Rückforderung der Familienbeihilfe - Berufsschulbesuch nach Wegfallen der Ausbildung im Lehrbetrieb
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterR. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Rückforderung für ***Kind*** für den Zeitraum Dezember 2018 bis September 2019 zu Unrecht bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
In der Folge einer Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe des Beschwerdeführers (Bf.) forderte das Finanzamt mit Bescheid vom von diesem zu Unrecht für seine im April 2000 geborene Tochter für Dezember 2018 bis September 2019 bezogene Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag mit folgender Begründung zurück:
Für volljährige Kinder steht Familienbeihilfe nur unter bestimmten, im § 2 Abs. 1 lit. b bis e Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung genannten Voraussetzungen zu.
Als anspruchsbegründend wird Folgendes bestimmt:
• Zeiten einer Berufsausbildung bzw. -fortbildung
• Zeiten zwischen dem Abschluss einer Schulausbildung und dem frühestmöglichen Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
• Zeiten zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes und dem Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
• das dauernde Unvermögen, sich selbst wegen einer Behinderung Unterhalt zu verschaffen.
Da Ihre Tochter P… die Lehrausbildung bei der Firma D. KG mit November 2018 abgebrochen hat und der alleinige Besuch einer Berufschule keine Berufsausbildung im Sinne des Familienlastenausgleichgesetzes darstellt, war die Familienbeihilfe für oben genannten Zeitraum rückzufordern.
Die gegen diesen Rückforderungsbescheid erhobene Beschwerde begründete der Bf. wie folgt:
Die Firma D. wurde übergeben und der neue Besitzer hat meine Tochter P… nicht angemeldet. Als wir es bemerkt haben, haben wir sie direkt von der Arbeit genommen, weil wir nicht wollten, dass sie Schwarzarbeit leistet. Somit hatte sie keine Wahl und musste auf die Arbeit verzichten.
Bis war sie angemeldet; bis hat sie ohne eine Anmeldung gearbeitet. Juni 2018 ist sie sitzen geblieben und hat wiederholt. Klasse abgeschlossen im Jahr 2019 (siehe Zeugnisse).
- hat sie einen intensiven Kurs für die Vorbereitung der Lehrabschlussprüfung besucht.
Zurzeit besucht sie einen weiteren Kurs der BFI.
Mit Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde mit nachstehender Begründung als unbegründet abgewiesen:
Sachverhalt:
Das am begonnene Lehrverhältnis von P… wurde mit abgebrochen. Die Berufsschule wurde nach Auflösung des Lehrverhältnisses weiterhin besucht.
Gesetzliche Grundlagen:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) besteht für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie für einen Beruf ausgebildet oder in einer Fachschule fortgebildet werden und ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung eines Berufes nicht möglich ist.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Würdigung:
Der Begriff der "Berufsausbildung" ist im Gesetz nicht näher definiert. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muss jede anzuerkennende Berufsausbildung ein qualitatives und ein quantitatives Merkmal aufweisen: Entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang; die Ausbildung muss als Vorbereitung für die spätere konkrete Berufsausübung anzusehen sein und überdies die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen. Ziel einer Berufsausbildung ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dazu gehöre regelmäßig auch der Nachweis eines ernstlichen Bemühens um diese Qualifikation.
Im Regelfall ist die Berufsschule neben der zeitlich überwiegenden praktischen Ausbildung im Lehrbetrieb zu absolvieren. Die Absolvierung einer Lehre ist jedenfalls als Berufsausbildung zu qualifizieren, wenn die theoretische und praktische Ausbildung absolviert wird. Im vorliegenden Fall wurde die praktische Ausbildung im Lehrbetrieb im November 2018 vorzeitig beendet, womit ab diesem Zeitpunkt der zeitlich klar überwiegende Teil der Ausbildung weggefallen ist. Eine Berufsausbildung, die einen Familienbeihilfenanspruch begründet, liegt aber nur dann vor, wenn die Ausbildung die überwiegende Zeit in Anspruch nimmt ( GZ 2000/14/0093 sowie vom , GZ 2006/15/0178). Bei einem reinen Berufsschulbesuch liegt eine Berufsausbildung iSd FLAG nur dann vor, wenn die volle oder überwiegende Zeit für die Ausbildung aufgewendet wird (vgl. ; -I/11; ).
