Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.10.2020, RV/2100606/2020

Neuer Lohnzettel ist für sich allein kein Wiederaufnahmegrund

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Umgebung vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2013 sowie Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2013 und vom betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2014 und 2015 sowie Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2014, Steuernummer ***BF1StNr1***,

  • zu Recht erkannt:

Den Beschwerden gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

  • beschlossen:

Die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015 werden als gegenstandslos erklärt.

  • beschlossen:

Die Vorlageanträge vom betreffend die Bescheide hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 und hinsichtlich Einkommensteuer 2013 werden gemäß § 260 Abs. 1 lit. a iVm § 264 Abs. 4 lit. e BAO als unzulässig zurückgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis bzw. diese Beschlüsse ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 bzw Art. 133 Abs. 4 iVm. Abs. 9 des Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Das Finanzamt hat Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2013, 2014 und 2015 erlassen.

Der Bescheid betreffend das Jahr 2013 wurde wie folgt begründet:

"Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO BAO wiederaufzunehmen, weil dem Finanzamt auf Grund eines berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe etc.) erst nachträglich Umstände bekannt wurden, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent waren und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen."

Die Bescheide betreffend die Jahre 2014 und 2015 wurden folgendermaßen begründet:

"Wir haben das Verfahren nach § 303 (1) Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:

•Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt
•Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt
Die nähere Begründung finden Sie im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid
."

Gleichzeitig mit den Bescheiden über die Wiederaufnahme der Verfahren erließ das Finanzamt neue Sachbescheide hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2013, 2014 und 2015.

Im Einkommensteuerbescheid 2013 vom wurde als Begründung "Wiederaufnahme wegen neuem Lohnzettel" ausgeführt. Weiters enthielt dieser Bescheid im Vergleich zum Erstbescheid vom weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vom Bundesministerium für ***1***.

Die iZm der Wiederaufnahme der Verfahren erlassenen neuen Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 vom enthielten keine Begründung, jedoch waren im Vergleich zu den Erstbescheiden vom für 2014 und vom für 2015 wiederum weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vom Bundesministerium für ***1*** ausgewiesen.

Auf Seite 4 der nach Wiederaufnahme der Verfahren ergangenen Einkommensteuerbescheide 2013, 2014 und 2015 finden sich ergänzend zu den Erstbescheiden folgende Lohnzettel vom Bundesministerium für ***1***:

2013:
"Bundesministerium ***1*** 01.01. bis
Beträge in EUR
Bruttobezüge (210) 2.152,69
Steuerpflichtige Bezüge (245) 2.152,69
"

2014:
"Bundesministerium ***1*** 01.01. bis
Beträge in EUR
Bruttobezüge (210) 2.152,69
Steuerpflichtige Bezüge (245) 2.152,69
Die Bezüge waren gemäß
§ 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."

2015:
"Bundesministerium ***1*** 01.01. bis
Beträge in EUR
Bruttobezüge (210) 2.308,02
Steuerpflichtige Bezüge (245) 2.308,02
Die Bezüge waren gemäß
§ 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."

Sowohl gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2013, 2014 und 2015 als auch gegen die neu erlassenen Einkommensteuerbescheide 2013, 2014 und 2015 hat die Beschwerdeführerin (Bf) fristgerecht Beschwerde mit nachstehender Begründung erhoben:

"Es liegen keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor. Nach Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide sind auch die Einkommensteuerbescheide und die Bescheide über die Festsetzung von Anspruchszinsen aufzuheben. Darüber hinaus ist grundsätzlich festzustellen, dass die Berechnungsgrundlage lt. Lohnzettel des Bundesministeriums für ***1***, welche durch das Finanzamt Wien 1/23 berechnet und vorgegeben wurde, unrichtig festgestellt wurde. Bis zur Erledigung der Beschwerde beantrage ich die Aussetzung der Einhebung über die Beträge 807,- Euro für das Jahr 2013 sowie 893,- Euro für das Jahr 214 und 985,- Euro für das Jahr 2015 und die Anspruchszinsen der betreffenden Jahre. Weiters beantrage ich die Aussetzung der Entscheidung gemäß § 271 BAO und verweise auf das laufende Verfahren des Finanzamtes Wien 1/23 gegen das Bundesministerium für ***1*** (***2***)."

