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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.10.2020, RV/7102698/2017

Erhöhte Familienbeihilfe Eintritt der Erwerbsunfähigkeit Bindung an Sachverständigengutachten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Landstraßer Hauptstraße 82 Tür 11, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Abweisung des Antrags vom auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab Oktober 2012, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.), geb. am Juli 1961, vertreten durch seinen Erwachsenenvertreter (Sachwalter), beantragte am die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab Oktober 2008.

Im Antrag vom , eingebracht am , wurde das Begehren auf den Zeitraum ab Oktober 2012 eingeschränkt.

Der Bf. wurde auf Grund des Antrages im Sozialministeriumservice am untersucht und am folgendes Gutachten erstellt:

"Anamnese:

Lt. eigenen Angaben habe er die Handelsakademie besucht, anschließend BWL studiert (nicht abgeschlossen). Habe bis vor 9 Jahren alleine zuhause gelebt; seither bei "B". Wäre schon im Rollstuhl zu B gekommen. Lt. Angabe der DSA wäre die Waisenpension abgelehnt worden. Sie habe Unterlagen aus der Studienzeit gesehen, die schon auf eine schizoaffektive Entwicklung schließen ließen (Tonbandaufnahmen; bizarre Bilder, Zeitungsausschnitte, Dokumentations"wahn"). Erst nach langer Zeit wäre eine "gemischte schizoaffektive" Störung diagnostiziert worden und hätte dem Zustandsbild einen Namen gegeben. Für die Eltern wäre es unmöglich gewesen, eine psychische Erkrankung des Sohnes "einzugestehen". Es liegen keine fachärztlichen Befunde auf. Eine stationäre Aufnahme wäre niemals erfolgt. Seit 2006 bei Prof. Maida wegen MS in Behandlung. Derzeit mit einem Cystofix versorgt.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): 4-Aminopyridinkapseln, Copaxone 1xTgl s.c; Efectin 225mg/d, Hofcomant, Lyrica 150mg/d, Zyprexa Velotab 20mg/d

Untersuchungsbefund: Spastische beinbetonte Tetraparese linksakzentuiert; Strabismus divergens. Keine Stand oder Gangfähigkeit.

Status psychicus / Entwicklungsstand: Im Gedankenductus verlangsamt. Auffassungsgabe ungestört. Unter Antiepileptika keine paranoiden Verkennungen explorierbar. Erhöhte Tagesmüdigkeit.

Relevante vorgelegte Befunde:

2009-09-29 BASB WIEN

primär chronisch progrediente Multiple Sklerose 100% GdB

2009-03-02 BEFUNDBERICHT PROF. MAIDA

Gehen einige Schritte nur mit Hilfe möglich

2006-11-13 MA 15

Aufgrund des Vergleiches vor dem ASG Wien wurde Pflegegeld der Stufe gewährt.

Diagnose(n):

Primär chronisch progrediente Multiple Sklerose

Richtsatzposition: 040803 Gdb: 100% ICD: G35.0

Rahmensatzbegründung:

Oberer Rahmensatz, da keine Stand oder Gangfähigkeit

Schizoaffektive Erkrankung

Richtsatzposition: 030602 Gdb: 050% ICD: F25.2

Rahmensatzbegründung:

Unterer Rahmensatz, da unter multimodaler Therapie ambulantes Setting möglich.

Gesamtgrad der Behinderung: 100 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Rückwirkendes Datum: ab dokumentierter Rollstuhlpflicht (Pflegegeld der Stufe 4 wurde im Jahr 2006 zuerkannt). Keinerlei Befunde die schizoaffektive Erkrankung betreffend, vorliegend.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2006-01-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der (Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Erwerbsunfähig ab 01/2006.

erstellt am 2014-07-07 von Matulla Bettina

Facharzt für Neurologie

zugestimmt am 2014-07-07

Leitender Arzt: Fürthaler Wolfgang"

Das Finanzamt wies den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe ab Oktober 2012 unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen mit Bescheid vom ab (Anm.: das Sachverständigengutachten wurde beigelegt) und verwies in der Begründung auf die Bestimmungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung, wonach volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Gegen den Abweisungsbescheid wurde mit folgender Begründung Beschwerde eingebracht:

"Der Beschwerdeführer leidet nunmehr an chronischer Multipler Sklerose und ist nicht gang- oder stehfähig. Des Weiteren liegt beim Beschwerdeführer eine psychiatrische Erkrankung in Form einer schizoaffektiven Störung vor. Aufgrund der vorliegenden Erkrankungen besteht daher beim Beschwerdeführer eine andauernde Behinderung von 100% und ist dieser nicht erwerbsfähig.

