Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.07.2020, RV/7102173/2020

Doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten bei pflegebedürftigem Sohn im Ausland

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 zu Recht:

  • Der Einkommensteuerbescheid 2017 wird abgeändert.
    Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

  • Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung des Beschwerdeführers ***Bf1*** (in der Folge "Bf.") wurden Kosten einer doppelten Haushaltsführung und Familienheimfahrten geltend gemacht. Die belangte Behörde erkennt die Werbungskosten dem Grunde nach an, zweifelt jedoch an der Höhe der geltend gemachten Kosten.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. erzielt im Streitjahr 2017 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Bf. ist verheiratet und hat drei Kinder.

Die Ehefrau und seine Kinder wohnen am Familienwohnsitz in Familienwohnsitz.

Eines der drei Kinder des Bf. weist seit März 2017 einen Behinderungsgrad von 100% auf. Diese Behinderung erfordert einen ständigen, täglichen Betreuungs- und Hilfsbedarf aufgrund einer körperlichen Behinderung.

Der Bf. hat einen inländischen Wohnsitz in Wohnsitz_Inland. Die Wohnung ist 45m2 groß und wird mit zwei Mitbewohnern bewohnt. Hauptmieter der Wohnung ist Herr ***1***. Der monatliche Mietzins beträgt 606 Euro. Der Bf. zahlt ein Drittel der Miete, somit 202 Euro monatlich. Im Streitjahr wohnt der Bf. vier Monate (September - Dezember) in dieser Wohnung. Die Kosten der doppelten Haushaltsführung belaufen sich auf 808 Euro.

Die einfache Wegstrecke vom Familienwohnsitz zum Tätigkeitsort beträgt 406 Straßenkilometer und ist mit dem Auto in 4 Stunden 44 Minuten bewältigbar.

Dem Bf. ist die Benutzung des Fahrzeuges (VW Passat 1.9 TDI) des Herrn ***2***, dem Vater des Bf., erlaubt. Mit diesem Fahrzeug fährt der Bf. insgesamt 50 Mal vom Wohnsitz in Wien zum Familienwohnsitz nach Ausland und zurück. Dafür begehrt der Bf. Kosten für Familienheimfahrten in Höhe des großen Pendlerpauschales von 3.672 Euro, die anhand des amtlichen Kilometergeldes berechnet wurden. Tatsächliche Kosten für Familienheimfahrten trägt der Bf. in Form von Treibstoffkosten, die für die jeweiligen Familienheimfahrten anfallen. Die sonstigen Kosten der Erhaltung des Fahrzeuges trägt der Eigentümer. Der Durchschnittsverbrauch des PKW beträgt 7 Liter Diesel pro 100 Kilometer. Der durchschnittliche Dieselpreis beträgt 1,11 Euro pro Liter. Die Kosten für Familienheimfahrten in Form von Treibstoffkosten betragen geschätzt 1.554 Euro.

Dem Bf. ist die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Tätigkeitsort unzumutbar.

Beweiswürdigung

Die Einkünfte des Bf. sind aktenkundig. Dass der Bf. verheiratet ist und drei Kinder hat, ergibt sich aus den aktenkundigen Bestätigungen des Bf., die im Rahmen der Beschwerde beigebracht wurden.

Der Familienwohnsitz der Ehefrau und Kinder ist aktenkundig und ergibt sich ebenfalls aus den Bestätigungen des Bf., die im Rahmen der Beschwerde beigebracht wurden. Dass der Wohnsitz in Ausland als Familienwohnsitz anzusehen ist, ergibt sich aus § 4 Abs. 1 Z 1 Pendlerverordnung, BGBl. II Nr. 276/2013.

Dass eines der Kinder des Bf. seit März 2017 zu 100% behindert ist, ergibt sich aus dem aktenkundigen Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom .

Der inländische Wohnsitz des Bf. ergibt sich aus einem Auszug des Zentralen Melderegisters. Die Größe der Wohnung sowie die Höhe des Mietzinses ergibt sich aus dem aktenkundigen Mietvertrag vom , den der Bf. im Rahmen der Beschwerde beigebracht hat. Dass die Wohnung mit zwei weiteren Mitbewohnern bewohnt wird, ergibt sich aus dem Vorbringen des Bf. im Rahmen des Verwaltungsverfahrens. Zudem wird dies durch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung niederschriftlich festgehaltene Zeugenaussage des Hauptmieters, ***1***, bestätigt. Dass der Bf. im Streitzeitraum vier Monate in dieser Wohnung lebte, ergibt sich aus den niederschriftlich festgehaltenen Aussagen des Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung und findet ebenso in der Meldebestätigung laut Zentralem Melderegister Deckung.