Das Finanzamt versendete daraufhin bezüglich das Jahr 2013 eine "Bescheidbegründung" mit folgendem Inhalt:

"An Sie wurde ein durch das Bundesrechenzentrum ausgefertigter Bescheid betreffend Abweisung der Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens für das Jahr 2013 am abgefertigt. Bitte beachten Sie, dass es bei dem automationsunterstützt versendeten Bescheid und der vorliegenden hündisch versendeten Begründung zu unterschiedlichen Zustellungszeitpunkten kommen kann.

Die Erledigung weicht von Ihrem Begehren aus folgenden Gründen ab:
Gemäß § 84 Einkommensteuergesetz 1984 (EStG) hat der Arbeitgeber dem Finanzamt der Betriebsstätte ohne besondere Aufforderung die Lohnzettel aller im Kalenderjahr beschäftigten Arbeitnehmer zu übermitteln; etwaige Neuausstellungen, Berichtigungen oder Stornierungen von Lohnzetteln sind ebenfalls vom Arbeitgeber dem Finanzamt der Betriebsstätte zu übermitteln.
Die Übermittlung der Lohnzettel hat elektronisch zu erfolgen.

Ein Lohnzettel des Arbeitgebers Bundesministerium ***1*** wurde dem Finanzamt am neu übermittelt und wurde deshalb das Verfahren nach § 303 Absatz 1 Bundesabgabenordnung (BAO) wiederaufgenommen.
Auf Grund der Bestimmungen des § 84 EStG hat der Arbeitgeber die Verpflichtung zur Übermittlung von Lohnzettel in Eigenverantwortung und sind diese auf Grund der Bestimmungen des EStG zu veranlagen.

Die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens für das Jahr 2013 gemäß § 303 Absatz 1 BAO war daher als unbegründet abzuweisen.

Die Aussetzung der Entscheidung gemäß § 271 BAO hat vor Vorlage der Beschwerde durch Bescheid der Abgabenbehörde, nach Vorlage der Beschwerde durch Beschluss des Verwaltungsgerichtes zu erfolgen.

Sie haben eine Beschwerde gemäß § 250 BAO eingebracht und kann somit einer Aussetzung der Entscheidung nicht entsprochen werden.

Die angeführten Ausführungen sind Bestandteil des oben bezeichneten Bescheides. Ein nach Maßgabe der Rechtsmittelbelehrung zulässiges Rechtsmittel kann nur gegen den Spruch des oben bezeichneten Bescheides, nicht aber gegen die Begründung erhoben werden. Im Übrigen wird auf die entsprechende Rechtsmittelbelehrung bzw. Rechtsbelehrung verwiesen."

Nach den Angaben des Finanzamtes in einer an das Bundesfinanzgericht übermittelten E-Mail vom wurde betreffend das Jahr 2013 keine Beschwerdevorentscheidung, sondern lediglich eine Bescheidbegründung (Verf 67 vom ) an die Bf verschickt.

Die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend die Jahre 2014 und 2015 hat das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidungen gemäß § 262 BAO vom als unbegründet abgewiesen und führte als Begründung Folgendes aus:

"Gemäß § 84 Einkommensteuergesetz 1984 (EStG) hat der Arbeitgeber dem Finanzamt der Betriebsstätte ohne besondere Aufforderung die Lohnzettel aller im Kalenderjahr beschäftigten Arbeitnehmer zu übermitteln; etwaige Neuausstellungen, Berichtigungen oder Stornierungen von Lohnzetteln sind ebenfalls vom Arbeitgeber dem Finanzamt der Betriebsstätte zu übermitteln. Die Übermittlung der Lohnzettel hat elektronisch zu erfolgen.