Im Oktober 2013 stellte der Sachwalter einen Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe beim zuständigen Finanzamt. Am fand eine fachärztliche Untersuchung aus dem Bereich der Neurologie des Beschwerdeführers beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens, statt.

In der Folge wurde mit Bescheid vom der Antrag des Beschwerdeführers auf erhöhte Familienbeihilfe abgewiesen. Dies mit der Begründung, dass gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 in der ab gültigen Fassung Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder nur dann besteht, wenn aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres (27. Lebensjahres in der Fassung des FLAG 1967 bis zum ) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung, die Fähigkeit des Antragstellers, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, voraussichtlich dauernd nicht mehr gegeben ist.

Zulässigkeit der Beschwerde:

Da der Beschwerdeführer schon vor Vollendung des 27. Geburtstages (gem. FLAG 1967 bis zum ) erwerbsunfähig und daher außer Stande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, besteht ein Anspruch auf Familienbeihilfe. Der bekämpfte Bescheid verletzt daher das Recht des Beschwerdeführers in seinem Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe."

Beschwerdegründe:

Der Beschwerdeführer hat nach der Erlangung seiner Matura ein Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Wien aufgenommen. Vom Grundwehrdienst wurde der Beschwerdeführer auf Grund des Untersuchungsergebnisses der Stellungskommission im Jahr 1980 befreit, da er als für den Wehrdienst ungeeignet befundet wurde. Bereits bei dieser Untersuchung wurden schon psychische Auffälligkeiten, wie Nachschweiß und Nervosität festgestellt. Auch der körperliche Zustand des Beschwerdeführers war bereits durch Asthenie und Morbus Scheuermann beeinträchtigt, die eine bereits vorliegende Erkrankung oder Ausbruch einer psychischen oder körperlichen Erkrankung mit zumindest eingeschränkter Erwerbsfähigkeit nahelegen.

Beweis: Befund Stellungskommission W 9001 vom

Das Studium hat der Beschwerdeführer trotz guter Studienerfolge nicht abgeschlossen. Laut eigenen Angaben stand er im Alter von 22 oder 23 Jahren für mindestens ein Jahr in Psychologischer Behandlung. Auch gibt die Tante des Beschwerdeführers, Frau D., an, dass sich mit Beginn des Studiums zunehmend gegenüber seiner Umwelt verschloss und sich immer mehr zurückzog. Dies äußerte sich dadurch, dass er keinen Kontakt mit der Familie haben wollte und auch gemeinsamen Familienaktivitäten, wie z.B. an Festtagen oder Jubiläen, fern blieb.

Zur Untersuchung beim Bundessozialamt wurde der Beschwerdeführer von Frau X, einer Betreuerin der Einrichtung, in welcher der Beschwerdeführer betreut wird, begleitet. Diese gab im Zuge der Untersuchung an, dass sie Unterlagen aus der Studienzeit des Beschwerdeführers gesehen hat, die auf eine schizoaffektive Entwicklung hinweisen. So hat der Beschwerdeführer Tonbandaufnahmen von Gesprächen mit anderen Personen erstellt, bizarre Skizzen gezeichnet und Notizen erstellt, da er sich verfolgt und behördlicherseits observiert fühlte. Dieser Dokumentationswahn erreichte ein Ausmaß, das jedenfalls an paranoide Schizophrenie grenzt. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass eine tatsächlich vorliegende psychiatrische Erkrankung seitens der Eltern wohl befürchtet wurde, zumal es in der Familie des Vaters Angehörige mit psychischen Auffälligkeiten gab, diese aber nicht wahrhaben haben wollten. Eine Erklärung dafür ist die gesellschaftliche Stigmatisierung, die psychiatrische Diagnosen vor rund 30 Jahren zur Folge gehabt haben.

Beweis: vorzulegende Skizzen und Notizen des Beschwerdeführers

Zeugin Frau D., p.A., 1220 Wien, Zeugin Frau X, Behindertenbetreuerin, p.A. Wohnverbund B, 1220 Wien, L-Straße 4-6/1

Zeugin Frau Prim. Univ.Doz. Dr. Maida, Neurologie- und Psychiatriefachärztin.

Bei der Erstellung des fachärztlichen Sachverständigengutachtens durch das Bundessozialamt fanden weder der Befund der Stellungskommission noch die Aussagen von Frau X entsprechende Berücksichtigung.

Aus diesen Gründen wird an das Bundesfinanzgericht Wien daher der ANTRAG gestellt,

1. gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen und

2. gemäß Art 130 Abs. 4 B-VG und § 28 Abs. 2 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden und dem Antrag des ***Bf1*** auf erhöhte Familienbeihilfe stattzugeben

in eventu

den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.

