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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.11.2020, RV/2100999/2020

Geschäftsführerhaftung: Nachweis der Nichtbenachteiligung des Abgabengläubigers bei Zahlungen

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/2100999/2020-RS1
Hat der Beschwerdeführer die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und somit den Abgabengläubiger benachteiligt, hat ihn die Abgabenbehörde zu Recht zur Haftung herangezogen. Der Beschwerdeführer ist für Abgaben zur Gänze zur Haftung heranzuziehen, weil er weder die Quote errechnet noch dargestellt hat, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre. Die Behörde ist nicht gehalten, im Wege der Schätzung auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung zu schließen, wenn dazu kein konkretes Vorbringen erstattet wird.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Einzelrichter über die Beschwerde des ***Bf***, ***Bf-Adr***, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Oststeiermark vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Haftung für Dienstgeberbeiträge für 01/2012 bis 12/2016 aufgehoben.

Im Übrigen wird die Bescheidbeschwerde als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer (und Gesellschafter) der mit Gesellschaftsvertrag vom gegründeten ***GmbH*** (in der Folge: GmbH). Geschäftsgegenstand der GmbH war der Großhandel mit sonstigen Maschinen und Ausrüstungen (laut ÖNACE-Angabe der Datenbank der Finanzverwaltung).

Mit Beschluss des Gerichtes vom wurde der Konkurs über die GmbH eröffnet und die Gesellschaft aufgelöst. Beschluss des Gerichtes vom wurde der Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben. Mit Generalversammlungsbeschluss vom wurde die Fortsetzung der Gesellschaft beschlossen.

Mit Bescheiden vom schrieb die belangte Behörde dem Masseverwalter (als Masseverwalter der GmbH) ua. die Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2012 bis 2016 mit Abgabenbescheiden vor.

Mit Vorhaltschreiben vom (OZ 7) teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass sie bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehe, dass er der Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der GmbH nicht vorschriftsgemäß nachgekommen sei, wodurch (im Schreiben mit Fälligkeitstag aufgelistete) Abgaben von insgesamt 58.899,21 € (von bis fällige Umsatzsteuervorauszahlungen, von bis fällige Dienstgeberbeiträge, am und am fällige Körperschaftssteuervorauszahlungen sowie Stundungszinsen und Säumniszuschläge) uneinbringlich geworden seien. Sofern die GmbH bereits ab den jeweiligen Fälligkeitstagen der Abgaben nicht mehr über ausreichende liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügt habe, werde er ersucht, dies durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger ab dem Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen darzulegen. In dieser Aufstellung müssten alle damaligen Gläubiger der GmbH (auch die zur Gänze bezahlten) sowie die auf einzelne Verbindlichkeiten (Gläubiger) geleisteten Zahlungen (Quoten) enthalten sein. Außerdem seien alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel (Bargeld und offene Forderungen) anzugeben bzw. gegenüber zu stellen. Für den Nachweis der quotenmäßigen Erfüllung der Gläubigergleichbehandlung sei eine rechnerische Darstellung vorzulegen.

Der Beschwerdeführer reichte in der Folge eine mit datierte rechnerische Darstellung der monatlichen Zahlungen zwischen September 2016 und März 2017 bei der belangten Behörde ein (OZ 8).

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom (OZ 3) machte die belangte Behörde die unter Hinweis auf § 9 BAO die Haftung des Beschwerdeführers für Abgaben der GmbH (insgesamt 45.941,32) wie folgt geltend:


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Abgabenart / Zeitraum / Betrag in Euro
Umsatzsteuer 07/2016 4.711,35
Umsatzsteuer 08/2016 4.085,43
Umsatzsteuer 09/2016 4.385,93
Umsatzsteuer 11/2016 24.477,06
Umsatzsteuer 01/2017 4.797,16
Körperschaftsteuer 10-12/2016 342,42
Körperschaftsteuer 01-03/2017 340,86
Stundungszinsen 2016 216,70
Säumniszuschlag 1 2016 463,35
Säumniszuschlag 1 2017 488,94
Umsatzsteuer 07/2016 4.711,35
Dienstgeberbeitrag 01/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 02/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 03/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 04/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 05/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 06/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 07/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 08/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 09/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 10/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 11/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 01/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 02/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 03/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 04/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 05/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 06/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 07/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 08/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 09/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 10/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 11/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 01/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 02/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 03/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 04/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 05/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 06/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 07/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 08/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 09/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 10/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 11/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 01/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 02/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 03/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 04/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 05/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 06/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 07/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 08/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 09/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 10/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 11/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 01/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 02/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 03/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 04/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 05/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 06/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 07/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 08/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 09/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 10/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 11/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 01/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 02/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 03/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 04/2012 42,82
Dienstgeberbeitrag 05/2012 42,82