Ein Lohnzettel des Arbeitgebers Bundesministerium ***1*** wurde dem Finanzamt am neu übermittelt und wurde deshalb das Verfahren nach § 303 Absatz 1 Bundesabgabenordnung (BAO) wiederaufgenommen.
Auf Grund der Bestimmungen des § 84 EStG hat der Arbeitgeber die Verpflichtung zur Übermittlung von Lohnzettel in Eigenverantwortung und sind diese auf Grund der Bestimmungen des EStG zu veranlagen.

Die Beschwerden gegen die Wiederaufnahme der Verfahren für die Jahr 2014 und 2015 gemäß § 303 Absatz 1 BAO waren daher als unbegründet abzuweisen.

Die Aussetzung der Entscheidung gemäß § 271 BAO hat vor Vorlage der Beschwerde durch Bescheid der Abgabenbehörde, nach Vorlage der Beschwerde durch Beschluss des Verwaltungsgerichtes zu erfolgen.

Sie haben eine Beschwerde gemäß § 250 BAO eingebracht und kann somit einer Aussetzung der Entscheidung nicht entsprochen werden."

Das Finanzamt nimmt entgegen der in der an das BFG übermittelten E-Mail vom vertretenen Ansicht, wonach nur bezüglich der Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 eine Beschwerdevorentscheidung ergangen sei und Beschwerdevorentscheidungen nachzuholen seien, auch auf die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 Bezug und hat damit auch über die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2014 und 2015 abgesprochen.

In den gegen diese Erledigungen fristgerecht erhobenen Vorlageanträgen führte die Bf Folgendes aus:

"Mit Übertritt in den Ruhestand im Jahre ***3*** wurde mir mit Bescheid die Naturalwohnung entzogen und gleichzeitig die Weiterbelassung derselben als Mietwohnung übergeben.

Es ergab sich daraus ein erheblicher Anstieg der Mietvorschreibungen, weil die Sachbezugszuwendungen (die einem aktiven Bediensteten eingeräumt waren) wegfielen. Zum damaligen Zeitpunkt war das für mich eine erhebliche Summe (die Miete erhöhte sich von Schilling ***4***,- auf etwa ***5***,- Schilling).

Ich bin nach wie vor der Meinung keine geldlichen Vorteile nach Eintritt in den Ruhestand erhalten zu haben, die ich heute nachträglich zu versteuern hätte.

Weiters verweise ich neuerlich auf das laufende Verfahren des Finanzamtes Wien 1/23 gegen das Bundesministerium für ***1*** (***2***)."

Das Finanzamt legte die Beschwerden an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte unter dem Punkt "Stellungnahme" aus, dass die Beschwerden als unbegründet abzuweisen wären. Weiters wurde auf den vom bundesweiten Fachbereich übermittelten Begründungstext betreffend die Abweisung verwiesen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Aus den Angaben der Bf ergibt sich, dass ihr als Bedienstete des Bundesministeriums für ***1*** mit Übertritt in den Ruhestand im Jahr ***3*** die ihr von ihrem Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Naturalwohnung entzogen und gleichzeitig als Mietwohnung übergeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Miete von ATS ***4***,- auf etwa ***5***,- angehoben.