Der alleinige Besuch einer Berufsschule - nach Auflösung des Lehrverhältnisses - an einem oder zwei Tagen pro Woche kann nicht als Berufsausbildung iSd FLAG gewertet werden, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser Schulbesuch die volle Zeit Ihres Kindes beansprucht hat. Eine den Beihilfenanspruch vermittelnde Berufsausbildung liegt nur dann vor, wenn sich die auszubildende Person mit vollem zeitlichen Einsatz der Ausbildung widmet. Eine Ausbildung, die nur wenige Stunden pro Woche betrieben wird, stellt somit keine einen Beihilfenanspruch vermittelnde Berufsausbildung dar.
Ihre Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Der Vorlageantrag wurde eingebracht wie folgt:
Ich begehre die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides, in welchem mir aufgetragen wird, Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag iHv über EUR 2100,- zurückzuzahlen, weil meine Tochter P… ihre Lehrstelle verloren hat.
Die Begründung, meine Tochter hätte seither den überwiegenden Teil ihrer Zeit nicht damit verbracht, ihrer Berufsausbildung nachzugehen, bestreite ich. Neben dem regulären Besuch der Berufschule hat P… regelmäßig Bewerbungsgespräche gehabt, bewarb sich aktiv per Mail für eine neue Lehrstelle und besuchte Kurse, die vom AMS vermittelt wurden. Diese wurden mit Sicherheit vom AMS protokolliert und Sie hätten bei Bedarf Einsicht.
Bitte, meinem Begehren stattzugeben.
Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Mit Bescheid vom wurde die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag für das Kind P… für den Zeitraum Dezember 2018 bis September 2019 zurückgefordert. Strittig ist, ob P… im angeführten Zeitraum eine Berufsausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben hat.
Die Tochter des Bf. begann am eine Lehre (Friseurin und Perückenmacherin) bei der D… KG. Am wurde das Lehrverhältnis vorzeitig beendet.
P… besuchte nach Beendigung des Lehrverhältnisses weiterhin die Berufsschule.
Im Schuljahr 2017/2018 konnte sie die 3. Klasse (12.Schulstufe) nicht erfolgreich abschließen. Im Schuljahr 2018/2019 konnte die Berufsschule dann erfolgreich abgeschlossen werden.
Stellungnahme:
Es wird auf die BVE vom und das Erkenntnis des verwiesen.
Zu dem Vorbringen im Vorlageantrag:
Weder die Suche nach einer neuen Lehrstelle noch der Besuch der vom AMS vermittelten Kurse, stellen eine Berufsausbildung im Sinnes des FLAG 1967 da.
Der angefochtene Bescheid vom erweist sich somit als rechtmäßig. Es wird beantragt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Von bis war die Tochter des Bf. Arbeiterlehrling bei der Fa. D. KG (Beschwerde, Abgabeninformationssystemabfrage).
Im Schuljahr 2017/18 besuchte die Tochter des Bf. die Berufsschule für Frisur und Maskenbild, Lehrberuf Friseurin uns Perückenmacherin (Stylistin). Sie schloss die Schulstufe im Juni 2018 nicht erfolgreich ab (Jahreszeugnis vom ).
In den folgenden Monaten Juli - bis Ende November 2018 - setzte die Tochter des Bf. ihre Lehre bei der Fa. D. KG bis fort.
Vom 15. Jänner bis und vom 20. August bis bezog die Tochter des Bf. Arbeitslosengeld; vom 15. Jänner bis , vom 10. Juli bis sowie vom 21. August bis war sie arbeitssuchend gemeldet (Abgabeninformationssystemabfrage, Sozialversicherungsdatenauskunft).