Die einfache Wegstrecke sowie die Fahrtzeit dafür ergibt sich aus einer Abfrage des Routenplaners Google Maps.

Die Anzahl der Fahrten vom Tätigkeitsort zum Familienwohnsitz ergibt sich aus dem aktenkundigen Fahrtenbuch, das der Bf. im Rahmen der Beschwerde beigebracht hat. Dass der Bf. das Auto seines Vaters benutzen darf, ergibt sich aus der aktenkundigen Ermächtigung zur Nutzung eines Fahrzeuges vom , das der Bf. ebenfalls im Rahmen der Beschwerde beigebracht hat.

Dass dem Bf. die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Tätigkeitsort unzumutbar ist, ergibt sich aus der besonderen Pflegebedürftigkeit eines der Kinder des Bf. (vgl. ; Zorn/Engelmann, in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG444 (2017) § 4 Rn 347). Dass ein ständiger, täglich zu erbringender Betreuungs- und Hilfsbedarf aufgrund einer körperlichen Behinderung besteht, ergibt sich aus dem aktenkundigen Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom . Dass eine Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes vorliegt, steht insofern außer Streit, als auch die belangte Behörde im Rahmen des Vorlageberichts vom davon ausgeht.

Die belangte Behörde argumentiert jedoch, dass die Kosten einer doppelten Haushaltsführung nicht nachgewiesen seien, weil der Bf. selbst keine Zahlungsbestätigungen hinsichtlich Miete vorlegen könne und die Wohnung in Wien grundsätzlich nicht untervermietet werden dürfe. Zudem seien Kosten für Familienheimfahrten nicht anzuerkennen, weil das Fahrzeug nicht dem Bf. gehöre und er daher das Kilometergeld nicht geltend machen könne.

Für das Bundesfinanzgericht ergibt sich:

Dass der Bf. ein Drittel der Mietkosten trägt, ergibt sich aus der glaubhaften Aussage des Hauptmieters ***1***, die im Rahmen der mündlichen Verhandlung niederschriftlich festgehalten wurde. Der Bf. bezahlte im Streitjahr seinen Anteil an den Mietkosten bar. Gestützt wird dies auch durch Überweisungsbestätigungen für das Jahr 2018, die der Bf. mit Eingabe vom beibrachte. Zwar ist das Jahr 2018 für das Bundesfinanzgericht nicht streitgegenständlich. Jedoch lässt sich aus den Überweisungsbestätigungen für das Folgejahr schließen, dass der Bf. auch im Streitzeitraum ein Drittel der Miete bezahlt hat.

Da der Bf. somit für vier Monate im Streitzeitraum Mietaufwendungen hatte, betragen die Kosten der doppelten Haushaltsführung 808 Euro.

Der Bf. gibt im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu Protokoll, dass die Tankrechnungen durch ihn bezahlt wurden. Dass die restlichen Aufwendungen des Fahrzeuges vom Eigentümer getragen werden, ergibt sich aus der niederschriftlich festgehaltenen Aussage des Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Der Durchschnittsverbrauch des Fahrzeuges des Bf. ergibt sich aus einer Internetrecherche (www.spritmonitor.de) und wird vom Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der durchschnittliche Kraftstoffpreis ergibt sich aus dem Durchschnitt der beigebrachten Rechnungen für das Streitjahr 2017.

Die geschätzten Fahrtkosten ergeben sich daher aus dem Verbrauch pro Wegstrecke multipliziert mit dem durchschnittlichen Kraftstoffpreis multipliziert mit der Anzahl der Fahrten: Wegstrecke = 406km, daher ca. 28l Kraftstoffverbrauch pro Strecke (7l pro 100km --> 400/100*7). 28l Verbrauch * 1,11 durchschnittlicher Kraftstoffpreis * 50 Fahrten = 1.554 Euro.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.