Aus der vom Finanzamt übermittelten Musterbegründung des bundesweiten Fachbereiches für die abweisende Entscheidung des Finanzamtes ist aus dem Punkt "Sachverhalt" zu entnehmen, dass der Arbeitgeber dem Beschwerdeführer/der Beschwerdeführerin im Beschwerdezeitraum eine Wohnung zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt hat. Die Wohnungen wurden vom Arbeitgeber von gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften angemietet und vom Bund wurden hierfür entsprechende Mietzinsvorauszahlungen in erheblicher Höhe geleistet. Der Arbeitgeber ist langfristige vertragliche Bindungen mit dem strategischen Ziel eingegangen, den Bediensteten leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die für die Berechnung des Sachbezugs maßgeblichen Daten wurden der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Wohnungsdatenbank entnommen. Objektbezogene Mietzinsbeschränkungen konnten keine festgestellt werden. Die Arbeitnehmer haben eine Grundvergütung (Miete) an den Arbeitgeber geleistet. Die Betriebskosten und Heizkosten wurden von den Arbeitnehmern getragen.

Dem Punkt "Rechtliche Würdigung" ist weiters zu entnehmen, dass die Höhe des Sachbezuges nach § 2 der Sachbezugswerte-Verordnung in der jeweils anzuwendenden Fassung durch eine Gegenüberstellung zwischen den Berechnungen nach der Richtwertmethode und der Vergleichswertmethode ermittelt worden sei. Der sich daraus ergebende günstigere Wert sei als Sachbezug herangezogen worden. Die an den Arbeitgeber bezahlte Grundvergütung (Miete) sei dem ermittelten Sachbezugswert als Kostenbeitrag gegengerechnet worden. Ferner hätten die selbst bezahlten Betriebskosten ebenfalls zu einer Verminderung des Sachbezugswertes geführt. Der sich daraus ergebende geldwerte Vorteil für die verbilligte Nutzung der Wohnung (Sachbezug) unterliege im Rahmen der Veranlagung der Einkommensteuer.

Strittig ist daher, ob die Wiederaufnahme der Verfahren unter Berücksichtigung des Hervorkommens neuer Tatsachen und die in diesem Zusammenhang ergangenen neuen Sachbescheide unter Berücksichtigung der mittels Lohnzettel festgesetzten Sachbezüge in rechtmäßiger Weise ergangen sind.

Beweiswürdigung

Der Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt ergeben sich aus dem vorgelegten Beschwerdeakt.

Aus dem vorgelegten Beschwerdeakt ist ersichtlich, dass die zur Wiederaufnahme führenden Lohnzettel am eingespielt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt 1.:
Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

  • Von Ritz, BAO, Kommentar, Rz 1-3 zu § 307, wird hierzu Folgendes ausgeführt:

"Die Wiederaufnahmsgründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH (zB 90/14/0262; , 90/14/0044; , 91/14/0165; , 93/14/0187, 0188) sich die Rechtsmittelbehörde bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann. Sie habe lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen. "Neue" Wiederaufnahmsgründe könnten (nach der Aufhebung des Wiederaufnahmsbescheides mit Beschwerdevorentscheidung oder mit Erkenntnis des Verwaltungs­gerichtes) neuerlich zu einer Verfügung der Wiederaufnahme durch die Abgabenbehörde führen.

Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmsgründe in der Begründung des mit Beschwerde angefochtenen Bescheides ist auch in der Beschwerdevorentscheidung nicht "nachholbar" (vgl BMF, AÖF 2006/192, Abschn 4; RV/0316-F/07; , RV/0086-F/07; Fischerlehner, Abgaben­verfahren 2, § 303 Anm 4; aM Rauscher, SWK 2003, S 637; Setina, SWK 2004, S 55). Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die für Beschwerdevorentscheidungen bestehende Änderungsbefugnis (§ 263 Abs. 1) ident ist mit jener für Erkenntnisse (§ 279 Abs. 3). Weiters ist im Beschwerdeverfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (und nicht über jene der Beschwerdevorentscheidung) zu entscheiden.

Die Begründung von Verfügungen der Wiederaufnahme hat nicht nur (je Bescheid) die entsprechenden Wiederaufnahmsgründe anzugeben, sondern auch die zeitliche Abfolge des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen und Beweismittel darzustellen ( 84/13/0054)."

