Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.10.2020, RV/7103544/2020

Unzulässige Wiederaufnahme der Verfahren mangels Neurvorkommens von Tatsachen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterRi in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***1***, ***2***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom betreffend die gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO erfolgte Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommenssteuer für die Jahre 2008 bis 2010 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Bf.erzielte im streitgegenständlichen Zeitraum neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch solche aus der Verpachtung eines Gasthauses.

Zunächst wurde der Bf. gemäß den gelegten Erklärungen, sprich unter Ansatz der aus Vermietung und Verpachtung herrührenden Werbungskostenüberschüsse zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 veranlagt, wobei die Bezug habenden Abgabenbescheide in Rechtskraft erwuchsen.

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass der belangten Behörde im Zeitpunkt der Erlassung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2010, sprich am (E 2008), am (E 2009) sowie am (E 2010) als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei mit bzw. datierte Prognoserechnungen vorlagen.

Hierbei wurde in der Prognoserechnung vom ein, bis inklusive 2012 kumuliert anfallender Werbungskostenüberschuss von 32.067 Euro ausgewiesen, wobei den Prognoseerläuterungen zu entnehmen ist, dass der Bf. ob der im Jahr 2011 geplanten Übernahme von 50% der Betriebskosten durch den Pächter für vorgenanntes Jahr ein (erstmalig) positives Ergebnis von 221,00 Euro erwarte.

Der mit datierten Prognoserechnung ist der - bis in das Jahr 2017 reichende - Anfall eines kumulierten Werbungskostenüberschusses von 44.671,00 Euro zu entnehmen, wobei seitens der steuerlichen Vertretung des Bf. in den Erläuterungen auf aushaftende, die Jahre 2009 und 2010 betreffende Pachtzinse sowie auf einen angedachten Pächterwechsel verwiesen wurde.

Mit Bescheiden vom wurde seitens der belangten Behörde die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 mit nachstehender automatisationsunterstützter, respektive händischer Begrünung verfügt:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 (1) BAO, weil die in der Begründung des Sachbescheides näher ausgeführten Tatsachen neu hervorgekommen sind, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Da die Tatsache, dass von vornherein kein(e) Gesamtüberschusserzielungsabsicht vorgelegen hat und die Betätigung vor Erzielung eines Gesamtüberschusses ohne Vorliegen von Unwägbarkeiten beendet wurde der Abgabenbehörde erst im Zuge Ihrer Schreiben betreffend Einkommensteuererklärung 2011 bekannt geworden wurde, waren die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2008, 2009 und 2010 nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO wiederaufzunehmen."

Ergänzend ist anzumerken, dass der in der Begründung angeführte, mit datierte, der belangten Behörde par Telefax am übermittelte, als "Begleitschreiben betreffend Steuererklärungen 2011" titulierte Schriftsatz nachstehenden Inhalt aufweist:

"Sehr geehrte Damen und Herren!

Im Auftrag unseres o.a. Klienten möchten wir festhalten, dass die Verpachtung eines Gasthauses unter den § 1 Abs. 1 der Liebhabereiverordnung BGBl 1993/33 fällt. Da bei der Verpachtung eines Gasthauses die Absicht besteht einen Gesamtüberschuss zu erzielen, ist von einer Einkunftsquelle auszugehen.

Nach vorangegangener liebhabereiunschädlicher Unwägbarkeit einer schlechten Zahlungsmoral des Pächters in den Jahren 2009 und 2010, sind im Jahr 2011 und 2012 keine Einkünfte, weder aus ausständigen noch aus laufenden Monaten, mehr erzielt worden. Daraufhin haben wir die Kriterienprüfung gem. § 2 Abs. 1 herangezogen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass nach dem Anlaufzeitraum von 2007 bis 2010 die Verpachtung ab dem Jahr 2011 als Liebhaberei einzustufen ist.

Mit freundlichen Grüßen"

Mit gesonderter, mit datierter, per Finanzonline eingereichter Eingabe stellte der Bf. den Antrag die Rechtsmittelfrist betreffend die die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 verfügenden Bescheide bis zum zu verlängern.