§ 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 normiert:

"§ 20. (1) Bei den einzelnen Einkünften dürfen nicht abgezogen werden:

[...]

e) Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeits-(Tätigkeits-)ort und Familienwohnsitz (Familienheimfahrten), soweit sie den auf die Dauer der auswärtigen (Berufs-)Tätigkeit bezogenen höchsten in § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d angeführten Betrag übersteigen."

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist die Beibehaltung eines (Familien)Wohnsitzes aus der Sicht der Erwerbstätigkeit, die in unüblich weiter Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, nicht durch die Erwerbstätigkeit, sondern durch Umstände veranlasst, die außerhalb der Erwerbstätigkeit liegen. Der Grund, warum Aufwendungen für Familienheimfahrten dennoch als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften Berücksichtigung finden, liegt darin, dass derartige Aufwendungen solange als durch die Einkunftserzielung veranlasst gelten, als dem Steuerpflichtigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann (vgl. ). Die Unzumutbarkeit der Verlegung des ständigen Wohnsitzes an den Ort der Beschäftigung kann die verschiedensten Ursachen haben und sich auch aus Umständen der privaten Lebensführung ergeben (vgl. etwa ); die Unzumutbarkeit ist aus Sicht der jeweiligen Streitjahre zu beurteilen ().

Nur dann, wenn die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Tätigkeitsort unzumutbar ist, sind Kosten für eine doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten als Werbungskosten zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist daher zuerst zu prüfen, ob dem Bf. die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Tätigkeitsort unzumutbar ist.

Dem Bf. ist - wie festgestellt - die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Tätigkeitsort nicht zumutbar, weil eine besondere Pflegebedürftigkeit eines seiner Kinder vorliegt (vgl. ; Zorn/Engelmann, in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG444 (2017) § 4 Rn 347).

Neben der Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes, muss auch die tägliche Rückkehr vom Beschäftigungsort zum Familienwohnsitz unzumutbar sein. Eine tägliche Rückkehr vom Beschäftigungsort zum Familienwohnsitz bei einer Fahrtstrecke von ca. 406 Straßenkilometer und einer Dauer von ca. 4 Stunden 44 ist unzumutbar (vgl. ; Zorn/Engelmann, in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn (Hrsg) EStG19 (2017) § 4 Rz 348). Die Obergrenze der abziehbaren Wohnungskosten ist mit der Höhe der Aufwendungen für eine zweckentsprechende Wohnung am Beschäftigungsort zu ziehen (vgl. ). Die mit zwei Mitbewohnern bewohnte Wohnung in Wohnsitz_Inland mit einer Größe von 45 m2 ist als zweckentsprechend zu beurteilen.

Für das Bundesfinanzgericht sind Kosten einer doppelten Haushaltsführung in Höhe von 808 Euro im Streitjahr nachgewiesen.

Da die Voraussetzungen einer steuerlich relevanten doppelten Haushaltsführung vorliegen, sind auch die Familienheimfahrten grundsätzlich steuerlich zu berücksichtigen.

Als Fahrtkosten sind jene Aufwendungen anzuerkennen, die tatsächlich anfallen. Aufwendungen für Familienheimfahrten sind bei einem steuerlich anerkannten Doppelwohnsitz insoweit abzugsfähig, als sie innerhalb angemessener Zeiträume, also in angemessener Frequenz, erfolgen. Es bestehen keine gesetzlichen Regelungen über die Häufigkeit der Familienheimfahrten (vgl. ). Bei einem verheirateten Steuerpflichtigen sind idR wöchentliche Familienheimfahrten zu berücksichtigen (vgl. ).

Im Rahmen der Beweiswürdigung kommt das Bundesfinanzgericht zum Ergebnis, dass der Bf. lediglich die Kraftstoffkosten für die Familienheimfahrten trägt, weil jegliche sonstigen Kosten vom Eigentümer des Fahrzeuges bezahlt werden. Damit ergeben sich geschätzte Kosten für Familienheimfahrten in Höhe von 1.554 Euro.

Da die belangte Behörde im Erstbescheid weder die Kosten einer doppelten Haushaltsführung noch die Kosten von Familienheimfahrten berücksichtigte, ist der Einkommensteuerbescheid 2017 entsprechend abzuändern.

Beilage: 1 Berechnungsblatt.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der Rechtsprechung des VwGH zur Zumutbarkeit bzw. Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes (vgl. ) sowie zur Abzugsfähigkeit von Familienheimfahrten (vgl. ). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Wien, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at