Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.09.2020, RV/7102621/2020

Kein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe bei Tragung der Unterhaltskosten durch die öffentliche Hand

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz, Wienerstrasse 2/2/2, 2340 Mödling, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Neunkirchen Wr. Neustadt vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe für den Zeitraum April 2018 bis März 2019 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurden Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum April 2018 bis März 2019 mit der Begründung zurückgefordert, dass abverlangte Bestätigungen über den Aufenthalt und einen allfälligen Kostenbeitrag bei der

CL und der CW nicht vorgelegt worden seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , eingebracht durch die Erwachsenenvertreterin, in der der Bf. folgendes vorbringt:

"Beiliegend werden die Aufenthaltsbestätigungen der CL und der

CW

nachgereicht. Es liegt im Bereich der der Einrichtungen und nicht im Bereich von Herrn H., wann diese Unterlagen zugeschickt werden und ich ersuche diesbezüglich um Verständnis.

Weiters übermittle ich beiliegend Rechnungen betreffend den Zeitraum, woraus hervorgeht, dass Herr H. H. keineswegs vollversorgt war und bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist und auch ständig laufende Ausgaben hat. Diese Ausgaben dienen der Förderung seiner Außenkontakte, der Förderung sowohl seiner körperlichen Gesundheit (diverse Kursbesuche im Fitnessstudio, um sein erhebliches Gewicht zu reduzieren), als auch seiner geistigen Gesundheit (psychologische Beratung bei der Lebens.-,Berufs.- und Sexualberatung). Des Weiteren musste Herr H. auch Ausgaben tätigen für diverse Möbel, ein TV-Gerät, Kleidung, usw. Die Belege für all diese Ausgaben finden Sie bitte anbei.

Somit leistet Herr H. sehr wohl laufend Beiträge zu seinem Unterhalt und wird nicht vollversorgt."

In einer ergänzenden Stellungnahme vom führte die Erwachsenenvertreterin aus:

"Bezüglich Ihres Ersuchens um Ergänzung, datiert vom , eingelangt bei uns am , finden Sie bitte anbei das Schreiben der Bezirkhauptmannschaft Wiener Neustadt. Aufgrund der geringen Einkommen der Eltern von Herrn H. wird von diesen kein Kostenbeitrag geleistet.

Die Ausgaben der vorgelegten Rechnungen wurden ausschließlich durch die erhöhte Familienbeihilfe von Herrn H. finanziert. Der Pflegegeldantrag vom wurde mit Bescheid vom abgelehnt."

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde verwies zur Begründung darauf, dass auf Grund der Kostentragung durch die öffentliche Hand und der Tatsache, dass weder die Eltern des Bf. noch er selbst einen Kostenbeitrag leisten kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.

Wörtlich wurde ausgeführt:

"Gemäß 6 Abs.5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 haben Kinder einen Eigenanspruch auf

Familienbeihilfe unter denselben Voraussetzungen unter denen ein Vollwaise Anspruch auf

Familienbeihilfe hat (§6 Abs.l bis3),

- sofern ihre Eltern nicht überwiegend Unterhalt leisten und

- ihr Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus

öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfs getragen wird.

Wird der Unterhalt eines Kindes zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen, die der

Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes dienen, besteht kein Anspruch auf die

Familienbeihilfe, da nach dem Willen des Gesetzgebers in diesen Fällen der Mindestunterhalt des

Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist. Unter öffentliche

Mittel sind sämtliche staatliche Unterstützungsleistungen zu verstehen, die dazu dienen, den

Lebensunterhalt eines Kindes und seinen Wohnbedarf zu sichern. Dazu zählen insbesondere

Mittel der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, Mittel der Grundversorgung, Mittel aufgrund

welcher die öffentliche Hand für einen entsprechenden Krankenversicherungsschutz des Kindes

im Rahmen der gesetzlichen Pflichtversicherung sorgt.

