Zur Frage nach der Gültigkeit der Handlungen der Unionsorgane ist das zwischeninstanzliche Gericht verpflichtet (hier iZm der Indexierung der Familienbeihilfe)
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/16/0173. Beschluss vom , gemäß § 30 Abs. 2 und 5 VwGG wird dem Antrag stattgegeben. Der Vollzug des Beschlusses über eine vorläufige Anordnung vom wird ausgesetzt. Einstellung des Verfahrens mit Beschluss vom gemäß § 33 Abs. 1 VwGG wegen Gegenstandsloserklärung.
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Rechtssätze | |
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RV/7103708/2020-RS1 | Das Vorabentscheidungsersuchen RE/7100004/2020 zeigt, dass das Bundesfinanzgericht an der Gültigkeit von Art 4 und 7 VO 883/2004 keinerlei Zweifel hegt, sodass nach Ansicht des Vorlagegerichtes anzuerkennen ist, dass die genannten Normen einer Verordnung iSd Art 288 Abs 2 AEUV unmittelbar in der österreichischen Rechtsordnung gelten und die nationalen Behörden und Gerichte zu deren Anwendung verpflichtet sind und Art 7 VO 883/2004 „das wirksame Zustandekommen“ der mit Bundesgesetz vom , BGBl I Nr 83/2018, eingeführten und ab anwendbaren Indexierung der Familienbeihilfe „insoweit verhindert hat“, weil die Indexierung eine Wohnortklausel darstellt, die mit Art 7 VO 883/2004 „unvereinbar [ist]“ ( 106/77, Rs Simmenthal II, Rn 17/18). |
RV/7103708/2020-RS2 | Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist das unterinstanzliche Vorlagegericht im Fall der Frage nach der Gültigkeit von Handlungen der Organe iSd Art 267 Abs 1 Buchstabe b) AEUV in einem Vorabentscheidungsverfahren zum einen ausnahmsweise zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und zum anderen zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz verpflichtet, um die Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren ( 314/85, Rs Foto-Frost, Rn 17-19). Bei der Frage nach der Gültigkeit (bzw Ungültigkeit) der Handlungen der Unionsorgane handelt es sich materiell um eine Nichtigkeitsklage iSd Art 263 AEUV, zu dessen Beurteilung allein der EuGH berufen ist, dem allein das Verwerfungsmonopol von Sekundärrecht zukommt. Als Rechtsgrundlage für den vorläufigen Rechtsschutz ist unmittelbar auf das Unionsrecht zu greifen (EuGH vom, C-213/89, Rs Factortame, Rn 21ff). |
Entscheidungstext
Beschluss über eine vorläufige anordnung
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** Tschechien, unvertreten, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom , SVN ***3***, betreffend Abweisung der in Verbindung mit der neuen Koordinierung für Wanderarbeitnehmer gestellten Anträge ab Januar 2019 für die Kinder ***K1*** (geb ***1***) und ***K2*** (geb ***2***) für den Zeitraum Januar 2019 bis März 2020 auf Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 1 bis 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (in der Folge: FLAG) und des Kinderabsetzbetrages gemäß § 33 Abs 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz 1988 (in der Folge: EStG) in nicht an die Kaufkraftverhältnisse im Wohnort angepasster Höhe, gemäß Artikel 4 Abs 3 des Vertrages über die Europäische Union (in der Folge: EUV) iVm den Artikeln 278 und 279 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (in der Folge: AEUV) bis zur Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens durch den Europäischen Gerichtshof folgende vorläufige Anordnung beschlossen:
I. Für die zuvor genannten Kinder sind die Familienbeihilfenbeträge unter Berücksichtigung von Kinder- und Altersstaffel und der Kinderabsetzbetrag ungekürzt für den oben genannten Zeitraum zu gewähren.
II. Über die nachzuzahlenden Beträge hat die belangte Behörde gemäß § 12 Abs 1 FLAG eine Mitteilung auszustellen, in dieser die für den Streitzeitraum geltenden Beträge an Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages in nichtdiskriminierender Höhe darzustellen und davon die bisher ausbezahlten Beträge an Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages als Vorauszahlung abzuziehen.
