf die Steuerbegünstigung nach § 103 Abs. 1a EStG 1988 iVm. § 1 Abs. 2 ZBV 2016 ist spätestens sechs Monate nach dem Zuzug – also der Verlegung des Lebensmittelpunktes vom Ausland in das Inland – bei der zuständigen Abgabenbehörde einzubringen. Hat der Antragsteller im Zeitpunkt der Bescheiderlassung seinen Lebensmittelpunkt nicht im Inland, fehlt eine wesentliche materielle Tatbestandsvoraussetzung und ist ein solcher Antrag daher abzuweisen. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Dieter Fröhlich über die Bescheidbeschwerde vom des Bf., MSc, ***Bf1-Adr*** wohnhaft, vertreten durch Datex Datenverarbeitungs- und Wirtschaftstreuhand-GmbH, 9500 Villach, Italiener Straße 33 etabliert, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom , Zahl: X1, zugestellt am , mit dem der Antrag vom auf Zuerkennung eines Zuzugsfreibetrages gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 für den Zeitraum 10/2019 bis 9/2024 abgewiesen wurde
zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang und Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (in der Folge Bf. genannt) erhob durch seinen steuerlichen Vertreter (idF StV) gegen den Abweisungsbescheid des Bundesministers für Finanzen betreffend den Antrag auf Gewährung eines Zuzugsfreibetrages mit Schriftsatz vom frist- und formgerecht Bescheidbeschwerde und beantragte den angefochtenen Bescheid im Sinne seiner Vorhaltsbeantwortung vom abzuändern.
Von der Abgabenbehörde wurde mit Vorlagebericht vom das Rechtsmittel mitsamt den bezugshabenden Verwaltungsakten ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vorgelegt (Direktvorlage gemäß § 262 Abs. 4 i.V.m. § 265 BAO).
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Bf. ist in Pakistan geboren. Nach Abschluss seines Technikstudiums in Schweden, wurde er ins das PhD-Programm der Universität Z. in den Niederlanden aufgenommen. Der Bf. bezog in den Niederlanden bis September 2019 Erwerbseinkünfte aus einer Tätigkeit im Bereich der elektrotechnischen Forschung und Entwicklung. Der Bf. ist niederländischer Staatsbürger und hat in den Niederlanden gemeinsam mit seiner Frau und ihren beiden Kindern ( 3 u. 8 Jahre) einen Familienwohnsitz begründet.
Mit Wirksamkeit vom hat der Bf. bei einem österreichischen IT-Unternehmen ein Dienstverhältnis für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten begründet. Der Bf. hat zu diesem Zwecke ab einen Hauptwohnsitz in Villach an der Adr.1, und am Adr.2 amtlich angemeldet. Während des Probemonats wurde die Unterkunft vom Arbeitgeber unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Nach Ablauf des Probemonats wurde das Arbeitsverhältnis auf Grundlage eines unbefristeten Dienstvertrages einvernehmlich fortgesetzt. Der Bf. verlegte ab Mai 2020 seinen Hauptwohnsitz in Villach an die Adresse, Adr.3 und suchte in der Folge eine auch für den Familiennachzug geeignete größere Wohnung. Anfang November 2020 übersiedelte er deshalb nachmals in die Adr.4 in Villach.
Der Bf. hat seinen Familienwohnsitz in den Niederlanden (N1) beibehalten. In der Wohnung in N-1 wohnen weiterhin seine Frau und ihre beiden gemeinsamen Kinder, die dort die Schule, bzw. den Kindergarten besuchen. Der Nachzug der Familie von den Niederlanden nach Österreich ist bisher noch nicht erfolgt. Der Umzug der Familie soll zu einem für die Kinder geeigneten Zeitpunkt erfolgen. Da sei insbesondere ein idealer Schulwechsel zu planen. Laut Angaben des Bf. besuchte er im Oktober und November 2019 je einmal über das Wochenende seine Familie in den Niederlanden, ebenso verbrachte er am niederländischen Familienwohnsitz den Weihnachtsurlaub. Für 2020 sei bis zum Umzug der Familie nach Österreich ein wechselseitiger Besuch einmal pro Monat geplant gewesen.