Der Bf. wurde auf Grund der eingebrachten Beschwerde am neuerlich untersucht und am folgendes Gutachten erstellt:

"Anamnese: Lt. VGA von 7/2014 100% GdB mit Diagnose Multiple Sklerose und schizoaffektive Erkrankung.

Eine schriftliche Beschwerde des Sachwalters von 7/2014 liegt vor mit Antragstellung auf

rückwirkende Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit des AW vor das 27. Lj.

Schizoaffektive Erkrankung seit dem Studium (Beginn ca. 22. Lj. mit 1j psychologischer

Behandlung - kein stationäres Therapieerfordernis; keine ärztlichen Befunde vorliegend).

Primär chronisch progrediente MS; seit mind. 2005 rollstuhlpflichtig (spastisch links und

beinbetonte Tetraparese, Cystofix); seit 2006 bei Prof. Maida in Behandlung. Keine schübe.

Derzeitige Beschwerden: subjektiv werden gegenwärtig keine Beschwerden angegeben

Behandlungen / Medikamente / Hilfsmittel: Efectin 225mg, Inkotan 15mg, Lasix 40mg, Pantoprazol 20mg, PK-Merz, Pregabalin 75mg 2x1, Sirdalud 4mg 2x1, Zyprexa 2,5mg 1-2-4-0, Copaxone Inj.lösung, etc.; FÄ-Betreuung bei Dr. Fux alle 6 Wochen. Physio- und Ergotherapie.

Sozialanamnese:

Ausbildung: HAK-Matura, Untauglichkeit bei der Stellung 12/1980 (Nervosität, M. Schermann), BWL-Studium nicht abgeschlossen, bisher keine Erwerbstätigkeit. SA: ledig, keine Kinder. Lebt seit 2005 in teilbetreuter intensiver WG/Verein B. Seit ca. 2012 von Dr. Hofer-Zeni besachwaltet. Gegenwärtig PG-Stufe 5. Seit 2006 PG-Stufe 4 (lt. VGA).

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

, ärztlicher Befund der Stellungskommission Wien: Nervosität, Asthenie, M. Scheuermann.

Lt. VGA von 7/2014:

, MA 15: PG gewährt.

, Prof. Maida: Gehen einiger Schritte nur mit Hilfe möglich.

, BASB Wien: primär chron. progr. MS. 100% GdB.

Untersuchungsbefund.

Allgemeinzustand: reduziert

Ernährungszustand: o.B.

Status (Kopf/Fußschema) - Fachstatus:

Kopf gebeugt, hochgradige beinbetonte spastische Tetraparese (muss gefüttert werden), Urinalkondom

Gesamtmobilität - Gangbild: rollstuhlpflichtig, keine Stand- oder Gehfähigkeit gegeben.

Psycho(patho)logischer Status:

orientiert, dysthym, sehr müde mit verlangsamtem Ductus, keine Schmerzen, angepasst, anamnestisch Panikattacken, keine produktive Symptomatik, Affekt und Antrieb herabgesetzt, keine Schlafstörung.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd.Nr. Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Rahmensätze: Pos.Nr. Gdb %

1 primär chronisch progrediente Multiple Sklerose

Oberer Rahmensatz, da Rollstuhlpflicht gegeben (keine Stand- oder Gangfähigkeit vorhanden). 100

Gesamtgrad der Behinderung 100 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Eine rückwirkende Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit vor 2006 ist mangels ausreichender Befundlage (schizoaffektive Erkrankung nicht ärztlich dokumentiert) nicht möglich. Dementsprechend kann die psychiatrische Erkrankung auch nicht eingeschätzt werden und erreicht keinen GdB.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten

Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Keine Änderung des GdB gegenüber dem VGA von 7/2014. Rückwirkende Anerkennung ab 1/2006 mit dokumentierter Rollstuhlpflicht und Zuerkennung der PG-Stufe 4.

Da keine Befunde über die schizoaffektive Erkrankung vorliegen kann demgemäß auch keine Einschätzung erfolgen (diesbezüglich Änderung gegenüber dem VGA).

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 01/2006

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist ab 1/2006 belegbar da ab diesem Zeitpunkt höhergradige körperliche Beeinträchtigungen vorhanden sind; welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich machen.

X Dauerzustand

Gutachten erstellt am von Dr.in Silvia Bauer

Gutachten vidiert am von Dr.in Renate Reininger"

Der Sachwalter legte im Zuge des Verfahrens folgende Unterlagen vor:

• Stellungsuntersuchungsergebnis des Militärkommando Wien vom

Der Bf. wurde auf Grund verschiedener Erkrankungen (Morbus Sauermann [Wachstumsstörung der jugendlichen Wirbelsäule], Senk-Fuß, Ellbogenfraktur li, Nervosität) als ungeeignet eingestuft.