Unter Bedachtnahme auf die dargestellte Rechtslage und der hierzu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sind die Beschwerden aus nachstehenden Erwägungen berechtigt:

In beiden Bescheiden vom findet sich völlig gleichlautend folgender Text als Begründung:

"Wir haben das Verfahren nach § 303 (1) Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
•Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt
•Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt.
Die nähere Begründung finden Sie im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid
."

Die nach der Wiederaufnahme der Verfahren ergangenen (neuen) Sachbescheide betreffend Einkommensteuer 2014 und 2015 enthalten keine Begründung. Auf Seite 4 der angefochtenen Bescheide sind nähere zahlenmäßige Angaben zu den neu eingespielten Lohnzetteln angeführt.

Es besteht für das Bundesfinanzgericht kein Zweifel, dass das Finanzamt mit der in den Wiederaufnahmebescheiden angeführten "Begründung" keinesfalls dem zwingenden Erfordernis der Angabe des konkreten Wiederaufnahmegrundes nachgekommen ist. Denn durch die Wortfolge "Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt" ist für die Bf als Bescheidadressatin nicht erkennbar, ob ein berichtigter oder ein neuer Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme war. Außerdem führt die "Begründung" als weitere Möglichkeit eines Wiederaufnahmegrundes eine berichtigte oder neu übermittelte Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe an. Auch damit lässt die "Begründung" die für die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme notwendige Bestimmtheit des Wiederaufnahmegrundes vermissen.

Im letzten Satz der "Begründung" wird auf die nähere Begründung im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid verwiesen. In den neu erlassenen Sachbescheiden zur Einkommensteuer 2014 und 2015 befindet sich jedoch gar keine Begründung, weswegen die Mangelhaftigkeit der Begründung der Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2014 und 2015 dadurch nicht beseitigt wird.

Es war der Bf auf Grund der Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden nicht möglich, die Gründe für die Ausstellung der neuen Lohnzettel nachzuvollziehen. Die Bf wurde weder über die zeitliche Abfolge des Hervorkommens der neuen Tatsachen noch über das Zustandekommen der Höhe des neuen Lohnzettels bzw. die Berechnung der Höhe der einzelnen jährlichen Sachbezugswerte informiert.

Zur weiteren Veranschaulichung wird auf den in , von Ritz verfassten Artikel verwiesen. Darin bringt der Autor als Beispiel aus der Praxis der Finanzämter als "Begründung" einer Wiederaufnahme eines Einkommensteuerverfahrens von Amts wegen den im Wesentlichen gleichlautenden Text, wie er in den angefochtenen Bescheiden verwendet wurde, und führt dazu aus:

"Wann welche Umstände im betreffenden Abgabenverfahren dem Finanzamt erst nachträglich bekannt wurden, verschweigt die Begründung. Sie ist überdies irreführend, wenn dort von "war […] wiederaufzunehmen" die Rede ist. Die Verfügung von Wiederaufnahmen liegt nämlich im Ermessen; die Ermessensübung ist zu begründen.
Der Bescheidadressat erfährt somit nicht,
•ob ein neuer oder ein berichtigter Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme ist,
•welcher Arbeitgeber gemeint ist,
•ob Transferleistungen (und wenn ja, welche) oder deren Änderung nachträglich bekannt wurden,
•wann die maßgebenden Umstände dem Finanzamt bekannt wurden, oder
•die für die Ermessensübung bedeutsamen Umstände und Überlegungen.

Dass eine solche Standardbegründung (Multiple Choice) keine Begründung iSd. § 93 Abs. 3 lit. a BAO ist, steht außer Zweifel."

Unter 4.1. des Artikels "Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO)" führt Ritz weiter aus:
"In der Begründung der Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens sind die Wiederaufnahmegründe anzuführen. Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe ist im Rechtsmittelverfahren nicht "nachholbar", dies auch nicht in einer Beschwerdevorentscheidung.