In dieser Zeit hat die Tochter regelmäßig Bewerbungsgespräche gehabt; bewarb sich aktiv per Mail für eine neue Lehrstelle und besuchte Kurse, die vom AMS vermittelt wurden (Vorlageantrag). Tatsächlich besuchte die Tochter des Bf. vom 13. Mai bis und vom 23. September bis Kurse (Abgabeninformationssystemabfragen).
An ein oder zwei Tagen der Woche, wenige Stunden pro Woche, besuchte die Tochter des Bf. die Berufsschule (Beschwerdevorentscheidung).
Am erreichte die Tochter des Bf. das Bildungsziel der Berufsschule für den Lehrberuf der Friseure und Perückenmacher (Stylistin) (Jahres- und Abschlusszeugnis).
Beweiswürdigung
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den jeweils angeführten Beweismitteln und sind unstrittig.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)
§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG bestimmt:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.
§ 26 Abs. 1 FLAG normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Diese Verpflichtung zur Rückerstattung ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (, mit Verweis auf das Erkenntnis , mit der dort angeführten Judikatur).
Das Bundesfinanzgericht anerkannte eine Reihe von AMS-geförderten Kurse nicht als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967: "Vorbereitungskurs der ÜBA" (= überbetriebliche Ausbildung), Kurs zur Berufsorientierung, Kurs "Projekt Büro Plus", "European Business Competence Licence" - EBC*L und "Zertifikat Personalwesen", "Lehrgang für EDV und Office Basics" (, , , und ).
Im Erkenntnis vom , RV/7101269/2018, erwog das Bundesfinanzgericht:
Im Zeitraum Juni 2011 bis September 2011 bezog der Sohn der Bf. Arbeitslosengeld. Er befand sich daher nicht in Berufsausbildung, sodass für diesen Zeitraum Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge nicht zustehen.
Im Erkenntnis vom , RV/4100059/2018, erwog das Bundesfinanzgericht:
Vielmehr ergibt sich aus der Vormerkung als "arbeitssuchend" beim Arbeitsmarktservice, dass eine Berufsausbildung in der Folge nicht mehr in Erwägung gezogen wurde.
Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, wenn der Antragsteller arbeitsfähig ist und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht (vgl. bspw. ).
Arbeitslose haben grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld (ww…ams.at), wenn sie diese Bedingungen erfüllen:
- sie sind arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos.
- sie haben sich bei ihrem AMS arbeitslos gemeldet.
- sie sind am Arbeitsmarkt vermittelbar.
- sie sind bereit, eine Arbeit von mindestens 20 Stunden pro Woche aufzunehmen. Ausnahme: Sie haben Betreuungspflichten für ein Kind unter 10 Jahren oder für ein Kind mit Behinderung und es gibt nachweislich keine Betreuung, die es Ihnen ermöglicht, mindestens 20 Stunden pro Woche zu arbeiten: Dann reicht es, wenn Sie bereit sind, eine Arbeit von mindestens 16 Stunden pro Woche aufzunehmen.
- sie haben für eine gewisse Zeit arbeitslosenversicherungspflichtig gearbeitet (Anwartschaft).
- Und: Die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ist noch nicht abgelaufen.
Besuchte die Tochter der Bf. an ein oder zwei Tagen der Woche, wenige Stunden pro Woche, die Berufsschule, liegt auf der Hand, dass nicht davon gesprochen werden kann, daneben sei eine Berufsausübung nicht möglich gewesen.
Dass Bewerbungsgespräche und aktive Bewerbungen um eine neue Lehrstelle keine Ausbildung gemäß der zitierten Bestimmung darstellen, wurde vom Finanzamt in der Beschwerdevorlage zutreffend angeführt und bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Mit dieser Beurteilung steht im Einklang, dass die Tochter der Bf. nahezu im gesamten Rückforderungszeitraum Arbeitslosengeld bezogen und damit die oben angeführten Voraussetzungen zu erfüllen hatte.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Mit gegenständlichem Erkenntnis wurde nicht über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entschieden. Feststellungen auf der Sachverhaltsebene betreffen keine Rechtsfragen und sind grundsätzlich keiner Revision zugängig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102386.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at