• Schreiben der Pensionsversicherung vom

Demzufolge bezog der Bf. im Monat Mai 2013 ein monatliches Pflegegeld der Stufe von € 664,30.

• Schreiben des Bezirksgerichtes Donaustadt vom (Verständigung gemäß § 126 AußStrG)

• Psychiatrisches Gutachten vom , AZ. 38 P x/12h-9

Dem Ersteller des Gutachtens, Dr. Wolfgang Baischer, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie wurden folgende Befunde vorgelegt:

Psychiatrische Abteilung des SMZ-Ost, Aufenthalt vom 21. Oktober bis :

"Chronisch-progrediente Encephalitis disseminata mit organischem Psychosyndrom, gemischte schizoaffektive Störung. Seit August zunehmende Persönlichkeitsveränderung mit paranoiden und aggressiven Tendenzen, aggressives Verhalten gegenüber Betreuern und Mitklienten im Rahmen der betreuten Wohnsituation. Im Aufnahmestatus orientiert, kohärenter Ductus, verlangsamt, aggressiv, gespant, teilweise parathym, Affizierbarkeit deutlich reduziert, Stimmungslage depressiv, produktive Symptomatik, Selbstfürsorgedefizit, keine Paktfähigkeit."

• Psychiatrische Abteilung des SMZ-Ost, Aufenthalt vom 6. November bis :

"Chronisch-progrediente Encephalitis disseminata mit organischem Psychosyndrom, gemischte schizoaffektive Störung."

...

Psychiatrische Diagnose:

Organisches Psychosyndrom bei Encephalitis disseminata

Beurteilung:

"Bei dem Untersuchten ist seit längerer Zeit eine degenerative neurologische Erkrankung im Sinne einer Encephalitis disseminata (Multiple Sklerose) bekannt, die auch bereits zu einer deutlichen Einschränkung des intellektuellen Leistungsniveaus führte. Weiter findet sich anamnestisch eine schizoaffektive Episode, die im Jahr 2011 stationär behandelt werden musste. Aktuell lässt sich eine diesbezügliche Symptomatik allerdings nicht mehr feststellen. Herr Bf ist im Wesentlichen in der Lage, einfache Sachverhalte zu erfassen, zeigt sich bei komplexeren Anforderungen allerdings überfordert.

Die gutachterlichen Fragestellungen sind somit damit folgendermaßen zu beantworten:

1. Es liegt eine psychische Erkrankung im Sinne eines Organischen Psychosyndroms vor.

2. Der Betroffene benötigt Unterstützung bei der Besorgung aller Angelegenheiten.

3. Er ist nur sehr eingeschränkt in der Lage einer Verhandlung zu folgen.

4. Sein Wohl wäre bei Anwesenheit in der Verhandlung nicht gefährdet.

5. Er ist in der Lage, einen Testierwillen zu bilden, die Abfassung sollte allerdings im gerichtlichen oder notariellen Rahmen erfolgen."

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom , Zeichen 7 P x/13 f-16, wurde Dr. Thomas Hofer-Zeni gemäß § 268 ABGB zum Sachwalter bestellt.

Laut Schreiben von Dr. Thomas Hofer-Zeni vom bezog der Bf. von seinem Vater keinen Unterhalt.

Das Finanzamt wies die Beschwerde unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen mit Beschwerdevorentscheidung vom mit der Begründung ab, dass im Gutachten des Sozialministeriumservice vom der Grad der Behinderung mit 100 v.H. und das Unvermögen sich den Unterhalt selbst zu verschaffen ab Jänner 2006 festgestellt worden sei.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 in der bis gültigen Fassung hätten volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe gehabt.

Im vorliegenden Fall habe der Bf. das 27. Lebensjahr am x.1988 vollendet.

Laut amtsärztlichen Sachverständigengutachten vom sei der Grad der Behinderung im Ausmaß von 100 v.H. und das Unvermögen sich den Unterhalt selbst zu verschaffen ab Jänner 2006, also nach Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. nach Vollendung des 27. Lebensjahres, festgestellt worden. Demnach habe die Abweisung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe ab Oktober 2012 zu Recht bestanden.

Der Bf. stellte mit Schreiben vom ohne ein Vorbringen einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht.

In der am beim Bundesfinanzgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde Folgendes erörtert:

Der Rechtsanwalt verwies auf die Aufführungen in der Beschwerde sowie auf die beantragten Zeugen, insbesondere auf die Tante des Beschwerdeführers (Bf.), Frau D., die Aussagen zu dem damaligen Gesundheitszustand des Bf. während seines Studiums treffen könne.

Die Vertreterin des Finanzamts führte aus, dass das Finanzamt an die vorliegenden Feststellungen in den Sachverständigengutachten gebunden ist. Zum Sachverhalt gäbe es seitens des FA keine weiteren Ausführungen.