In der Folge verblieb vorgenannter Antrag unbearbeitet.

Mit Schriftsatz vom wurde gegen die, die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 verfügenden Bescheide Beschwerde erhoben, wobei in der Begründung exklusiv die Rechtswidrigkeit der auf den Wiederaufnahmebescheiden basierenden Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2010 moniert wurde.

Des Weiteren wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

Vermittels Mängelbehebungsauftrag vom wurde dem Bf. aufgetragen für die gegen die die Wiederaufnahme des Verfahren zu Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 verfügenden Bescheide erhobene Beschwerde bis zum eine Begründung nachzureichen, wobei bei Versäumung dieser Frist das Rechtsmittel als zurückgenommen gelte.

Mit Eingabe vom führte die steuerliche Vertretung des Bf. aus, dass die Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 begründungslos erfolgt sei, da einerseits Gesamtüberschusserzielungsabsicht vorgelegen sei, andererseits bei ordnungsgemäßer Führung des Gasthauses durch den Pächter die vermittels nachgereichter Rechnungen prognostizierten Pachtzinse tatsächlich zu erzielen gewesen wären.

Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wurde das Rechtsmittel als unbegründet abgewiesen, wobei seitens der belangten Behörde angemerkt wurde, dass, ungeachtet dessen, dass schon die Prognoserechnung vom eine negative Tendenz der Vermietungstätigkeit habe erkennen lassen, via der im Schriftsatz vom getätigten Ausführung der steuerlichen Vertretung des Bf., wonach die Verpachtung des Gasthauses ab dem Jahr 2011 Liebhaberei darstelle, eine neue die Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 rechtfertigende Tatsache hervorgekommen sei.

Mit Schriftsatz vom wurde ein Antrag auf Vorlage der Beschwerde vom an das BFG gestellt.

Am langte beim Verwaltungsgericht eine Eingabe der steuerlichen Vertretung des Bf. ein vermittels derer der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Meritorische Erledigung der Beschwerde durch das BFG

Einleitend ist anzumerken, dass das Verwaltungsgericht aus nachstehenden Gründen über die gegen die, die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 verfügenden Bescheide erhobene Beschwerde vom inhaltlich zu befinden hat.

1.1. Fristgerechte Einbringung der Beschwerde

Ausgehend von dem mit und sohin evidenter Maßen innerhalb der Beschwerdefrist betreffend die mit datierten Wiederaufnahmebescheide zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 eingebrachten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdefrist bis zum wurde in Entsprechung des § 245 Abs. 3 zweiter Satz BAO der Lauf nämlicher Beschwerdefrist gehemmt.

Hierbei beginnt nach dem ersten Satz des Abs. 4 leg. cit. die Hemmung mit dem Tag der Einbringung des Antrages (Abs. 2 oder 3) und endet diese mit dem Tag an dem die Mitteilung (Abs. 2) oder die Entscheidung über den Antrag (Abs. 3) zugestellt wird.

In Ansehung der Tatsache, dass nach dem zweiten Satz des § 245 Abs. 4 BAO in den Fällen des Abs. 3 die Hemmung nicht dazu führen kann, dass die Beschwerdefrist erst nach dem Zeitpunkt, bis zu dem letztmals ihre Verlängerung beantragt worden ist, abläuft, der Fristverlängerungsantrag seitens des Finanzamtes unbearbeitet verblieb, ungeachtet dessen jedoch die Beschwerde am und sohin innerhalb der vom Bf. bis zum beantragten Verlängerung eingebracht wurde, diese als fristgerecht erhoben und ergo dessen als einer weitergehenden materiellen Prüfung zugänglich zu qualifizieren ist.

1.2. Behebung des Begründungsmangels

Ausgehend vom Inhalt der mit datierten, gegen die die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 verfügenden Bescheide erhobenen Beschwerde wurde - ob exklusiver, die Rechtmäßigkeit der (neuen) Sachbescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 in Frage stellender Einwendungen -, seitens der belangten Behörde ob Fehlens des in des § 250 Abs. 1 lit. d BAO determinierten Inhaltserfordernisses völlig rechtens die Nachreichung einer Begründung beauftragt.