III. Die belangte Behörde hat die Nachzahlung unverzüglich nach Zustellung des Beschlusses vorzunehmen und über den Vollzug dieses Beschlusses unter Vorlage der Nachweise zu berichten.
IV. Der angefochtene Bescheid ist bis zum Ergehen des das Vorabentscheidungsersuchen beantwortenden Urteils durch den Europäischen Gerichtshof nicht zu vollziehen und steht der vorläufigen Anordnung nicht entgegen. Die Wirksamkeit der vorläufigen Anordnung erlischt in dem Zeitpunkt, in dem der Europäische Gerichtshof das das Vorabentscheidungsersuchen beantwortende Urteil erlässt.
V. Gegen den Beschluss ist eine abgesonderte ordentliche oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof oder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig.
Begründung
Die vorläufige Anordnung ergeht iZm dem zur GZ RV/7100004/2020 protokollierten Vorabentscheidungsersuchen, das wiederum zur Beschwerdesache RV/7101806/2020 gehört.
Rechtsgrundlagen
Art 4 Abs 3 EUV lautet:
"(3) Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.
Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben.
Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten."
Art 45 Abs 1 und 2 AEUV lauten:
"(1) Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen."
Art 278 AEUV bestimmt:
"Klagen bei dem Gerichtshof der Europäischen Union haben keine aufschiebende Wirkung. Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen."
Art 279 AEUV ordnet an:
"Der Gerichtshof der Europäischen Union kann in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen."
Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004, neue Koordinierung oder Grundverordnung) regelt die Gleichbehandlung von Personen und lautet:
"Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates."
Artikel 7 VO 883/2004 trägt die Überschrift "Aufhebung der Wohnortklauseln" und lautet:
"Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."
§ 254 Bundesabgabenordnung (im Folgenden: BAO) lautet:
"Durch Einbringung einer Bescheidbeschwerde wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten."
§ 212a BAO lautet auszugsweise:
"(1) Die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.
…
(3) Anträge auf Aussetzung der Einhebung können bis zur Entscheidung über die Bescheidbeschwerde (Abs. 1) gestellt werden. …
…
(5) Die Wirkung einer Aussetzung der Einhebung besteht in einem Zahlungsaufschub. Dieser endet mit Ablauf der Aussetzung oder ihrem Widerruf (§ 294). …
…"
Gemäß § 2 Abs 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (im Folgenden: FLAG) haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder jene Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Gemäß § 2 Abs 3 lit a und c FLAG zählen zu den Kindern die Nachkommen einer Person und deren Stiefkinder.
Gemäß § 3 Abs 1 FLAG haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten.
§ 4 FLAG lautet auszugsweise:
"(1) Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.
(2) Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.
(3) Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe, die nach diesem Bundesgesetz zu gewähren wäre, geleistet.
…
(6) Die Ausgleichszahlung gilt als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes; die Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe finden jedoch auf die Ausgleichszahlung keine Anwendung.
…"
§ 8 FLAG regelt die Höhe der Familienbeihilfe und sieht in seinen Absätzen 1 bis 3 eine Staffel nach der Anzahl der Kinder und eine Altersstaffel vor, der für Inländer, die einen Inlandssachverhalt verwirklichen gilt. § 8 FLAG lautet im nichtdiskriminierenden Teil:
"(1) Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird.
(2) Die Familienbeihilfe beträgt monatlich
(Anm.: Z 1 mit Ablauf des außer Kraft getreten)
(Anm.: Z 2 mit Ablauf des außer Kraft getreten)
3. ab
a) 114 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats der Geburt,
b) 121,9 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 3. Lebensjahr vollendet,
c) 141,5 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 10. Lebensjahr vollendet,
d) 165,1 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 19. Lebensjahr vollendet.