Im Umkehrschluss besteht bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ein

Eigenanspruch auf Familienbeihilfe, sofern ein regelmäßiger Beitrag zur Deckung der

Unterhaltskosten eines Kindes vorliegt, da in diesem Fall die Unterhaltskostentragung nicht zur

Gänze aus öffentlichen Mitteln erfolgt, die der Sicherung des Lebensunterhaltes oder des

Wohnbedarfs dienen, Dieser Beitrag kann durch das Kind selbst erfolgen oder durch seine

unterhaltspflichtigen Eltern. Der Gesetzgeber nennt keine Mindestbeträge im Hinblick auf die

Höhe dieses Beitrages."

Gegen diesen Bescheid richtet sich der Vorlageantrag vom , in dem der Bf. auf die vorgelegten Rechnungen verweist, wonach er eine Vielzahl von Ausgaben selbst getätigt habe und sein Vater einen Beitrag zum Unterhalt dadurch leiste, dass er bei diesem mitversichert sei.

Im Zuge weiterer Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht wurden der "Heimvertrag für vollbetreutes Wohnen", der "Betreuungsvertrag für Tagesstätten für Menschen mit psychischer Erkrankung" sowie eine Aufstellung der Jahrespauschalen des Landes NÖ vorgelegt, sowie bekanntgegeben, dass dem Bf. für seine Tätigkeit in der Betreuungseinrichtung € 79,90 als "Anerkennungsbeitrag" verbleiben.

Dem Bundesfinanzgericht liegen weiteres Bescheide des Amtes der NÖ Landesregierung vom und vom betreffend Kostenübernahme für das Wohnen (rund € 3.300/Monat) und den Aufenthalt in der Tagesstätte ("inkl. Anerkennungsbeitrag"), zwischen € 1.150 und € 1.500 vor.

Vom zuständigen Sachbearbeiter der Caritas der Erzdiözese Wien wurde per E-Mail vom hinsichtlich des Anerkennungsbeitrages nochmals klargestellt:

"Das Land NÖ zahlt der Caritas und allen sonstigen Trägern eine Monatspauschale + den Anerkennungsbeitrag in Höhe von € 79,90/Klient für das Jahr 2020.

Im Jahr 2021 wird dieser Betrag voraussichtlich wieder inflationsbereinigt angepasst.

Die Caritas zahlt diesen Betrag an Hr. H. monatlich aus.

Die Caritas bekommt den Anerkennungsbeitrag vom Land NÖ monatlich rückerstattet. "

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. bezog im Rückforderungszeitraum April 2018 bis März 2019 erhöhte Familienbeihilfe auf Grund einer psychischen Erkrankung. Diese ist auch die Ursache dafür, dass er in einer Einrichtung der Caritas im Rahmen des "Vollbetreuten Wohnens" wohnt und tagsüber in einer Betreuungseinrichtung der Caritas betreut wird (inkl. Verpflegung).

Lt. Bescheiden des Amtes der NÖ Landesregierung übernimmt das Land NÖ sowohl die Kosten der Unterbringung als auch der Betreuung tagsüber.

Für seine Tätigkeit i.R. der Betreuung tagsüber erhält der Bf. einen "Anerkennungsbeitrag" i.H. von € 79,90 monatlich.

Dieser wird der Caritas, dem Träger der Betreuungseinrichtung, vom Land NÖ refundiert.

Der Bf. bezieht kein Pflegegeld.

Er ist bei seinem Vater in der Krankenversicherung mitversichert.

Weder die Eltern des Bf. noch er selbst leistet zu den durch das Land NÖ übernommenen Kosten einen Kostenbeitrag.

Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in die von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten, den "Heimvertrag für vollbetreutes Wohnen", den Betreuungsvertrag für Tagesstätten für Menschen mit psychischer Erkrankung" und die weiteren Ermittlungen wie in den Entscheidungsgründen dargestellt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 2 Abs 2 FLAG 1967 hat die Person Anspruch auf Familienbeihilfe, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 2 Abs 5 FLAG 1967 gehört ein Kind dann zum Haushalt einer Person, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, wenn die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, erhöht sich dieser Betrag um den Erhöhungsbetrag für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4).

Unbestritten gehört der Bf. nicht dem Haushalt der Eltern an.