Zur Begründung führte die belangte Behörde unter Wiedergabe von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Wesentlichen aus, die Abgaben seien an den Fälligkeitstagen nicht entrichtet worden. Die schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten als Vertreter der Gesellschaft sei somit gegeben. Die Haftungsquote sei um 22% Sanierungsquote gekürzt und die Fälligkeitsdaten der einzelnen Abgaben seien bereits im Vorhalt bekanntgegeben worden. Der Nachweis zur Gläubigergleichbehandlung sei mangelhaft gewesen. Mit der summenmäßigen Gegenüberstellung der Finanzamtsforderungen und der sonstigen Forderungen einerseits und der tatsächlichen Zahlungen andererseits bezogen auf Kalenderjahre zeige nicht auf, welche liquiden Geldmittel zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten zur Verfügung gestanden. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes könne sich nicht nur bei der Tilgung bereits bestehender Verbindlichkeiten, sondern auch bei sogenannten Zug-um Zug-Geschäften ergeben.

Mit durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter verfassten Schreiben vom (OZ 2) erhob der Beschwerdeführer nach Fristverlängerung (OZ 1) das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid. In der Anlage werde - so die Begründung - eine überarbeitete Aufstellung übermittelt, aus der ableitbar sei, dass es zu keiner Gläubigerungleichbehandlung gekommen sei. Aus der Aufstellung sei ersichtlich, dass zum Stichtag Verbindlichkeiten in Höhe von 172.833,92 € vorlagen. Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung hätten sich die Gesamtverbindlichkeiten auf 244.386,50 € belaufen. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 seien die reinen Lieferantenverbindlichkeiten von 146.335,67 € auf 153.208,98 € aufgebaut worden. Altschulden seien hier somit keine beglichen worden. Im Zeitraum 09/2016 bis 03/2017 sei die GmbH durch die Lieferanten lediglich gegen Vorauskasse bedient worden. Dies sei notwendig gewesen, um den laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten. Eine Bedienung der Altschulden sei mangels vorhandener Mittel nicht erfolgt. Gegenüber dem Finanzamt habe zum eine Verbindlichkeit von 11.209,09 € bestanden. Dieser Rückstand sei durch laufende Einzahlung und Gutschrift von nicht korrekt dem Finanzamtskonto angelasteten Kammerumlagen der Jahre 2012 bis 2015 bis Ende September auf einen Rückstand von 4.954,73 € getilgt worden. Die danach aufgelaufenen Abgabenverbindlichen resultierten aus dem laufenden Geschäftsbetrieb September bis Dezember 2016. Die Sanierungsquote sei ebenfalls rechtmäßig entrichtet worden. Auf dem Beitragskonto der Gebietskrankenkasse habe zum ein Rückstand von 3.583,90 € bestanden, welcher bis März 2017 auf 10.548,91 € aufgebaut worden sei. Auch die Steiermärkische Gebietskrankenkasse habe den Beschwerdeführer aufgefordert, einen Entlastungsnachweis in Form einer Gegenüberstellung von Verbindlichkeiten und Zahlungen an Gläubigern im Zeitraum 12/2016 bis 2/2017 zu erbringen, um von der Haftung für den Beitragsrückstand entbunden zu werden. Mit Schreiben vom habe die Steiermärkische Gebietskrankenkasse festgestellt, dass der Beschwerdeführer von der Haftung für die Betragsverbindlichkeiten der GmbH entlassen werde. Ebenfalls seien die Verbindlichkeiten gegenüber Mitarbeitern von September 2016 von 7.830,72 € bis März 2017 auf 19.988,13 € aufgebaut worden. Da aus der angefügten Aufstellung und den Ausführungen ersichtlich sei, dass es zu keiner Gläubigerungleichbehandlung gekommen sei bzw. unter Berücksichtigung, dass auch die 22 %ige Sanierungsplanquote ordnungsgemäß entrichtet worden sei, werde beantragt, den Beschwerdeführer "aus der Haftungsinanspruchnahme für die Abgabenschulden der GmbH zu entlassen" und "die Abgabenschulden abzuschreiben".