(3) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind
(Anm.: Z 1 mit Ablauf des außer Kraft getreten)
(Anm.: Z 2 mit Ablauf des außer Kraft getreten)
3. ab , wenn sie
a) für zwei Kinder gewährt wird, um 7,1 €,
b) für drei Kinder gewährt wird, um 17,4 €,
c) für vier Kinder gewährt wird, um 26,5 €,
d) für fünf Kinder gewährt wird, um 32 €,
e) für sechs Kinder gewährt wird, um 35,7 €,
f) für sieben und mehr Kinder gewährt wird, um 52 €.
§ 33 Abs 3 Einkommensteuergesetz 1988 (in der Folge: EStG) lautet im nichtdiskriminierenden Teil für Inländer, die einen Inlandssachverhalt verwirklichen:
"(3) Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu.
Sachverhalt und Verfahrenshergang
Die Beschwerdeführerin (Bf), ihr Ehemann, ihr Stiefkind (Stiefsohn) und die beiden gemeinsamen Kinder (Töchter) besitzen die tschechische Staatsbürgerschaft. Die Bf war in Österreich im Zeitraum von Juli 2017 bis Februar 2020 geringfügig bei verschiedenen österreichischen Arbeitgebern beschäftigt und in der gesetzlichen Sozialversicherung selbstversichert. Am ist die geringfügige Beschäftigung weggefallen. Der Familienwohnsitz befindet sich in Tschechien.
Die Arbeitgeber haben ihren Sitz in Österreich und die Beschäftigung wurde im Hoheitsgebiet Österreichs ausgeübt. Weder der in Tschechien erwerbstätige Ehemann noch die Bf ist Wohnortstaat anspruchsberechtigt für die dortige korrespondierende Familienleistung, weil das Familieneinkommen die gesetzlich vorgesehene Verdienstgrenze (Einkommenskriterium) überschreitet.
Bis wurde der Bf die österreichische Familienbeihilfe ungekürzt für die beiden älteren Kinder in Euro auf ein inländisches Konto ausgezahlt. Darüber hat die Bf die Mitteilungen vom und vom erhalten. Mit wurde die Anpassung der österreichischen Familienbeihilfe an die Kaufpreisverhältnisse am Wohnortstaat eingeführt. Über die durch die Indexierung verminderten Beträge ist keine gesonderte Mitteilung ergangen. Nach Ansicht der belangten Behörde sei eine gesonderte Mitteilung rechtlich nicht geboten gewesen, weil sich am grundsätzlichen Anspruch wie Anzahl der Kinder nichts geändert hätte.
Mit Schriftsatz vom stellte die Bf den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe in Form der Ausgleichszahlung ab in voller, nichtindexierter Höhe und begehrte die Differenzbeträge nachzuzahlen sowie die Ausstellung eines Bescheides. Sie drückte darin ihre Vermutung aus, dass die reduzierten Beihilfenbeträge durch die propagierte Indexierung verursacht seien. Den Antrag wies die belangte Behörde unter Hinweis auf die neue Rechtslage mit Bescheid vom , der vor der Geburt des dritten Kindes ergangen ist und im Spruch nur die Namen des ersten und des zweiten Kindes anführt, als unbegründet ab, wogegen die Bf mit Schriftsatz vom form- und fristgerecht Bescheidbeschwerde erhob. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde das Rechtsmittel aus den bekannten Gründen als unbegründet ab, wogegen die Bf mit Schriftsatz vom Vorlageantrag erhob, in dem sie auch die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes im Wege der Vorabentscheidung anregte und eine Schadenersatzklage gegen die Republik Österreich in Aussicht stellte. Mit Vorlagebericht vom wurde die Bescheidbeschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt, das im Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Vorlage Zuständigkeit zur Erledigung der Bescheidbeschwerde erlangt hat.
Aufgrund der Selbstversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach § 19a ASVG erhielt die Bf in der Mutterschutzzeit vom bis Wochengeld. Eine Selbstversicherung in der Krankenkasse auf Grundlage von § 16 ASVG ist nicht erfolgt.
