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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.03.2020, RV/7100384/2020

Primäre Anspruchsberechtigung der mit den Kindern im gemeinsamen Haushalt in Polen lebenden Kindesmutter

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch R in der Beschwerdesache Bf., W , über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 2/20/21/22 vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung Familienbeihilfe ab Jänner 2017 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) beantragte am die Gewährung einer Ausgleichzahlung für seine in Polen lebenden Kinder K, geb. xx und We, geb. xy.

Die belangte Behörde stellte an Hand vom Bf. vorgelegter Meldebestätigungen der Heimatgemeide fest, dass der Bf. bis an der Adresse J, ul. W2 mit Hauptwohnsitz gemeldet war.

Die Ehegattin und die Kinder K und We waren bis an der Adresse J, ul. W3 mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Seit ist die gesamte Familie an der Adresse J, W4 mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Der Antrag wurde mit Bescheid vom mit der Begründung abgewiesen, dass der Bf. nicht im gemeinsamen Haushalt mit seinen Kindern gelebt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , in der der Bf. vorbrachte, sehr wohl mit Ehefrau und Kindern unter einem Dach gewohnt zu haben.

Seine Meldeadresse sei die Adresse der Eltern, bei denen er mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen sei.

Nachdem die Beschwerde auch unter Hinweis auf unionsrechtliche Bestimmungen als unbegründet abgewiesen worden war, stellte der Bf. mit Schreiben vom einen Vorlageantrag und verwies nochmals auf sein bisheriges Vorbringen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Folgender Sachverhalt wird als erwiesen angenommen:

Der Bf. ist polnischer Staatsbürger.

Er ist seit dem Jahr 2012 in Österreich beschäftigt und seit 2017 hier mit Nebenwohnsitz gemeldet.

In Polen war er bis an der Adresse J, ul. W2 mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Die Ehegattin und die Kinder K und We waren bis an der Adresse J, ul. W3 mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Seit ist die gesamte Familie an der Adresse J, W4 mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Die Ehegattin bezog keine eigenen Einkünfte und keine Familienleistungen.

Sie gab keine Verzichtserklärung ab.

Rechtlich ist dazu folgendes auszuführen:

Da der Bf. in Österreich beschäftigt ist, die Kinder aber im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter in Polen leben, liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor. Zudem handelt es sich bei der beantragten Ausgleichzahlung um eine Familienleistung im Sinne der VO (EG) 883/2004, sodass der Bf. in den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt.

Art. 60 der der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 regelt:

Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."

Im , Tomislaw Trapkowski, hat der EuGH unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise (Rn 36) mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Differenzzahlungen zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmissverständlich aus dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind (Rn 41).

Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat, der Familienleistungen gewähren soll (; ; ; ; ; ).

Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen (; ; ; ; ; ).

Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen (; ; ; ).

Es sind daher für die Frage, ob dem Bf. Familienbeihilfe bzw. eine Ausgleichszahlung zusteht, die maßgeblichen Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG 1967) heranzuziehen.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein (im Abs. 1 genanntes) Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 2a FLAG 1967 lautet:

"(1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, daß die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

(2) In den Fällen des Abs. 1 kann der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden."

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt somit hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab ().

Aus dem gegenständlichen Fall ergibt sich eindeutig, dass die Kinder des Bf. schon mit Beginn des Antragszeitraumes (Jänner 2017) mit der Kindesmutter im gemeinsamen Haushalt lebten.

Vorrangig anspruchsberechtigt ist daher die Kindesmutter, zumal ein Verzicht gem. § 2a Abs. 2 FLAG 1967 durch sie nicht aktenkundig ist.

Die Anspruchsberechtigung der Kindesmutter besteht unabhängig davon, ob der Bf. mit der Ehefrau und den Kindern im gemeinsamen Haushalt lebte oder nicht (vgl. oben § 2 Abs. 2 FLAG 1967 und ).

Im gegenständlichen Fall ist dabei weiters zu beachten, dass gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009 das österreichische Finanzamt den vom Vater gestellten Antrag auf Ausgleichszahlung/Differenzzahlung bzw. Familienbeihilfe (und Kinderabsetzbetrag), wenn und soweit diesem ein Anspruch der haushaltsführenden Mutter vorgeht, zugunsten des Anspruchs der Mutter auf österreichische Familienleistungen zu berücksichtigen hat (vgl. BFH , III R 68/13 und ; ; ).

Ungeachtet des Umstandes, dass der Antrag des Bf. im Beschwerdefall als Antrag der Kindesmutter gilt, war dennoch die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, da Partei dieses Verfahrens im Sinne des § 78 BAO nur der Bf. ist und sich daher die Wirkung dieses Erkenntnisses nur auf ihn erstreckt (vgl. ).

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevante Rechtsfrage, nämlich welchem Elternteil vorrangig ein Beihilfenanspruch zusteht, bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und durch die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geklärt ist, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Schlagworte
haushaltführende Mutter
primär anspruchsberechtigt
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100384.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at