Die Parteien stellten keine weiteren Fragen und Beweisanträge.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Sachverhalt:

Der Bf. ist am Juli 1961 geboren und vollendete am Juli 1982 das 21. Lebensjahr.

Zusammengefasst ergibt sich aus der Anamnese, dass der Bf. laut eigenen Angaben die Handelsakademie besuchte und anschließend BWL studierte (kein Abschluss) und an der Universität Wien vom Sommersemester 1989 bis Wintersemester 1995 in der Studienrichtung Soziologie, geisteswissenschaftliche Stzw Politikwissenschaft inskribiert war (Studienzeitbestätigung der Universität Wien vom ). Der Bf. war nie erwerbstätig. Er bezieht seit 2006 Pflegegeld Stufe 4 und gegenwärtig Pflegestufe 5.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom , Zeichen 7 P x/13 f-16, wurde Dr. Thomas Hofer-Zeni gemäß § 268 ABGB zum Sachwalter bestellt.

Der Bf. wohnt seit in ***Bf1-Adr***/52, Verein B. Der Verein betreut Erwachsene, Unterstützungsform: teilbetreut intensiv. B ist ein soziales Dienstleistungsunternehmen, das Unterstütztes Wohnen und Tagesstruktur-/Tagesstätten-Plätze sowie Unterstützung bei der Mobilität für Menschen mit Behinderung anbietet.

Der Bf. wurde im Zuge des Antragsverfahrens zwei Mal untersucht und eine primär chronisch progrediente Multiple Sklerose diagnostiziert.

Im Gutachten des Sozialministeriumservice vom wurde dem Bf. eine primär chronisch progrediente Multiple Sklerose attestiert und der Gesamtgrad der Behinderung mit 100 vH festgesetzt. Betreffend die schizoaffektive Erkrankung wurde der Behinderungsgrad mit 50 vH festgesetzt. Die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde rückwirkend ab Jänner 2006 (dokumentierte Rollstuhlpflicht) bescheinigt und festgehalten, dass betreffend die schizoaffektive Erkrankung keine Befunde vorliegen würden.

Im Gutachten vom wurde dem Bf. erneut ein Grad der Behinderung von 100 vH und eine Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab Jänner 2006 bescheinigt und Folgendes festgehalten: "Eine rückwirkende Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit vor 2006 ist mangels ausreichender Befundlage (schizoaffektive Erkrankung nicht ärztlich dokumentiert) nicht möglich. Dementsprechend kann die psychiatrische Erkrankung auch nicht eingeschätzt werden und erreicht keinen GdB."

Das Bundesfinanzgericht geht - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt - davon aus, dass die Erwerbsunfähigkeit nicht vor dem 21. Lebensjahr bzw. vor dem 25. Lebensjahr (Berufsausbildung) eingetreten ist.

Beweiswürdigung:

Der als erwiesen angenommene Sachverhalt beruht auf den zwei im Wege des Bundessozialamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten, den vom Bf. vorgelegten ärztlichem Befund der Stellungskommission Wien vom , dem BASB-Gutachten vom (primär chronisch progrediente Multiple Sklerose 100% GdB), dem Bescheid der MA 15 vom betreffend Gewährung von Pflegegeld, der Studienzeitbestätigung der Universität Wien vom , dem Befundbericht von Prof. Maida vom , dem psychiatrischen Gutachten vom , AZ. 38 P x/12h-9, erstellt von Dr. Wolfgang Baischer, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie weiters dem Stellungsuntersuchungsergebnis des Militärkommando Wien vom , dem Schreiben der Pensionsversicherung vom betreffend Pflegegeld, dem Schreiben des Bezirksgerichtes Donaustadt vom (Verständigung gemäß § 126 AußStrG), den Arztbriefen der Psychiatrischen Abteilung des SMZ-Ost betreffend die Aufenthalte des Bf. vom 21. Oktober bis und vom 6. bis .

Aus dem Stellungsuntersuchungsergebnis des Militärkommando Wien vom ergibt sich, dass der Bf. wegen verschiedener Erkrankungen (Morbus Sauermann [Wachstumsstörung der jugendlichen Wirbelsäule], Senk-Fuß, Ellbogenfraktur li, Nervosität) als ungeeignet eingestuft wurde.

Laut Studienzeitbestätigung der Universität Wien vom war der Bf. in der Studienrichtung Soziologie, geisteswissenschaftliche Stzw Politikwissenschaft vom Sommersemester 1989 bis Wintersemester 1995 inskribiert. Über abgelegte Prüfungen gibt es keine Nachweise, da diese laut Auskunft der Universität Wien nicht elektronisch erfasst wurden (Schreiben des Sachwalters vom ).