Beweismittel und Beweiswürdigung:
Obige Sachverhaltsfeststellung ergab sich widerspruchsfrei aus folgenden Beweismitteln:
Schriftsätze der Bf, Bescheide und Mitteilungen vom , vom der belangten Behörde für die ersten beiden Kinder und jene vom für drei Kinder, an die Bf gerichtetes Schreiben der Österreichischen Gesundheitskasse vom bezüglich Selbstversicherung.
Rechtzeitigkeit, Formerfordernisse, Umfang der Beschwerde
1 Bescheidbeschwerde und Vorlageantrag sind form- und fristgerecht.
2 Zum Umfang der Bescheidbeschwerde ist zu sagen, dass nach obiger Sachverhaltsfeststellung nur der Stiefsohn ***K1*** und die gemeinsame Tochter ***K2*** im Spruch des angefochtenen Bescheides angeführt sind. Der Spruch des angefochtenen Bescheides bestimmt den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Da das nachgeborene, dritte Kind nicht im Spruch des angefochtenen Bescheides angeführt ist, ist das dritte Kind nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
3 In materieller Hinsicht ist im angefochtenen Bescheid die Gewährung der Familienbeihilfenbeträge und des Kinderabsetzbetrages (in der Folge nur: Familienbeihilfe) aufgrund der in Österreich per eingeführten Anpassung dieser Beträge an die Kaufkraftverhältnisse am Wohnort in reduzierter Höhe erfolgt, weil der Wohnort in Tschechien liegt. Allein die Unionsrechtskonformität dieser Kürzung ist strittig.
4 Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, hat der österreichische Gesetzgeber nach der Rechtsanschauung des Vorlagegerichts mit der Einführung der reduzierenden (kürzenden, herabmindernden) Indexierung die Vorlagefrage nach der Gültigkeit von unionsrechtlich anwendbarem Sekundärrecht, konkret Art 4 und 7 VO 883/2004, die die Inländergleichstellung sowie die Aufhebung von Wohnortklausel anordnen, indiziert. Auch die im sekundären Unionsrecht angesiedelte Wohnortklausel zugunsten Frankreichs nach Art 73 Abs 2 VO 1408/71 in seiner Stammfassung wurde vom EuGH unter dem Gesichtspunkt der Gültigkeit betrachtet und hat letztlich zu dessen Ungültigkeitserklärung durch den EuGH geführt ( 41/84, Rs Pinna I, Rn 22, 25). Das Vorabentscheidungsersuchen hat sich ausführlich der historischen Entwicklung von der VO 1408/71 zur VO 883/2004 gewidmet und dargelegt, dass in der neuen Koordinierung Wohnortklauseln betreffend Familienbeihilfe als Geldleistungen dogmatisch ausschließlich beim Art 7 VO 883/2004, und nicht bei der Nachfolgebestimmung Art 67 VO 883/2004 des vom EuGH für ungültig erklärten Art 73 Abs 2 VO 1408/71 einzuordnen sind. Dass Österreich die Wohnortklausel als inländische Gesetzesnorm erlassen hat, ändert an der Gültigkeitsfrage nichts, ganz im Gegenteil, dieser Umstand stärkt sie.
Gültigkeit der Handlungen von Unionsorganen und vorläufiger Rechtsschutz
5 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist das unterinstanzliche Vorlagegericht im Fall der Frage nach der Gültigkeit von Handlungen der Organe iSd Art 267 Abs 1 Buchstabe b) AEUV in einem Vorabentscheidungsverfahren zum einen ausnahmsweise zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und zum anderen zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz verpflichtet, um die Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren ( 314/85, Rs Foto-Frost, Rn 17-19). Bei der Frage nach der Gültigkeit (bzw Ungültigkeit) der Handlungen der Unionsorgane handelt es sich materiell um eine Nichtigkeitsklage iSd Art 263 AEUV, zu dessen Beurteilung allein der EuGH berufen ist, dem allein das Verwerfungsmonopol von Sekundärrecht zukommt.
6 Das unterinstanzlich eingerichtete Bundesfinanzgericht ist somit zur Vorlage der Gültigkeitsfrage und zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz verpflichtet.