Die belangte Behörde wies die Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom (OZ 5) als unbegründet ab und führte dazu aus, gemäß der Rechtsprechung des VwGH könne sich eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht nur bei einer Tilgung bereits bestehender Verbindlichkeiten, sondern auch bei "Zug um Zug"-Geschäften ergeben. Daraus ergebe sich, dass, auch wenn keine Altschulden getilgt worden seien (was aus der vorliegenden Aufstellung nicht ersichtlich sei), sobald Verbindlichkeiten mit liquiden Mitteln getilgt worden seien, der Vertreter nachzuweisen habe, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden sei. Aus der Aufstellung sei, wenn man bei den verschiedenen Lieferanten den Anfangs- und Endsaldo vergleiche, ersichtlich, dass Zahlungen getätigt worden seien. Betrachte man lediglich die Position "Lieferanten Vorauskasse", ergebe sich daraus, dass es laufende Zahlungen gegeben haben müsse. Auch bei den Positionen "Miete, Strom, Kreditrate und Gemeinde Kommst." ergebe sich ein niedrigerer bzw. gleich hoher Endsaldo als zu Beginn, was zwangsläufig laufende Zahlungen voraussetze. Die Verbindlichkeiten bei der Abgabenbehörde hätten sich im selben Zeitraum allerdings eklatant erhöht. Unbestritten sei, dass am Abgabenkonto im fallgegenständlichen Zeitraum betragsmäßig geringe Zahlungen eingegangen seien. Allerdings ergebe sich daraus und aus den vorgelegten Unterlagen weder ein Nachweis auf eine Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger, noch könnten aus den Unterlagen Rückschlüsse auf die Höhe der Gläubigerungleichbehandlung gezogen werden. Der Vertreter erfahre nur dann eine Einschränkung der Haftung, wenn er den Nachweis erbringe, welcher konkrete Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits -an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliege dem Vertreter. Werde dieser Nachweis nicht angetreten, könnten dem Vertreter die uneinbringlichen Abgaben zur Gänze vorgeschrieben werden. Mit dem vorgelegten Zahlenwerk und den Ausführungen vermöge weder nachgewiesen werden, ob bzw. in welchem Ausmaß die Abgabenbehörde benachteiligt worden sei, noch dass die Abgabenbehörde keine Benachteiligung erfahren habe.

Mit Schreiben vom (OZ 6 S. 2-32) stellte der Beschwerdeführer durch seinen steuerlichen Vertreter gegen die Beschwerdevorentscheidung nach Fristverlängerung (OZ 6 S. 1) den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht (Vorlageantrag) und brachte ergänzend vor, die ursprünglich vorgelegte Auflistung der Verbindlichkeiten sei entsprechend den tatsächlichen Daten aus der laufenden Buchhaltung angepasst worden. Daraus sei ersichtlich, dass bis Ende Jänner 2017 eine gleichmäßige Bedienung aller Gläubiger (Lieferanten, Gebietskrankenkasse, Gemeinde als auch Finanzamt) stattgefunden habe. Wie richtig in der Beschwerdevorentscheidung angeführt, seien die Kreditraten laufend bedient worden. Grund hierfür sei die überaus gute Besicherung der Bank durch ein einverleibtes Pfandrecht auf der Betriebsliegenschaft in Höhe von € 455.000 und die Haftungsinanspruchnahme des Sparbuches (Gelder von dritter Seite) der Ehefrau des Beschwerdeführers in Höhe von 17.655,74 € gewesen. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 seien auch nach entsprechender Vereinbarung, sowie zeitlichem und ursächlichem Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung, "Zug um Zug"-Geschäfte mit diversen Lieferanten geschlossen worden, um Großaufträge wie das "X" (Auftragswert € 200.000), Auftrag "Y", "Z" oder "A" erfüllen zu können. Leider sei es bei der Aausführung dieser Aufträge zu erschwerenden Umständen gekommen, die nicht zum geplanten Erfolg beigetragen hätten. Im November 2016 sei die Abrechnung der Aufträge erfolgt, woraus auch die Umsatzsteuerzahllast in Höhe von 31.342,39 € resultiert sei. Aufgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit Anfang Jänner 2017 sei im Februar 2017 bei der Hausbank vorgesprochen und um Ausweitung der Kreditlinie ersucht worden, da die Bank durch das einverleibte Pfandrecht bestens und auch überbesichert gewesen sei. Mit Schreiben vom sei dem Ersuchen um Ausweitung der Kreditlinie nicht entsprochen worden. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die GmbH in Zahlungsunfähigkeit befunden, da überhaupt keine liquiden Mittel mehr zur Verfügung gestanden seien. § 9 Abs. 1 BAO normiere, dass ein Verschulden des Vertreters für die Nichtentrichtung einer Abgabe dann nicht vorliege, wenn überhaupt keine liquiden Mittel mehr vorhanden seien. Dieser Umstand liege im Fall des Beschwerdeführers als gesetzlicher Vertreter der GmbH vor. Er sei auch nicht verpflichtet, geschuldete Abgaben aus seinen eigenen Mitteln zu begleichen - es wären auch keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden. Diese Situation sei auch der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse offengelegt und nach deren Prüfung der vorgelegten Verbindlichkeiten und Zahlungsströme eine Haftungsbefreiung gern. § 67 Abs. 10 ASVG für den Beschwerdeführer ausgesprochen worden. Aufgrund der in der Anlage vorgelegten Unterlagen und den obigen Ausführungen sei erkennbar, dass es zu keiner Zeit zu einer Gläubigerungleichbehandlung gekommen sei.