Der Bf. brachte durch seinen stV mit Schreiben vom 17.01.1020 am beim BMF den Antrag auf Zuerkennung eines Zuzugsfreibetrages gemäß § 103 Abs. 1a EStG ein. Darin erklärt er, dass sich auf Grund des vorstehend dargestellten Sachverhaltes seit sein Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland befinde. Er habe auf Grund seiner ausschließlichen Erwerbstätigkeit und seines dauerhaften Wohnsitzes in Österreich den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und nicht mehr in den Niederlanden - wo noch weiterhin seine Familie lebe.
Beweiswürdigung
Das Verwaltungsgereicht hat Beweis erhoben durch Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt. Das Parteienvorbringen ist im Wesentlichen dokumentiert und glaubhaft. Der festgestellte Sachverhalt steht nicht in Streit. Strittig ist allein die Rechtsfrage, ob die Begründung des Lebensmittelpunktes in Österreich Tatbestandvoraussetzung für den Zuzugsfreibetrag ist und ob im gegenständlichen Fall der Bf. im Zeitpunkt der Antragstellung (Jänner 2020) tatsächlich bereits seinen Lebensmittelpunkt von den Niederlanden ins Inland verlegt hat.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht, außer in den Fällen des § 278, immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Das BFG hat volle Kognitionsbefugnis und daher die beschwerdegegenständliche Sache so zu entscheiden, als ob diese Sache erstmals nach den für sie geltenden materiell-rechtlichen Bestimmungen behandelt würde. Dabei ist dem BFG in Ermessensfragen eine uneingeschränkte eigene Ermessensübung übertragen (Art. 130 Abs. 3 B-VG).
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Die Bestimmung des § 103 Absatz 1a EStG 1988 lautet:
"Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft oder Forschung dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen, unabhängig von der Gewährung einer Begünstigung gemäß Abs. 1 aufgrund des Zuzugs für einen Zeitraum von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt des Zuzugs einen Freibetrag in Höhe von 30% der zum Tarif besteuerten Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit festsetzen. Wird der Freibetrag gewährt, können daneben keine weiteren Betriebsausgaben, Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastungen, die im Zusammenhang mit dem Zuzug stehen, geltend gemacht werden."
§ 1 Absatz 1 und 2 der Zuzugsbegüngstigungsverordnung 2016 (BGBl. II 261/2016) lautet:
"(1) Der Bundesminister für Finanzen kann auf Antrag der zuziehenden Person die Beseitigung der steuerlichen Mehrbelastungen (§ 103 Abs. 1 EStG 1988) und einen Zuzugsfreibetrag (§ 103 Abs. 1a EStG 1988) zuerkennen. Dem Antrag ist ein Verzeichnis im Sinne des § 7 Abs. 1 samt den dazugehörigen Nachweisen beizulegen.
(2) Der Antrag ist spätestens sechs Monate nach dem Zuzug einzubringen."
Der VwGH ist im Erkenntnis vom , Ro 2017/13/0018 betreffend den Zuzugsfreibetrag zu folgender Rechtsansicht gelangt:
"Dem Gesetzgeber kann mangels eines entsprechenden Hinweises im Gesetz nicht zugesonnen werden, dass er durch die Verwendung identer Worte in einer gesetzlichen Bestimmung Unterschiedliches regeln wollte. Der Begriff des Zuzugs in § 103 EStG 1988 im Absatz 1 (für die Zuzugsbegünstigung) und im Absatz 1a (für den Zuzugsfreibetrag) EStG 1988 ist somit gleich zu verstehen wie jener in Abs. 2 leg. cit.
Ein Zuzug aus dem Ausland nach § 103 Abs. 1 und Abs. 1a EStG 1988 liegt damit nur bei einer Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen in das Inland vor.
Damit genügt trotz der historisch bedingten Bezugnahme auf die "Begründung eines inländischen Wohnsitzes" in § 103 Abs. 1 EStG 1988 auch bei aufrechtem Bestand eines Nebenwohnsitzes bereits die erstmalige Begründung des Mittelpunkts der Lebensinteressen im Inland für die Inanspruchnahme der Zuzugsbegünstigungen nach § 103 Abs. 1 und Abs. 1a EStG 1988."
Entsprechend dieser Rechtsprechung des VwGH stellt auch das BFG in seinen Entscheidungen für den Zuzugszeitpunkt auf die Begründung des Lebensmittelpunktes des Steuerpflichtigen im Inland ab (vgl. BFG, , RV/7100774/2017, , RV/7100403/2018, , RV/7102992/2019, , RV/7105514/2019).