Auszuschließen ist auch, dass die Eltern Unterhalt in Höhe von zumindest der Familienbeihilfe leisten, da einerseits für Unterhalt und Verpflegung das Land NÖ aufkommt und andererseits der Bf. selbst vorbringt, dass die über diese Kosten hinausgehende Aufwendungen von ihm durch die von ihm bezogene Familienbeihilfe gedeckt werden.

Zu prüfen ist nunmehr ein allfälliger Eigenanspruch des Bf. im Rückforderungszeitraum.

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 lautet:

"Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs 1 lit.c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 und 3)."

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge gemäß § 26 Abs 1 FLAG zurückzuzahlen.

Der Bf. hätte daher unter zwei Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe:

1.: Die Eltern leisten nicht überwiegend Unterhalt:

Nach dem vorliegenden Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Eltern des Bf. diesem nicht überwiegend Unterhalt leisten. Dies deshalb, weil sie unbestritten keinen Beitrag zu den Kosten für Unterkunft und Verpflegung leisten. Die Mitversicherung in der Krankenversicherung des Vaters und eine daraus resultierende allfällige Kostentragung von Krankheitskosten durch den Vater, etwa Rezeptgebühren, stellt zwar grundsätzlich eine Unterhaltsleistung dar, eine überwiegende Kostentragung ist aber hinsichtlich der Höhe der Kosten für Wohnen und Betreuung, wie in den Entscheidungsgründen dargestellt, auszuschließen.

Darüber hinaus hätte der Bf. aber nach dem 2. Halbsatz des § 6 Abs. 5 FLAG nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn

2.: die Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfs nicht zur Gänze aus öffentlichenMitteln getragen werden.

Durch BGBl I 2018/78 wurde § 6 Abs 5 rückwirkend ab geändert:

Demnach ist für einen Eigenanspruch nur mehr schädlich, wenn der Unterhalt zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird.

Nach den Erläuterungen zum Initiativantrag (386/A 26. GP) sollte durch die Novellierung sichergestellt werden, dass ein Eigenanspruchdes Kindes auch dann gegeben ist, wenn das Kind selbst aufgrund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches (zB Pflegegeld) oder aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit regelmäßig zur Deckung der Unterhaltskosten beiträgt (siehe dazu auch ).

Kein Anspruch auf FB besteht hingegen dann, wenn der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe (bei Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Einrichtung) oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand (zB durch eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung oder die Grundversorgung) getragen wird, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist.

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich eindeutig, dass die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Betreuung zur Gänze vom Land Niederösterreich getragen werden. Gleiches gilt auch für den Anerkennungsbeitrag, der dem Bf. von der Caritas, als Trägerin der Betreuungseinrichtung, ausbezahlt, dieser jedoch vom Land NÖ refundiert wird. Selbst wenn der Bf. daher damit Kosten des Lebensunterhaltes bestreiten würde, zu denen unbestritten auch Ausgaben für Friseur, Freizeitaktivitäten etc. gehören, handelt es sich dabei nicht um einen Beitrag, den der Bf. aus eigenen Mitteln bestreitet, sondern für die die öffentliche Hand, hier das Land NÖ, aufkommt.

Gleiches gilt auch für die Finanzierung dieser Ausgaben durch die Familienbeihilfe selbst. Auch hier handelt es sich um öffentliche Mittel.

Das Bundesfinanzgericht geht daher davon aus, dass der Unterhalt des Bf. zur Gänze aus öffentlichen Mitteln bestritten wird.

Es besteht daher gem. § 6 Abs. 5 FLAG kein Eigenanspruch auf (erhöhte) Familienbeihilfe.

Die oben wiedergegebene Bestimmung des § 26 FLAG normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, ohne Rücksicht darauf, ob die bezogenen Beträge gutgläubig empfangen wurden oder ob die Rückzahlung eine Härte bedeutete. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist nur, ob der Empfänger die Beträge objektiv zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist unerheblich.

Der Bescheid über die Rückforderung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe für den Zeitraum April 2018 bis März 2019 besteht daher zu Recht.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt im gegenständlichen Fall nicht vor, weil

sich die Lösung ggstdl. Rechtsfrage bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt bzw. handelt es sich um Fragen der Beweiswürdigung, sodass keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102621.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at