Die belangte Behörde legte die Bescheidbeschwerde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom (OZ 9) vor. In ihrer Stellungnahme im Vorlagebericht führt die belangte Behörde aus, die Liquiditätsrechnung müsse die in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben der Primärschuldnerin zur Verfügung gestandenen Mittel, ihre offenen Verbindlichkeiten und die von ihr geleisteten Zahlungen enthalten. Diese Voraussetzungen und Anforderungen seien auch durch die dreifach adaptierte Aufstellung der Verbindlichkeiten und Tilgungen nicht im Ansatz erfüllt worden. Keine Erwähnung in diesen Aufstellungen finde z.B. die Einnahmensituation der Primärschuldnerin. Die Behauptung, sämtliche Gläubiger seien gleichmäßig bedient worden, werde im Vorlageantrag vom Beschwerdeführer selbst widerlegt, indem eingeräumt werde, dass die Kreditrate im gegenständlichen Zeitraum zur Gänze bedient worden sei und Zug-um-Zug-Geschäfte getätigt worden seien (was einer 100%igen Bedienung der jeweiligen Lieferanten entspreche). Dies bedeute bereits, dass die Abgabenverbindlichkeiten benachteiligt worden seien, weil man in diesem Zusammenhang nicht von einer 100%igen Tilgung sprechen könne. Notwendige Berechnungen zur Höhe der Benachteiligung seien vom Beschwerdeführer nicht angestellt worden. Im Vorlageantrag werde zudem erwähnt, dass diese "Zug um Zug"-Geschäfte von September 2016 bis März 2017 getätigt worden seien, was wiederum die Behauptung widerlege, ab Februar 2017 seien überhaupt keine liquiden Mittel zur Verfügung gestanden. Aus der Aufstellung sei zudem ersichtlich, dass die Mietzahlungen bis inklusive Jänner 2017 getätigt worden seien, der Strom bis März 2017 bezahlt worden sei und, wie bereits erwähnt, die Kreditrate bis März 2017 voll bedient worden sei. Auch die Zahlungen an die Gebietskrankenkasse seien bis Jänner 2017 nahezu zur Gänze durchgeführt worden. Im Gegenzug dazu seien die Zahlungen auf das Abgabenkonto betreffend Umsatzsteuer ab November 2016 gänzlich eingestellt worden. Diesen Ausführungen folgend seien die Forderungen der Abgabenbehörde im Vergleich zu den weiteren Verbindlichkeiten nicht gleichmäßig behandelt worden. In welchem Ausmaß die Ungleichbehandlung stattgefunden habe, sei trotz der gesetzlichen und in der Rechtsprechung entwickelten Verpflichtung dazu, vom Bf. nicht dargetan worden. Der Vertreter erfahre aber nur dann eine Einschränkung der Haftung, wenn er den Nachweis erbringe, welcher konkrete Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Bescheidbeschwerde erwogen:

Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können (§ 9 Abs. 1 BAO).