7 Als Rechtsgrundlage für den vorläufigen Rechtsschutz ist unmittelbar auf das Unionsrecht zu greifen (EuGH vom, C-213/89, Rs Factortame, Rn 21ff), weil gemäß § 254 BAO durch Einbringung einer Bescheidbeschwerde die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten wird. Auf diese gesetzliche Anordnung bezieht sich Spruchpunkt IV des Beschlusses, auch wenn der angefochtene Bescheid mangels Abgabenfestsetzung kein Leistungsgebot enthält.
8 § 212a Abs 1 BAO, der bestimmt, dass "die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen [ist], als eine Nachforderung […] auf einen Bescheid […] zurückzuführen ist […]" ist im konkreten Fall bereits mangels Leistungsgebots im angefochtenen Bescheid nicht anwendbar. Gemäß § 212a Abs 5 BAO besteht die Wirkung einer Aussetzung der Einhebung lediglich in einem Zahlungsaufschub, der in der Ausgangssituation jedoch ins Leere geht.
9 Zum Schadenersatzanspruch ist auszuführen, dass die von einem Schaden bedrohte Person verpflichtet ist, sämtliche zur Vermeidung des Eintritts des Schadens dienlichen Maßnahmen zu ergreifen (Rettungspflicht). Das wäre im konkreten Fall der Antrag auf einen Bescheid auch für das drittgeborene Kind gewesen, um dadurch Rechtsschutz im Wege des Rechtsmittelverfahrens zu erwirken. Die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes durch das Bundesfinanzgericht ist somit auf das erste und das zweite Kind begrenzt. Es steht der Bf jedoch nach wie vor offen, auch für das dritte Kind den Antrag auf Bescheid bei der belangten Behörde einzubringen, solcherart das Beschwerdeverfahren und damit verbunden die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes auf das dritte Kind zu erstrecken.
10 In der Rs Süderdithmarschen hat der Europäische Gerichtshof die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch ein nationales Gericht formuliert ( verb Rs C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen, Rn 22ff) und in der Rs Le Pen dahingehend ergänzt, dass er den vorläufigen Rechtsschutz dann als erforderlich ansieht, wenn er erforderlich ist, die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung sicher zu stellen (, P-R, Le Pen, Rn 81).
Die Voraussetzungen für vorläufigen Rechtsschutz sind demnach:
1) Das Bestehen erheblicher Zweifel an der Gültigkeit von anwendbarem Unionsrecht;
2) Die Dringlichkeit der Entscheidung zur Abwehr eines schweren, irreparablen Schadens für die Partei;
3) Angemessene Berücksichtigung des Unionsinteresses durch die vorläufige Anordnung;
4) Erforderlichkeit zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit der künftigen Entscheidung und
5) Vorlage des Vorabentscheidungsersuchens mit der Frage nach der Gültigkeit von Unionsrecht und Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes durch Anwendung des Unionsrechts erfolgen zeitgleich.
11 Für die Ausgangssituation sind diese Voraussetzungen für die Rechtsanschauung des BFG wie folgt umzuformulieren:
1) Das Bestehen erheblicher Zweifel an der Ungültigkeit von Art 4 und 7 VO 883/2004;
2) Die Dringlichkeit der Entscheidung zur Abwehr eines schweren, irreparablen Schadens für die Beschwerdeführerin, für die Union und den Mitgliedstaat Österreich im Vertragsverletzungsverfahren;
3) Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechtsaktes Art 4 und 7 VO 883/2004 im Mitgliedstaat;
4) Erforderlichkeit zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit der künftigen Entscheidung und
5) Vorlage des Vorabentscheidungsersuchens mit der Frage nach der Gültigkeit von Art 4 und 7 VO 883/2004 und Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes durch Anwendung von Art 4 und 7 VO 883/2004 erfolgen zeitgleich.