Dr. Wolfgang Baischer diagnostizierte beim Bf. im psychiatrischen Gutachten vom ein organisches Psychosyndrom bei Encephalitis disseminata (Anm.: multiple Sklerose) und hielt dazu fest, dass diese degenerative neurologische Erkrankung im Sinne einer Encephalitis disseminata (Multiple Sklerose) beim Untersuchten seit längerer Zeit bekannt sei. Die Erkrankung habe auch bereits zu einer deutlichen Einschränkung des intellektuellen Leistungsniveaus geführt. Weiter finde sich anamnestisch eine schizoaffektive Episode, die im Jahr 2011 stationär behandelt werden habe müssen. Aktuell lasse sich eine diesbezügliche Symptomatik allerdings nicht mehr feststellen. Der Bf. sei im Wesentlichen in der Lage, einfache Sachverhalte zu erfassen, zeige sich bei komplexeren Anforderungen allerdings überfordert.

Die gutachterlichen Fragestellungen seien somit folgendermaßen zu beantworten:

"1. Es liegt eine psychische Erkrankung im Sinne eines Organischen Psychosyndroms vor.

2. Der Betroffene benötigt Unterstützung bei der Besorgung aller Angelegenheiten.

3. Er ist nur sehr eingeschränkt in der Lage einer Verhandlung zu folgen.

4. Sein Wohl wäre bei Anwesenheit in der Verhandlung nicht gefährdet.

5. Er ist in der Lage, einen Testierwillen zu bilden, die Abfassung sollte allerdings im gerichtlichen oder notariellen Rahmen erfolgen."

Wie schon festgehalten, wurde dem Bf. im Gutachten des Bundessozialamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) vom auf Grund seiner Erkrankung an Multipler Sklerose ein Grad der Behinderung von 100 vH und der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab Jänner 2006 bescheinigt. Angemerkt wurde, dass betreffend die schizoaffektive Erkrankung keinerlei Befunde vorliegen würden.

Der mit dem Gutachten vom befassten Gutachterin, einer Fachärztin für Neurologie, standen im Rahmen der Gutachtenserstellung das Gutachten des BASB Wien vom und der Befundbericht von Prof. Maida vom sowie ein Bericht der MA 15 vom zur Verfügung.

Die Sachverständige gelangte nach Anamneseerhebung, nach Untersuchung des Bf. und unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde zu der Feststellung, dass beim Bf. ein Grad der Behinderung von 100 v.H. rückwirkend ab Jänner 2006 vorliegt. Die Erwerbsunfähigkeit wurde ebenfalls rückwirkend ab Jänner 2006 festgestellt.

Im Gutachten vom wurde dem Bf. erneut ein Grad der Behinderung von 100 vH rückwirkend ab Jänner 2006 bescheinigt. Betreffend Erwerbsunfähigkeit wurde festgehalten, dass diese ab Jänner 2006 belegbar sei, da ab diesem Zeitpunkt höhergradige körperliche Beeinträchtigungen vorhanden seien, welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich machen würden. In der Stellungnahme zum Vorgutachten wurde festgehalten, dass es keine Änderung des Grades der Behinderung gegenüber dem Vorgutachten von Juli 2014 gäbe. Da keine Befunde über die schizoaffektive Erkrankung vorliegen würden, könne demgemäß auch keine Einschätzung erfolgen (Anm.: diesbezüglich Änderung gegenüber dem Vorgutachten).

Zitat: "Eine rückwirkende Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit vor 2006 ist mangels ausreichender Befundlage (schizoaffektive Erkrankung nicht ärztlich dokumentiert) nicht möglich. Dementsprechend kann die psychiatrische Erkrankung auch nicht eingeschätzt werden und erreicht keinen GdB."

Der Bf. leidet - wie sich aus den vorgelegten Befunden und den Sachverständigengutachten ergibt - seit vielen Jahren an Multipler Sklerose. Die Erkrankung führte zu einer Erwerbsunfähigkeit ab Jänner 2006 (dokumentierte Rollstuhlpflicht).

Der Erwachsenenvertreter (Sachwalter) bringt unter anderem vor, dass der Bf. von der Stellungskommission im Jahr 1980 auf Grund der Untersuchungsergebnisse für ungeeignet befunden wurde, da bei der Untersuchung schon psychische Auffälligkeiten wie Nachschweiß und Nervosität festgestellt worden seien. Auch der körperliche Zustand des Bf. sei bereits durch Asthenie (= Schwäche, Kraftlosigkeit) und Morbus Scheuermann (= Deformierende Rückenerkrankung) beeinträchtigt gewesen. Dies würde eine bereits vorliegende Erkrankung oder Ausbruch einer psychischen oder körperlichen Erkrankung mit zumindest eingeschränkter Erwerbsfähigkeit nahelegen.