Nach dem Dafürhalten des BFG hat der Bf. den Mängelbehebungsauftrag vom innerhalb der bis zum gesetzten Frist entsprochen, indem dieser in der Eingabe vom der aus dem Inhalt des Schriftsatzes zur Einkommensteuererklärung 2011 zu folgerndem von vornherein Nichtbestehens einer Gesamtüberschusserzielungsabsicht begründeten Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren, mit dem Argument des schon aus der Erzielbarkeit der prognostizierten Pachtzinse ableitbaren Bestehens derselben entgegengetreten ist.

Demzufolge ist in Entsprechung der Bestimmung des § 85 Abs. 2 BAO die Beschwerde als ursprünglich richtig eingebracht zu qualifizieren und demzufolge in meritorischer Erledigung derselben über die Rechtmäßigkeit der die die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 verfügenden Bescheide zu befinden.

2. Rechtmäßigkeit der Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010

2.1. Rechtsgrundlagen

Nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann über Antrag bewilligt oder wird von Amtswegen verfügt werden (§ 303 Abs. 1 BAO).

2.2. Das Tatbestandsmerkmal "neu hervorgekommene Tatsachen"

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende Umstände (). Als Beweismittel kommt gemäß § 166 BAO alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist (zB Urkunden, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten oder Augenschein).

Nur neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittelkommen (nova reperta) kommen als tauglicher Wiederaufnahmegrund im Sinne des Neuerungstatbestandes (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO) in Betracht. Das sind solche, die schon vor Erlassen des das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheids bestanden haben, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt wurden (; ).

Demgegenüber sind keine neu hervorgekommenen Tatsachen und folglich keine Wiederaufnahmegründe neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen (; ) oder das Hervorkommen vonRechtsirrtümern (; ).

Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen sind keine Tatsachen, gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (; ).

Vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen gelangt das BFG zur Überzeugung, dass die Heranziehung des Schriftsatzes vom , demgemäß die Betätigung des Bf. ab dem Jahr 2011 als Liebhaberei zu qualifizieren sei, aus nachstehender Überlegung keinen tauglichen Grund der Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 bietet.

Der Inhalt des mit datierten Schriftsatzes, wonach die Verpachtungstätigkeit - nach dem die Jahre 2007 bis 2010 umfassenden Anlaufzeitraum - ob gänzlicher Nichterzielung von Pachtzinsen ab dem Jahr 2011 als Voluptuar zu qualifizieren sei, stellt schon per sei keine (neu hervorgekommene) Tatsache dar, sondern bringt diese vielmehr eine - in Bezug auf den Erlassungszeitpunkt der Erstbescheide zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 - neue, sprich erstab nämlichem Jahr Platz zu greifende, keinesfalls eine bereits im Aufnahmezeitpunkt der Tätigkeit fehlende Gesamtüberschusserzielungsabsicht dartuende rechtliche Beurteilung des Bf. zum Ausdruck.

In Ansehung vorstehender Ausführungen erfolgte, in Ermangelung der Erfüllung der in § 303 Abs. 1 lit. b BAO determinierten Tatbestandsvoraussetzungen die Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 zu Unrecht.

Korrespondierend mit der Aufhebung der die Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 verfügenden Bescheide, tritt in Entsprechung der Norm des § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es vor der Wiederaufnahme befunden hat, mit dem Ergebnis, dass einerseits die neuen mit datierten Sachbescheide zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 ex lege aus dem Rechtsbestand treten (; , 2006/15/0353; , 2010/17/0122), während die mit , mit sowie mit datierten Sachbescheide zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 wieder aufleben (; , 2009/15/0170).

Zusammenfassend war wie im Spruch zu befinden.

Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine derartige Rechtsfrage liegt im vorliegenden Fall nicht vor, da sich die "Unzulässigkeit" der Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren direkt aus den gesetzlichen Bestimmungen der BAO ergibt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103544.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at