Ad 1) erhebliche Zweifel an der Ungültigkeit von Art 4 und 7 VO 883/2004
12 Das Vorabentscheidungsersuchen RE/7100004/2020 zeigt, dass das Bundesfinanzgericht an der Gültigkeit von Art 4 und 7 VO 883/2004 keinerlei Zweifel hegt, sodass nach Ansicht des Vorlagegerichtes anzuerkennen ist, dass die genannten Normen einer Verordnung iSd Art 288 Abs 2 AEUV unmittelbar in der österreichischen Rechtsordnung gelten und die nationalen Behörden und Gerichte zu deren Anwendung verpflichtet sind und Art 7 VO 883/2004 "das wirksame Zustandekommen" der mit Bundesgesetz vom , BGBl I Nr 83/2018 (OZ , eingeführten und ab anwendbaren Indexierung der Familienbeihilfe "insoweit verhindert hat", weil die Indexierung eine Wohnortklausel darstellt, die mit Art 7 VO 883/2004 "unvereinbar [ist]" ( 106/77, Rs Simmenthal II, Rn 17/18). Zweifel bestehen vielmehr daran, dass Art 4 und 7 VO 883/2004 ungültig sein sollen.
13 Das BFG sieht zur Beantwortung der Frage, ob eine Indexierung der Familienbeihilfe mit dem Unionsrecht, Art 45 AEUV und Art 7 VO 883/2004 als für den Ausgangsfall zentrale Normen des Unionsrechts an, wohingegen Gutachten und Regierungsvorlage (OZ 12 und 13) den Fokus auf Art 67 VO 883/2004 gelegt haben.
14 Die auf Ebene von Art 67 VO 883/2004 durch den zuständigen Träger (Finanzamt) bei Erlassung eines individuellen Verwaltungsaktes zu filternden Tatbestandsmerkmale, die zu einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führen können, wie inländischer Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt, Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland etc, sind solche, die bei einem Inlandssachverhalt sehr wohl ihre Berechtigung haben und nur für den unionsrechtlichen Anwendungsfall im Wege des relativen Anwendungsvorranges verdrängt werden. Dabei handelt es sich um Tatbestandsmerkmale, die ein Inländer auf der Sachebene zu erfüllen hat (Inlandssachverhalt), um als Rechtsfolge den Anspruch auf die Familienbeihilfe auszulösen.
15 Demgegenüber werden durch Art 7 VO 883/2004 jene Klauseln im Gesetz des Mitgliedstaates für aufgehoben erklärt, die nur deshalb die Reduktionoder die Nichtleistung der in Geld zu erbringenden Leistung der sozialen Sicherheit, zu der die Familienbeihilfe zählt, anordnet, weil der Berechtigte und / oder dessen Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Mitgliedstaat leben.
16 Art 7 und 67 VO 883/2004 sind bei verständiger Würdigung wie zwei nacheinander geschaltete Filter zu betrachten, die gemeinsam das Ziel der Vermeidung einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des im anderen Mitgliedstaat gelegenen Wohnortes verfolgen, wobei Art 7 VO 883/2004 allfällige in den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehene Wohnortklauseln für aufgehoben erklärt und damit die generelle Norm im Anwendungsfall ausschaltet, wohingegen Art 67 883/2004 weitere Diskriminierungsmerkmale wie Wohnsitzerfordernisse im Inland im Anwendungsfall zur Beurteilung des Sachverhalts verdrängt. Normen, die durch Art 7 VO 883/2004 im Vorfeld für aufgehoben erklärt wurden, können folglich nicht mehr Gegenstand des Art 67 VO 883/2004 sein.
Ad 2 bis 4) Dringlichkeit der Entscheidung, Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechtsaktes sowie Erforderlich zur vollen Wirksamkeit der künftigen Entscheidung
17 Für den Ausgangsfall lassen sich die Punkte 2 bis 4 nicht klar und deutlich voneinander trennen, sondern sind miteinander verwoben, weil eine generelle Norm auf dem Prüfstand steht. Der Schaden, der der Bf erwächst, mag für sie in der Zeit nach der Geburt eines dritten Kindes subjektiv groß sein, doch wiegt der Schaden der Union, der durch die Nichtvollziehung von gültigem und anwendbarem Unionsrecht entstünde, bereits objektiv wesentlich schwerer. Im konkreten Fall deckt sich allerdings das Interesse der Union mit jenem der Beschwerdeführerin. Die Anordnung einer vorläufigen Gewährung der Familienbeihilfe ist der einzige Weg für das Vorlagegericht, um die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und damit Schaden von der Beschwerdeführerin und der Union abzuwenden. Auch zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit der künftigen Entscheidung ist die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes durch Anwendung von unmittelbar anwendbarem Unionsrecht geboten.