Bei einer amtswegigen Wiederaufnahme wird die Identität der "Sache" iSd. § 263 Abs. 1 und § 279 Abs. 1 BAO, über die im angefochtenen Bescheid abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde.

Die Rechtsmittelbehörde kann sich bei der Erledigung gegen die Wiederaufnahme gerichteter Rechtsmittel auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Wiederaufnahmegründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme aus anderen Gründen zulässig wäre.

Hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf Umstände gestützt, die keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, so ist der angefochtene Bescheid im Beschwerdeverfahren ersatzlos aufzuheben, was auch bereits durch Beschwerdevorentscheidung erfolgen kann.

Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die "Sache", über die das BFG gemäß § 279 Abs. 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltselemente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, so muss das BFG den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben."

Weiters ist auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/2101157/2019, zu verweisen. Das Bundesfinanzgericht hat dort ua. Nachstehendes ausgeführt:
"Ein zum Zeitpunkt des Ergehens des jeweiligen Erstbescheides noch nicht existenter (sondern erst später ausgefertigter) Lohnzettel ist kein neu hervorgekommenes Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (nova reperta), sondern ein nachträglich entstandenes Beweismittel (nova producta), das für sich allein eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigt (vgl. RV/5100893/2018; RV/7101946/2019; RV/3100704/2016; RV/5101112/2017; RV/7100067/2019 u.v.m.).
Nicht die Übermittlung neuer Lohnzettel als solche, sondern gegebenenfalls erst eine diesen Lohnzetteln zugrundeliegende Tatsache könnte eine Wiederaufnahme der Verfahren rechtfertigen.
Die Wiederaufnahmebescheide enthalten im Beschwerdefall aufgrund des alleinigen Verweises auf die berichtigten Lohnzettel (auch in Zusammenschau mit den Sachbescheiden) keine hinreichenden Wiederaufnahmegründe.
Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. zB
Ra 2014/15/0058 oder 2012/15/0030).
Die Wiederaufnahmebescheide sind daher ersatzlos aufzuheben.
"

In diesem Sinne hat das Bundesfinanzgericht auch im Erkenntnis vom , RV/2100811/2019 entschieden.

Somit war den Beschwerden gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015 stattzugeben und die Bescheide aufzuheben.

Zu Spruchpunkt 2.: (neue) Sachbescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015

Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt gemäß § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.

§ 261 Abs. 2 BAO lautet:

"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs. 1 oder § 300 Abs. 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs. 2 bzw. § 300 Abs. 3) oder eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."

Das bedeutet, dass das Verfahren nach § 307 Abs. 3 BAO in die Lage zurücktritt, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat, wenn der Wiederaufnahmsbescheid (insbesondere im Bescheidbeschwerdeverfahren) aufgehoben wird. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmsbescheides scheidet somit ex lege der neue Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus, der alte Sachbescheid lebt wieder auf (vgl. Ritz, BAO, Kommentar, § 307, Tz 8 und die dort zitierte Judikatur).

§ 261 Abs. 2 normiert die Gegenstandsloserklärung auch für Fälle, in denen nach bisheriger Rechtsauffassung Rechtsmittel als unzulässig geworden zurückzuweisen waren. Dies galt nach Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz (BAO3, § 299 Anm 25 idF vor 15. Ergänzungslieferung) für Berufungen gegen neue Sachbescheide, wenn der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid stattgegeben wird, wodurch der neue Sachbescheid als Folge des § 307 Abs. 3 BAO aufgehoben ist.

Die Gegenstandsloserklärung der Bescheidbeschwerde liegt nicht im Ermessen. Sie hat (durch die Abgabenbehörde) mit Beschwerdevorentscheidung bzw. (durch das Verwaltungsgericht) mit Beschluss zu erfolgen. Solche Gegenstandsloserklärungen sind mit Vorlageantrag (§ 264) bzw. mit Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder mit Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof anfechtbar (vgl. Ritz, BAO, Kommentar, § 261, Tz 4 und 6 und die dort zitierte Literatur).