Zu den Dienstgeberbeiträgen:

Soll die zur Haftung herangezogene Partei vom Bescheid über den Abgabenanspruch in einer Weise informiert werden, die ihr die Einbringung einer Beschwerde gegen diesen nicht an sie gerichteten und ihr nicht zugestellten, mangels nunmehriger Bekämpfung aber ihr gegenüber bindenden Bescheid ermöglicht, so ist es aber jedenfalls erforderlich, ihr die Tatsache der Bescheiderlassung als solcher mit der notwendigen Deutlichkeit zur Kenntnis zu bringen (; ).

Wird die zur Haftung herangezogene Partei nicht rechtzeitig darüber aufgeklärt, dass der Abgabenanspruch schon (gegenüber dem Primärschuldner) bescheidmäßig geltend gemacht wurde, so liegt infolge unvollständiger Information ein Mangel des Verfahrens vor, der im Verfahren über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid nicht sanierbar ist (; ; ).

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer die an den Masseverwalter (als Masseverwalter der GmbH) gerichteten Bescheide vom betreffend Dienstgeberbeiträge nicht zur Kenntnis gebracht (siehe das Aufforderungsschreiben des Bundesfinanzgerichtes vom , OZ 10, und das elektronische Anbringen der belangten Behörde samt Beilagen, OZ 11-15). Somit liegt für diese haftungsgegenständlichen Abgaben ein Mangel des Verfahrens vor, der im Verfahren über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid nicht sanierbar ist.

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich Haftung für Dienstgeberbeiträge für 01/2012 bis 12/2016 aufzuheben.

Zu den übrigen Abgaben:

Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern - was sich aus dem Wort "insoweit" in § 9 BAO eindeutig ergibt - nur in dem Umfang, in dem eine Kausalität zwischen der (schuldhaften) Pflichtverletzung des Vertreters und dem Entgang von Abgaben besteht. Reichten somit die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und somit die Abgabengläubiger benachteiligt hat, so erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung sämtlicher Gläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hätte als sie infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt dem Vertreter. Vermag er nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden (VwGH vS , 96/15/0049).

Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung bezieht sich auch auf Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind, eine Privilegierung von Gläubigern kann auch in der Barzahlung von Wirtschaftsgütern (Zug-um-Zug-Geschäfte) bestehen ().

Die Liquiditätsrechnung muss die in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben der GmbH zur Verfügung gestandenen Mittel, ihre offenen Verbindlichkeiten und die von ihr geleisteten Zahlungen enthalten ().

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lastet auf dem Vertreter auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote und des Betrages, der bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen der Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (vgl. z.B. ).

Der Beschwerdeführer hat der belangten Behörde als Beilage zum Vorlageantragsschreiben eine Liquiditätsrechnung (OZ 6 S. 4) vorgelegt. Aus dieser Liquiditätsrechnung ist zu ersehen, dass der Beschwerdeführer im Haftungszeitraum September 2016 bis März 2017 laufend Miete (bis Jänner 2017), Strom, Kreditraten, Löhne (bis Februar 2017), Kommunalsteuer (bis Februar 2017) und GKK-Beiträge (bis Jänner 2017) gezahlt hat. Der Beilage "Lieferverbindlichkeiten" (OZ 6 S. 5) ist zu entnehmen, dass der Stand der Lieferverbindlichkeiten im Haftungszeitraum bei zwei Lieferanten gesunken ist. Auch ist dieser Beilage zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer für "Zug-um-Zug"-Geschäfte Zahlungen im Gesamtbetrag von rund 70.000 € geleistet hat. Die übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben hat der Beschwerdeführer hingegen nicht entrichtet.

Da der Beschwerdeführer die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und somit den Abgabengläubiger benachteiligt hat, hat ihn die belangte Behörde zu Recht zur Haftung herangezogen. Der Beschwerdeführer war für diese Abgaben zur Gänze zur Haftung heranzuziehen, weil er weder die Quote errechnet noch dargestellt hat, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre. Die Behörde ist nicht gehalten, im Wege der Schätzung auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung zu schließen, wenn dazu kein konkretes Vorbringen erstattet wird ().

Die Bescheidbeschwerde war daher hinsichtlich der übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben als unbegründet abzuweisen.

Die Zustellung dieses Erkenntnisses hatte an den Beschwerdeführer als Empfänger zu erfolgen, weil sein bisheriger steuerlicher Vertreter im gegenständlichen Haftungsverfahren, die ***StB-OG*** aufgelöst und im Firmenbuch gelöscht wurde.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung im Hinblick auf die oben wiedergegebene Rechtsprechung nicht vorliegt, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.

Graz, am

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