18 Angesichts des Interesses der Union an der Vollziehung von gültigem und anwendbarem Unionsrecht durch die mitgliedstaatlichen Gerichte, die damit weiters nur der unionsrechtlichen Verpflichtung nachkommen und den Anwendungsvorrang beachten, ist es unerheblich, dass die Bf weder den drohenden Schaden genau beziffert noch einen förmlichen Antrag auf Einräumung von vorläufigem Rechtsschutz gestellt hat. Vielmehr ist das Vorlagegericht der Auffassung, dass es eines förmlichen Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in einer Ausgangssituation wie der vorliegenden nicht bedarf. Auf Rz 90 des Vorentscheidungsbeschlusses und die darin zitierten Nachweise wird ergänzend verwiesen.
19 In der Rechtssache Brasserie du pêcheur SA hat der EuGH zu Recht erkannt, dass "im Völkerrecht der Staat, dessen Haftung wegen Verstoßes gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung ausgelöst wird, als Einheit betrachtet [werde], ohne dass danach unterschieden [werde], ob der schadenverursachende Verstoß der Legislative, der Judikative oder der Exekutive zuzurechnen ist. Dies [gelte] umso mehr in der [Unions]rechtsordnung, als alle staatlichen Instanzen einschließlich der Legislative bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die vom [Unions]recht vorgeschriebenen Normen, die die Situation des einzelnen unmittelbar regeln können, zu beachten haben" ( verb C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur SA und The Queen, Rn 34).
20 Nach der Pressemitteilung der Europäische Kommission vom hat diese beschlossen, Österreich wegen der Einführung der Indexierung der Familienbeihilfe beim EuGH wegen Verletzung der Verträge zu verklagen. Das BFG sorgt sich um den Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens und hofft, dass auch in einem Vertragsverletzungsverfahren das Verhalten eines Mitgliedstaates als Ganzes betrachtet wird und dass die Einräumung vorläufigen Rechtsschutzes durch das BFG als Einrichtung der dritten Staatsteilgewalt iVm der Gültigkeitsfrage von Unionsrecht auf den Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens bzw auf die allfällige Bemessung eines Pauschalbetrages oder eines Bußgeldes nach Art 260 Abs 2 AEUV zugunsten Österreichs zu werten sein wird. Die im Vorlagebeschluss angeführten mahnenden Stimmen iZm der Einführung der Indexierung sind nicht die einzigen, sie blieben jedoch ungehört. Das Bemühen des BFG geht dahin, die Folgen des Vertragsverletzungsverfahrens, die von der Allgemeinheit der Steuerzahler zu tragen sein werden, bestmöglich abzumildern.
Ad 5) Gleichzeitigkeit von Vorabentscheidungsersuchen und vorläufigem Rechtsschutz
21 Auch dieses Kriterium wird erfüllt.
22 Schließlich ist zu sagen, dass in der Ausgangssituation eine abschließende Sachentscheidung durch das BFG unter Hinweis auf die CILFIT-Doktrin (vgl. Srl C.I.L.F.I.T. u.a., C-283/81, EU:C:1982:335), obwohl das Vorlagegericht keine Zweifel an der Gültigkeit von anwendbarem Sekundärrecht und dessen Primärrechtskonformität hat, angesehen von der Gültigkeitsfrage auch deshalb ausscheidet, weil der österreichische Gesetzgeber mit Absicht und in rechtlicher Überzeugung die Indexierung der Familienbeihilfe beschlossen hat und aus diesem Grund ein Urteil des EuGH unbedingt notwendig ist, um die Rechtsbereinigungspflicht des österreichischen Gesetzgebers auszulösen ( 159/78, Rs Kommission/Italien, Rn 22). Im Übrigen ist die Berufung auf die CILFIT-Doktrin nur einem letztinstanzlichen Gericht vorbehalten, was das BFG nicht ist (vgl Rn 4, 8 und 21 des genannten EuGH-Urteils).