Somit waren die gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 gerichteten Bescheidbeschwerden vom mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären.

Zu Spruchpunkt 3.: Zurückweisung des Vorlageantrages betreffend der für das Jahr 2013 ergangenen Bescheide (Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2013 und Einkommensteuerbescheid 2013):

Gemäß § 264 Abs. 5 BAO obliegt die Zurückweisung nicht zulässiger oder nicht fristgerecht eingebrachter Vorlageanträge dem Verwaltungsgericht.

Das Finanzamt hat der Bf in Beantwortung ihrer gegenständlich strittigen Beschwerden gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2013 und betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2013 in der Absicht, eine Beschwerdevorentscheidung zu übermitteln, lediglich eine Bescheidbegründung übersandt. Dies hat das Finanzamt mit E-Mail vom gegenüber dem Bundesfinanzgericht bestätigt. Die Beschwerdevorentscheidung ist ein Bescheid und hat daher die Bestandteile eines Bescheides zu enthalten. Gemäß § 93 Abs 2 BAO hat jeder Bescheid den Spruch zu enthalten. Der Spruch ist die Willenserklärung der Behörde. Der normative (rechtsgestaltende oder rechtsfeststellende) Inhalt muss sich aus der Formulierung der Erledigung ergeben (vgl. Ritz, BAO, Kommentar, 6. Auflage, Rz 5 zu § 93, und die dort zitierte Judikatur: ). Erledigungen ohne Spruch (somit ohne normativen Inhalt) sind keine Bescheide (vgl. Ritz, BAO, Kommentar, 6. Auflage, Rz 8 zur § 93 und die dort zitierte Judikatur: ).

Auf Grund dieser Ausführungen stellt die an die Bf für das Jahr 2013 ergangene Bescheidbegründung vom keinen rechtmäßig ergangenen Bescheid und damit keine Beschwerdevorentscheidung dar. Das Finanzamt hat gegenüber der Bf keine rechtswirksame Erledigung erlassen.

Wohl aus Vorsichtsgründen hat die Bf gegen diese Erledigung einen Vorlageantrag eingebracht. Unabdingbare Voraussetzung eines Vorlageantrages ist jedoch, dass die Abgabenbehörde eine Beschwerdevorentscheidung erlassen hat (vgl. Ritz, BAO Kommentar, 6. Auflage, Rz 6 zu § 264 und die dort zitierte Judikatur: z.B. ).

Da die als Bescheidbegründung bezeichnete und auch nur eine Begründung beinhaltende, aber als Beschwerdevorentscheidung intendierte, Erledigung des Finanzamtes vom keinen wirksamen Bescheid und damit keine Beschwerdevorentscheidung darstellt, war der dagegen eingebrachte Vorlageantrag vom gemäß § 264 Abs. 5 BAO als unzulässig zurückzuweisen. Das hat zur Folge, dass die gegen die Bescheide betreffend das Jahr 2013 eingebrachten Beschwerden unerledigt sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Spruchpunkt der Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis bzw. einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis bzw. der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

In den Beschwerden werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Da die Entscheidung betreffend die Zulässigkeit der Wiederaufnahme der Verfahren im Zusammenhang mit der Eignung des vom Finanzamt angenommenen Wiederaufnahmegrundes der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht (vgl. insbesondere ), sich die Verpflichtung zur beschlussmäßigen Gegenstandsloserklärung der gegen die Sachbescheide gerichteten Beschwerden unmittelbar aus § 261 Abs. 2 BAO ergibt und die Zurückweisung des Vorlageantrages betreffend das Jahr 2013 eindeutig aus der Judikatur ableitbar ist, war die Unzulässigkeit der Revision auszusprechen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 264 Abs. 5 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 307 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 261 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100606.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at