Keine rückwirkende Gewährung von erhöhter Familienbeihilfe bei 2 schlüssigen Gutachten hinsichtlich des Beginns der Behinderung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum Mai 2016 bis Oktober 2018 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (Bf.) beantragte am die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab Mai 2016 für ihre am xy geborene Tochter H.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom für den Zeitraum Mai 2016 bis Oktober 2018 unter Hinweis auf das Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom , in dem der Tochter ein Grad der Behinderung von 50 % ab November 2018 attestiert wurde, abgewiesen. In diesem Gutachten wurde darauf verwiesen, dass eine weiter zurückliegende Feststellung des Grades der Behinderung mangels Befunden nicht möglich sei.
In der Beschwerde vom wurde zwar auf ein beiliegendes psychiatrisch-fachärztliches Gutachten verwiesen, dieses aber erst nach einem Ergänzungsersuchen der belangten Behörde am vorgelegt.
Weiters wurde eine Bestätigung einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom mit folgendem Wortlaut vorgelegt, wonach die Tochter "seit 2010 an Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten in der Schule leidet. Weiters hat sie logopädische Probleme und weiters leidet sie auch an Haminkontinenz (wobei sie tagsüber mehrere Einlagen braucht). Sie ist in intensiver Therapie."
Am kam es zu einer neuerlichen Untersuchung beim Sozialministeriumservice und anschließender Gutachtenerstelltung, wobei nun auch die ärztliche Bestätigung
Dr. D, vom und der klinisch- psychologische Befund des KFJ-Spitals vom in die Begutachtung miteinbezogen wurden.
Der Prozentsatz der Behinderung blieb unverändert. Ein weiter zurückliegender Beginn als November 2018 wurde wegen der "dürftigen Befundlage" als nicht möglich erachtet.
Nachdem die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen worden war, stellte die Bf. am einen Vorlageantrag, in dem sie vorbrachte, dass ihre Tochter "seit ihrer Kindheit" an einer Behinderung im Ausmaß von 50 % leide.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die Tochter der Bf. wurde am xy geboren und war daher im Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe 14 Jahre alt.
Im Gutachten des Sozialministeriumservice vom wurde ein Grad der Behinderung von 50 % ab November 2018 festgestellt.
In einem weiteren Gutachten vom wurde unverändert wiederum der Grad der Behinderung mit 50 % ab November 2018 festgestellt.
Diesem Gutachten lagen, so wie von der Bf. beantragt, ein von ihr beigebrachter klinisch-psychologischer Befund des KFJ-Spitals und eine Bestätigung einer Ärztin für Allgemeinmedizin (Näheres dazu in den Entscheidungsgründen) zu Grunde.
Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage, insbesondere aus den beiden Sachverständigengutachten.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FAmilienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder…..
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idF BGBl I Nr. 531/1993 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzusetzen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 150/2002 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Wie sich aus § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ergibt, ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, zwingend durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens unter der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten nachzuweisen. Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen. Die ärztliche Bescheinigung bildet jedenfalls die Grundlage für die Entscheidung, ob erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen.
Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Kompetenz für die Beurteilung des Grades der Behinderung und der Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ausdrücklich an eine dafür qualifizierte Institution übertragen. Daraus folgt, dass der Entscheidungsfindung durch die Behörde weder Bekundungen der Eltern über den Gesundheitszustand ihres Kindes noch anderer Personen, mögen sie auch überfachärztliche Kenntnisse verfügen, zu Grunde zu legen sind (vgl. das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/2100351/2020 unter Hinweis auf das Erkenntnis ).
Auf Grund dieser Rechtsprechung sind daher das Vorbringen der Bf. und die Bestätigung der Ärztin für Allgemeinmedizin hinsichtlich der Frage, ab wann der Grad der Behinderung von
50 % vorlag, nicht entscheidungswesentlich.
Bei der Beantwortung der Frage, welcher Grad der Behinderung ab welchem Zeitpunkt vorlag ist die belangte Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an das der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) zugrunde liegende Gutachten gebunden und darf dieses nur dahingehend prüfen, ob es schlüssig und vollständig und im Fall mehrer Gutachten, diese nicht einander widersprechend sind (vgl. ; , und die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung).
Die Tochter der Bf. war zum Antragszeitpunkt 14 Jahre alt.
Für einen Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe ab Mai 2016, so wie von der Bf. beantragt, müsste daher durch ein Gutachten des Sozialministeriumservice ein Grad der Behinderung von 50% beginnend mit dem Antragszeitraum vorliegen.
Im Vorgutachten vom wurde ein Grad der Behinderung von 30% festgestellt.
In dem dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Gutachten wurde zwar ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt, jedoch erst beginnend mit November 2018, da keine psychiatrisch-fachärztlichen Befunde vor dem Untersuchungsdatum vorlägen, die den eingeschätzten Grad der Behinderung rückwirkend begründen würden.
Damit erweist sich aber dieses Gutachten als logisch nachvollziehbar und schlüssig.
Auch das weitere Gutachten vom , in dem ausdrücklich auf das von der Bf. nachgereichte klinisch-psychologische Gutachten des KFJ-Spitals vom und die von Dr. D ausgestellte Bestätigung vom Mai 2019 Bezug genommen wird, kommt hinsichtlich des Grades der Behinderung und des Beginns dessen Vorliegen zu keinem anderen Ergebnis.
Ab wann der Behinderungsgrad von 50 % vorliegt, ist eine medizinische Frage, die letztlich in zwei Gutachten des Sozialministeriumservice schlüssig und nachvollziehbar begründet wurde.
Ab wann nach Auffassung der Bf. bzw. der Ärztin für Allgemeinmedizin (siehe die in den Entscheidungsgründen dargestellte Bestätigung) der Behinderungsgrad von 50 % vorgelegen sei, kommt es nach der oben zitierten Rechtsprechung nicht an.
Die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages ab Mai 2016 erfolgte daher zu recht.
Es war somit wie im Spruch zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Frage, inwieweit die Beihilfenbehörden bzw. das Bundesfinanzgericht an ein Gutachten des Sozialministeriumservice gebunden sind, wurde bereits mehrfach durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt, sodass die Revision auszuschließen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103690.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at