Besteht nach der Begründung des inländischen Wohnsitzes weiterhin ein ausländischer Wohnsitz, so erfolgt der Zuzug erst in jenem Moment, in dem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen auf den inländischen Wohnsitz verlagert.
Als Mittelpunkt der Lebensinteressen ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jener Ort zu verstehen, zu dem die engsten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Dabei ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Den wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren versteht man all jene, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz innehat. Von Bedeutung sind dabei etwa familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen, aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements (vgl. mwN).
Wenn eine Person, die in einem Staat über eine Wohnstätte verfügt, ohne diese aufzugeben, im anderen Staat eine zweite Wohnstätte begründet, kann die Tatsache, dass sie die erste Wohnstätte dort beibehält, wo sie bisher stets gelebt und gearbeitet hat und wo sie ihre Familie und ihren Besitz hat, zusammen mit anderen Gesichtspunkten als Zeichen dafür sprechen, dass diese Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im ersten Staat beibehalten hat (vgl. ).
Die stärkste persönliche Beziehung besteht im Regelfall zu jenem Ort, an dem jemand regelmäßig mit seiner Familie lebt. Diese Annahme setzt das Führen eines gemeinsamen Haushaltes sowie das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort voraus (vgl. ).
Der Antrag auf die Steuerbegünstigung nach § 103 Abs. 1a EStG 1988 iVm. § 1 Abs. 2 ZBV 2016 ist spätestens sechs Monate nach dem Zuzug - also der Verlegung des Lebensmittelpunktes vom Ausland in das Inland - bei der zuständigen Abgabenbehörde einzubringen. Hat der Antragsteller im Zeitpunkt der Bescheiderlassung seinen Lebensmittelpunkt nicht im Inland, fehlt eine wesentliche materielle Tatbestandsvoraussetzung und ist ein solcher Antrag daher abzuweisen.
Die Ehegattin und beiden Kinder des Bf. sind gegenwärtig noch nicht nach Österreich nachgezogen. Der gemeinsame Familienwohnsitz befindet sich daher weiterhin noch in den Niederlanden. Der Bf. hat keine Umstände aufgezeigt, weshalb seine stärkeren persönlichen Beziehungen nunmehr nicht mehr zu den Niederlanden, wo er weiterhin mit seiner Familie lebt, bestehen sollten. Allein auf Grund der Erwerbstätigkeit in Österreich und der damit verbundenen Wohnsitzbegründung verlagert sich der Lebensmittelpunkt nicht in dieses Land. Auch durch die erklärten Besuche der Familienangehörigen am inländischen Wohnsitz wurde dieser nicht zum Lebensmittelpunkt des Bf. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung liegt der Lebensmittelpunkt von im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen an ihrem Familienwohnsitz, weil sie an diesem Ort erfahrungsgemäß die stärksten persönlichen Beziehungen entfalten. Der Bf. hat im Verfahren nichts vorgebracht, woraus sich stärkere persönliche Beziehungen zu seinem Arbeitsort Villach als zu seinem Familienwohnsitz in den Niederlanden ergeben würden.
Der Antrag vom auf Zuerkennung eines Zuzugsfreibetrages wurde mit dem Bescheid vom , zugestellt am , zu Recht als unbegründet abgewiesen, weil vom Bf. durch seine Erwerbstätigkeit und Wohnsitzbegründung noch kein Zuzug ins Inland erfolgt ist. Da der Bf. auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen Nachweis erbracht hat, dass sich durch einen mittlerweile erfolgten Familiennachzug oder anderer für die persönlichen Beziehungen relevante Umstände sein Lebensmittelpunkt nach Österreich verlagert hat, war der Beschwerde keine Folge zu geben.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die Entscheidung folgt der einhelligen Rechtsprechung des VwGH zum Zuzug gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 durch Verlagerung des Lebensmittelpunktes ins Inland (VwGH, , Ro 2017/13/0018) sowie der Judikatur zur Bedeutung des Familienwohnsitzes für den Lebensmittelpunkt der Familienangehörigen. Da somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorgelegen ist, war die Revision nicht zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 103 Abs. 1a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7104303.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at