Das Studium sei vom Bf. trotz guter Studienerfolge nicht abgeschlossen worden. Der Bf. sei laut eigenen Angaben im Alter von 22 oder 23 Jahren für mindestens ein Jahr in psychologischer Behandlung gestanden.

Weiters leidet der Bf. an einer psychischen Erkrankung.

Wie schon ausgeführt, wurde im Gutachten vom festgehalten, dass die psychiatrische Erkrankung nicht eingeschätzt werden habe können, da keine Befunde über die schizoaffektive Erkrankung vorliegen würden.

Aus dem Gutachten vom geht hervor, dass die diplomierte Sozialarbeiterin angab, dass sie Unterlagen aus der Studienzeit gesehen habe, die schon auf eine schizoaffektive Entwicklung des Bf. schließen ließen (Tonbandaufnahmen; bizarre Bilder, Zeitungsausschnitte, Dokumentations"wahn"). Erst nach langer Zeit wäre eine "gemischte schizoaffektive" Störung diagnostiziert worden.

Laut Sachwalter habe Frau D. (Tante des Bf.) erzählt, dass sich ihr Neffe mit Beginn des Studiums zunehmend gegenüber seiner Umwelt verschlossen und sich immer mehr zurückgezogen habe, was sich dadurch geäußert habe, dass er keinen Kontakt mit der Familie haben wollte und auch gemeinsamen Familienaktivitäten ferngeblieben sei.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) hat der Antragsteller die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten.

In einem Fall, bei dem - wie hier - Jahrzehnte zurückliegende Sachverhaltselemente entscheidungsrelevant sind, liegt es am Antragsteller, das Vorliegen dieses Umstandes klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl. , vgl. auch Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32).

Dies ist aber im vorliegenden Fall nicht gelungen. Es konnten keine "alten" Befunde vorgelegt werden, die den Schluss auf den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr (bzw. bei Berufsausbildung, 25. Lebensjahr) zugelassen hätten.

Die älteste vorgelegte Unterlage ist das Schreiben der MA 15 vom betreffend Gewährung des Pflegegeldes. Das Gutachten von Prof. Maida datiert mit , das BASB-Gutachten vom , die Befunde/Arztbriefe der Psychiatrischen Abteilung des SMZ-Ost aus 2012 und das Gutachten von Dr. Baischer vom .

Wie im Gutachten vom festgehalten, konnte wegen fehlender Befunde für länger zurückliegende Zeiträume keine genaue Einschätzung vorgenommen werden, wann die Erkrankung (Multiple Sklerose) tatsächlich zur Erwerbsunfähigkeit geführt hat. Aus den vorgelegten Befunden war nicht ableitbar, dass beim Bf. schon vor seinem 21. Lebensjahr eine Erwerbsunfähigkeit auf Grund einer schizophrenen Erkrankung gegeben war.

Die Ausführungen der DSA und der Tante sind nicht ausreichend genug, um dem Bf. eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr (bzw. bei Berufsausbildung 25. Lebensjahr) bescheinigen zu können.

Wenn der Sachwalter die Einvernahme von Prof. Maida als Zeugin beantragt, so erachtet das Bundesfinanzgericht eine derartige Einvernahme als nicht zielführend, da der Bf. erstmals bei der Neurologin Univ.Prof. Dr. Eva Maria Maida im Jahr 2006 wegen seiner Erkrankung (Multiple Sklerose) in Behandlung war und diese somit über den Gesundheitszustand des Bf. für einen Zeitraum, der ca. 30 Jahre zurückliegt, naturgemäß nur Vermutungen anstellen kann.

Genausowenig ist die Einvernahme von X, Behindertenbetreuerin des Bf., zielführend, kann diese doch erst ab dem Zeitpunkt der Betreuung des Bf. zu dessen Krankheitszustand Aussagen treffen.

Schließlich kann nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes auch durch die Einvernahme der Tante des Bf. (Frau D.) als Zeugin nichts für die Feststellung gewonnen werden, ob beim Bf. die Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr (bzw. dem 25. Lebensjahr) eingetreten ist, brachte Frau D. doch nur vor, dass sich ihr Neffe mit Beginn des Studiums zunehmend gegenüber seiner Umwelt verschlossen und sich immer mehr zurückgezogen habe, was sich dadurch geäußert habe, dass er keinen Kontakt mit der Familie haben wollte und auch gemeinsamen Familienaktivitäten ferngeblieben sei.