23 Bei gegebener Unionsrechtslage ist in jedem Einzelfall eine Vorlage der Gültigkeitsfrage an den EuGH erforderlich, um für diesen konkreten Fall die vorläufige Anordnung treffen zu können. Bemerkt wird, dass nach dem vorliegenden Zahlenmaterial von der kürzenden Indexierung rund 125.000 Fälle betroffen sind. Das wären 125.000 Vorabentscheidungsersuchen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsbelehrung und Hinweise
Gegen Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 3 VwGG ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof (§ 25a Abs. 2 Z 1 VwGG) oder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (§ 88a Abs. 2 VfGG) nicht zulässig.
Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision, und zwar sowohl die sogenannten ordentliche wie auch die außerordentlich Revision, an den Verwaltungsgerichtshof oder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig. Sie können erst in der Revision oder Beschwerde gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden (§ 25a Abs. 3 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, § 88a Abs. 3 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953).
Das Vorabentscheidungsersuchen ist als ein Zwischenverfahren im mitgliedstaatlichen Rechtsmittelverfahren eingerichtet. Die Befassung der nationalen Höchstgerichte des öffentlichen Rechts vor Ergehen des Urteils des EuGH würde dieser unionrechtlichen Konzeption zuwiderlaufen.
Mit der Frage nach der Gültigkeit von unmittelbar geltendem Sekundärrecht ist die mit diesem Beschluss getroffene vorläufige Anordnung zur Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages in ungekürzter Form untrennbar verbunden, weil das Unionsrecht das mitgliedstaatliche Gericht im Fall der Gültigkeitsfrage an den EuGH dazu verpflichtet. Aufgrund des Anwendungsvorranges gültigen Unionsrechts als Teil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung iVm der Frage nach seiner Gültigkeit in einem Vorentscheidungsersuchen steht in diesem Fall den Parteien das auch Rechtsinstitut der außerordentlichen Revision, die das BFG nach innerstaatlichem Recht nicht auszuschließen vermag, nicht offen.
Bei der Frage nach der Gültigkeit (bzw Ungültigkeit) der Handlungen der Unionsorgane handelt es sich materiell um eine Nichtigkeitsklage iSd Art 263 AEUV, zu dessen Beurteilung allein der EuGH berufen ist und dem allein das Verwerfungsmonopol von Sekundärrecht zukommt. Der Beschluss über die vorläufige Anordnung ist daher akzessorisch zum die Gültigkeitsfrage umfassenden Vorabentscheidungsersuchen und beide Rechtsakte bilden eine untrennbare Einheit, die nur einer einheitlichen Rechtskontrolle unterliegen können. Folglich unterliegt auch der Beschluss über die vorläufige Anordnung ausschließlich der Kontrolle des EuGH.
Laut Spruchpunkt IV erlischt die Wirksamkeit der vorläufigen Anordnung in dem Zeitpunkt, in dem der Europäische Gerichtshof das das Vorabentscheidungsersuchen beantwortende Urteil erlässt. Ab diesem Zeitpunkt ist die endgültige Entscheidung in der Beschwerdesache RV/7101806/2020 selbst zu treffen. Bei diesem Beschluss handelt es sich daher um einen Beschluss, der direkt auf das Unionsrecht gestützt ist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | Art. 279 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47 Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 7 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 278 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47 § 254 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 8 Abs. 1 bis 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 Art. 4 Abs. 3 EUV, EU-Vertrag, ABl. Nr. C 202 vom S. 1 Art. 45 Abs. 1 und 2 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47 Art. 288 Abs. 2 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47 |
Verweise | 41/84 |
Zitiert/besprochen in | Stöger-Frank in BFGjournal 2020, 457 Kain, Die Koordinierung von Familienleistungen, Wien 2023, S 91 f |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103708.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at