Nach dem medizinischen Wissensstand ist der Verlauf psychischer Störungsbilder sehr vielfältig und die Verläufe bei Kindern, Erwachsenen und alten Menschen sehr unterschiedlich. Die Störungen können in Schüben verlaufen, es gibt vollständige Heilungen oder auch schwerste Verläufe mit der Gefahr der dauerhaften Versorgungsbedürftigkeit.

Bei einer schizophrenen Psychose manifestiert sich die erste akute Krankheitsepisode meist zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr. Auch spätere Ersterkrankungen sind möglich, jedoch tritt die Erkrankung bei zwei Drittel der Erkrankten bereits vor dem 30. Lebensjahr auf. Dem geht bei ca. drei Viertel der Erkrankten eine etwa fünf Jahre dauernde Phase voraus, in der unspezifische psychische Veränderungen auftreten. Schon im Prodromalstadium bestehen deutliche Beeinträchtigungen der kognitiven und sozial-kommunikativen Fähigkeiten. Da dieses Stadium in vielen Fällen mit der biographischen Phase der Schul- und Berufsausbildung und dem Übergang in ein eigenständiges Leben zusammenfällt, haben diese Beeinträchtigungen negative Auswirkungen auf die berufliche Entwicklung und hemmen oder verhindern den sozialen Aufstieg. Im weiteren Verlauf der Erkrankung gehen diese Beeinträchtigungen mit einem hohen Anteil an Arbeitslosigkeit und Frühberentungen unter schizophren Erkrankten einher.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bei Erkrankungen psychischer Natur naturgemäß immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit und nie mit Sicherheit festgestellt werden kann und hier vor allem "alte" Befunde Aufschluss geben können (vgl ; ; ; ; UFSI , RV/0164-I/13; Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, § 8 Tz 32).

Wenn die Gutachter auf Grund fehlender "alter" Unterlagen den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht feststellen konnten, kann dadurch den Gutachten die Schlüssigkeit nicht abgesprochen werden.

Im Erkenntnis vom , RV/7105214/2018, stellte das Bundesfinanzgericht fest, dass es einem Gutachter - wenn keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vorliegen - nicht möglich ist, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vornherein ausschließt.

Es wäre am Bf. gelegen gewesen, durch Vorlage von "alten" Befunden nachzuweisen, dass die psychische Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr bzw. vor dem 25. Lebensjahr zur Erwerbsunfähigkeit geführt hat.

Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG in der Fassung ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 10 FLAG 1967 normiert:

(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, anzuwenden.

Gemäß § 8 Abs 3 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe um näher angeführte Beträge monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bei volljährigen "Kindern"

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 5 zu § 8). Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl , vgl. weiters Lenneis in Csaszar / Lenneis / Wanke, FLAG, § 8 Rzln 5 und 19 ff).

Der Verwaltungsgerichtshof stellte in seinem Erkenntnis vom , 2013/16/0170, auszugsweise Folgendes fest:

"Eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG mit einen Grad von mindestens 50 v.H. kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht (Hinweis E , Ra 2014/16/0010)." (vgl. auch ; ; , sowie die Erkenntnisse des und vom , RV/7106028/2016).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens

Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (vgl. , , , ).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer begründeter Weise zu enthalten und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind (vgl. , , , ).

Wird für eine volljährige Person die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt bzw. stellt eine volljährige Person einen Eigenantrag auf die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag, so hat sich das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren darauf zu erstrecken, ob diese Person wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa , vgl. auch ).

Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice - keine andere Form der Beweisführung

Zufolge § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden (vgl. 2007/15/0019, , ) und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und - im Falle mehrerer Gutachten - nicht einander widersprechen (vgl. , , , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, vgl. auch die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ).

Ist ein Gutachten unschlüssig, so ist nach der Judikatur des VwGH für deren Ergänzung zu sorgen. Sowohl eine Gutachtensergänzung als auch ein neues Gutachten stellen Beweismittel dar. (; ; ).

Gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen, hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 700/07, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl. ) und weiters erkannt, dass von Gutachten NUR nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" abgegangen werden kann, wenn diese nicht schlüssig sind (vgl. ; , ).

Zusammenfassend wird festgestellt, dass dem Bf. in den Gutachten keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer schulischen Ausbildung bescheinigt wurde.

Der Grad der Behinderung von 100 v.H. wurde rückwirkend ab Jänner 2006 bescheinigt.

Der Bf. befand sich im Jänner 2006 bereits im 45. Lebensjahr.

Die Sachverständigengutachten wurden, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, als schlüssig erachtet.

Der Antrag des Bf. auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe war daher abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, wie hoch der Behinderungsgrad in einem bestimmten Zeitraum war bzw. wann die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, handelt es sich um eine Tatfrage und ist das Bundesfinanzgericht an das vom Sozialministeriumservice erstellte ärztliche Gutachten de facto gebunden. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Wien, am

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